Auf das künstlerisch berühmteste US-Comic brachten mich Empfehlungen in einem Essay von
Bill Watterson, den ich für einen der besten lebenden Zeitungs-Strip-Storyteller* halte. Als ich diese Ausgabe der ersten kolorierten Seiten der damals - in 1935! ... lange vor Marvel oder DC! - schon Jahrzehnte laufenden Zeitungs-Comic-Serie von Meister-Storyteller* George
Herriman erwarb, entdeckte ich dass Watterson dazu sogar ein Vorwort geschrieben hatte (
); ich werde daraus öfter in diesem Blokk-Beitrag zitieren...
Die Plots der einzelnen Sonntags**-Seiten basieren auf einer dreieckigen politischen Infrastruktur: Eine Ecke ist zynisch realistisch, eine unbeholfen gesellschaftlich optmistisch & lebensfroh, eine ordnungsliebend konservativ mit gelegentlichen Ausrutschern - z.B. wenn sich illegalerweise mal eine Zigarette gegönnt wird. Jede dieser Ecken ist im Comic eine Hauptfigur - der Reihe nach: Die klein-kriminelle Maus Ignatz, die in Ignatz verliebte Katze Krazy & Kokonino Kountys Ordungshüter Officer Pupp. Ignatz findet Krazy oft so naiv & blöd-romantisch, dass er ihr gerne einen Ziegelstein an den Kopf wirft; was wiederum Krazy als Liebesbeweis interpretiert. Sobald Pupp den Ziegelstein im Spiel sieht, ist es für ihn ein Beweis der mäuslichen Kriminalität, und dann wirft er den bisher hundertfachen Ziegelwerfer ins Gefängnis, auch um Krazy, die er wiederum insgeheim verehrt, zu schützen.
Das "Kounty", basierend auf dem echten Coconino County in Arizona, ist ein wichtiger weiterer Protagonist! Von Panel zu Panel ändert sich der Hintergrund, oder die Form & Richtung der Straße auf der die Figuren stehen. Auch die Panel-Rahmen unterscheiden sich manchmal mehrfach auf einer Seite: Vom einfachen Rechteck, zu einem mit geometrisch-griechisch dekoriertem Rahmen, zu einer Theaterbühne mit Vorhängen links & rechts, bis hin zu einem Blick durch die runde Linse eines Fernglases. Watterson meint dazu:
Mountains are striped. Mesas are spotted. Trees grow in pots. The horizon is a low wall that characters climb over. [..] The moon is a melon wedge, suspended upside down. [..] The artwork is poetic
Der 1. Panel auf jeder Seite, mit dem "Krazy Kat"-Titel, ist wirklich jedes Mal anders gestaltet!
Die Plots der einzelnen Seiten haben übrigens öfter keinen richtigen Anfang und/oder richtiges Ende. Das Spielen mit dem Visuellen, aber auch sehr stark mit dem Ausgesprochenen, ist dann sozusagen das Ziel. Während Ignatz relativ normal daher redet, gibt sich der Polizist Pupp oft ein sehr blumiges Vokabular, ähnlich den Erzähler-Einführungen der Seiten. Dabei ist v.a. das Alliterative das Höchste. Beispiel:
In the diamond dazzle of White Mesa's beauté blanche, a weeping willow droops adrip with tears - keeping at flood a lachrymal lagoon - upon whose aqueous bounty a water-melon has thriven into magnitudinous maturity.
Die Seite von der dieses Zitat stammt ist übrigens einer der Gründe, warum ich K.K. für einen phantastischen Stoff halte - denn wenn Krazy und Pupp eine Schnitte von dieser Melone verzehren, brechen sie danach dauerhaft in Tränen aus. Sehr gut auch eine andere Seite deren zentrales Thema das Lied "Pop goes the Weasel" ist...
Am verrücktesten ist das phonetische Wildsprech von Krazy, ev. sogar mit der Grund warum der Comic sich titelhaft nur noch auf sie konzentrierte. Die Aussprache klingt wie die einer etwas duseligen Society-Dame, aber wirklich "kool" sind die tangenziellen Bedeutungen der Neurechtschreibung in ihren Sprechblasen. Beispiel: "If coarse" am Anfang eines Satzes ist Krazys Art "of course" - also "natürlich" oder "selbstverständlich" - zu sagen; aber wörtlich genommen bedeutet das Wortpaar "wenn es um etwas Grobes geht" oder "wenn derjenige ein Grobian ist". Zum Totlachen! Watterson:
Krazy Kat's unique "texture" comes in large part through the conglomeration of peculiar spellings and punctuations, dialects, interminglings of Spanish, phonetic renderings, and alliterations. Krazy Kat's Coconino County not only had a look; it had a sound as well.
Poltisch geschärft sind dann noch Wortkonstruktionen wie folgende: Gegen Bandende findet man eine Handvoll Seiten, in denen ein im südlichen Akzent in Reimen heulender Hund, verarmt & eher melancholisch (ev. irgendeinen Schlagersänger der damaligen Zeit parsiflierend?), sich über den "Taxes Drainger" beklagt, der ihn ins Armenhaus transportierte, durch seine ständigen Steuereinholungen; vom "D" abgesehen, ist das genau die Art wie ein Südstaatler "Texas Ranger" ausspricht, aber inkl. dem "D" steht da im Text jemand, der einen "taxes drain", also eine Steuernentleerung, betreibt! Klever!
Watterson bewundert auch dass Herriman alles selber machte - es gab nicht vereinfachte Figuren, die ein professionelles Team von Inkern ausmalte, wie bei vielen modernen Zeitungsstrips. Die vereinfachten Linien machen nämlich auch das Übertragen auf Marketing-Artikel leichter. Nochmal Watterson:
Darn few comic strips challenge their readers any more. [..] When the comic strip is not exploited, the medium can be a vehicle for beautiful artwork and serious, intelligent expression. Krazy Kat was drawn well over over half a century ago, and yet it's a much more sophisticated use of the comic strip medium than anything we cartoonists are doing today.
Man merkt dass diese ersten (dauerhaft) farbigen Ausgaben von K.K. von einem Mann erzeugt wurden, der schon Jahrzehnte Erfahrung mit dem - schwarz-weißen - Metier hatte. Jemandem, der belustigten & staunenden Auges/Ohres die Welt erkundet, und dies mit viel Spaß aufs Papier bringt. Und nun mit dem zusätzlichen Aspekt Farbe juchzend vor Freude experimentiert.
Eine umwerfend originelle & einzigartige Vision komplett aus der Feder eines einzelnen Menschen! Vor immerhin 8 Jahrzehnten! (BTW, die einige Jahrzehnte später produzierte
animierte TV-Serie hat so gut wie nichts mehr von diesen positiven Eigenschaften - möglichst meiden!)
.P.S.: Könnte sein dass die kurios betitelte k-multiple Kennzeichnung dieses Blokks - s. neben dem grünen Buch ganz oben - eine (sehr) kleine Hommage auf
Krazy Kat war...
(* Ein "storyteller" in meiner Definition hier im Blokk ist jemand, der zeichnet & textet! / ** Früher hatte ein beliebter Zeitungscomic eine ganze Seite in der Zeitung - schließlich waren die Comics mit ein Hauptgrund warum Familien sich überhaupt die Wochenendausgabe kauften! / Übrigens ist meine Ausgabe von Titan Books ein Reprint des ersten der Bände, die der einst kleine aber feine Comic-Verlag Kitchen Sink Press in 1990 zusammen stellte.)