Da muss ich aber dennoch nachhaken; ich finde nach wie vor, dass Du Gleichsetzungen machst, die einfach falsch sind, und Beispiele bringst, die nicht aufgehen. Darf ich daran erinnern, dass etwa in Gone with the Wind ein äusserst blutiger Bürgerkrieg den Hintergrund bildet, dass während des Films mal kurz Atlanta abgebrannt wird? Auch hier ist das Gesellschaftsportrait nicht einfach friedlich und nett, auch hier hat im grossen Stil blutige Konflikte eingebaut. Umgekehrt halte ich beispielsweise Children of Men für einen sehr intelligent gemachten Film, aber er zeigt dennoch eine alles andere als freundliche Zukunft.
Ich musste eben ueber Deinen zaehen Widerstand lachen, aber das ist ok.
Klar, alles was Du ueber "Gone with the Wind" schreibst, ist richtig. Es kommt sogar eine KuKluxKlan Szene vor. Auch die "russische Entsprechung" dazu, "Dr.Schiwago", ist aehnlich "boese" und komplex. Nur handeln eben beide Filme von Buergerkrieg, und Buergerkrieg ist nicht die Regel sondern die Ausnahme - oder sollte es jedenfalls sein (oder nicht?). Wann hatten wir denn hier zuletzt Buergerkrieg ? Sehnen wir uns danach ? Die von mir aufgezaehlten "leisen" Filme - einschliesslich "Matchpoint" - handeln nicht im oder vom Buergerkrieg, sind aber dennoch nicht langweilig. Das ist die falsche Gleichung, die ich DIR immer wieder vorwerfe. Wozu dann zu ergaenzen waere, dass weder in "Gone with the Wind" noch in "Dr.Schiwago" der Buergerkrieg selbst das Spannende ist, das den Film antreibt, sondern die Liebesgeschichte. Der Buergerkrieg ist nur der Hintergrund, auf dem sich die Liebesgeschichte entfaltet. Genau deshalb konnte Woody Allen in "Matchpoint" auf Krieg und Buergerkrieg verzichten. Bei ihm ist der Hintergrund "die feine Gesellschaft" von London. Alles gaaanz friedlich. Es ist doch einfach nicht wahr, dass es immer "The Dark Knight" mit explodierenden Krankenhaeusern sein muss, damit eine Geschichte spannend wird. Genau gegen DIESE falsche Gleichsetzung wehre ich mich.
Da könnte man auch fragen, warum es keinen Liebesfilm gibt, in dem das Paar den ganzen Film über glücklich ist -Â glauben wir nicht mehr an die Liebe? Wir landen immer beim Gleichen: Glück gibt erzählerisch nichts her.
Der gleiche logische Fehler wie oben : "Matchpoint" lebt vom Glauben an die Liebe und vom Verrat an diesem Glauben - das ist der tragische Konflikt. Mit "Glueck der Liebenden" hat das nicht zu tun. Und andere glauben eben in der gleichen Weise an Gerechtigkeit und Guete und an den Fortschritt zu einer vernuenftigeren Gesellschaft und meinen, dieser Glaube sei wohl durch das, was man in Simbabwe oder in Myanmar oder in Nordkorea besichtigen kann, gerechtfertigt. Oder sie erinnern an Hitler-Deutschland oder an den Ostblock unter den Stalinisten oder an die "Kulturrevolution" unter Mao, um plausible zu machen, dass das wohl nicht unsere Vorstellung von einer menschlich guten Zukunft ist oder sein sollte. Dem kann ich mich nur anschliessen. Genau darum ging es mir.
Die Welt, die Woody Allen in "Matchpoint" als Hintergrund waehlt, ist keine verrottete Welt wie in "Die Klapperschlange" oder "Der Blade Runner" oder "1984". Es ist auch nicht die Welt von Simbabwe oder Nordkorea heute. Es ist ein sonniges, klares London der wohlhabenden und kultivierten Gesellschaft. Fuer den dargestellten Konflikt braucht man keinen duesteren Hintergrund.
Natuerlich kann man fragen - und das ist wohl Dein Punkt - wie man seinen "Glauben an das Gute" am besten gestaltet und rueberbringt. Stellt man besser das Gute selbst dar - oder stellt man besser das Boese dar, damit das Gute als das empfunden wird, was fehlt ? Ein Film wie "1984" (von 1984, mit Hurt) oder wie "Brazil" erzeugt im Betrachter doch den Wunsch, dass es nie so kommen sollte. Das waere also "die Peitsche des 'so nicht!' " gegen das "Zuckerbrot" einer positiven Utopie, die zeigen wuerde, WIE es sein sollte. Beides hat seine Berechtigung.
Du hast natuerlich Recht, dass die positive Darstellung immer in Gefahr ist, kitschig zu werden. Selbst Morus wird gelacht haben, als er seine Utopier Nachttoepfe aus purem Gold verwenden liess, um zu sagen, dass ihnen Gold nichts bedeutete. Erasmus verstand das Werk seines Freundes Morus als hoechst geistreiche Satire, ohne die Seitenhiebe auf reale Kritikpunkte dabei zu ueberlesen. In dem Sinne sage ich immer, dass wir einen Bernard Shaw oder Oscar Wilde der SF brauchen. Das Ergebnis waere nicht "Mars Attacs", obwohl das lustig ist. Das Ergebnis waere eher eine Woody Allen Geschichte, die im Jahre 2200 spielt.
Und ich denke, Du glaubst mir jetzt, dass man sehr wohl auch eine im Jahre 2200 spielende Geschichte mit Witz und Humor und ohne Buergerkriege und explodierende Krankenhaeuser spannend machen kann, ohne albern oder kitschig werden zu muessen. Entweder hat man es bisher nicht geschafft, oder man hat es nicht einmal versucht. Vielleicht haetten sich Woody Allen und Stanley Kubrick einmal zusammensetzen sollen um so etwas hinzukriegen. Es muesste einer einmal zeigen, dass es geht, und damit einen neuen Mahssstab setzen, so wie "2001" und "Alien" und "Matrix", die ja zufaellig alle SF sind, neue Mahssstaebe gesetzt haben. Da fehlen sozusagen noch ein oder zwei gleichwertige Filme, die das Schema komplettieren. Die drei genannten Filme - "2001" und "Alien" und "Matrix" - sind ja darin aehnlich, dass es dort keine "Gesellschaft" gibt. Sie alle spielen in "Kaefigen".
Ich frage mich ploetzlich, ob nicht dieses Kaefiggefuehl - auch in "1984", "Brazil", "12 Monkeys", "Blade Runner", "Gattaca", usw. - ueberhaupt sehr charakteristisch fuer die SF geworden ist. In der Aera von Lubitsch hat man sich unter "Gesellschaft" noch etwas vorstellen koennen. Vielleicht koennen das die modernen Regisseure einfach nicht mehr. Vielleicht ist ihre Phantasie in einem Kaefig gefangen ? Das eben war in "Gone with the Wind" und "Dr.Schiwago" noch ganz anders. Das sind grandiose Gemaelde von "Gesellschaft". Da lebt niemand im Kaefig.
Warum schreibst Du eigentlich immer, dass es diese positiven Zukunftsgeschichten "nicht mehr" gibt? Wann hat es sie jenseits der Utopie, deren Problem eben gerade ist, dass sie keine Handlung hat, denn je gegeben?
Gute Frage ! Als Geschichte in der Zukunft hat es das wohl nie gegeben, es sei denn, mir ist irgendeine Verfilmung von Bogdanows "Roter Stern" entgangen. Spontan faellt mir keine positive Zukunftsdarstellung ein. Es war ja die Ausgangfrage dieses Threads, ob ich da was uebersehen habe, und ihr Experten mir etwas zeigen koenntet. Scheint bisher nicht so zu sein. Was genannt wurde war nicht umwerfend, denn sonst haette man es wohl gewusst. "Boese" Zukunft faellt sogar mir - dem Nichtspezialisten - gleich im Dutzend ein. Fuer die "gute" kratzt auch ihr Spezialisten euch am Kopf und bringt Zweitklassiges und Obskures ans Licht. Ich denke, so kann man das vorlaeufige Ergebnis schon beschreiben. Da wartet einfach ein grohsser Stoff auf einen grohssen Autor und Regisseur.