Ich habe das Buch geradezu verschlungen.
Worum geht es? 2034 umschließt eine riesige Barriere das Sonnensystem und bringt so die Sterne zum Erlöschen. Das führt auf der Erde zum Aufblühen der obskursten Glaubenssysteme. Am Schlimmsten führt sich wohl die Endzeitsekte Kinder des Chaos auf, die mit weltweiten Terroranschlägen die Apokalypse feiert. Eines ihrer Opfer ist die Ehefrau des Polizisten Nick Stavrianos, der daraufhin seinen Job kündigt und sich fortan als Privatdetektiv verdingt. 2068 erhält er von einem anonymen Auftraggeber im Schlaf(!) den Auftrag, Laura Andrews zu finden, eine junge Frau, die mit einem schweren Hirnschaden geboren wurde und fast ihr ganzes Leben in einem geschlossenen Heim verbracht hat. Die Spur führt nach Neu-Hongkong, wo Nick dummerweise durch ein Loyalitätsmodul in seinem Gehirn umprogrammiert wird. Bald schon muss er feststellen, dass er einem Geheimnis auf der Spur ist, bei dem es um das Schicksal der Menschheit, ja des gesamten Universums geht ...
Der Roman beginnt in schönster Cyberpunk-Manier: Das Gehirn des Detektivs ist mit praktischen Zusatzmodulen aufgerüstet, Hacker, vor denen keine Information sicher ist, durchforsten das Netz, die verstorbene Ehefrau treibt sich noch immer als elektronische Vision im Kopf des Detektivs herum, elektronisch manipulierte Stechmücken dringen als Sonden in auszuspähende Gebäude ein, usw. usw. Doch bald begibt sich der Roman zunehmend abstraktere Gefilde: philosophisch-logische Gedankenspiele, wie man festverdrahtete Zwangsloyalität überwinden kann, und schließlich die Frage nach der Rolle des Beobachters in der Quantenmechanik. Ich hätte nicht gedacht, dass man diese abgehobene Theorie in die Handlung eines Romans übertragen kann. Aber Egan kann das. Unbedingt lesenswert.
Eine bestimmte Formulierung im Roman hat mich übrigens fast zwangsläufig wieder auf die Frage geführt, ob es sich beim Konzept des Beobachters und der Überlegung, was eine Messung nun genau ist, um die gleiche Problematik handelt wie das ursprüngliche Subjekt-Objekt-Dilemma der Philosophie.
Im Roman heißt es:
».. Wir sind nicht das Bewusstsein, das sich anschickt, das Universum zu verstehen – wir sind das Bewusstsein, das das Universum um die meisten seiner Möglichkeiten beraubte, weil es verstehen wollte.«
Ungläubig starre ich sie an. »Was soll das heißen? Dass das erste Lebewesen mit diesem besonderen Talent… das eigentliche Universum hat kollabieren lassen?«
Sie zuckt mit den Achseln. »Vielleicht ist es gar nicht auf der Erde passiert, auch wenn es keinen Beweis gibt, dass es nicht so war. Irgendwo muss es angefangen haben. Es muss auch nicht das ganze Universum betreffen – ein mehr zufälliger Blick über den Sternenhimmel war wohl noch keine Messung im eigentlichen Sinn. Doch hat sich die Zahl der möglichen Zustände dadurch sicherlich verringert – indem zunächst der Eigenzustand von Erde und Sonne festgelegt wurde, sozusagen für den Anfang. Sie gehörten nicht länger jener Mischung aus allen möglichen Zuständen an, die die Materie des Sonnensystem einnehmen könnte. Nicht zu vergessen die hellsten Fixsterne, die von diesem Wesen mit bloßem Auge zu erkennen waren. Denken Sie an die vielen Möglichkeiten, die nie wiederkehren, an die Sterne und Welten, die für immer zu existieren aufhörten, als dieses Urwesen seine Augen öffnete.«
In Schopenhauers "Welt als Wille und Vorstellung" steht etwas Ähnliches:
Denn »kein Objekt ohne Subjekt« ist der Satz, welcher auf immer allen Materialismus unmöglich macht. Sonnen und Planeten, ohne ein Auge, das sie sieht, und einen Verstand, der sie erkennt, lassen sich zwar mit Worten sagen; aber diese Worte sind für die Vorstellung ein Sideroxylon. Nun leitet aber dennoch andererseits das Gesetz der Kausalität und die ihm nachgehende Betrachtung und Forschung der Natur uns nothwendig zu der sichern Annahme, daß, in der Zeit, jeder höher organisirte Zustand der Materie erst auf einen roheren gefolgt ist: daß nämlich Thiere früher als Menschen, Fische früher als Landthiere, Pflanzen auch früher als diese, das Unorganische vor allem Organischen dagewesen ist; daß folglich die ursprüngliche Masse eine lange Reihe von Veränderungen durchzugehn gehabt, bevor das erste Auge sich öffnen konnte. Und dennoch bleibt immer von diesem ersten Auge, das sich öffnete, und habe es einem Insekt angehört, das Daseyn jener ganzen Welt abhängig, als von dem nothwendig Vermittelnden der Erkenntniß, für die und in der sie allein ist und ohne die sie nicht ein Mal zu denken ist: denn sie ist schlechthin Vorstellung, und bedarf als solche des erkennenden Subjekts, als Trägers ihres Daseyns: ja, jene lange Zeitreihe selbst, von unzähligen Veränderungen gefüllt, durch welche die Materie sich steigerte von Form zu Form, bis endlich das erste erkennende Thier ward, diese ganze Zeit selbst ist ja allein denkbar in der Identität eines Bewußtseyns, dessen Folge von Vorstellungen, dessen Form des Erkennens sie ist und außer der sie durchaus alle Bedeutung verliert und gar nichts ist. So sehn wir einerseits nothwendig das Daseyn der ganzen Welt abhängig vom ersten erkennenden Wesen, ein so unvollkommenes dieses immer auch seyn mag; andererseits eben so nothwendig dieses erste erkennende Thier völlig abhängig von einer langen ihm vorhergegangenen Kette von Ursachen und Wirkungen, in die es selbst als ein kleines Glied eintritt. Diese zwei widersprechenden Ansichten, auf jede von welchen wir in der That mit gleicher Nothwendigkeit geführt werden, könnte man allerdings wieder eine Antinomie in unserm Erkenntnißvermögen nennen ...
Bei der ersten Lesart zerstört der sich öffnende erkennende Blick alle anderen Möglichkeiten, bei der anderen erschafft er im Prinzip erst die Welt; aber wenn man genauer darüber nachdenkt, sagen beide schon irgendwie dasselbe: Aus einem unfassbar komplexen Etwas (dem Ding an sich) filtert das erkennende Bewusstsein das heraus, das es registrieren und verarbeiten kann. Das hieße aber: Weder wird etwas erschaffen noch werden Möglichkeiten zerstört, alles andere bleibt einfach im Unerkennbaren (Ungemessenen) verborgen.