Nocturnal von Sammy Heet (Schattengeschichte)
Ein Einblick in das Treiben eines Nachtalbs, der traumatisierte Kinder heimsucht und ihnen durch die Albträume bei der Verarbeitung ihrer schlimmen Erinnerungen hilft. Interessantes Konzept und in der Kürze auch sehr präzise und atmosphärisch umgesetzt, gefällt mir gut.
Hundert Lichtjahre Einsamkeit von Marie Meier
Die Protagonistin Helena arbeitet auf einer abgelegenen Raumstation und ist über ihre Einsamkeit auch ganz glücklich, bis ihr eine äußerst einfühlsame KI an die Seite gestellt wird. Nachdem sie Helena zunächst auf die Nerven geht, freunden die beiden sich doch miteinander an.
Die Geschichte ist gut geschrieben, ich mag den subtilen Humor an einigen Stellen, und auch Helenas Bedürfnis, möglichst weit weg von irdischen Schwierigkeiten zu sein, kann ich gut verstehen. Dialoge zwischen Mensch und KI lese ich ebenfalls gern, auch das finde ich hier gut umgesetzt. Ebenso die Kritik an der KI, die mit menschlichen Vorurteilen konfrontiert wird und am Ende selbst Diskriminierung, z.B. auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, reproduziert.
Gerade an der Stelle finde ich die Geschichte allerdings ein wenig unrund, denn hier werden unterschiedliche Arten von KI in einen Topf geworfen. Dass Helena wütend darüber ist, dass eine KI ihrer Frau und ihr Hauskredit und Adoption versagt hat, weil sie nicht dem Idealbild einer heterosexuellen Familie entsprechen - total verständlich. Aber was hat die KI, die ihre Arbeit in der Forschungsstation unterstützen soll, damit zu tun? Die Geschichte liest sich ein wenig wie die KI-Version des Handlungsmusters 'Eine Person hat Vorurteile gegenüber einer bestimmten Personengruppe, lernt dann jemanden aus dieser Gruppe kennen und merkt, dass die ja doch ganz okay sind'. Helena wirkt auf mich wie ein recht rationaler Mensch, deshalb nehme ich es ihr nicht so wirklich ab, dass sie die KI nur deshalb nicht mag, weil sie eben eine KI ist, und da überhaupt nicht differenziert.
Wahrscheinlich stört mich das auch nur deshalb, weil es mich persönlich nervt, wenn Menschen in Diskussionen über KI alles über einen Kamm scheren. Ich kann mich z.B. gegen den Einsatz von bildgenerierenden KI aussprechen und trotzdem KI im Bereich Bürokratieerleichterung oder Früherkennung von Krankheiten gut finden.
Symbionten von Nora Bendzko (Schattengeschichte)
Eine Geschichte über einen Weltraumparasiten, der eine Kosmonautin befällt. Ich mag die Brutalität und Rohheit und das Grauen, das in diesen wenigen Zeilen wohnt.
Fidebum von Jeannie Marshall (Schattengeschichte)
Monolog eines Kollektiv von Naturgeistern, die im Laufe der Zeit immer weiter in Vergessenheit geraten sind und ins Reich der Sagen geschoben wurden. Bedrohlich und unheimlich geschrieben, ich mag's.
Maja, 28, w, Werwölfin von Carolin Lüders
In einer Welt ähnlich der unseren, in der übernatürliche Wesen unter den Menschen existieren und Diskriminierung erleben, kämpft Maja mit den Schwierigkeiten beim Dating. Zu Beginn gibt sich ihr aktuelles Date zwar tolerant, ergreift nach ihrer Verwandlung aber die Flucht. Auch auf dem Arbeitsmarkt kann Maja nicht Fuß fassen, denn kein*e Chef*in will ihre Arbeitsunfähigkeit um den Vollmond herum akzeptieren. Maja ist verzweifelt, bis sie schließlich über eine Dating-App eine Ghoul trifft, die sie versteht und ihr neue Hoffnung gibt.
Ich mag es sehr, wie diese Welt ausgearbeitet ist und wie die übernatürlichen Wesen nicht nur zur Metapher für Diskriminierungen werden, sondern zusätzlich zu den bereits bestehenden Diskriminierungsformen existieren. Dabei spiegelt sich bestehende Diskriminierung gut in den Aussagen wider, die Maja zu hören bekommt - wenn ihr Date z.B. auf ihr Werwolf-Outing sagt, so wirke sie doch gar nicht, oder das Diversity-fokussierte Start-Up, das ihre Bewerbung mit der Begründung ablehnt, sie hätten ja schon eine Nixe.
Auch ihre Begegnung mit der Ghoul mag ich sehr; die Art, wie sie miteinander reden können und jeweils endlich jemanden gefunden haben, der ihre spezifischen Probleme versteht. Am Ende gibt es Hoffnung und die Aussicht auf die Bildung einer Community, die für eine gerechtere Welt kämpfen will - sehr schön.
Ein bisschen ratlos bin ich, was mit "Ich will, dass es keine Konkurrenz mehr gibt" gemeint war. Wollte sie die nicht-phantastischen Wesen komplett ausschalten? Da würde ich inhaltlich nicht mitgehen.
Interessant, dass du das so gelesen hast, auf diese Interpretation wäre ich gar nicht gekommen. Ich habe es so verstanden, dass es einfach genügend Wohnungen und Jobs für alle geben sollte, sodass es eben keine Konkurrenz darum mehr geben muss. Das fand ich an der Stelle inhaltlich aber auch einen sehr großen Schritt vom realistischen Gedanken an die Bildung einer Community hin zum eher naiven Gedanken an die Veränderung des kompletten Systems.
Bearbeitet von Charline Winter, 15 Dezember 2024 - 11:49.