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Emma Newman - Planetfall (2015) , "Planetfall - Sequenz 1"

aniety disorder religion 3d printing Kolonisierung Gott

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    Yoginaut

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Geschrieben 02 März 2024 - 11:40

spoilerarm

 

Ãœber die Autorin:

 

Die 1976 geborene britische Autorin mit Fantasywurzeln , startet mit „Planetfall“ den ersten Teil der gleichnamigen vierteiligen Sequenz.

Die eher locker verbundenen Romane, bestehend aus „Planetfall“ (2015) „After Atlas“ (2016) , „Before Mars“ (2018) und „Atlas Alone“ (2019)

können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden, die oben genannte ist die empfohlene. Newman selbst gibt eine zweite mögliche

Lesereihenfolge an, die ein etwas anderes Leseerlebnis vermitteln soll: After Atlas, Atlas Alone, Before Mars, Planetfall [1].

 

Inzwischen kam eine Kollektion Kurzgeschichten mit „Before, After, Alone“ im gleichen Worldsetting als self publishing hinzu (2023).

Diese sollte danach gelesen werden wg. eventueller Spoiler.

 

Die Romane waren für große Awards (LOCUS, CLARKE, BSFA) nominiert und erreichten dort hohe Platzierungen.

Die Serie selber landete 2020 beim Hugo in der Kategorie „best series“ auf dem dritten Platz.

 

Ihr Podcast „Tea and Jeopardy“ landete mehrmals beim Hugo in der Kategorie „best fancast“ unter den ersten 4 und 2017 sogar auf dem 1. Platz.

 

Inhalt

 

Planetfall (Newman’s Bezeichnung für die Erstbesiedlung einer neuen Welt) spielt 20 Jahre nach der Gründung einer menschlichen Kolonie

auf einem fremden Planeten, der soweit bekannt, ohne intelligentes Leben ist.

Die Kolonie liegt am Fuße einer großen, fremdartigen Struktur , von der man nicht weiß, ob sie eine künstliche (oder überhaupt) eine Lebensform ist, 

einheimisch oder eine Xenoform von einer anderen Welt darstellt. Die Kolonisten nennen sie nicht ohne Grund „Stadt Gottes“ , denn die

Besiedlungsbestrebung resultiert aus einer religiösen Vision ihrer charismatischen Anführerin, einer Frau namens Lee Suh-Mi , die sich

die ‚Pfadfinderin‘ nennt.

 

Auf der Erde fällt Suh-Mi durch Kontakt mit einer Spore einer unbekannten Pflanze, die vermutlich außerirdischen Ursprungs ist, in ein Koma .

Als sie wieder aufwacht , hat sie nach ihrer Ãœberzeugung eine Botschaft empfangen, die sich als Koordinaten eines Planeten entpuppen ,

auf dem Gott sich selbst offenbare was der Platz des Menschen im Universum sei. Eine Gruppe um etwa tausend Anhänger, die sie um sich

geschart hat , folgen ihr dann auf der Raumarche ATLAS – ein Ticket ohne Rückkehr, da der Planet zu weit entfernt ist und die Reise sehr lange dauert.

Direkt nach Ankunft geschehen zwei bedeutende Ereignisse: Der Absturz eines der ATLAS-Beiboote, indem einige Kolonisten ums Leben kommen und

das mysteriöse Verschwinden der Pfadfinderin in die ‚Stadt Gottes‘. Seitdem ‚kommuniziert‘ sie dort nach Auffassung der Kolonisten mit Gott und gibt

jährlich eine Botschaft an einen Ausgewählten der Siedler weiter. Das erfahren wir indirekt aus Rückblenden.

 

Die Geschichte , die ausschließlich aus der Ich-Perspektive von Renata „Ren“ Ghali erzählt wird, setzt erst zwanzig Jahre nach der Landung ein.

Ren ist die 3D-Drucker-Ingenieurin der Kolonie – und damit einer der wichtigsten Personen, da sie sowohl den Bau der Siedlung als auch das

Recycling der Rohstoffe und der Nahrungsmittel zu verantworten hat. Ren und Suh-Mi waren auf der Erde und auch nach deren

transzendentalen Erfahrung in einer Beziehung.

Ren arbeitet eng mit dem seit Landung unumstrittenen Leiter der Kolonie , Cillian Mackenzie (Mack genannt) zusammen, einem ehemaligen, durchsetzungsstarken

CEO einer global auf der Erde tätigen Marketingfirma . Mack leitet daraus den Anspruch ab, nun da Suh-Mi nicht mehr da ist, der alleinige Anführer der Kolonie zu sein

– was niemand bestreitet.

 

Die Kolonisten waren sich ziemlich sicher das sonst niemand auf dem Planeten ist, bis eines Tages zu ihrem Erstaunen ein junger Mann

von außerhalb die Kolonie erreicht , der sich Sung-Soo nennt und eine verblüffende Ähnlichkeit mit Lee Suh-Mi , der ‚entrückten‘ Anführerin hat.

Durch seine Anwesenheit gerät vieles von dem, worauf die Siedler ihr Leben aufgebaut haben, ins Wanken. Es wird schnell klar, das Ren und Mack

seit der Gründung der Kolonie ein dunkles Geheimnis bewahren – die Kolonisten kennen davon aber nur den „offiziellen“ Teil.

 

Ein weiteres betrifft Ren selbst: Sie leidet durch ein großes Trauma in ihrem Leben auf der Erde an einer schweren Angststörung, die sie gut

zu verbergen weiß – vorerst. Doch die Ereignisse kommen mit der Ankunft von Sung-Soo unvermeidlich ins rollen...

 

Kritik

 

Emma Newman hat mit dem ersten Teil der Planetfall- Sequenz vom Start weg ein beeindruckendes Werk der postmodernen SF vorgelegt.

Obwohl es Anfangs den Anschein hat, als wäre der religiöse Aspekt der Haupttreiber der Story, so sind es mehr und mehr die

inneren Kämpfe Ren’s mit sich selbst und ihrer Psyche, die sie perfekt zu verschleiern gelernt hat. So wahrt sie den Anschein von

Normalität nach außen für die Kolonie und „funktioniert“ für diese. Sie selbst scheint keine spirituellen Motive zu haben und damals eher der

Frau als Freundin als der charismatischen Anführerin gefolgt zu sein . Newman sagt selber, das sie nicht religiös ist und der Religionsaspekt

nicht den wichtigsten Teil des Romans ausmacht [1].

 

"In dieser Thematik geht es um Menschen , die auf der Erde durchaus bodenständig und säkular lebten, von einer Idee aber so bewegt werden,

das sie ein Raumschiff in Auftrag geben, mit dem sie viele Lichtjahre zu einem Planeten reisen, von dem sie wissen, nie zurückkehren zu können.

Es handelt sich hier auch nicht um eine traditionelle Religion des Christentums oder einer anderen. Es hat insofern etwas von einer Neo-Religion.

Andererseits sagt niemand: dort ist Gott. Es gibt kein Dogma und wenig Rituale - bis auf die jährlich wiederkehrende Feier, bei der die Kolonie eine

neue Botschaft von der Pfadfinderin zu empfangen glaubt." [1]

 

Die Verbindung zwischen SF und Glauben ist selten zu finden, obwohl Glaubenssysteme einen wirksamen Fakt unserer Welt

ausmachen und eigentlich einen reichhaltigen Fundus für SF darstellen, da sie – auf andere Weise , aber auch - die Frage nach dem Sinn unserer

Bedeutung im Kosmos stellen. Beispiele stellen „Sperling“ von Maria Donna Russell oder James Blish’s „Der Gewissensfall“ dar [2].

 

Ein anderer wichtiger Nebenaspekt ist für Newman , das die Kolonisten eine suffiziente Besiedlung mit Materialien vor Ort etablieren.

Auch das sie ihr menschliches Biom über Jahre langsam an die fremde Umwelt anpassen, diese nicht durch „Terraforming“ zerstören und ihre Siedlung

durch Recycling via 3d Drucktechnologie nachhaltig gestalten. Diese Idee kam ihr 2013, als sie von einem Projekt erfuhr, auf dem Mond eine Kolonie

mittels vorhandenem Mondstaub aufzubauen, indem 3d-Drucker dieses insitu Material für die Erstellung der Gebäude verwenden sollten.

„Ich hatte damit eine glaubwürdige und für Leser einfach zugängliche Technik für mein Anliegen einer nicht-invasiven Kolonisation eines Planeten mit

minimalem Einfluss auf die neue Umwelt gefunden“ [1].

Mittlerweile sind ja heute schon große 3d-Industriedrucker im Einsatz , um Gebäude auf diese Weise zu erstellen. Die Anwendung dieser Technologie

macht dann Ren als Expertin  auch zur zentralen Figur für das Ãœberleben der Kolonie.

 

Bei Renata Ghali findet Newman dann auch das prägende Hauptthema des Romans: Obwohl Ren es nach außen schafft, eine toughe Ingenieurin

darzustellen, die den materiellen Aspekt der Kolonie fest im Griff zu haben scheint, ist ihr Inneres ein mentales Chaos. Die Ursachen offenbaren sich für uns

über die Rückblenden auf der Erde und zum Anfang der Kolonie , aber auch in den aktuellen Geschehnissen langsam, aber stetig. Newman gibt immer wieder

Hinweise auf eigenartiges Verhalten ihrer Hauptprotagonistin von der klar wird ,das sie an einer ernsten psychischen Krankheit leidet: einer Angststörung .

Sie weiß auch darum, schließlich lebt sie mit dieser seit vielen Jahren – schon auf der Erde und auf dem Kolonieplaneten.

 

Dieses Thema wollte Newman im Übrigen seit langem in einem Roman verarbeiten - womöglich auch aus eigener Betroffenheit, da sich auf ihrer Website die

Selbstbezeichnung neurodivers findet – und fand in dem Setting mit Ren den geeigneten Charakter [1]. Das eine Titelfigur mit einer solchen Bürde ausgestattet wird ,

ist selten in der SF. Es gibt ein Beispiel indem Philip K. Dick diesen Aspekt in einem Kapitel seines Romans „Clans of the Alphane Moon“ verwendet. [3].

 

Die Annäherung an dieses komplexe Thema ist Newman dann auch sehr gut gelungen. Die Versuche und das Unvermögen Ren’s ihr Leben selbst in

„normale“ Bahnen zu lenken (zudem die Folgen darüber hinaus auch zu einer ernsthaften Bedrohung der Kolonie geworden sind) resultiert eben aus einer Krankheit,

die nur durch äußerliche Expertenhilfe bewältigt werden kann. Die Komplizenschaft, in die Mack sie aus Eigeninteresse durch die Bewahrung des zentralen

Geheimnis gegenüber den Kolonisten zwingt, wodurch sich auch eine gegenseitig entstehende, zermürbende Abhängigkeit bildet, ist dem auch nicht förderlich.

 

Newman spitzt dann die Ereignisse um Ren auf ziemlich drastische Weise zu. Die Auswirkungen der angegriffenen mentale Gesundheit Ren’s auf ihr Leben

und die unmittelbaren Konsequenzen für das Überleben der Kolonie führt dann zur Krise und dem Höhepunkt des Romans. Zumal sie geschickt

den Hauptstrang um Ren mit der Art und Weise der Besiedlung durch das 3d drucken der Ressourcen zu verknüpfen weiß.

Sie unterläuft hier unsere Erwartungen bezüglich Ren , was ja eine brilliant erzählte SF-Geschichte ausmacht.

 

Der Schluss den Newman für den Roman schafft , ist so dann weniger eine Auflösung einzelner Fäden der Geschichte und drängender Fragen

der Leser (wie im echten Leben), als eher eine Art Erlösung für Ren. Da sie auch komplett aus ihrer Perspektive erzählt ,

endet die Geschichte auch folgerichtig mit ihr.

___________________________________________________________________________________________

[1] Offizielle Website ,Newsletter und Podcast von Emma Newman https://www.enewman.co.uk/

[2] „Sperling“– Maria Donna Russell (1996) , „Der Gewissensfall“ – James Blish (1958)

[3] „Clans of the Alphane Moon“ – Philip K. Dick (1964) , (dt.: „Kleiner Mond für Psychopathen“, 1979)

 

Gelesen wurde die englische Originalausgabe: Planetfall ( Planetfall 1)

(Das diese Serie bisher im übrigen nicht ins deutsche übersetzt wurde ist mal wieder deutsche Verlagsignoranz!)

 

Bewertung: 9/10 isfdb Skala

 

Planetfall (Emma Newman) (Zahl vorne empfohlene , (Zahl) alternative Reihenfolge)

Emma Newman in der isfdb


Bearbeitet von head_in_the_clouds, 02 März 2024 - 15:02.

"Why should one be afraid of something merely because it is strange?"

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