Ab dem 1. April (kein Scherz ) lesen und diskutieren wir gemeinsam Der Seher von Robert Silverberg.
Ich wünsche uns allen eine unterhaltsame Lektüre und eine anregende Diskussion!
Geschrieben 26 März 2017 - 20:58
Ab dem 1. April (kein Scherz ) lesen und diskutieren wir gemeinsam Der Seher von Robert Silverberg.
Ich wünsche uns allen eine unterhaltsame Lektüre und eine anregende Diskussion!
Geschrieben 02 April 2017 - 18:05
Ich habe mal angefangen zu lesen, bin aber ehrlich gesagt nicht über die ersten zwei Seiten hinausgekommen.
Der Roman war 1976 für den Hugo Award nominiert:
http://www.tor-onlin...go-awards-1976/
...sowie den Nebula:
https://en.wikipedia...rs_and_nominees
Die Erzählung fängt damit an, ob alles zufällig ist oder doch berechenbar.
Die Wikipedia Seite zur Stochastik findet sich hier:
https://de.wikipedia...wiki/Stochastik
Ich bin gespannt was der Roman so bereit hält. Ich wollte eigentlich mal mit dem Klassikerlesezirkel aussetzen, aber da ich andererseits mal wieder einen Silverberg lesen wollte (zum Vorschlagen ist mir bisher nie einer eingefallen), war klar, dass ich für den stimme und er hat ja dann auch das Rennen gemacht.
Ob das jetzt alles zufällig war oder mir das Buch des Schicksals in die Karten gespielt hat?
Eigentlich egal, ich hoffe einfach mal, der Roman ist spannend und lesenswert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Band zu Ende lese liegt bei nahezu 100%, es wäre der erste Silverberg den ich abbreche.
Geschrieben 02 April 2017 - 20:05
Geschrieben 03 April 2017 - 19:09
Für mich ist es der erste Silverberg. Ich hatte zum ersten Mal in Jo Waltons "Among Others" Silverberg gehört, auch wenn dort nur die Rede von "Es stirbt in mir" war.
Die theoretische Einführung zu Fragen der Wahrscheinlichkeitsrechnung finde ich richtig gut.
Ich bin auf Seite 23, Anfang von Kapitel 7.
Die Beschreibung der Partygesellschaft hat mich an eine Stelle aus "Bleeding Edge" von Pynchon erinnert, da wird auch eine "hippe" Dot-com Szene Party beschrieben. Silverberg schafft an manchen Stellen sehr schöne Bilder.
Geschrieben 04 April 2017 - 08:35
"Es stirbt in mir" habe ich damals gerne gelesen, genau wie "Noch einmal leben". Ist aber lange her.
Die ersten hundert Seiten habe ich hinter mir und die Wahrscheinlichkeit den Roman zu beenden hat sich wieder auf 90% erhöht.
Der Trendforscher wirkt auf mich unglaubwürdig. Er bekommt drei Tipps und die waren gar nicht so unverständlich wie er tut. Für mich sind die ziemlich eindeutig gewesen, also sollten sie es auch für ihn sein. Das wirkt wie ein Kniff des Autors und ist nicht sonderlich gut gemacht. Auch die Szene wie er mit dem "Orakel" diskutiert, kommt nicht so richtig glaubwürdig an bei mir. Auf mich wirkt der Trendforscher ein wenig simpel, fast schon dümmlich. Ob das noch einen anderen Grund hat als dass der Leser sich unwillkürlich schlauer vorkommen soll als der Erzähler?
Wir werden sehen.
Leider bleiben die Methoden wie der Trendforscher arbeitet und sein Einfluss auf das Team im Vagen. Generell scheint der Roman dann ein Stück weit ins Esoterische zu driften. Mal sehen, ob ich da eine gute Voraussage getroffen habe oder ob der Autor mich überrascht.
Bisher eine lesenswerte Lektüre, wenn auch hier und da ein wenig sperrig.
Geschrieben 05 April 2017 - 16:28
Dann gebe ich auch mal meinen Senf dazu: ich bin aktuell auf Seite 86 (? ca) angekommen, und sah mich in einer ähnlichen Situation wie Mammut:
zuerst dachte ich, das lese ich nie zu Ende, aber inzwischen gefällt es mir ganz gut.
Sprachlich finde ich es schon anspruchsvoll, es liest sich nicht mal so eben runter.
Was mir gut gefällt: die beiläufigen Erwähnungen von Zukunftsentwicklungen (in NY scheint ein bürgerkriegsähnlicher Zustand zu herrschen).
Und Mammut hat natürlich Recht: die drei Tipps wären einfach zu deuten gewesen, aber der Trendforscher wollte das wohl nicht wahr haben.
Geschrieben 06 April 2017 - 06:46
Geschrieben 07 April 2017 - 06:00
Geschrieben 07 April 2017 - 09:41
Was versteht man unter einer kuhbrüstigen Sechzehnjährigen? [...]
Im Original lautet der Satz, in dem das Wort vorkommt: "... I picked up a sullen cow-breasted sixteen-year-old in Times Square ..." (Ende Kap. 28). Ich nehme an, dem Übersetzer ist keine passende(re) Übersetzung des vulgärsprachlichen Wortes eingefallen, daher hat er wortwörtlich übersetzt. Was hier meiner Meinung nach durchaus stimmig wirkt.
Siehe auch:
"... Others address a woman as a cow when she has very large breasts ..."
http://www.urbandict...w&defid=1995236
(im 2, Absatz)
LG
Jakob
Austriae Est Imperare Orbi Universo
Geschrieben 07 April 2017 - 20:47
...
Siehe auch:
"... Others address a woman as a cow when she has very large breasts ..."
http://www.urbandict...w&defid=1995236
(im 2, Absatz)
LG
Jakob
"If a stranger calls a person a cow, he is inviting a fist in the face or a slap..."
Herrlich! Du hast eindeutig die besten Links.
Im Deutschen ist die Beschimpfung "du Kuh" zwar immer noch schlimm, aber sie wirkt schon etwas antiquiert und lädt vielleicht nicht gleich zum Austausch "manueller" Argumente ein.
Nun etwas mehr zum Buch.
Ich bin jetzt auf Seite 99, Kapitel 17.
Es gab wieder ein sprachliches Bild, was ich super fand und gern mit euch teilen möchte; "...wie sich der Morgen aus dem Atlantik drängte." (S. 69). Wunderbar!!
Das Gespräch mit Carvajal hat mir gut gefallen. Es erinnerte mich etwas an die Unterhaltung des Merowingers mit Morpheus im zweiten Matrix-Teil. Das Gespräch im Buch finde ich eine schöne Möglichkeit der Auseinandersetzung, die um die Frage nach dem Freien Willen und dem Determinismus kreist. Wobei der Dunst von Tiefe der durch das sprachliche Feuerwerk entsteht, welches der Merowinger abbrennt, gerade die eigentliche Oberflächlichkeit verdeckt wird. Ist das Gespräch im Buch doch etwas näher dran an dem Problem.
Ja, die beschriebene Welt finde ich auch schon sehr dystopisch. Ich hatte sogar an manchen Stellen das Gefühl einen Cyberpunk-Roman zu lesen. Es haben nur die Computer und die technischen Spielereien gefehlt. Der Zerfall gewisser Bereiche der Gesellschaft und das hohe Maß an Ungleichheit sind Elemente wie sie auch im Cyberpunk zu finden sind. Hier tauchen diese Probleme aber mehr am Rande auf.
Beachtlich finde ich, dass das bis jetzt doch so wirkt, als würde es in den 90er spielen. Auch wenn ich mich an nicht wirklich viel erinnern kann aus den 90er oder ich zu der Zeit in den USA gelebt habe. Habe ich so rückblickend schon den Eindruck, dass es zu dem passt, was allgemein von den 90er geblieben ist.
Geschrieben 11 April 2017 - 19:35
Ich bin ebenfalls durch. Ich habe mir aber auch noch nichts überlegt was ich schreiben kann. Das Ende mit dem geradezu religiös wirkenden Schluss ist noch den ein oder anderen Satz wert.
So viel kann ich aber schon mal sagen, mir gefällt die thematische Tiefe und auch der Stil von Silverberg.
Geschrieben 12 April 2017 - 07:33
Ja, Silverberg ist sehr lesenswert. Er hat auch tolle Kurzgeschichten geschrieben.
Ich muss sagen, ich habe ja zuletzt "Der Anschlag" von Stephen King gelesen, da ist die Thematik ähnlich, aber auch vollkommen anders. Bei King reist jemand in die Vergangenheit um sie zu ändern und diese "wehrt" sich.
Silverberg vermeidet dies. Er sorgt dafür, dass die Personen aus "rationalen" Gründen so handeln, dass die Vorhersehung eintritt. Das ist ein wenig unbefriedigend finde ich, da man unweigerlich wissen will, was passiert wäre, hätten die Protagonisten anders gehandelt. Aber ihm ging es auch eher weniger um Zeitparadoxen oder alternative Zukünfte. Thema war eher wie der Titel sagt, "Der Seher". Was würden wir machen, wenn wir wüssten wie die Zukunft aussieht. Und da zeigt er das ein oder andere Dilemma auf, das man wohl hätte. Da hätte man noch mehr draus machen können. Gerade die Hauptperson ist da eher willenloser Beobachter und ich hätte mir da noch einige Aspekte mehr erwünscht die zu betrachten gewesen wäre.
Das Ende hat eine starke esoterische Komponente, die schwingt aber auch im Roman im Hintergrund. Letztendlich war das Ende passend, wenn man als Leser auch ein wenig aus der Geschichte geworfen wurde.
Die Frage, die sich im Lesezirkel stellt ist ja immer, handelt es sich um einen Klassiker. Ich finde, die Umsetzung hat Luft nach oben, aber das Thema an sich ist schon stark. Kennt jemand Romane, die das Thema ebenfalls behandeln und die man als Vergleich ran ziehen könnte?
Geschrieben 12 April 2017 - 09:04
Zu kuhbrüstig: Im Deutschen sagt man wohl eher, sie hat dicke Euter...
Geschrieben 12 April 2017 - 15:13
Was würden wir machen, wenn wir wüssten wie die Zukunft aussieht.Kennt jemand Romane, die das Thema ebenfalls behandeln und die man als Vergleich ran ziehen könnte?
James Blish
http://en.wikipedia....uincunx_of_Time
Stephen King
Gregory Benford
http://www.scifinet....ord-zeitschaft/
Robert J. Sawyer
usw.
Bearbeitet von Jorge, 12 April 2017 - 15:30.
Geschrieben 12 April 2017 - 21:03
Die Entwicklung die der Hauptperson im Buch passiert ist schon interessant. Am Ende habe ich den Eindruck, dass er von der vollkommenen Determiniertheit des gesamten Universums überzeugt ist ( oder dies glaubt). Was dabei nur indirekt erwähnt wird, ist die Annahme, dass es einen oder besser den Plan gibt und dieser Plan auch scheinbar eine Richtung hat. Und diese Richtung scheint auch noch "positiv" / erstrebenswert zu sein. Insbesondere bei den Aussagen die zu Quinn gemacht werden und das seine Herrschaft "durchgestanden" werden muss, habe ich den Eindruck, dass es sich um eine "Erlösungsgeschichte" handelt. Nur weil etwas vorherbestimmt ist, bedeutet es nicht das es "gut" wird oder ... Es wird halt nur.
Bei diesen Gedanken am Ende musste ich an den Essay "Fatalism" von Richard Taylor denken. Dort versucht er mittels Modallogik und in der Philosophie anerkannten Annahmen zu beweisen, dass Fatalismus wahr ist. Interessanterweise kann er es beweisen, beendet seinen Essay aber damit, dass es gegen die Intuition ist und fragt sich dann welche Annahmen in den Blick genommen werden müssen um seinen Beweis etwas näher an unsere Intuition zu bringen. Sonst wäre für uns alle die Zukunft so, wie schon die Vergangenheit ist. Nur das wir halt nicht auf sie schauen können. Im Buch wird halt genauer der Gedanke, das einer sehen kann ausgeführt.
Aus diesem Blickwinkel ist für mich die Kritik, dass die Figur wie eine Marionette durch die Handlung "geschleift" wird kein Problem. Dann was sollte sie sonst machen? Sie hat keine Freiheit. Vielleicht kann sie denken "Oh, nein! Ich möchte das nicht tun" aber am Ende wird die Handlung so ablaufen wie es im "Drehbuch" steht. Es ist gerade zu eine Form von Zen. Es passiert was passiert und fertig. Keine Wertung, kein Eingriff - nur reines Sein - frei von jedweder Verantwortung für irgendeine Handlung.
Bei der Frage nach anderen Büchern mit einem ähnlichen Thema fiel mir zu erst "Candide" von Voltaire ein. Auch wenn die thematische Richtung etwas anders ist, wird auch dort gezeigt, wie wenig wir durch unsere Handlungen bewirken. Damit ist das Ende regelrecht vor-aufklärerisch. All unsere Handlungen haben keinen Einfluss auf das Ergebnis. Wir handeln zwar aber es ist alles schon festgelegt. Wobei hier immer die Frage zu stellen ist, was festgelegt ist, also wo es hin geht. Das bleibt im Buch aber völlig offen. Ich habe zwar den Eindruck, dass die Hauptperson davon ausgeht, dass die Richtung positiv ist aber das lese ich halt so zwischen den Zeilen und ist damit eine Sache des Glaubens.
Ist das Buch für mich ein Klassiker?
Das Thema ist sicherlich zeitlos und ich konnte mich auch gut in die Welt der 90er versetzen. Das sind schon Gründe die es eher zu einem Klassiker machen, aber es fehlt mir etwas. Ich denke es fehlt die historische Einordnung. Das Thema müsste in einer gewissen Weise in die bereits bekannten Argumentationen eingebettet werden. Das hätte im Buch stattfinden können, da hätte mal eine Figur ein paar Sachen zum Thema in einer Bibo nachschlagen können oder es hääte auch mittels Nachwort stattfinden.
Aber so steht es für sich allein und ist ohne das ganze Wissen drumherum, zwar ein gut geschriebenes Buch mit einem anspruchsvollen Thema aber es fehlt definitiv etwas.
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