Da jetzt schon viele was zum neuen Vertrieb und zum Layout gesagt haben, möchte ich mal mein Scherflein zum Inhalt loswerden. Wie immer mache ich mir diese Anmerkungen während des Lektorats - und werde wahrscheinlich immer der erste mit meiner Meinung sein. Nicht neidisch werden, ist harte Arbeit ;-)
Christian Günther – Reichspunks: Beim Lesen dieser Story fiel mir sofort ein alter Songtext der Punkband „Slime“ ein: „Es ist nicht mehr weit bis zum vierten Reich“. Beschrieben wird eine Jagd, die nicht aufzuhören scheint. Ein wenig vermisse ich ein schlüssiges Ende, aber das sollte wohl auch nicht so sein. Die Story ist flüssig erzählt, aber es könnte noch mehr erzählerische Tiefe drin sein.
Thorsten Küper – Rekonstruktor: Stilistisch weiß Küper zu überzeugen. Es ist eine handwerklich solide, überdurchschnittlich gut erzählte Geschichte, die sich in den Kanon der schon vorhandenen Mindmapping-Storys einfügt (z. B. Hebbens „Memories“). Dem Ende fehlt mir dann jedoch etwas wirklich Überraschendes, es ist mir irgendwie zu einfach. Ich bin mir sicher, da wäre Thorsten etwas Besseres eingefallen, wenn er noch einmal intensiver darüber nachgedacht hätte.
Karsten Kruschel - Teufels Obliegenheiten, oder: Der gewaltsame Frieden. Steampunk wie es sich gehört. Kruschels Wortwahl ist immer zutreffend, aber nie zu aufbauschend oder hochtrabend. Eben ganz gemäß dem Setting das er beschreibt. Dezent hält sich der Erzähler im Hintergrund und lässt die Figuren sprechen – nicht nur mit ihren Worten. Es geht vordergründig um eine Verschwörung, um Attentate, um neuartige technische Erfindungen, Actiengesellschaften, hintergründig aber um etwas ganz Anderes, das ich hier natürlich nicht verrate. Tolle Story, in der die Wichtigkeit von Namen und Personen in einer altruistischen Weltverbesserungsideologie verschwindet – vielleicht etwas zu sehr, was m. E. auch das einzige Manko der Geschichte darstellt. Auf jeden Fall preisverdächtig.
Frank Haubold – Das Jenseits der Maschinen: Eine Story über Künstliche Intelligenzen, virtuelle Realitäten und das Jenseits. Die logische Fortführung heutiger Tendenzen. Gut geschrieben, allerdings fehlen mir ein paar Details. Zum Beispiel war ich sehr neugierig, was einen denn nun im Jenseits erwartet, aber darüber wurde nur wenig gesagt. Auch ist mir die Story etwas zu lang geraten, derselbe Inhalt hätte auch in kürzerer Form – vielleicht noch mehr – Spannung erzeugt.
Marcus Hammerschmitt – Über dem Altar: Hat mich nicht aus den Socken gehauen. Zum einen frage ich mich, was diese Story mit Spekulativer Fiktion zu tun hat. Gut, die Kirche ist fiktiv, aber so richtig spekulativ wird es in der Story nicht. Positiv: Die erotischen Beschreibungen sind nicht obszön, sondern passen gut ins Bild. Aber irgendwie bietet mir die Story inhaltlich nichts wirklich Neues, sie ist absolut vorhersehbar.
Sami Salamé – Himmelfahrt mit Focus 10: Salamé beherrscht Dialoge. Sie wirken authentisch, ohne gekünstelte Zusätze, teilweise witzig trotz der ernsten Handlung. Die Idee ist nicht neu (siehe „Clockwork Orange“), wurde aber gut umgesetzt. Die Entdeckung des Paradieses gibt der Story die nötige Prise Humor und Ironie. Gut gemacht!
Frank Hebben – Kinder der großen Maschine: Steampunk im Hebbenschen Sinne: laut, zischend, polternd, ein wenig mystisch. Man fühlt sich wie in einer antiken Heldensage, in der die großen Maschinen die Herrschaft über ihre Kinder ausüben, wobei ihnen aber ein wichtiges Teil fehlt … Manchmal fragt man sich zwar, warum jetzt ausgerechnet diese Zwischensequenz folgen musste, aber das geht schon in Ordnung. Hebben ist eben ein echter IndustrialPunk, ein moderner Märchenerzähler, dessen Geist anscheinend von Rädern und Pumpen angetrieben wird, die immer unter Volldampf stehen. Gute Story.
Nancy Fulda – Bewegung: Schöne, poetische und allegorische Geschichte eines Mädchens, das Sprechen durch Tanzen ersetzt hat. Sie tanzt den Tanz des Lebens, den andere verlernt haben. Ihr Schweigen deuten diese als Missachtung, ihre Andersartigkeit als Therapiebedürftigkeit. Eine gute Beschreibung eines autistischen Menschen, die aber nicht unbedingt des Genres SF bedurft hätte.
Thorsten Küper – Literatur im Metaversum: Dieser Artikel gibt Einblick in den Alltag eines Menschen, der es sich zum Ziel gesetzt hat, alle Literaturinteressierte an einen Tisch zu bringen – an einen Tisch, der eigentlich gar nicht existiert. Nur in der virtuellen Welt findet man die Veranstaltungen des Kueperpunks, aber die Grenzen zu realen Tischen verschwimmen immer mehr …
Worte zur Marrak-Story werde ich noch nachreichen.
Bearbeitet von oghilscher, 22 Oktober 2012 - 22:19.
Spoiler NOVA 21!