Hallo zusammen, ich lese dann auch mal mit. Das ist erst meine zweite Exodus überhaupt, meine erste war die Ausgabe davor. Die Texte darin haben mich größtenteils leider nicht überzeugt, aber ich versuche es gern noch einmal.
Wichtig ist nur, was die Leute glauben von Christian Endres
Ich mag die Action, das Tempo der Erzählung und das Worldbuildung (das angesichts unserer heutigen Situation gar nicht mal so unwahrscheinlich wirkt), aber auch mir fehlt bei der Protagonistin die Tiefe. Sie wirkt austauschbar und scheint nur dazu da zu sein, um ebendieses Worldbuildung und die Handlung zu tragen. Außerdem finde ich den Trope von einer Person mit Regierungsverantwortung, die einer 'gegnerischen' Person anvertraut, dass das ganze System doch nicht so stabil ist wie sein Anschein, schon recht abgegriffen.
Was ich interessant finde, ist das Menschen- und Gesellschaftsbild, von dem hier ausgegangen wird. Die Regierung will also den Anschein erwecken, dass die Klimakrise noch zu bewältigen ist, denn das Wissen darüber, dass das in Wirklichkeit gar nicht mehr möglich ist, würde in der Bevölkerung Panik auslösen. An der Stelle frage ich mich: Ist das wirklich so? Schon heute ist ja bekannt, dass der Klimawandel nicht mehr gestoppt, sondern seine Folgen nur noch abgemildert werden können. Und nicht einmal dafür scheinen sich sonderlich viele Menschen zu interessieren. Chaos und Anarchie wegen dieser Erkenntnis sind erst recht nirgendwo zu sehen. Insofern sehe ich in diesem Text auch einen kleinen Alternate History-Touch.
Was mir noch schleierhaft ist: Warum erschießen die Einsatzkräfte der Klimaschutzbehörde im Bunker sofort Leute, wenn das sowieso nur Show sein soll und es eigentlich darum geht, die Kryptomine möglichst öffentlichkeitswirksam hochzunehmen? Einfach drauflos ballern ist ja so ziemlich das Gegenteil von öffentlichkeitswirksam. Oder will die breite Bevölkerung im Namen des Klimaschutzes mittlerweile Blut sehen? Das erscheint mir vom heutigen Standpunkt aus sehr weit hergeholt, in dem Fall hätte ich mir eine tiefere Ausarbeitung des gesellschaftlichen Wandels gewünscht.
Der Zähler und der Monolith von Wolf Welling
Der Protagonist wird auf einen Planeten geschickt, wo er zum plötzlichen Verschwinden aller Menschen aus einer Kolonie nahe einem geheimnisvollen Monolithen ermitteln soll. Ich liebe Detektivgeschichten, und auch den Protagonisten mochte ich gleich: Er ist nicht nur Volkszähler, sondern hat auch die interessante Angewohnheit, alle möglichen anderen Dinge um sich herum zu zählen. Noch dazu kann er mit menschlicher Gesellschaft nicht viel anfangen.
Leider war ich schnell gelangweilt, weil ich einen gewaltigen Info-Dump über mich ergehen lassen muss. So bin ich schon vor seiner Landung auf diesem Planeten bestens darüber informiert, was es mit dem Monolithen und der Siedlung auf sich hat, und ich habe auch schon erfahren, was der Protagonist in der Vergangenheit in seinem Job schon für schlimme Dinge erlebt hat. Im Gegensatz dazu wird seine zweitägige Ermittlung in der Siedlung in einem Satz abgefrühstückt. Das hätte meiner Meinung nach eleganter gelöst werden können.
Zum Ende hin mag ich die leichten Horror-Einschläge, aber die Geschehnisse danach sind einfach furchtbar konservativ: Die KI, die ihn die ganze Zeit begleitet hat, steht ihm plötzlich im Körper einer - natürlich - hübschen und schlanken Frau gegenüber und hat auch noch ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Der Protagonist tritt in den Monolithen hinein und findet dahinter eine paradiesgleiche Welt vor, in der er fröhlich auf den Wiesen frohlockt und gar nicht mehr das Bedürfnis hat, Dinge zu zählen.
Bei diesem Ende bin ich ganz bei Jol: Es stößt mir sauer auf, dass es als die ultimative Befreiung dargestellt wird, dass der Protagonist seinen 'Zähl-Zwang' jetzt los ist. Zumal er weiter vorn im Text explizit klargestellt hat, dass ihm das Zählen Freude bereitet und er schon früher eine korrigierende Behandlung abgelehnt hat. Das vermittelt für mich die Botschaft, dass man Abweichungen von einer arbiträren gesellschaftlichen Norm in der eigenen Persönlichkeit unbedingt loswerden solte - und wenn man das nicht will, eben zum eigenen 'Glück' gezwungen werden muss.
Außerdem finde ich es schade, dass das Rätsel um den Monolithen nicht gelöst wird - mit Ausnahme der Erkenntnis, das die Sekte vor Ort wohl Recht gehabt hat mit ihrer Vermutung, dass sich dahinter eine Art Paradies befindet. Hm, bisschen schwach. In gewisser Weise hat es mich an "Der Garten" aus der letzten Exodus erinnert, wo die Natur der fanatisch angebeteten Artefakte auch nicht geklärt wurde.