13. März 2166, 11:50 TT
Administration, Trafalgar, Victory-System.
"Rule Britannia!", dachte Tim ironisch. Er, Gudmundsson, Weinstein, Becker und Pra hatten sich am Besprechungstisch der Administratorin niedergelassen. Der großzügig ausgestattete Raum war traditionell mit den Insignien des alten Empire versehen worden. Andere, wie etwa Tim, hätten seine Gestaltung eher als altmodisch bezeichnet.
Cetera hatte ihre Privatsekratärin, Thara Styrne, zu der Besprechung hinzugezogen. Die Victorierin hatte tiefschwarzes Haar mit goldfarbenen Strähnen und erinnerte Tim daher stark an Madelón Sauvière. Styrne hatte jedoch, im Gegensatz zu Madelón, ein strengeres Gesicht. Wenn sie lächelte, erschienen Grübchen, was sie weicher erscheinen ließ. Sie trug Ohrschmuck aus goldenen Halbkugeln, die sich bei näherem Hinsehen als geschickt getarnte Kommunikatoren erwiesen. Tim hatte jedenfalls näher hingesehen. "Vermutlich wird dieses Gespräch - wie viele andere - mittels dieser Geräte aufgezeichnet!", überlegte er.
Das machte die Situation für ihn nicht sympathischer.
"Sie wollten mir einen Bericht geben!", erinnerte Cetera Captain Gudmundsson, den diensthabenden Commander der nördlichen Einheiten der Munizipalpolizei Trafalgar-Citys. "Jetzt ist der passende Zeitpunkt dafür gekommen. Also, was um aller Welt haben Sie in Nord Sigma angestellt?"
Gudmundsson räusperte sich. "Nun, wir haben Trafalgar-City vor einer schlimmen Bedrohung bewahrt, würde ich meinen. Aber berichten wir der Reihe nach." Er warf Weinstein einen Blick zu. Weinstein erkannte, dass ihm der Ball zugespielt worden war. "Ja, also..", begann er, "um 10.00 TT erhielt unsere Dienststelle einen Anruf eines besorgten Anrufers aus der Palm Canyon Road, Madame. Kommunikationssergeant Lesley nahm das Gespräch an. Der Anrufer - offenbar der Besitzer des Nachbargrundstücks der Ausgrabungsstätte von Curtiz Newton - berichtete von der Sichtung einer Flugscheibe auf dem Gelände der Ausgrabung. Aufgrund der Wichtigkeit dieser Meldung nahm ich das Gespräch in Folge persönlich entgegen."
Er vermied es, zu erwähnen, dass er dem Anrufer einen Aufenthalt in einer Nervenklinik empfohlen hatte. Gudmundsson griff ein. "Die detaillierte Schilderung der Flugscheibe legte es nahe, dass es sich bei dem Anrufer um einen seriösen Zeugen handelte. Aus diesem Grund entschloss ich mich, mit Weinstein und dem Kollegen Drexler gemeinsam nach dem Rechten zu sehen. Für den Notfall ordnete ich an, Verstärkung in die Palm Canyon Road zu schicken.
Nun, Weinstein, Drexler und ich trafen jedenfalls zuerst am Schauplatz des Geschehens ein. Wir erkannten, dass die besagte Flugscheibe, die im Übrigen mit offenbar feindlich gesinnten Robotern nicht-trafalgischen Ursprungs besetzt war, im Begriff war, Curtiz Newton und diese beiden Männer", er deutete auf Shendrack und Pra, "anzugreifen. Es gelang uns, mit Hilfe unserer Dienstwaffen, die besagte Flugscheibe auszuschalten."
Er räusperte sich erneut. "Wie sich herausstellte, handelte es sich bei diesen Männern um Sergeant Tolifer Pra, einen Agenten der Galaktischen Abwehr, und um Tim Shendrack, einen Agenten der USO. Beide waren quasi im Rahmen einer multi-jurisdirektionalen Investigation dabei gewesen, erste Ermittlungen auf dem Gelände der Ausgrabung anzustellen."
"Ermittlungen übrigens", warf Pra ein, "zu denen mein Vorgesetzter, Leutnant Milton Schramm, mir den Auftrag erteilt hatte. Leutnant Schramm erwähnte in diesem Zusammenhang ein aufschlussreiches Gespräch, das er mit Ihnen", er nickte Cetera und Styrne zu, "gestern geführt habe. Im Prinzip haben wohl erst Ihre Anregungen den Anlass für diese Ermittlungen gegeben, so dass wir an dieser Stelle unseren Dank für diese Hinweise aussprechen möchten!"
Cetera wirkte verblüfft. "Ich kann mich an solche Aussagen, ehrlich gesagt, nicht erinnern! Thara, vielleicht sagen Sie dazu etwas?" Styrne lächelte.
Tatsächlich hatte sie Schramm später auf die Bedeutung des Geländes hingewiesen, was Cetera allerdings nicht wissen musste. "Oh, wenn ich mich richtig erinnere, hatten Sie doch Mr. Newtons Ausgrabung erwähnt? Für einen Mann von Leutnant Schramms Qualitäten sollte es doch kein Problem gewesen sein, den Ort dieser Ausgrabung ausfindig zu machen", zog sie sich aus der Affäre.
"Sei es, wie es sei!", erklärte Cetera, wissend, wann sie schlechte Karten hatte. "Fahren Sie fort!"
"In der Zwischenzeit", setzte Gudmundsson seine Ausführungen fort, "waren unsere Verstärkungen eingetroffen. Allerdings mussten wir zeitgleich feststellen, dass auch der Gegner Nachschub ins Spiel brachte. Aus diesem Grund nutzte ich den Umstand, dass Mr. Shendrack zufällig einen Transmitter mit sich führte.."
"Ich bin ursprünglich Transmitterspezialist!", warf Tim ein. "Einen Transmitter mit sich führte", wiederholte Gudmundsson, "um unsererseits Verstärkungen anzufordern. Bei der USO - aufgrund der bereits erwähnten multi-jurisdirektionalen Investigation. In diesem Rahmen wurden uns großzügigerweise Kampfroboter der Terminator-Klasse sowie eine Einheit Raumsoldaten zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Vereinbarung zur Verfügung fremder Raumstreitkräfte, die auch seitens der Springer unterzeichnet wurde, wurde uns durch die Raumschiffkapitänin Dezarona zudem das Springerschiff WATRIN bereitgestellt. Der WATRIN gelang es in der Tat, den Großteil der feindlichen Streitkräfte auszuschalten. Ein Beweis für die Wirksamkeit galaxisweiter diplomatischer Vereinbarungen würde ich meinen."
Styrne hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Sie konnte sich den tatsächlichen Ablauf vorstellen.
"Nachdem dies der Fall war, gelang es einem Trupp Raumsoldaten unter meiner Führung, der darüber hinaus noch von einigen Robotern unterstützt wurde, durch einen unterirdischen Gang in die Station einzudringen und diese auszuschalten. Dieser Gang war zuvor im Rahmen der Ausgrabungen von Mr. Newton entdeckt worden. Mr. Shendrack und Sergeant Pra begleiteten diesen Trupp, sozusagen als Beobachter. Währenddessen hielten die übrigen Beamten den Gegner bis zur Ausschaltung seiner Zentrale in Schach." Er spreizte die Hände. "Das war es dann auch im Großen und Ganzen. Kurz darauf trafen Sie auch bereits ein!"
"So, so!", meinte Cetera lakonisch. "Und das soll ich Ihnen glauben? Weinstein", wandte sie sich an Gudmundssons Mitarbeiter. "Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?" Weinstein, der sich etwas unbehaglich fühlte, überlegte einen Augenblick. "Nein!", erklärte er schließlich. "Es ist alles so, wie der Captain es sagte."
"Oder Sie, meine Herren?" Diesmal war Ceteras Frage an Tim und Pra gerichtet. Pra nickte.
"Es sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die Ereignisse bei Nord Sigma in unmittelbarem Zusammenhang zu dem kurz davor stattgefundenen Angriff auf den Raumhafen Trafalgar und die Leichten Kreuzer CALLER und WATCHER stehen. Danach erfolgte, wie Sie vermutlich wissen, ein Angriff auf die Nelson-Werft und den dort stationierten Schweren Kreuzer STERNENSTAUB. Die STERNENSTAUB konnte sich jedoch der Vernichtung durch eine rasche Flucht in den Weltraum entziehen. Übrigens unter der Leitung meines Vorgesetzten, des bereits erwähnten Leutnants Milton Schramm und meines Kollegen Noreli."
"In eben diesem Zusammenhang steht im Übrigen auch der Angriff des Gegners auf das Institute for Mining and Material Science in Penham, das in der Zwischenzeit durch USO-Truppen vor dem Schlimmsten bewahrt werden konnte. Nach meinen Informationen wurde auch die dortige Station der Fremden durch unsere Soldaten ausgeschaltet!", fügte Tim hinzu. Er war aber nicht nicht am Ende. "Darüber hinaus hat, wie ich auf der Fahrt hierher erfahren habe, der 3. Offensivverband Terras durch einen geballten Schlag 18 weitere Stationen des Gegners vernichtet und somit eine unabschätzbare Gefahr für Trafalgar beseitigt!"
"So!", nickte Cetera verwirrt. "Nun, wenn das so ist, meine Herren, muss ich Ihnen wohl meinen Dank aussprechen. Und Ihnen gratulieren!" Sie schüttelte den Kopf. "Es wäre allerdings in Zukunft hilfreich, wenn die Administration Trafalgars rechtzeitig von solchen Ereignissen informiert würde. Wenn man sich überlegt, dass ich vor weniger als 24 Stunden mit Ihrem Kollegen Schramm hier an diesem Tisch gesessen habe und dabei keine Rede von solchen Dingen war, ist das schon relativ unerfreulich."
"Nun ja", gab Gudmundsson zu bedenken, "vor weniger als 2 Stunden saßen wir noch im Präsidium und erwarteten, einen ganz normalen Arbeitstag zu erleben. Manche Dinge entwickeln sich eben ziemlich schnell!"
"So ist es wohl!", stimmte Cetera schließlich zu, "so ist es wohl." Sie warf Pra und Shendrack einen misstrauischen Blick zu. "Ich kann Ihnen nur erneut versichern, dass wir als Administration von der Existenz dieser feindlichen Stationen keinerlei Ahnung hatten! Sie können gerne selber einen Blick in das planetare Archiv werfen. Alle Unterlagen sind digitalisiert und stehen im OURNET zur Verfügung. Oh, Sie brauchen natürlich eine Zugangsberechtigung! Warten Sie!" Sie überlegte einen Moment. "Thara, vielleicht bewirten Sie die Herren in der Zwischenzeit! Möchte mich jemand begleiten?" Tim nickte. Pra schüttelte den Kopf. "Nun gut. Kommen Sie, Mister Shendrack, wir bekommen das auch alleine hin!"
Pra nutzte die Abwesenheit Ceteras aus, um sich an Styrne zu wenden. "Wo könnte man denn hier eine rauchen?", erkundigte er sich.
"Hmm, das ist nicht ganz einfach!", gab Styrne zurück. Sie lächelte. "Aber wenn Sie die eine oder andere Zigarette für mich spendieren würden, könnten Sie mich dazu überreden, Sie zu begleiten!"
"Nichts lieber als das!", bekundete Pra. "Dann folgen Sie mir unauffällig!", lächelte Styrne.
Durch ein Gewirr kleiner verwinkelter Gänge erreichten sie schließlich eine außerhalb des Gebäudes befindliche Nottreppe. Pra offerierte eine Zigarette, die Styrne dankend annahm. Nach den ersten Zügen lachte sie. "Es ist schon absurd! Diese Treppe dient eigentlich als Fluchttreppe im Brandfall. Jetzt ist sie der Fluchtpunkt der letzten überlebenden Raucher. Also von Leuten wie uns!" Sie sah Pra in die Augen. "Schön, dass es überhaupt noch Raucher gibt! Außer mir natürlich!"
"Auch, wenn sie wie ihr Zwilling aussieht - sie ist völlig anders als Madelón!", erkannte Pra, der sich ein halbes Jahr erfolglos um die spröde Normannin bemüht hatte. Madelón war selbstverständlich strikte Nichtraucherin gewesen. "Ich kann Ihre Gefühle völlig nachvollziehen!", erklärte er. "Sie glauben gar nicht, wie sehr!"
"Ich glaube das schon. Ich glaube Ihnen eigentlich fast alles. Bis auf die Geschichte vorhin..." Beide lachten. "Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?", fragte Styrne, während ihre Finger fast wie zufällig über Pras Oberkörper glitten. "Nur zu!", erwiderte Pra, der plötzlich einen rauen Hals bekam.
"Sparen Sie sich das mit dem planetaren Archiv! Sie werden dort nichts finden. Allerdings", waren ihre Finger an Pras Kragen gelandet, "war das früher anders. Es gab solche Dokumente! Und jetzt - Schwupps - gibt es sie nicht mehr. Ich würde sagen: etwas stinkt - und zwar ganz gewaltig! Was allerdings nicht an den Rauchern liegt - auch wenn manche das von uns behaupten!" Pra nickte versonnen. "Darüber sollten wir uns vielleicht bei einem Abendessen näher unterhalten. Hätten Sie morgen Zeit?" "Zeit - und Lust!", erwiderte Thara. "Allerdings nur unter einer Voraussetzung!"
"Und die wäre?", erkundigte sich Pra, düstere Vorahnungen verdrängend.
"Dass dies nicht das einzige Thema bei diesem Abendessen bleibt. Ansonsten kommen wir nämlich noch nicht mal bis zur Vorspeise - denn sehr viel mehr kann ich Ihnen dazu auch nicht mehr mitteilen. Übrigens, ich heiße Thara!" "Tolifer - aber nennen Sie mich Tol, wie alle Freunde!"
Bearbeitet von Arl Tratlo, 05 April 2013 - 15:13.