ich habe die (naive) Vorstellung, dass der Schriftsteller in seinem Arbeitszimmer, im Keller, im Cafe oder im Planschbecken sitzt und seine eigenen Gedanken niederschreibt. Die können durchaus durch Zeitungsartikel, Ereignisse oder sonstwas inspiriert sein.
Diese Vorstellung kannst du gewiss hegen - sie schließt ja einzelne Literaturzitate nicht aus. Und mehr gibt dieser Fall erst mal nicht her. Das ist der Punkt, der beim voreiligen Skandalisieren unter die Räder kommt und auf den ich vor allem hinweisen möchte.
Dieser "Skandal" besteht derzeit aus insgesamt genau 7(!) Zitaten von Airen, die in Roadkill gefunden wurden, und außer den immer gleichen sieben Stellen habe ich bisher in keinem Beitrag zusätzliche konkrete Belastungsmomente gefunden. Dafür aber die nebulöse Aussage im Ursprungsblog: "Das sind nur die offensichtlichsten Stellen. Es gibt noch mehr, in denen nicht Wort für Wort kopiert, aber das Handlungsmotiv einer Szene übernommen wurde." Aber der Satz lässt bei mir erst mal die Alarmglocken klingeln. Warum hat er nicht gesagt: "Das sind nur ein paar Beispiele, von denen ich noch Dutzende weitere aufzählen könnte?"
Da ich bisher nirgendwo andere konkrete Parallelen gefunden habe, frage ich mich, ob sich die Aussage mit den "offensichtlichsten Stellen" so übersetzen lässt, dass es von diesen sieben Zitaten abgesehen
keine weiteren Übereinstimmungen gibt, sondern allenfalls Szenen, die man mit entsprechendem Willen als ähnlich
interpretieren kann. Und damit stößt man dann ein sehr weites Feld auf.
Also, da dieser "Skandal" derzeit konkret nur aus sieben Literaturzitaten besteht und es keinesfalls um den belegbaren Vorwurf geht, "Axolotl" wäre komplett abgeschrieben oder umgestellt, oder ausschließlich aus "geklauten" Bestandteilen zusammengepuzzled, sind die folgenden Schlussfolgerungen doch wohl arg konstruiert:
Ach, wenn ich das hier so lese, dann gehe ich einfach mal davon aus, dass all jene, die die Sache verteidigen oder einfach als gang und gäbe abtun oder schulterzuckend die Sache hinnehmen kein Problem damit haben, wenn ich mich zukünftig ihrer Werke bediene, abschreibe, ein bisschen ummodle und das dann als meines verkaufe.
Erlaubt mir dann einfach mal die Frage an jene, die ihr dies nun als Bagatelle, als "ist doch gar nicht so schlimm" usw. abtut: Was macht mich, was macht den Leser Eurer Texte sicher, dass eure Texte tatsächlich von euch stammen und nicht abgeschrieben sind?
Ich denke, dass diejenigen, die hier gerne einen Skandal sehen wollen, eigentlich zuallererst die Frage beantworten müssten, die sich ganz konkret aus der Faktenlage ergibt: Würdet ihr es tatsächlich schon für einen Skandal halten, wenn ein Autor 7 Literaturzitate eines einzelnen anderen Autors in seinem Roman untergebracht hat? Oder nehmt ihr die spärlichen Belege automatisch pars pro toto und geht davon aus, dass diese sieben genannten Stellen repräsentativ für den ganzen Roman sind?
Die Antwort auf diese Frage wäre sehr wichtig, um zu verstehen, worüber man überhaupt diskutiert. Und, nein - hier geht es nicht nur um unterschiedliche zulässige Meinungen im literarischen Diskurs. Denn wenn wir über 7 Zitate reden, dann können das nur Leute als skandalös empfinden, denen wirklich jede Grundkenntnis literarischer Arbeit fehlt (Sorry, das so hart auszudrücken - ich persönlich pflege gern einen Hang zum Trivialen und distanziere mich auch lieber vom Snobismus der Hochliteratur. Aber nach einem Germanistikstudium, in dem das Suchen von Literaturzitaten nicht nur selbstverständlicher Teil der Ausbildung war, sondern zudem noch ein Lieblingshobby diverser Kommilitonen, muss man doch feststellen, dass es selbstverständliche Gepflogenheiten in der Literatur gibt, die zu abzustreiten schlichtweg lächerlich ist).
Wenn es hier nicht um (nur) sieben Zitate geht, sondern um die Annahme, dass der ganze Roman auf diese Weise entstanden ist, dann wäre es zumindest eine qualifizierte Meinung, dass man so literarisch nicht arbeiten sollte. Aber dann muss ich doch darauf verweisen, dass damit allzu sehr skandalisiert wird, weil die Faktenlage und die Aufarbeitung des Falls in den Medien einen solchen Befund nach dem Motto "alles nur abgeschrieben" im Grunde nicht zulässt. Dann gäbe es zwar zumindest noch eine Diskussionsgrundlage über die Grenzen von Zitation und Rekombination, aber ich hätte doch das Gefühl, dass der Skandal ein wenig zu gewollt gesucht und herbeigefiebert wird und man bereit ist, schon auf recht vage Andeutungen aufzuspringen.
Also, noch mal die Frage: Wo liegt für euch der Skandal? Sieben Zitate oder alles nur geklaut?
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)