"Wir" von Jewgenij Samjatin
#1
Geschrieben 27 Januar 2013 - 22:15
#2
Geschrieben 28 Januar 2013 - 06:08
Der Start ist am 1. 2. 2013. Um den Interessenten an der Leserunde noch etwas Zeit für die Anschaffung des Buches zu geben, sperre ich bis zu diesem Termin das Thema.
Falls Ihr aber alle das Buch schon habt und gleich starten wollt: Meldet Euch bitte im Vorschlags-Thread zu Wort.
Vielen Dank und LG
Jakob
Austriae Est Imperare Orbi Universo
#3
Geschrieben 31 Januar 2013 - 16:31
Austriae Est Imperare Orbi Universo
#4
Geschrieben 31 Januar 2013 - 17:14
#5
Geschrieben 31 Januar 2013 - 19:01
So, ich habe mein Exemplar heute erst erhalten.
"Wir" ist ein Buch, was ich schon lange auf der Lese-Wollen-Liste habe, umso schöner dass es jetzt klappt.
Wie wollen wir denn lesen, um spoilern zu verhindern? Abschnittsweise bis zu nem Datum?
Ich muss gestehen, dass ich schon fertig bin.
- • (Buch) gerade am lesen:"Simulacron-3" (D.F. Galouye), "Emperor - The Field of Swords" (C. Iggulden)
-
• (Buch) Neuerwerbung: "Camouflage" (J. Haldeman), "Simulacron-3" (D.F. Galouye), "In einer anderen Welt" (J. Walton)
#6
Geschrieben 31 Januar 2013 - 19:02
#7
Geschrieben 31 Januar 2013 - 20:54
So, ich habe mein Exemplar heute erst erhalten.
"Wir" ist ein Buch, was ich schon lange auf der Lese-Wollen-Liste habe, umso schöner dass es jetzt klappt.
Wie wollen wir denn lesen, um spoilern zu verhindern? Abschnittsweise bis zu nem Datum?
Bis jetzt hat das auch so funktioniert. Jemand legt einfach mit 20 Seiten vor und der Rest steigt dann ein wenn er so weit ist und wer weiter ist, hält sich Posts zurück. Ansonsten gibt es ja die Spoiler-Funktion. Bei einem festen Datum wirkt das so wie eine Pflicht und das gefällt mir nicht.
#8
Geschrieben 01 Februar 2013 - 14:17
Bis jetzt hat das auch so funktioniert. Jemand legt einfach mit 20 Seiten vor und der Rest steigt dann ein wenn er so weit ist und wer weiter ist, hält sich Posts zurück. Ansonsten gibt es ja die Spoiler-Funktion. Bei einem festen Datum wirkt das so wie eine Pflicht und das gefällt mir nicht.
Alles klar, guter Vorschlag.
#9
Geschrieben 03 Februar 2013 - 21:02
Wenn man die klassischen Dystopien von Huxley, Orwell und Bradbury gelesen hat, ist die Richtung, in die »Wir« gehen wird, natürlich absehbar. Schon auf den ersten Seiten deutet sich an, dass sich der Protagonist D-503 gegen das System auflehnen wird, weil er beginnt am Regime zu zweifeln – teilweise aus innerer Rastlosigkeit, teilweise bedingt durch den Einfluss anderer Individuen wie I-330 oder R-13. So bleibt zwar die Spannung etwas auf der Strecke, aber das war auch noch nie meine primäre Motivation, um eine Dystopie zu lesen. Außerden bedeutet die zu erwartende Entwicklung der Hauptfigur ja nicht, dass das Ende zwangsläufig vorauszusehen wäre (man vergleiche nur den Schluss von »1984« mit dem von »Fahrenheit 451«).
Dass D-503 das Erklären des gesellschaftlichen Hintergrunds damit begründet, es einer möglichen unterentwickelten Zivilisation auf dem Mars oder Venus näherbringen zu wollen, die von der Rakete Integral entdeckt werden könnte, wirkt natürlich aus heutiger Sicht überholt. Es ist auch klar als Kunstgriff des Autors erkennbar (wie man das vor fast 100 Jahren eingeschätzt hat, kann ich allerdings schwer beurteilen). Andererseits, wenn man dabei an die Golden Records der Voyager-Sonden denkt, wirkt es fast ein wenig prophetisch.
Auf der sprachlichen Ebene war ich angenehm überrascht, muss ich sagen. Zwar ist mir bekannt, dass Russland einige große Literaten hervorgebracht hat (von denen ich jedoch noch nichts gelesen habe), aber ich hätte einen deutlich nüchtereren Erzählstil erwartet. Samjatin schreibt jedoch sehr bildhaft und lebendig, obwohl er viele wissenschaftliche Begriffe verwendet. Wobei die zahlreichen algebraischen und geometrischen Metaphern das Herz jedes literaturaffinen Mathematikers höher schlagen lassen müssten. Als Beispiel sei folgender Satz genannt:
Ok, das reicht erst mal. Zum eigentlichen Setting und zur Handlung schreib ich morgen oder übermorgen was...»Es bedarf wohl keiner Erklärung, dass Glück und Neid Zähler und Nenner jenes Bruches sind, den wir Zufriedenheit nennen.« (S. 25-26)
Seti
Bearbeitet von Seti, 03 Februar 2013 - 21:03.
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#10
Geschrieben 03 Februar 2013 - 23:45
#11
Geschrieben 04 Februar 2013 - 00:09
Beweis:
Sei 1/ 0 = x
Multipliziere auf beiden Seiten mit 0: 0 * 1/ 0 = 0 * x
Links kürzt sich die 0 weg: 1 = 0 * x
0 mal einer Zahl ist 0: 1 = 0 => Widerspruch, da 1 per Definition ungleich 0 ist
(Und das, obwohl ich Beweise durch Widerspruch ablehne...)
Das gilt übrigens auch für Zahlenkonstrukte wie die Hyperrellen Zahlen oder die Surrealen Zahlen. Ich hab vor 25 Jahren mal die „unmöglichen Zahlen“ definiert, deren Basiselement 1/ 0 ist, musste den Begriff aber wieder verwerfen. Seit dem nenne ich die Objekte „Zahloide“, weil sie zwar bestimmte Eigenschaften von Zahlen besitzen, aber keine sind.
Bei Samjatin`s Division durch Null vermute ich, dass er den Grenzwert gemeint hat: lim x -> 0 von 1 / x ist ∞. Wieso vermute ich das? Weil ich vor ein paar Wochen eine „Wissenschaftssendung“ in der Glotze gesehen hab, in der ein verrückter Professor den Radius der Singularität eines Schwarzen Loches gleich 0 gesetzt und daraus gefolgert hat, dass dort die Schwerkraft unendlich sein. AAARRRRGGGGHHHH!!!!
Schalom,
Schlomo
#no13
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#12
Geschrieben 04 Februar 2013 - 00:56
Division durch Null ist nicht verboten, aber das Ergebnis ist keine Zahl.
Beweis:
Sei 1/ 0 = x
Multipliziere auf beiden Seiten mit 0: 0 * 1/ 0 = 0 * x
Links kürzt sich die 0 weg: 1 = 0 * x
0 mal einer Zahl ist 0: 1 = 0 => Widerspruch, da 1 per Definition ungleich 0 ist
(Und das, obwohl ich Beweise durch Widerspruch ablehne...)
Das gilt übrigens auch für Zahlenkonstrukte wie die Hyperrellen Zahlen oder die Surrealen Zahlen. Ich hab vor 25 Jahren mal die „unmöglichen Zahlen“ definiert, deren Basiselement 1/ 0 ist, musste den Begriff aber wieder verwerfen. Seit dem nenne ich die Objekte „Zahloide“, weil sie zwar bestimmte Eigenschaften von Zahlen besitzen, aber keine sind.
Bei Samjatin`s Division durch Null vermute ich, dass er den Grenzwert gemeint hat: lim x -> 0 von 1 / x ist ∞. Wieso vermute ich das? Weil ich vor ein paar Wochen eine „Wissenschaftssendung“ in der Glotze gesehen hab, in der ein verrückter Professor den Radius der Singularität eines Schwarzen Loches gleich 0 gesetzt und daraus gefolgert hat, dass dort die Schwerkraft unendlich sein. AAARRRRGGGGHHHH!!!!
Schalom,
Schlomo
Surreale Zahlen? Das klingt interessant. Die sind vermutlich nicht mal zyklisch, abelsch wohl auch eher nicht.
Aber Scherz beiseite, seichtere Wissenschaftsdokus sind oft ein Quell der Heiterkeit. Manchmal frage ich mich bei den Aussagen von Interviewpartnern, die teilweise ja aus renommierten Unis, Forschungsstätten etc. stammen: "habt ihr das notwendig ...?"
LG
Jakob
Austriae Est Imperare Orbi Universo
#13
Geschrieben 04 Februar 2013 - 01:32
Ein bisschen was dazu findest du bei Wikipedia.
Mit diesen superseichten „Wissenschaftssendungen“ hab ich so meine Probleme. Etwa, wenn Kaku durch 0 dividiert, oder wenn Lesch Materie in Energie „umwandelt“. Bei der Gelegenheit musste ich feststellen, dass meine Toleranz gegen Dummfug begrenzt ist. Ich frag mich dann jedes Mal aufs Neue, ob die Leute wirklich nicht wissen, was sie da plappern, oder ob es ihnen einfach nur egal ist.
Aber einen positiven Effekt hat es: Es trainiert die Reflexe. Und zwar den schnellen Druck auf den Ausschalter bei gleichzeitiger Abgabe eines unartikulierten Schreis („AAAARRRRGGGGHHH!!!“).
Übrigens – streng on Topic! – hab ich gestern in der Glotze eine Reklame (keine Ahnung, für was) gesehen, die sich ganz offensichtlich auf “Wir” bezieht. Ein alter Knacker (Diktator?) bestimmt, dass die Leute alle nur noch ein Lied (Fahrstuhlmusik) hören dürfen, nur noch ein Haustier (Lama) haben dürfen und so weiter...
Wieder mal die passende Synchronizität* der Ereignisse, oder?
Schalom,
Schlomo
* siehe C.G. Jung
#no13
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#14
Geschrieben 04 Februar 2013 - 07:33
Ich lese die Kiepenheur & Witsch Ausgabe in der 11. Auflage von 2011.
Ich bin jetzt auf Seite 46. Ich sehe es auch ein wenig wie Seti. Es ist schon absehbar, dass es ein paar Risse in seinem Bild vom perfekten System gibt. Für mich ist ganz interessant, dass "Wir" ja zeitlich vor den anderen Dystopien geschrieben wurde und wer sich da bei wem "bedient" hat. Da fragte ich mich gleich, gab es auch schon vor dem 1900 Dystopien oder hatte man da noch Hoffnung und schrieb deswegen Utopien?
Gemeinhin gilt Wir als erste "reine" Dystopie (wobei solche Anfänge natürlich immer von der Definition abhängen, die man anlegt). Ende des 19., Anfangs des 20. Jahrhunderts entstehen noch einmal zahlreiche positive Utopien, die noch weitgehend dem klassischen Muster entsprechen; u.a, Looking Backward von Edward Bellamy, das ein Mega-Bestseller wurde, News from Nowhere von William Morris und A Modern Utopia von H.G. Wells. Wir etabliert dagegen ein ganz neues Muster.
Zum Einfluss: Zumindest von George Orwell weiss man, dass er Wir gelesen hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat er das Buch sogar rezensiert.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
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#15
Geschrieben 05 Februar 2013 - 20:04
Was mich ja momentan brennend interessieren würde, ist, inwiefern Samjatins Schilderungen der gläsernen Stadt, Einfluss auf die Metapher des gläsernen Menschen hatten. Laut Wikipedia bezog sich dieser Ausdruck früher völlig wertungsfrei auf anatomische Modelle, die ab den 1920ern im Deutschen Hygienemuseum ausgestellt wurden. Erst später wurde es im Zusammenhang mit dem Datenschutz verwendet, allerdings konnte ich nirgendwo etwas darüber finden, dass Samjatins Buch darauf einen Einfluss ausgeübt hätte. Dabei kam mir das sofort in den Sinn, als ich das erste Mal von gläsernen Wänden, Decken und Böden gelesen habe.
Jep, davon hab ich auch mal gehört. Man erkennt auch einige interessante Parallelen zwischen diesen Werken: die Protagonisten beginnen beide mit einem Tagebuch, beide begehren aus Liebe zu einer Frau gegen das System auf, beide treffen sich mit diesen Frauen in Häusern, die Reliquien vergangener Tage enthalten...Zum Einfluss: Zumindest von George Orwell weiss man, dass er Wir gelesen hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat er das Buch sogar rezensiert.
Nun weiß ich zwar noch nicht, wie "Wir" enden wird, aber von dem ausgehend, was ich bisher gelesen habe, vermute ich, dass Orwell (unter dem Eindruck von Nationalsozialismus, Faschismus und Stalinismus) eine deutlich pessimistischere Version von Samjatins Roman schreiben wollte. Vielleicht hatte er sogar das Gefühl es zu müssen, da die Geschichte gezeigt hatte, dass selbst Samjatins und Huxleys Dystopien dem Schrecken der Wirklichkeit nicht gerecht wurden.
Oh, falls ich das Gefühl vermittelt habe, ich wäre ein literaturaffiner Mathematiker, dann muss ich gleich zurückrudern. Das war nur eine Vermutung meinerseits, aber scheinbar bestätigt sie Schlomo ja@Seti: Eine Frage für den literaturaffinen Mathmatiker. Auf Seite 26 wird durch NULL dividiert und im Buch steht, dass da Unendlich heraus kammt aber mir wurde erklärt, dass Division durch NULL verboten ist. Fehler im Buch? Kniff des Autors?
Zu sagen, dass ich mit der Mathematik auf dem Kriegsfuß stehe, wäre zwar etwas übertrieben, aber beste Freunde sind wir spätestens seit meinem schriftlichen 3-Punkte-Mathe-LK-Abitur nicht mehr. Obwohl dafür streng genommen die Mathematik nix kann... (falls jemanden diese eigentlich recht amüsante Anekdote interessiert, erzähl ich sie gern)
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#16
Geschrieben 05 Februar 2013 - 21:03
Beide Autoren waren nachweislich von Samjatins Werk inspiriert, Das "kenne ich schon" geht also an Huxley und Orwell, nicht an Samjatin.Wenn man die klassischen Dystopien von Huxley, Orwell und Bradbury gelesen hat, ist die Richtung, in die »Wir« gehen wird, natürlich absehbar.
#17
Geschrieben 06 Februar 2013 - 21:12
#18
Geschrieben 06 Februar 2013 - 21:30
@Schlomo & Simifilm: (Etwas Off Topic) Gibt es hier im Forum eine "automatische Benachrichtigung" bei Fragen? Da ihr ja nicht direkt am Lesezirkel teilnehmt und ich das Gefühl habe, dass die Fragen genau zu den Richtigen gekommen sind.
Ich schaue einfach regelmässig, was Neues gepostet wird, und auch wenn ich nicht aktiv an diesem Lesezirkel teilnehme, sind Dystonien eines meiner Leib- und Magen-Themen.
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#19
Geschrieben 07 Februar 2013 - 15:06
[...]
Wenn man die klassischen Dystopien von Huxley, Orwell und Bradbury gelesen hat, ist die Richtung, in die »Wir« gehen wird, natürlich absehbar. Schon auf den ersten Seiten deutet sich an, dass sich der Protagonist D-503 gegen das System auflehnen wird, weil er beginnt am Regime zu zweifeln – teilweise aus innerer Rastlosigkeit, teilweise bedingt durch den Einfluss anderer Individuen wie I-330 oder R-13. So bleibt zwar die Spannung etwas auf der Strecke, aber das war auch noch nie meine primäre Motivation, um eine Dystopie zu lesen. Außerden bedeutet die zu erwartende Entwicklung der Hauptfigur ja nicht, dass das Ende zwangsläufig vorauszusehen wäre (man vergleiche nur den Schluss von »1984« mit dem von »Fahrenheit 451«).
[...]
Seti
Dem kann ich mich nur anschließen.
"Schöne neue Welt", "1984", und "Fahrenheit 451" thematisieren vergleichbare Entwicklungen der Gesellschaft. Das hat mich allerdings nicht davon abgehalten, weitere Dystopien zu lesen. Zum einen, weil es auch Dystopien gibt, die ein vollkommen anderes Bild einer zukünftigen Gesellschaft / Erde zeigen, z. Bsp. "Ich bin Legende" von Richard Matheson oder "Die Straße" von Cormac McCarthy. Zum anderen, weil es unterschiedliche Darstellungen einer vergleichbaren Entwicklung gibt.
Zwar verweist "1984" mehr oder weniger deutlich auf "Wir", und "Globalia" (von Jean-Christophe Rufin) meiner Meinung nach wieder mehr oder weniger deutlich auf "1984". Das ist aber nicht der Grund dafür, dass mir die Romane unterschiedlich gut gefallen. Und das mindert auch nicht die Spannung, die ich nach wie vor beim Lesen solcher und ähnlicher Romane empfinde.
Zumal mir beim Lesen von Dystopien eines auffällt, das mir sowohl auf den Magen schlägt, als auch mich tröstet, ersteres, weil sich offensichtlich nie wirklich etwas ändert, letzteres, weil es Menschen gibt, denen solche (drohenden) Missstände auffallen: Wir sind nie so weit von einer der zahlreichen in Dystopien beschriebenen Gesellschaften entfernt, wie es zunächst den Anschein hat. Das beginnt bei eher harmlosen Sachen (Mode macht nichts anderes als uniform / Uniform) und hört mit beunruhigenden Sachen (Zensur und Überwachung) auf. Eine Aussage, die auch so schon für viele Länder ungültig ist.
Das ist einer der Gründe, vermutlich sogar der Hauptgrund, warum mich Dystopien selten langweilen und oft über die Maßen beschäftigen.
Bearbeitet von Pegasus, 08 Februar 2013 - 08:35.
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#20
Geschrieben 07 Februar 2013 - 16:39
Schalom,
Schlomo
#no13
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#21
Geschrieben 16 Februar 2013 - 18:24
Sprachlich fand ich den Roman gelungen. Dass Samjatins Hauptfigur wissenschaftliche Begriffe und Theorien als Metaphern nutzt, um seine Entwicklung zu beschreiben, gefiel mir sehr. Und welche Tiefgründigkeit und Emotionalität er dabei stellenweise erreicht, obwohl er Ausdrücke verwendet, die normalerweise in einem rein sachlichen Kontext gebraucht werden, fand ich bemerkenswert. Ein geschickter Schachzug Samjatins, denn es zeigt D-503s Verwurzelung im alten System, aber unterstreicht auch gleichzeitig seine beginnende Individualisierung.
Auch das Setting konnte überzeugen. Wie schon erwähnt, weckten die Beschreibungen der Lebensbedingungen im Einzigen Staat bei mir sofort Assoziationen zur Metapher des Gläsernen Menschen. Den komplett durchgeplanten Alltag der Bewohner, bei dem sogar die Anzahl der Kaubewegungen beim Essen im Dienste der Effiktivität vorgeschrieben ist, fand ich beängstigend. Und wenn man es als Versinnbildlichung einer bedingungslosen Leistungsgesellschaft interpretiert, ist es aktueller, als einem lieb sein kann. Auch das Überwachungssystem der Beschützer wirkte beklemmend. Im Nachwort von Jürgen Rühle steht ja, dass es zur Zeit der Entstehung des Romans nur eine sehr rudimentäre Form der Geheimpolizei gab. Umso erschreckender ist dann, wie omnipräsent die Handlanger des Großen Wohltäters in »Wir« sind und mit welchen Worten D-503 ihre Existenz rechtfertigt:
»Wer weiß, vielleicht hat die Fantasie der Menschen von einst unsere Beschützer vorausgeahnt, als sie die wohl wollend-strengen Schutzengel schuf, die jedem Menschen von seiner Geburt an zugesellt waren.« (S. 51)
Beim Plot muss ich allerdings ein paar Abstriche machen, denn wenn man es genau nimmt, passiert im Roman eigentlich nicht so viel. Teilweise wird die Handlung auch durch wiederkehrende Aufschiebungen (der Testflug des Intergral, die Enthüllungen I-330s) künstlich in die Länge gezogen. »Wir« ist ganz sicher kein handlungsorientierter Roman und funktioniert eher auf der Figurenebene. Dafür dort umso besser, denn wie Samjatin die innere Zerrissenheit des Protagonisten und sein Ringen um eine Erklärung seines Gemütszustands beschreibt, ist hervorragend umgesetzt. D-503 weiß nicht, wohin er gehört, ob er noch ein Teil des Wir ist oder ein Teil des Sie oder gar ein vollständig autonomes Wesen. Und je näher ihn seine Suche zum Ich führt, desto mehr Angst und Unbehagen bereitet ihm seine »Krankheit Seele«. In diesem Punkt ist der Roman in meinen Augen am Stärksten.
Noch ein paar Worte zum Ende...
Meine Wertung im Einzelnen
Stil und Sprache: Gut+
Setting und Hintergrund: Gut
Story und Plot: Durchschnittlich+
Figuren und Charakterisierung: Fantastisch-
Buch insgesamt: Gut+
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#22
Geschrieben 18 Februar 2013 - 21:21
#23
Geschrieben 19 Februar 2013 - 08:35
Die Sprache betreffend fand ich es faszinierend wie überzeugend Samjatin eine von Funktionalität geprägte Nummer Emotionalität entwickeln und überzeugend empfinden lässt.[...]
Sprachlich fand ich den Roman gelungen. Dass Samjatins Hauptfigur wissenschaftliche Begriffe und Theorien als Metaphern nutzt, um seine Entwicklung zu beschreiben, gefiel mir sehr. Und welche Tiefgründigkeit und Emotionalität er dabei stellenweise erreicht, obwohl er Ausdrücke verwendet, die normalerweise in einem rein sachlichen Kontext gebraucht werden, fand ich bemerkenswert. [...]
Auch das Setting konnte überzeugen. Wie schon erwähnt, weckten die Beschreibungen der Lebensbedingungen im Einzigen Staat bei mir sofort Assoziationen zur Metapher des Gläsernen Menschen.
[...]
»Wir« ist ganz sicher kein handlungsorientierter Roman und funktioniert eher auf der Figurenebene. Dafür dort umso besser, denn wie Samjatin die innere Zerrissenheit des Protagonisten und sein Ringen um eine Erklärung seines Gemütszustands beschreibt, ist hervorragend umgesetzt. D-503 weiß nicht, wohin er gehört, ob er noch ein Teil des Wir ist oder ein Teil des Sie oder gar ein vollständig autonomes Wesen. Und je näher ihn seine Suche zum Ich führt, desto mehr Angst und Unbehagen bereitet ihm seine »Krankheit Seele«. In diesem Punkt ist der Roman in meinen Augen am Stärksten.
Noch ein paar Worte zum Ende...
Spoiler
Bei den "langgestreckten Kuben der durchsichtigen Wohnhäuser" liegen Assoziationen zum Gläsernen Menschen auf der Hand. Interessant ist (wie bei so vielen Dystopien), dass eine solche Entwicklung vorausgesehen wurde. Diesbezüglich frage ich mich, ob jemand Prozesse der freiwilligen "Vergläserung", wie sie meiner Meinung nach im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken usw. auftreten (können), ebenfalls hat kommen sehen.
Mit dem Ende des Romans bin ich sehr zufrieden, weil ich es als äußerst glaubwürdig empfunden habe.
Das unterschreibe ich so voll und ganz.Der Zusammenfassung von Seti kann ich mich nur anschließen. Das auf der Handlungsebene nicht viel passiert stört mich nicht. Das Ringen von D-503 mit seiner Seele und seiner Vernunft ist für mich auch fantastisch dargestellt und echt lesenswert.
Bearbeitet von Pegasus, 19 Februar 2013 - 08:36.
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#24
Geschrieben 27 Februar 2013 - 19:44
Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Aber wie es der Zufall so will, habe ich vor kurzem eine Story gelesen, die dieses Thema aufgreift und die freiwillige Offenlegung aller Wünsche, Bedürfnisse und Vorlieben auf die Spitze treibt - "The Perfect Match" von Ken Liu (bin durch den Nebula-Awards-Thread auf diesen Autor aufmerksam geworden). Es geht um eine KI-Assistentin namens Tilly, ein Produkt der Firma Centillion, die beständig mit Informationen des Nutzers gefüttert werden möchte, um möglichst fundierte Empfehlungen geben zu können.Bei den "langgestreckten Kuben der durchsichtigen Wohnhäuser" liegen Assoziationen zum Gläsernen Menschen auf der Hand. Interessant ist (wie bei so vielen Dystopien), dass eine solche Entwicklung vorausgesehen wurde. Diesbezüglich frage ich mich, ob jemand Prozesse der freiwilligen "Vergläserung", wie sie meiner Meinung nach im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken usw. auftreten (können), ebenfalls hat kommen sehen.
Falls dich die Geschichte interessiert, kannst du sie hier lesen."Tilly," he said, "please stop monitoring and terminate auto-suggestions."
"Are you sure? Gaps in sharing can cause your profile to be incomplete-"
"Yes, please cease."
[...]
"You're being very antisocial tonight," Tilly said.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man die KG als klassische Dystopie bezeichnen kann. Auf jeden Fall weist sie aber einige klassische dystopische Elemente auf, wie bspw. die Auflehnung des Protagonisten, der anfangs glühender Anhänger des Systems ist; hervorgerufen wird dieser Sinneswandel durch eine Frau und im weiteren Verlauf kommt es (ohne zu viel zu verraten) zur Konfrontation des Protagonisten mit einem führenden Vertreter des herrschenden Systems.
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#25
Geschrieben 28 Februar 2013 - 08:19
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#26
Geschrieben 01 Mai 2013 - 08:19
#27
Geschrieben 01 Mai 2013 - 13:39
Eine Division durch Null ist mathematisch nicht definiert. Es gibt noch nicht einmal einen Grenzwert.Bei Samjatin`s Division durch Null vermute ich, dass er den Grenzwert gemeint hat: lim x -> 0 von 1 / x ist ∞.
Auch mit einem oder mehreren dieser Stichwörter versehen: Klassiker, Lesezirkel, Februar 2013
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