Helge Lange: Der Reiter
Hier werde ich wieder ins Schwärmen geraten, wie bei der zweiten Geschichte, nur mag ich diese Geschichte aus komplett anderen Gründen. Zwei dicke Dinger vorab:
- Der Schluss hat mich emotional berührt.
- Die Figuren sind klasse! Vor allem das Pferd Vollmond, aber auch der Reiter Yeldak.
Auf Seite 2 bin ich schon Fan, an dieser Stelle:
"Was ist?", fragte der Reiter.
"Eine Klapperschlange", antwortete das Pferd.
Dann berät das Pferd ihn noch fachmännisch, denn er kennt sich nicht auf der Erde aus (stammt vom Mars), aber das Pferd weiß Bescheid! Das ist auch nicht so klamaukig, wie man meinen möchte, keineswegs! Die Story hat eine gewisse Heiterkeit und definitiv Humor, schafft es aber trotzdem, eine bedeutsame Story zu erzählen. Das kriegt in dieser Szene nicht oft jemand hin, wenn ich das mal offen so sagen darf. Wir sollten einfach noch ganz viel Werbung für die Anthologie machen!
Zwischenzeitlich habe ich überlegt, ob der Titel der Story eigentlich gerecht wird, aber am Ende fand ich: Ja. Es klingt zwar erstmal allgemein, passt aber sehr gut. Ein Titel wie "Pferde essen keinen Gurkensalat" hätte vermutlich falsche Erwartungen geweckt und dann wäre die Überraschung nicht so groß gewesen, wenn das Pferd plötzlich spricht.
Schön ist auch, wie wenig der Reiter sich auf der Erde auskennt, sich immer wieder Fragen dazu oder Überlegungen (an)stellt ("Vielleicht hatten Pferde auch schon immer sprechen können."). (Erklärung: Auf dem Mars gibt es keine Pferde.)
Der Stil ist flüssig, die Beschreibungen eher in der Nähe von voll geil. Auf den ersten Seiten wird die Action manchmal durch Erläuterungen unterbrochen, aber höchstens für drei Sätze, später ist mir das gar nicht mehr aufgefallen.
Das Pferd namens Vollmond (ist nicht Perspektivfigur) wird nur durch Dialog und Action charakterisiert, beim Reiter erfahren wir noch einiges über seine Vergangenheit. So werden beide Figuren sehr echt. Keineswegs das, was in 80% der Kurzgeschichten in unserer Szene so von A nach B geschoben wird.
Die Story kommt mehr und mehr in Fahrt, das Ende und worum es geht wird gut genug angedeutet, beide Welten (Erde und Mars) werden ausreichend gut gezeigt (in Gedanken über früher oder im Jetzt), so dass ich mir ein Bild machen kann. Weltenbau vom Feinsten! Leicht schräg sind einige Szenen schon (Yeldaks Ankunft auf der Erde gehört dazu, aber er nimmt es so hin), aber sie werden nie unglaubwürdig. Auch, warum Yeldak so gut reiten kann, obwohl es auf dem Mars keine Pferde gibt, wird im Dialog deutlich. Nice!
Dann leistet die Story in einem Subplot etwas, das ich extrem selten in deutschsprachiger SF lese - es gibt eine sehr subtile, anti-rassistische oder mindestens anti-speziezistische Farbe, die seitens Yeldak sehr schön gelebt wird. (Ja, mir ist klar, es gibt solche Tropen bei uns, aber meistens sind sie doch sehr plakativ oder gehen irgendwie daneben). Das ist fast schon auf Expanse-Niveau, weil es sehr verfremdet geschieht und auf die in diesen Welten lebenden unterschiedlichen Menschen angepasst ist, und irgendwie auch noch das Pferd gedanklich mitnimmt. Und das, obwohl Yeldak sich selbst reflektiert und merkt, dass er nicht immer frei von Vorurteilen gewesen ist, nicht immer alle als Menschen angesehen hat. Er macht also während seiner Reise auf dem Pferd eine Entwicklung durch, überdenkt seine Glaubenssätze.
Mir hat die Story und das Ende außergewöhnlich gut gefallen und ich werde sie in wenigen Wochen noch mal lesen und überlegen, ob sie auf meine Nominierungsliste gehört.