Was sage ich zu diesen Texten?
Barbara Ostrop: An’k Weg Sterne
Eine Jägerin, die uns schon durch ihre rudimentäre Sprache als primitiv vorgeführt wird, wird eingefangen und mit Hirnimplantaten zwangsbeglückt. Sie ist schwarz und ihr Beglücker weiß. Es wird uns gezeigt, wie sie besser und besser denken kann, wobei die ethische Fragwürdigkeit der Unternehmung nicht thematisiert wird. Als später all ihre Freund*innen ebenfalls zwangsoperiert werden, setzt sie dem nichts entgegen.
Der Text hat Logiklöcher, ist geschlechtsstereotyp (natürlich muss der Mann sich sexuell annähern, sonst schnallt sie es nicht) und bedient rassistische Klischees. Sprachlich ist die Idee der wachsenden Sprache zwar ganz gut umgesetzt, An’k wird aber als Person nicht einmal ansatzweise spürbar.
Anne Grießer: Die lange Wacht
Ein Mann arbeitet in einem Atemmüllendlager. Als er bei einem Strahlenunfall stirbt, wird er zum Geistwächter und beobachtet viele Jahrtausende. Der Geist erzählt einem Tentakelwesen von seinen Erlebnissen.
Ich finde die Sprache dieses Textes recht gelungen, man hat wirklich eine Idee davon, die sprechende Person ein wenig zu kennen. Allerdings wirklich nur ein wenig. Die kursiven Einschübe, in denen das Tentakelwesen direkt angesprochen wird, sind leider zum großen Teil redundant und langweilig. Das Ende hat einen Dreh, dieser ist aber nicht wirklich überraschend und auch nicht recht glaubwürdig. Immerhin kommt hier mal ein schwuler Mann vor, sein Partner wird aber nur benannt, um sein Schwulsein zu zeigen, und spielt für den Text nicht die geringste Rolle. Witzig ist die Idee, dass in einer der vielen benannten Zukünfte Frauen die schwere Arbeit tun.
Dieses Text fand ich einen der stärkeren der Anthologie.
Yvonne Tunnat: Nanita findet Leben
Auf der zukünftigen Erde leben einige Roboter, die sinnlos gewordenen Tätigkeiten nachgehen. Aus der Sicht der Hauptperson, von der wir weder Geschlecht noch biografische Details erfahren, erfahren wir, wie ein anderer Roboter ein Wesen findet, mit dem es nicht weiter weiß. Einfühlsam erfahren wir von der Einsamkeit der Hauptperson, von der Trauer um den einzigen Gefährten, den es einmal gab, und der Sehnsucht nach Beziehung bei der gleichzeitigen Angst vor der Endlichkeit allen Lebens. Der Text ist berührend und breitet genug Weltenbau aus, um eine Idee zu haben, was passiert ist. Sprachlich ist er leicht lesbar, allerdings hakt es an manchen Stellen, so dass ich den ein oder anderen Satz mehrfach lesen musste. Hier hätte ein Lektorat sicher einiges glätteten können. Aber: Wow, der erste Text in dieser Sammlung, der mir gefällt.
Auffällig unpassend ist hier die Illustration, die eine nackte Weiße Person mit großem Busen und Baby auf dem Arm darstellt. Insgesamt fällt auf, dass die Illustratoren (alle neun sind männlich) häufig nackte, weiblich gelesene Körper darstellen, auch dann, wenn das zum Text nicht recht passt, wie hier.
Christian Manske: Wimpernschlag der Ewigkeit
Ein Mann liegt bei einer Psychoanalytikerin auf der Couch, aber es passiert weder eine Psychoanalyse noch ist die Anordnung von Couch und Sitz klassisch. Bald wird klar: beide sind KIs. Der Text erzählt uns deren Gespräch miteinander (es ist nicht therapeutisch, soll es aber wohl sein), unterbrochen von untraumhaften “Träumen” der Patient-KI Graham. Klischeehaft zeigen die Träume die “schlechten Seiten” der Menschen: Konzentrationslager, Hiroshima, ein fiktiver zukünftiger Krieg. Wir erfahren etwas über Grahams Hintergrund, aber auch der ist nicht neu: Natürlich haben die Menschen mal wieder die Welt zugrundegerichtet und natürlich wird das individueller Gier zugeschrieben und nicht auf systemischer Ebene analysiert.
Das Ende des Textes passt für mich nicht zum Rest und wartet mit klischeehaften Beispielen auf (natürlich besteigen zwei Männer dem Himalaya und eine Frau tröstet ein Baby). Insgesamt gibt es keinen Spannungsbogen und damit auch keine wirkliche Geschichte. Sprachlich ist der Text an vielen Stellen umständlich und phrasenhaft.
Karlheinz und Angela Steinmüller: Unheil aus der Tiefe
Jugendliche Wesen sitzen in einem Bunker und wissen nicht: Ist es ein Übungsalarm oder gibt es wirkliche Bedrohung? Tofrod, die Hauptperson, lebt offenbar in einem Internat, zusammen mit seinen Zimmergenossen Krerwed und Murwin. Als die beiden ihn überreden, einen illegalen Sender anzuzapfen, möchte er erst nicht, tut es dann aber doch. Gemeinsam mit ihm hören wir ein Hörspiel über angebliche Vormenschen. Die Spannung spitzt sich anhand der Frage, ob es die Vormenschen gab und ob es eine wirkliche Bedrohung gibt, zu. Natürlich werden die Jugendlichen irgendwann erwischt, das Ende des Textes klärt aber leider keine der spannungsgebenden Fragen.
Der Text ist leicht lesbar, die Phrasen halten sich in Grenzen und ich habe zumindest eine vage Idee, wer Tofrod ist. Allerdings ist das geheime Hörspiel so albern, dass es auf mich peinlich wirkte, aber nicht lustig genug, um für mich als Satire zu funktionieren. Um den Text zu einem guten Text zu machen, fehlt leider ein überzeugende Ende. So bleibe ich mit einem Schulterzucken zurück.
Mit Tanz der Krebse konnte ich gar nichts anfangen, das scheint mir aber Geschmack zu sein.
Bei Dieter Korgers Text bin ich noch nicht angekommen, weil ich die Lust verloren habe.
Auf mich wirken ganz viele dieser Texte unfertig. Der von den Steinmüllerns beispielsweise ist sprachlich super, aber es wirkt, als sei ihnen kein guter Plot eingefallen. Davon gibt es in dieser Sammlung meiner Meinung nach mehrere. Und ich frage mich schon, wie das zustandegekommen ist, denn die beiden Herausgeber stehen ja eigentlich schon für Qualität.
Auch die Zusammenstellung finde ich wenig gelungen. Es häufen sich immer und immer wieder die selben Themen: Atomkrieg, Urmenschen, Urmenschen und Urmenschen. Ich war immer wieder an "Planet der Affen" erinnert und habe mich gefragt, ob das am Thema liegt. Ich glaube nicht, dass ich zu diesem Thema etwas Gutes schreiben könnte.
Was ich mich frage: Bin ich die einzige Person, der es so geht, die diese Anthologie so enttäuschend findet? Vielleicht finde ich ja noch gute Texte, wenn ich mich traue, weiterzulesen. Aber bislang sind das großenteils schwache Texte. Bei dem Text von Aiki dachte ich: Da hätte they mal noch dran arbeiten sollen. Das ist unfertig:
Aiki Mira: Zwischen der Musik
Zwei Roboter, die keine Roboter sind, fallen auf einen Planeten, um dort zu kämpfen. Aber alles ist ganz anders als erwartet und vielleicht gibt es auch eine andere Lösung als Kampf.
Auf mich wirkt dieser Text wie die Rohversion von etwas: holprige Dialoge, fehlende Punkte und Kursivsetzungen, Redundanzen, unvermittelte Perspektivwechsel – man erahnt die bei Mira übliche sprachliche Dichte, aber sie ist noch nicht wirklich entstanden. Es gibt einige sprachlich schöne Sätze wie “Die Atmosphäre ist dick wie Brei und schmeckt süß nach Pflanzenblüten”, aber im Großen und Ganzen wirkt dieser Text auf mich unfertig. Die Idee von Wolpertinger-Wesen wirkt auf mich auch peinlich, hier hat Mira keine für mich überzeugende Beschreibung gefunden.
Auffällig ist auch hier wieder die unpassende Illustration, die ein Wesen zeigt, das wirkt, wie aus einem Horrormagazin entlehnt, ein Anteil, den ich ihm Text selbst nicht finde.
Und die Illustrationen? Das Cover ist super, aber innen ist ganz viel Stereotypes, Einfallsloses, Unpassendes. Immer wieder nackte Brüste, mal sexy, mal widerlich, mal männlich-behaart.
Oder bin ich irgendwie schief gewickelt und es trifft einfach nur nicht meinen Geschmack?
Andererseits denke ich, dass holprige Dialoge, Grammatikfehler und steppende Erklärbären ebensowenig Geschmackssache sind wie lückenhafte, unlogische Plots oder fehlende Enden. Das ist doch objektiv schlecht. Oder wie oder was?
Bearbeitet von Jol Rosenberg, 22 August 2023 - 12:03.