Stormking schrieb am 30.06.2010, 18:49:
Du vermischt hier fröhlich die damalige und die heutige Definition der Begriffe. Wenn man vor hundert Jahren einen Architekten "Arzt" genannt hätte, dann würdest Du jetzt behaupten, die Architektur sei eine Teildisziplin der Medizin.
Zwei weitere Belege für den Denkfehler, der in der Verabsolutierung historischer Einordnungen liegt, wären die Alchemie und die Astrologie. Beide Disziplinen haben die Grundlagen für die heutige Chemie und die Astronomie gelegt. Aber das heißt nicht, dass man nicht aus heutiger Perspektive alchemistische und chemische Erkenntnisse, astrologische und astronomische Erkenntnisse früherer Zeiten unterscheiden könnte, nur weil das damals noch nicht unterschieden wurde. Und genauso ist es natürlich legitim, wenn man heute feststellt, dass antike Forscher auch schon physikalisch geforscht und physikalische Kenntnisse erworben haben, auch wenn diese Differenzierung zu ihrer Zeit noch nicht vorgenommen wurde.
In heutigen Lehrbüchern zur Chemie und zur Astronomie gibt's ja auch keine Extrakapitel zu Alchemie und Astrologie, in denen diejenigen Kenntnisse festgehalten werden müssen, die zwar chemisch und astronomisch sind, aber so alt, dass sie ursprünglich unter dem Etikett "Alchemie"/"Astrologie" liefen.
Turbinenreiter schrieb am 30.06.2010, 19:13:
Die Philosophie ist der Ausgangspunkt aller anderen Wissenschaften.
Die Physik ist die Wissenschaft die den grundlegenden Aufbau der Welt beschreibt.
Physik deswegen als Grundlage aller anderen Wissenschaften zu sehen is insofern falsch, weil die Physik lediglich die Wissenschaft ist, die das Grundlegende beschreibt.
Ich denke mal, man kommt einfach zu anderen Ergebnissen, je nachdem, ob man nach historischen oder nach phänomenologischen Ursachen fragt.
Wer die Philosophie als Grundlage aller Wissenschaft ansieht, der betrachtet das ganze historisch. Irgendwann mal haben die Menschen halt alles systematische Denken als "Pilosophie" bezeichnet. Das haben sie dann eine Weile getan, sind was klüger geworden und haben festgestellt, dass es beim Denken doch ein paar grundlegende Gebiete gibt mit jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten. Da wurde dann die Philosophie in Teilgebiete unterteilt, die dann irgendwann selbstständig wurden. Historisch betrachtet war also alles mal Philosophie.
Aber schaut man sich nicht an, wie sich die Wissenschaft entwickelt hat, sondern wie sich ihre Erkenntnisse zerlegen lassen, dann kommt man zu anderen Ergebnissen. Wie oben schon gesagt - biologische Prozesse erweisen sich bei näherem Hinsehen als chemische Prozesse, die sich wiederum auf physikalische Gesetzmäßigkeiten zurückführen lassen. Selbst gesellschaftswissenschaftliche Prozesse lassen sich letztlich irgendwelchen Trägern zuweisen und somit wiederum auf physikalische Grundlagen reduzieren. Wie viel Sinn das macht, ist eine andere Frage.
Vermutlich genauso viel Sinn, wie darauf zu beharren, dass im Grunde alles Philosophie ist, nur weil alles mal Philosophie genannt wurde von Leuten, die es einfach nicht besser wussten
Auf jeden Fall sind es zwei verschiedene Paar Schuhe - die Reduktion auf den jeweils letzten Schritt in einer Kette von "was für eine Wissenschaft war vorher da" und "was für ein Phänomen liegt dem beobachteten Phänomen zugrunde"? Beide Ketten führen zu unterschiedlichen Anfangspunkten und existieren einfach unabhängig nebeneinander, ohne sich zu widersprechen.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)