Würde das Nobelpreiskomitee denn jemandem, der schon einmal den Preis abgelehnt hat, nochmal einen verleihen?
Finde ich unglaubwürdig, und nicht nur das...
Ich habe inzwischen ungefähr die Hälfte des Romans gelesen. Zunächst einmal merkt man sehr, sehr deutlich, dass hier ein älteres, eigentlich abgeschlossenes Werk (die ersten 18 Kapitel, würde ich meinen) einfach fortgesetzt wurde. Man merkt deutliche stilistische und auch erzählerische Unterschiede, außerdem hat der Roman auf diese Weise keinen übergreifenden Spannungsbogen, denn der des ersten Teil hat ja quasi ein "Ende", danach beginnt "drei Jahre später" ein völlig neuer, nur die Figuren bleiben. Kann man natürlich machen, und behaupten, dass letztlich eine größere Geschichte erzählt wird, wären da nicht die merklichen Qualitätsunterschiede, denn teilweise wirkt der erste Abschnitt auf mich (sorry) wie ein ... Frühwerk.
Gerne möchte ich meine Kritik konkretisieren.
Ich finde die Handlungsweise der Figuren weitgehend schwer bis gar nicht nachvollziehbar. Da hat z.B. Marlon an dem einen Tag Sex mit Sunita, und ab dem nächsten Tag findet er nur noch Verve interessant. Rain trinkt sich in einer schwierigen Lage erstmal ne Tasse psychoaktiven Tee - und keiner sagt was dagegen. Dann rastet Sunita aus heiterem Himmel aus und schlägt mit ein, zwei Hieben Rain fast tot. Verve, die mit Marlon eigentlich ne ganz glückliche Beziehung zu führen scheint, gräbt aus heiterem Himmel die bekanntermaßen asexuelle Rain an (hier sind wir jetzt freilich schon nach Kapitel 18). Und was machen Typen wie der Russe, die a) körperlich anscheinend wenig für so eine Mission geeignet und b) auch nicht besonders motiviert sind, in dem Raumschiff? Das wirkt alles wenig professionell, da ist es fast ein Wunder, dass die heil am Ziel ankommen. Klar kann man sagen: Die sind halt in einer außergewöhnlichen psychischen Belastungssituation, aber damit könnte man ja ALLES erklären, das ist mir zu billig. Oft interessieren sich die Figuren schon nach einer Seite nicht mehr für die gravierenden Ereignisse, die gerade eben zuvor passiert sind. Im Grunde geht das alles auch viel zu schnell, andere Autoren würden aus der Story des ersten Drittels einen 500-seitigen Thriller machen (was nicht heißt, dass ich den dann gerne lesen würde! Gerade ICH habe gegen kurze Romane nichts einzuwenden, das wisst ihr, aber das ist keine Entschuldigung für tiefe Gräben in der Erzählstruktur).
Es sind aber nicht nur die Figuren, sondern auch einige Handlungselemente ziemlich unglaubwürdig.
Zum Beispiel dieser Kniff direkt zu Beginn: Dass für Marlon überraschend sein Raumschiff nicht zum Mars, sondern zum Titan fliegt, wird jedem Insassen auffallen, der nicht völlig verblöded ist - allein an der Menge der mitgeführten Vorräte, Treibstoff usw., und die Geheimhaltung überhaupt auch ziemlich wenig Sinn.
Gerade im ersten Teil wird sehr viel einfach behauptet oder nebenbei erklärt (im Sinne von show don't tell) und nicht szenisch dargestellt. Zum Beispiel die "Space Symbiose": Es bleibt vage, was damit gemeint ist, weil wir über die Figuren und ihr (größtenteils nicht vorhandenes, Rain redet ja z.B. fast nie) Zusammenleben kaum etwas erfahren. Es fehlt an Szenen oder Dialogen, anhand derer diese Lebensgemeinschaft deutlich werden würde.
Die beschleunigte Evolution auf Titan lasse ich mal so stehen, das ist das phantastische Element des Romans, dagegen ist nix zu sagen, auch wenn es naturwissenschaftlich natürlich ziemlich weit hergeholt ist.
Bleibt für den Moment noch anzumerken, dass ich ein paar Fehler (Tempus, falsche Wörter...) gefunden habe.
Mag also sein, dass ein Lektorat stattgefunden hat, womöglich hat der Lektor Aiki sogar geraten, den ersten Abschnitt und den Rest doch mehr anzugleichen, wenn nicht sogar neu zu schreiben, aber es wurde anders entschieden oder es ist meiner Einschätzung nach nicht so richtig gut gelungen.
Denn eins muss man sich bewusst machen: Wer nicht wie wir weiß, dass es nach dem ersten Drittel besser wird, wirft den Roman womöglich zu früh in die Ecke, und das würde weder Werk noch Autorin gerecht werden.
Als vorerst letzte Anmerkung möchte ich noch kundtun, dass ich das Cover wenig attraktiv finde. Da hätte der Roman visuell gerne knackiger eingepackt werden können.
Ich bin gespannt auf die zweite Hälfte.