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Wenn Teleportfähigkeit mit "genetische Anomalie" erklärt wird, ist das schon SF?


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105 Antworten in diesem Thema

#91 Morn

Morn

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Geschrieben 12 April 2008 - 09:21

Ich glaube inzwischen, dass simis und Clutes Definition eigentlich gar nicht weit auseinanderliegen. Man muss nur die "technisch-naturwissenschaftliche Erklaerung" durch "moeglich" und "magisch" durch "unmoeglich" ersetzen. Ich denke, dass die allgemeine Wahrnehmung einem technischen Geraet zubilligen wuerde, dass so etwas moeglich ist, unabhaengig davon, wie unglaublich die Effekte auch sein moegen, die das Geraet bewerkstelligen kann. Hier stimme ich simi zu. So braeuchte Superman mMn ein Geraet unter seinem Cape, das mlichs Antigravitationsloops nutzt, um Supermans Flugfaehigkeiten technisch zu erklaeren. Eine Erklaerung damit und mit seiner ausserirdischen Herkunft waeren mE in dieser Hinsicht nicht besser als die tatsaechlich verwendete. Und wenn Superman ein Geraet haette, dass es ihm erlaubt zu fliegen, dann waere es wohl egal, wie man dessen Funktionsweise erklaert. [OT]

Die Dunkle Energie zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie von der Gravitation abgesehen nicht mit baryonischer Materie wechselwirkt. Dabei ist von der gewöhnlichen gravitativen Wechselwirkung die Rede, eine Erklärung für die Aufhebung des Schwerkraft ist auf diesem Umweg also nicht möglich.

Die Dunkle Energie bewirkt unter Gravitationseinfluss eine Abstossung, so dass sich das Universum beschleunigt ausdehnt.

Die beiden zentralen physikalischen Theorien zur Erklärung der Welt, die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie, sind nicht miteinander kompatibel. Das Higgsfeld ermöglichte im Fall seiner Existenz eine zur Quantentheorie passende Erklärung der Gravitation. Es geht dabei also nicht wirklich um eine neue unbekannte Energieform.

Das Higgsfeld liefert keine Erklaerung fuer die Gravitation. Es gibt den Teilchen (jedenfalls theoretisch) wie Elektron, Quarks usw und den Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung, den W-und Z-Bosonen, aufgrund einer Symmetriebrechung Masse, analog zu Effekten in der Festkoerperphysik, bei denen das Elektron eine hoehere Masse zu haben scheint. Ein oft benutztes Bild hierfuer ist, dass sich ein Prominenter in einem Raum voller Leute langsamer bewegen kann als eine nicht-prominente Person, da sich die Leute um den Prominenten scharen. Eine langsamere Bewegung kann man deuten als eine hoehere Masse. Dabei handelt es sich um die traege Masse und nicht um die schwere Masse. Gravitation hat damit erst mal nichts zu tun.

Es gibt zwar keinen handfesten physikalischen Beweis für die Existenz der Dunklen Energie, aber zumindest deutliche Hinweise. Bisher gibt es weder einen physikalischen Beweis noch sonst irgendeinen schlüssigen Hinweis für die Existenz des Higgsfelds. Solange es keinen gültigen Beweis für die Richtigkeit einer physikalischen Theorie gibt, ist sie streng genommen nur parawissenschaftlich. (Pseudowissenschaft ist noch mal etwas ganz anderes.)

Ich wuerde sagen, dass es schon mehr ist als deutliche Hinweise. Seit der Satellit WMAP in den Unregelmaessigkeiten der kosmischen Hintergrundstrahlung die Supernovae-Messungen bestaetigt hat, duerfte due Dunkle Energie etabliert sein. Eine physikalische Theorie ist nicht parawissenschaflich. Man kann eine Theorie nie beweisen, sondern nur widerlegen.

Persönlich glaube ich nicht an das Higgs-Teilchen. Für meinen Geschmack wiese es als Überträger einer unendlich weit wirkenden, aber sehr schwachen Kraft eine viel zu große Masse auf, das passt nicht mit dem Verhalten der Überträger der anderen Grundkräfte zusammen. Die Idee, die Schwerkraft mit Hilfe eines massebehafteten Teilchens zu erklären, finde ich zudem auch nicht sonderlich überzeugend †¦

Wie gesagt, wird die Schwerkraft nicht durch das Higgsfeld erklaert. Es uebertraegt auch keine unendlich wirkende Kraft. Das ginge nach gegenwaertigem Verstaendnis auch gar nicht, da es Masse besitzt. Eine Masse nahe Null kann es uebrigens nicht haben, da es dann Abweichungen in der Wirkung der Gravitation auf grosse Entfernungen bewirken wuerde, die man nicht beobachtet. [/OT]

#92 Theophagos

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    Giganaut

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Geschrieben 14 April 2008 - 09:59

Noch mal zurück dazu, warum ich glaube, dass das Vokabular nicht immer ausreicht.Da ich gerade von Arthur Machen "Die Geschichte des schwarzen Siegels" gelesen habe, nehme ich das als Beispiel. Vorsicht Spoiler!Darin gibt es einen Forscher, einen Ethnologen, der einem Geheimnis auf der Spur ist. Er glaubt, dass an den Elfen-Mythen & -Sagen etwas wahres dran ist; er glaubt, dass sie tatsächlich übermenschliche Fähigkeiten - haben, denn er glaubt auch, dass es sie noch gibt. Doch er beteuert, dass er kein leichtgläubiger Spinner ist: Die 'Elfen' haben ihre Kräft nicht vom Teufel, Gott oder sonst irgend einem albernen spirituellen System, sondern daher, dass ihnen die Natur diese seltsamen Fähigkeiten bescherte - irgendwie können sie die Eigenarten von Tieren, die in der Abstammungslinie vor ihnen liegen, anzapfen. Er selbst erlebt ein krasses Beispiel: Ein Junge dehnt seinen Arm über einige Meter aus. Der Ethnologe muss sich immer wieder klar machen, dass er nichts Übernatürliches gesehen hat - bei Schnecken kann man es jeden Tag beobachten, wenn auch im kleineren Maßstab.M E ist diese Geschichte ein Beispiel für die Trennung von Phänomen und Erklärung: Ist die magische Erklärung wahr und die wissenschaftliche bloß für die phantasielosen Geister? Oder ist die wissenschaftliche wahr und die magische für die einfältigen Geister? Das Vokabular stammt klar vom wissenschaftlichen Erzähler, der aber nicht ganz zuverlässig wirkt (das Betonen der Natürlichkeit, die Unbeherrschtheit, wenn auch das Phänomen angesprochen, etc.).Theophagos
"Cool Fusion? What is 'Cool Fusion'?" - "As Cold Fusion is beyond our grasp, we should reach for something ... less ... cold. Cool Fusion."
- Dr. Karel Lamonte, Atomic Scientist (Top of the Food Chain, Can 1999)
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#93 simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 10:13

Noch mal zurück dazu, warum ich glaube, dass das Vokabular nicht immer ausreicht.

Da ich gerade von Arthur Machen "Die Geschichte des schwarzen Siegels" gelesen habe, nehme ich das als Beispiel. Vorsicht Spoiler!

Darin gibt es einen Forscher, einen Ethnologen, der einem Geheimnis auf der Spur ist. Er glaubt, dass an den Elfen-Mythen & -Sagen etwas wahres dran ist; er glaubt, dass sie tatsächlich übermenschliche Fähigkeiten - haben, denn er glaubt auch, dass es sie noch gibt. Doch er beteuert, dass er kein leichtgläubiger Spinner ist: Die 'Elfen' haben ihre Kräft nicht vom Teufel, Gott oder sonst irgend einem albernen spirituellen System, sondern daher, dass ihnen die Natur diese seltsamen Fähigkeiten bescherte - irgendwie können sie die Eigenarten von Tieren, die in der Abstammungslinie vor ihnen liegen, anzapfen. Er selbst erlebt ein krasses Beispiel: Ein Junge dehnt seinen Arm über einige Meter aus. Der Ethnologe muss sich immer wieder klar machen, dass er nichts Übernatürliches gesehen hat - bei Schnecken kann man es jeden Tag beobachten, wenn auch im kleineren Maßstab.

M E ist diese Geschichte ein Beispiel für die Trennung von Phänomen und Erklärung: Ist die magische Erklärung wahr und die wissenschaftliche bloß für die phantasielosen Geister? Oder ist die wissenschaftliche wahr und die magische für die einfältigen Geister? Das Vokabular stammt klar vom wissenschaftlichen Erzähler, der aber nicht ganz zuverlässig wirkt (das Betonen der Natürlichkeit, die Unbeherrschtheit, wenn auch das Phänomen angesprochen, etc.).

Ich kenne besagt Erzählung nicht, aber hier scheint es ja eben genau um die Frage zu gehen, was überhaupt vor sich geht und wie das erklärt werden. Diese Art von Geschichte, die ja deutlich in Richtung der todorovschen Phantastik geht, spielt ja eben genau damit, dass sowohl dem Leser als auch den Figuren eine Einteilung der Ereignisse schwer gemacht oder sogar verunmöglicht wird.

Wenn ich Dich recht verstehe, lässt die Geschichte ja - ganz im Sinne Todorovs - eben beide Varianten offen. Sowohl eine (pseudo-)wissenschaftliche als auch eine übernatürliche Erklärung wären möglich oder werden zumindest lange als mögliche Varianten offen gelassen.

Aber auch hier gilt doch, was ich gesagt habe: Wenn die Geschichte am Ende mit einer (pseudo-)wissenschaftlichen Erklärung enden würde, dann wäre die Frage, ob so etwas wie das Verlängern eines Arms "in Wirklichkeit" möglich wäre, doch irrelevant; entscheidend wäre nur, dass die Geschichte diese Erklärung als wissenschaftlich fundiert präsentiert. Die Geschichte würde behaupten, dass das, was der Forscher da sieht, alles erklärbar ist und nicht magischen Ursprungs. Und umgekehrt bei einer magischen Erklärung. In beiden Fällen würde ein Phänomen, das nach unserem Wissen unmöglich ist, erklärt, im einen Fall wäre das Erklärungssystem (pseudo-)wissenschaftlich, im anderen Fall nicht.

Als dritte Variante gäbe es dann noch die wirklich realitäts-kompatible - dass die Hauptfigur Unsinn erzählt.

Oder habe ich was falsch verstanden?

Bearbeitet von simifilm, 14 April 2008 - 10:14.

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#94 Theophagos

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Geschrieben 14 April 2008 - 11:29

Es ist eigentlich eine dreifach gestaffelte Geschichte, daher wäre zumindest theoretisch auch die dritte Variante denkbar, aber es geht mir nicht um die Ausdeutung dieser speziellen Geschichte. Mein Punkt ist folgender:1. Der Erzähler hat ein phantastisches Phänomen gesehen.2. Der Erzähler deutet es (pseudo)wissenschaftlich.3. Der Erzähler wirkt nicht ganz zuverlässig.4. Der Leser kennt eine magische Deutung des Phänomens aufgrund intertextueller Bezüge.Ergo: Der Leser kann das phantastische Phänomen nicht eindeutig dem (Pseudo)Wissenschaftlichen oder dem Magischen zuordnen.Wüsste der Leser nicht um die magische Deutung, könnte er das kaum als alternative Deutung auffassen, da sie vom Erzähler schnell verworfen wird. Auf der Text-internen Ebene endet die Geschichte mit einer (pseudo)wissenschaftlichen Erklärung, doch auf der Metaebene endet die Geschichte offen, eben wegen der intertextuellen Bezüge. Bliebe man bei dem Vokabular, dann wäre es eindeutig eine SF-Geschichte mit Mutant (nach deiner Deutung), aber ich meine, dass man dann eine hübsche Offenheit vergeben würde.Theophagos
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#95 simifilm

simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 11:46

Es ist eigentlich eine dreifach gestaffelte Geschichte, daher wäre zumindest theoretisch auch die dritte Variante denkbar, aber es geht mir nicht um die Ausdeutung dieser speziellen Geschichte. Mein Punkt ist folgender: 1. Der Erzähler hat ein phantastisches Phänomen gesehen. 2. Der Erzähler deutet es (pseudo)wissenschaftlich. 3. Der Erzähler wirkt nicht ganz zuverlässig. 4. Der Leser kennt eine magische Deutung des Phänomens aufgrund intertextueller Bezüge. Ergo: Der Leser kann das phantastische Phänomen nicht eindeutig dem (Pseudo)Wissenschaftlichen oder dem Magischen zuordnen. Wüsste der Leser nicht um die magische Deutung, könnte er das kaum als alternative Deutung auffassen, da sie vom Erzähler schnell verworfen wird. Auf der Text-internen Ebene endet die Geschichte mit einer (pseudo)wissenschaftlichen Erklärung, doch auf der Metaebene endet die Geschichte offen, eben wegen der intertextuellen Bezüge. Bliebe man bei dem Vokabular, dann wäre es eindeutig eine SF-Geschichte mit Mutant (nach deiner Deutung), aber ich meine, dass man dann eine hübsche Offenheit vergeben würde. Theophagos

Nach allem, was Du erzählt hast, würde ich dem absolut zustimmen. Nur sehe ich den Widerspruch zu meinen Aussagen nicht ganz. Diese Geschichte behandelt ja eben das Problem des Zuordnens explizit, insofern ist es ja nur logisch, dass sie selbst nicht zugeordnet werden kann.

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#96 Theophagos

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Geschrieben 14 April 2008 - 15:04

Nun, ich hatte dich so verstanden:
Bei der zu Ordnung zur SF bzw. Fantasy ist nicht wichtig was geschieht, sondern wie es beschrieben wird, i.e. welche Vokabeln verwendet werden. Wenn Harry Potter mit einem verzauberten Besen umherfliegt, ist es Fantasy, wenn Perry Rhodan mit einem Antigravitationsgürtel fliegt, ist es SF. Es gibt natürlich auch Bastarde, bei denen man nicht genau entscheiden kann.
An dieser Stelle hatte ich angenommen, läge bei deiner These die Ursache im Gebrauch der Vokabeln - ist es SF wenn Harry Potter mit einem Antigravitationsgürtel fliegt? Die eine Vokabel klingt so, aber Harry Potter impliziert anderes.

Beim Schwarzen Siegel verweist das Vokabular deutlich auf SF. Wäre für dich ein impliziter Hinweis auf Elfen (der eben im wissenschaftlichen Vokabular erfolgt) genauso ein "Wie", wie es ein expliziter Hinweis auf Elfen im Märchen-Jargon wäre?

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#97 simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 15:22

Nun, ich hatte dich so verstanden:
Bei der zu Ordnung zur SF bzw. Fantasy ist nicht wichtig was geschieht, sondern wie es beschrieben wird, i.e. welche Vokabeln verwendet werden. Wenn Harry Potter mit einem verzauberten Besen umherfliegt, ist es Fantasy, wenn Perry Rhodan mit einem Antigravitationsgürtel fliegt, ist es SF. Es gibt natürlich auch Bastarde, bei denen man nicht genau entscheiden kann.
An dieser Stelle hatte ich angenommen, läge bei deiner These die Ursache im Gebrauch der Vokabeln - ist es SF wenn Harry Potter mit einem Antigravitationsgürtel fliegt? Die eine Vokabel klingt so, aber Harry Potter impliziert anderes.

Beim Schwarzen Siegel verweist das Vokabular deutlich auf SF. Wäre für dich ein impliziter Hinweis auf Elfen (der eben im wissenschaftlichen Vokabular erfolgt) genauso ein "Wie", wie es ein expliziter Hinweis auf Elfen im Märchen-Jargon wäre?

So ganz kann ich Deine Verständnisschwierigkeiten nicht nachvollziehen. Die "Vokabeln" sind ja nur der sichtbare Ausdruck der damit einhergehenden Begründung. Wenn sich eine Erzählung eines (pseudo-)wissenschaftlichen Vokabular bedient, wird damit implizit auch ein naturwissenschaftliches Weltbild bemüht. Ich kann nun nicht entscheiden, wie das im Falle des "Schwarzen Siegels" ist, aber so wie ich Dich verstehe, geht es da ja explizit um die Frage geht, ob es Elfen gibt oder nicht, dann stellt sich die Frage des Vokabulars doch noch gar nicht, oder verstehe ich da was falsch? Wenn ich eine Figur habe, die sagt: "Nein, Elfen sind kein Hirngespinst und keine Phantasterei, die sind eine wissenschaftliche Tatsache", dann ist doch damit schon gesagt, dass Elfen eben normalerweise nicht als "wissenschaftlich" gelten. Das würde auch funktionieren, wenn ich einen Begriff verwende, den es gar nicht gibt: "Nein, Gnalfaren sind kein Hirngespinst und keine Phantasterei, die sind eine wissenschaftliche Tatsache" - damit werde Gnalfaren gewissermassen einem nicht-wissenschaftlichen Vokabular zugewiesen.

Abgesehen davon würde ich schon sagen, dass der Begriff "Elfe" bereits eine Märchen-/Fantasy-Welt impliziert (zumindest kenne ich den Begriff primär in diesem Kontext). Aber natürlich kann dies auch "umgedreht" werden. Du kannst ohne Weiteres ein typisches Märchenmotiv "sciencefictionalisieren", indem Du es "wissenschaftlich" erklärst. Dieses Verfahren wird beispielsweise in "I Am Legend" eingesetzt, wo das Vampirmotiv, das typischerweise zum übernatürlichen Horror gehört, als Viruserkrankung erklärt wird. Das Verfahren ist das Gleiche, nur der Aufwand ist grösser: Begriffe wie "Vampir" oder "Elfe" implizieren zuerst mal eine Fantasy-/Horor-Welt. Wenn ich aber genug "wissenschaftliches" Vokabular nachliefere, kann ich diese Motive in die SF eingemeinden. Das würde auch mit einem Hexenbesen oder Harry Potter funktionieren, auch wenn diese Dinge "per default" Fantasy sind (interessante Frage: Geht das auch umgekehrt? Spontan fällt mir da kein Beispiel ein).

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#98 molosovsky

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Geschrieben 14 April 2008 - 15:46

Ja sowas.

Theo, Deine Interpretations-Mühe in Ehren, aber! Wenn Grenzfragen zu SF und Fantasy dazu führen, dass eine klassische Horror-Geschichte a la »The Novel of the Black Seal« nicht mehr als Horror wahrgenommen wird, dann wird es aber wirklich kurios.

Machen †” der alte Okkultonkel †” spielt in dieser Geschichte mit jener Art von durch das Dunkel der Zeiten kriechenden Grauens seltsamer Hinterwäldler-Monsterlichkeiten, das später in Zusammenhang mit seinem Fanboy Lovecraft dann so trefflich ›Supernatural Horror‹ genannt wurde. ›Fantasy‹ im modernen Genre Sinn (mit großem ›F‹ und High oder Low als ›Deppen-Straßenschild‹ davor) gab es noch nicht zu Machens Zeit, aber man merke auf, wie Machen in der angeführten Geschichte eben auf Babylonisches anspielt, auf Geheimnisse, die sich in den trüben Nebeln der Historie und der wilden Ländlichkeit walisischer Täler verbergen.

Also nochmal: Horror ist die richtige Schublade hier. Horror, der einer Skepsis gegenüber zu rigide behaupteten Rationalität Ausdruck verleiht, und dabei freilich (damalige) Wissenschaft in Gestalt des Ethnologen Prof. Gregg in der Erzählung, und des Mr. Phillips der Rahmenhandlung auftreten lässt. †” Die erwähnte Analogie (›Mutant‹-Spross eines grotesken kleinen Volkes mit Schneckenstreck-Gabe) heranzuziehen, um die Novelle gänzlich im Felde der SF zu verorten hieße m.E. dieses Detail arg überzubewerten. †” Was ist denn der Effekt der Novelle, in welche Richtung zielt ihr argumentativer Verlauf?

EDIT-Nachtrag: Die erwähnte Sciencefictionalisierung von Horror- und Fantasy die Simi anspricht, findet ja noch viel krasser z.B. bei »Blade« statt, was den Garn aber keineswegs zu SF macht, zumindest nicht nach meiner Sichtweise auf das SF Genre. Mit ›Effekt‹ und ›argumentativem Verlauf‹ biete mal ich zwei Marker an, die mir zumindest dabei dienen, eine Geschichte in der Phantastik-Trias so in etwa zu verorten.

Grüße
Alex / molo

Bearbeitet von molosovsky, 14 April 2008 - 15:58.

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#99 simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 15:52

@molo:
Dafür, dass Du ja immer gegen rigide Genrebezeichnungen anrennst, wirst Du hier aber sehr rigide. Ich sehe hier niemanden, der behauptet hat, dass diese Erzählung nicht *auch* Horror sein kann. Dafür scheinst Du "Horror" ausschliesslich auf übernatürlichen Horror reduzieren zu wollen.

Ich predige hier schon die ganze Zeit, dass ein Text/Film ohne Weiteres verschiedenen Genres angehören, und Horror ist in meinem Verständnis das Genre par excellence, das sich mit allem Möglichem kombinieren lässt. Beispiel Alien, definitiv SF, definitiv auch Horror. Horror heisst ja primär mal, dass eine angsteinflössende Wirkung beabsichtigt wird, das kann in ganz realistischen Settings geschehen, das kann mittels Rückgriff auf religiöse oder okkulte aber auch auf SF-Motive geschehen.

Bearbeitet von simifilm, 14 April 2008 - 15:54.

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#100 simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 16:18

Noch zur Klärung, da sich molo ja dagegen wehrt, dass im Kontext von Theophagos' Beispiel von Fantasy gesprochen wird: Der Einfachheit halber - und da ich die besagte Geschichte nicht kenne - habe ich hier jeweils nur vom Gegensatz Fantasy/SF gesprochen. Wenn man unter Fantasy primär Geschichten im Stile Tolkiens versteht, entsteht da natürlich das Problem, dass es noch zahlreiche Geschichten gibt, die weder ins eine noch ins andere gehören.Natürlich gibt es noch eine ganze Bandbreite von wunderbaren Erzählungen, die andere Motivinventare bemühen: Da gibt es Mythisches, Okkultes, Religiöses und noch Anderes, das sich nicht klassifizieren lässt. Meine Reduktion auf das Paar SF/Fantasy scheint mir insofern berechtigt, als wir es hier jeweils klar mit Nicht-SF zu tun haben. Eine Vampirgeschichte würde ich auch nicht der Fantasy zuordnen, aber sie ist auf jeden Fall auch nicht SF. Ob man hier nun von supernatural horror, okkultem Wunderbaren oder sogar von Fantasy spricht irgend etwas Anderes spricht, ändert ja nichts daran, dass eine Vampirgeschichte aus den gleichen Gründen nicht zur SF gehört wie LOTR: Es wird eindeutig ein nicht-wissenschaftliches Erklärungsmodell bemüht.Ob es nun ein Elf, ein Engel oder ein Vampir ist, es ist jeweils klar nicht SF, der Mechanismus bleibt der gleiche.

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#101 molosovsky

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Geschrieben 14 April 2008 - 16:45

Erstmal: wie immer will ich hier keinen Rabatz machen.Wenn ich grad eben also unfreundlich oder rigide klang, lag das (wie so oft) an gehetztem Tippen, nicht etwa an einem Unmut meinerseits. †” Simi erinnert sehr richtig daran, dass ich selbst ja einer bin, der allereindeutig-klarste Genre-Fachzuordnung für Ausnahmen hält. Die Frage ist also zumeist, in welcher Art und Weise die Genre-Klänge zueinander stehen, welches die Haupttonart ist, was als Nebentonarten beisteuert. Um bei Todorovs Modell zu bleiben: der kennt ja die Pole des wundersam- oder unheimlich-phantastischen. Und Machens Novelle kann man m.E. bei unheimlich-wundersam einordnen. Also: die Geschichte erzählt von einem seltsam-grotesken Volk, das am Rande des Wissens bisher im Verborgenen lebte und über das ein Forscher gestolpert ist.Haupttonart also Horror. Nebentonart: Ich wurde im Falle von Machens Story auf SF tippen.(Da »Alien« als Beispiel genannt wurde: da würde ich umgekehrt sagen: Haupttonart SF, Nebentonart Horror, auch wenn hier das Verhältnis in einem 50/50 mündet. †” Die heikle Frage ist, wie man diese emergenten Athmo-Eigenheiten von Werken möglichst genau zueinander vermisst? Bei jeder Zeile und jedem Wort Statistik führen, ob und wie ein SF-, ein Fantasy-, ein Horror-, Mystery- Thriller-, Abenteur-, Liebesgeschichten-, usw-Flair dominiert und dann am Ende auszählen? Grusel. Das Grauen!)GrüßeAlex / molo

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#102 simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 17:13

Erstmal: wie immer will ich hier keinen Rabatz machen. Wenn ich grad eben also unfreundlich oder rigide klang, lag das (wie so oft) an gehetztem Tippen, nicht etwa an einem Unmut meinerseits. †” Simi erinnert sehr richtig daran, dass ich selbst ja einer bin, der allereindeutig-klarste Genre-Fachzuordnung für Ausnahmen hält. Die Frage ist also zumeist, in welcher Art und Weise die Genre-Klänge zueinander stehen, welches die Haupttonart ist, was als Nebentonarten beisteuert. Um bei Todorovs Modell zu bleiben: der kennt ja die Pole des wundersam- oder unheimlich-phantastischen. Und Machens Novelle kann man m.E. bei unheimlich-wundersam einordnen. Also: die Geschichte erzählt von einem seltsam-grotesken Volk, das am Rande des Wissens bisher im Verborgenen lebte und über das ein Forscher gestolpert ist.

Das Unheimlich-Wunderbare gibt es bei Todorov nicht. Unheimlich bezieht sich ja bei ihm - im Gegensatz zum Begriff Horror - nicht auf die Wirkung des Textes.

Haupttonart also Horror. Nebentonart: Ich wurde im Falle von Machens Story auf SF tippen. (Da »Alien« als Beispiel genannt wurde: da würde ich umgekehrt sagen: Haupttonart SF, Nebentonart Horror, auch wenn hier das Verhältnis in einem 50/50 mündet. †” Die heikle Frage ist, wie man diese emergenten Athmo-Eigenheiten von Werken möglichst genau zueinander vermisst? Bei jeder Zeile und jedem Wort Statistik führen, ob und wie ein SF-, ein Fantasy-, ein Horror-, Mystery- Thriller-, Abenteur-, Liebesgeschichten-, usw-Flair dominiert und dann am Ende auszählen? Grusel. Das Grauen!)

Ich finde das wirklich witzig, wie sehr Du doch auf klare Quantifizierungen aus bist. Gerade bei der Horror scheint mir das unnötig, weil hier eben ein bestimmter Affekt beim Zuschauer beabsichtigt wird - darin ist er Komödie oder Porno ähnlich. Fantasy, SF et al. beschreiben Geschichten auf einer anderen Ebene und können sich deshalb fast nach Belieben mit Horror überschneiden.

Bearbeitet von simifilm, 14 April 2008 - 17:44.

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#103 molosovsky

molosovsky

    Phantastik-Fachdepp

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Geschrieben 14 April 2008 - 17:28

Unheimlich-Wunderbare gibt es bei Todorov nicht.

Natürlich. Mein Hetz-Fehler. Ich meinte ›unheimlich-phantastisch‹.
Auf Todorov kam ich eigentlich nur deshalb zurück, weil Theophagos ihn heranzog. Todorovs komische wundersam <-> phantastisch <-> unheimlich Schubladen und die Genre-Stammtisch-Trias ›Horror, SF & Fantasy‹ haben wenig gemein. Aber hey, ich dachte, hier darf ruhig alles durcheinander geworfen werden :-)

Klare Quantifizierung?!? Reicht ›Grusel. Das Grauen!‹ nicht um meine Skepsis gegenüber diesem Vorhaben kund zu tun.

Grüße
Alex / molo

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

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#104 Theophagos

Theophagos

    Giganaut

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Geschrieben 14 April 2008 - 19:22

Ich löse mich mal von der konkreten Geschichte, da die anscheinend eher hindert, als hilft. Es scheint mir Geschichten zu geben, in denen ein Novum mit (pseudo)wissenschaftlichem Vokabular beschrieben wird, in denen aber Hinweise auf eine magische Deutung gegeben werden. Nun müssen auch diese Hinweise mit Worten erfolgen - aber diese Feststellung ist banal, da ein Text immer eine Wortkette ist und somit jegliche Interpretation auf Worte angewiesen ist. Diese magische Deutung funktioniert nur dann, wenn wir erkennen, worauf der Autor anspielt - hier ist eben das "Was" und nicht das "Wie" wichtig; vielleicht überwiegt es nicht, aber es gleicht dieses doch aus. Ich gebe aber zu, dass ich gerade kein besseres Beispiel als das "Schwarze Siegel" zur Hand habe. Alex' Einwand hat Simifilm (aus meiner Sicht) gut beantwortet.

Simifilm: Das würde auch mit einem Hexenbesen oder Harry Potter funktionieren, auch wenn diese Dinge "per default" Fantasy sind (interessante Frage: Geht das auch umgekehrt? Spontan fällt mir da kein Beispiel ein).

Ich denke schon; wie ist es mit Pratchetts magischem Computer HEX (oder den älteren Druiden-Steinkreis-Computern)? Bei Asprins Dämonen-Geschichten sollte es was geben. Dann gibt es noch magische Cyberware, zumindest im D&D Rollenspiel (man müsste mal deren Roman lesen; ich vermute, dort wird die Idee auch 'literarisch' umgesetzt). Theophagos
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#105 Naut

Naut

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Geschrieben 14 April 2008 - 20:41

Gerade bei der Horror scheint mir das unnötig, weil hier eben ein bestimmter Affekt beim Zuschauer beabsichtigt wird - darin ist er Komödie oder Porno ähnlich. Fantasy, SF et al. beschreiben Geschichten auf einer anderen Ebene und können sich deshalb fast nach Belieben mit Horror überschneiden.

Endlich stellt das mal jemand fest. Horror und SF liegen auf völlig unabhängigen Achsen, denn Horror ist ja der emotionale Effekt (oder auch Affekt), der beim Zuschauer erreicht werden soll, wogegen sich die Unterscheidung/Überschneidung SF-Fantasy auf der, äh, intellektuellen Ebene abspielt. Aber warum sind wir (also auch ich) eigentlich so versessen darauf, bestimmte Genrezuschreibungen zu treffen? Aktuelle Beispiele haben wir ja vor Augen: Joe Chip sagt, "Die Frau des Zeitreisenden" sei keine SF und sofort bekomme ich Abwehrpickel und Beißreflex. Auf Amazon quetschen jugendliche Fans McMullens "Seelen in der großen Maschine" in die Fantasyschublade (obwohl das Ding geradezu klassische SF ist). Woran liegt das? Ich denke, es liegt am Fantum. Jeder ist durch bestimmte Werke geprägt und sieht nun andere Bücher, die ihm gefallen, gern in deren Nachbarschaft. Wenn ich also SF-Toddler war, dann entdecke ich als höhö Erwachsener gern die futuristuschen Elemente an allen Ecken und enden und bin geneigt, alles, was mir gut gefällt, meinem favorisierten Genre zuzuschlagen. Bin ich dann noch gegen Liebesromane eingestellt, und stechen mir gerade diese Elemente ins Auge, dann finde ich sie vielleicht so störend, dass ich sie gern in einem anderen Genre sähe (wobei ich ja "Liebesroman" ähnlich wie Horror eher auf einer anderen Achse als die Genres sehe). Gut, gut. Wir können also entweder mit Genres als wissenschaftlicher Kategorie arbeiten (betone arbeiten!), um sie als Werkzeug der Systematisierung zu nutzen, wie das Wissenschaftler nun mal so machen. Oder wir können sie als Barometer unserer Befindlichkeit sehen, als Maßzahl, wie sehr ein Buch unserem Ideal (des jeweiligen Genres) nahe kommt. Das ist genauso legitim (und de facto spricht nichts dagegen je nach Tagesstimmung beide Nutzungen des Genrebegriffs anzuwenden). Die Buchhändlerauffassung von Genres ist letztlich nichts anderes: Hier wird versucht, anhand einer Genrezuweisung auf einen Lesergeschmack zu schließen. So kommt es zu so bizarren "Genres" wie "Frauenroman" oder "Junge Literatur" (wo sich dann teils über 50 Jahre alte Bücher finden). Ich wundere mich dann aber nicht mehr, wenn sich solche Genre"definitionen" bei genauerer Betrachtung in wohlgefällige Beliebigkeit auflösen. Was bleibt also? Einerseits das Genre in der Wissenschaft: Möglichst wohldefiniert, absichtlich schwarz-weiß (was wäre interessanter als eine Definition, die anschließend eine unerschöpfliche Diskussion aller Ausnahmen erlaubt?), leicht zu verwenden und möglichst leistungsfähig im Hinblick auf seine Anwendung (und keinesfalls einzigartig, hier sind viele Abgrenzungen denkbar). Andererseits die subjektive fluffige, fuzzige Alltagskategorie mit der wir frohgemut einen Buchladen entern, um der erleichterten Fachverkäuferin zu beichten: "Ja, ich suche Science-Fiction." Geht doch beides!
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#106 simifilm

simifilm

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Geschrieben 14 April 2008 - 21:36

Endlich stellt das mal jemand fest. Horror und SF liegen auf völlig unabhängigen Achsen, denn Horror ist ja der emotionale Effekt (oder auch Affekt), der beim Zuschauer erreicht werden soll, wogegen sich die Unterscheidung/Überschneidung SF-Fantasy auf der, äh, intellektuellen Ebene abspielt. Aber warum sind wir (also auch ich) eigentlich so versessen darauf, bestimmte Genrezuschreibungen zu treffen? Aktuelle Beispiele haben wir ja vor Augen: Joe Chip sagt, "Die Frau des Zeitreisenden" sei keine SF und sofort bekomme ich Abwehrpickel und Beißreflex. Auf Amazon quetschen jugendliche Fans McMullens "Seelen in der großen Maschine" in die Fantasyschublade (obwohl das Ding geradezu klassische SF ist). Woran liegt das? Ich denke, es liegt am Fantum. Jeder ist durch bestimmte Werke geprägt und sieht nun andere Bücher, die ihm gefallen, gern in deren Nachbarschaft. Wenn ich also SF-Toddler war, dann entdecke ich als höhö Erwachsener gern die futuristuschen Elemente an allen Ecken und enden und bin geneigt, alles, was mir gut gefällt, meinem favorisierten Genre zuzuschlagen. Bin ich dann noch gegen Liebesromane eingestellt, und stechen mir gerade diese Elemente ins Auge, dann finde ich sie vielleicht so störend, dass ich sie gern in einem anderen Genre sähe (wobei ich ja "Liebesroman" ähnlich wie Horror eher auf einer anderen Achse als die Genres sehe). Gut, gut. Wir können also entweder mit Genres als wissenschaftlicher Kategorie arbeiten (betone arbeiten!), um sie als Werkzeug der Systematisierung zu nutzen, wie das Wissenschaftler nun mal so machen. Oder wir können sie als Barometer unserer Befindlichkeit sehen, als Maßzahl, wie sehr ein Buch unserem Ideal (des jeweiligen Genres) nahe kommt. Das ist genauso legitim (und de facto spricht nichts dagegen je nach Tagesstimmung beide Nutzungen des Genrebegriffs anzuwenden). Die Buchhändlerauffassung von Genres ist letztlich nichts anderes: Hier wird versucht, anhand einer Genrezuweisung auf einen Lesergeschmack zu schließen. So kommt es zu so bizarren "Genres" wie "Frauenroman" oder "Junge Literatur" (wo sich dann teils über 50 Jahre alte Bücher finden). Ich wundere mich dann aber nicht mehr, wenn sich solche Genre"definitionen" bei genauerer Betrachtung in wohlgefällige Beliebigkeit auflösen. Was bleibt also? Einerseits das Genre in der Wissenschaft: Möglichst wohldefiniert, absichtlich schwarz-weiß (was wäre interessanter als eine Definition, die anschließend eine unerschöpfliche Diskussion aller Ausnahmen erlaubt?), leicht zu verwenden und möglichst leistungsfähig im Hinblick auf seine Anwendung (und keinesfalls einzigartig, hier sind viele Abgrenzungen denkbar). Andererseits die subjektive fluffige, fuzzige Alltagskategorie mit der wir frohgemut einen Buchladen entern, um der erleichterten Fachverkäuferin zu beichten: "Ja, ich suche Science-Fiction." Geht doch beides!

Gratuliere - Du hast soeben im Schnelldurchlauf 20 Jahre Genretheorie durchgemacht. :P Grundsätzlich hast Du völlig Recht: Es gibt nicht *die* endgültig richtige Definition eines Genres. Wie ich ein Genre definiere, hängt immer auch meiner Perspektive ab; auch in der Wissenschaft ist man von starren Einstellungen abgekommen. Allerdings: Ich würde SF eben gar nicht wirklich als Genre, sondern als grundlegenden fiktionalen Modus verstehen, in dem dann verschiedene Genres (Space Opera, Invasionsgeschichten, hard SF, military SF etc.) beheimatet sein können. Tatsächlich ist mein Ansatz ja auch ganz bewusst sehr weit gefasst; ich versuche, damit alles zu beschreiben, was irgendwie zur SF gerechnet werden könnte. Diese Definition sagt aber noch überhaupt nichts über typische Plotelemente, historische Einflüsse etc. aus, die normalerweise ein wichtiger Teil des Genrewissens sind, es ist eine Art superbasaler Definition.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.

Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.

Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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