Darf man hier auch noch was zu den Stories sagen? Oder ist das schon off-topic?
Die Unglücksausgabe NOVA 13 (Thema: Die dunklen Seiten der Zukunft) entpuppt sich als ein Glücksfall. Tatsächlich liegt hier eine der besseren NOVAe vor.
Meine Favoriten: Post, Boos und Eckhardt.
Gute Stories lieferten ab: Hebben, Doege, Günther und mit Einschränkungen Schneiberg.
So richtig durchgefallen ist nur die Skizze von Gebelein.
Im einzelnen:
Marcus Gebelein: Radikale
Sauerstoff im Triplett-Zustand richtet alle Radikale hin.
Müdes Wortspiel mit "Radikale", bestenfalls eine Grundidee mit einigen Szenenskizzen.
Wenn die NOVA-Redaktion solche Texte publizieren muss, um das Magazin zu füllen - warum verbittet man sich dann eigentlich unaufgefordert eingesandte Manuskripte?
Uwe Post: Noware
Anarchisten legen mit einer Reihe von Bombenanschlägen das weltweite Kommunikationsnetz lahm. Die Zivilisation bricht zusammen, die Menschen im Rheinland rotten sich zu marodierenden Banden zusammen.
Uff! Beklemmende Visionen voller Grauen und Brutalität, überzeugendes Szenario, treffende, knappe Sprache, dichte Atmosphäre. Eine von Uwes besten bislang!
Frank Hebben: Imperium Germanicum
1944. Der Weltkrieg dauert seit 30 Jahren an. Da besuchen Wolfsbrigaden den Schützengraben von Leutnant Petersen.
Packende Alternativweltgeschichte, das Grauen der Schützengräben gut wiedergegeben. Ende überraschend, abgegriffen und peinlich (das SF-Pendant zum Erwachen aus einem Traum). Alternativende nicht verstanden - wozu brauchte es das überhaupt?
Michael Schneiberg: Der Krieg der Geister
Ein Nomandenstamm macht die Bewohner einer Festung für den Tod einiger Stammesgenossen verantwortlich. Also packen sie ihre Schlitten und reisen durch den Schnee zur Festung. Sie wählen sie einen eigentümlichem Weg, um dort einzudringen.
Schneiberg kann schreiben, Szenen atmosphärisch dicht, handwerklich sauber geschrieben. Aber Thema hat mich kalt gelassen. Was soll das Ganze? Hat die "Festung" ein Geheimnis? Ist das überhaupt SF?
Nadine Boos: Omajowa
Deutsch-Südwest in einem Paralleluniversum. Die Omajowa-Farm wird von Germaans überfallen, scharzen Gastarbeitern, die aus dem Kaiserreich heimkehrten und im Land ihrer Großväter genauso ungelitten sind.
Tolle Idee, gut ausgeführt, dichte Atmosphäre, starke Dialoge, spannend und gut erzählt. Welche Rolle spielte der Verwalter? Erst spät wurde mir klar, dass Omajowa die Farm von Annes Eltern ist. Die letzten beiden Absätze etwas zu lamoryant und aufgesetzt. Trotz der leichten Schwächen eine starke Geschichte!
Ralph Doege: Balkonstaat
Ein totalitäres System der Zukunft erteilt Vergnügungsverbot, was auch ein totales Sexverbot beinhaltet. Doch Julia und ihr Mann entdecken nach drei Jahren Ehe die körperlichen Freuden. Welches Urteil erwartet sie dafür vor Gericht? Und welche Rolle spielt ihr Nachbar, Herr Ngasa?
Etwas hanebüchene Rahmenkonstruktion (keine Diktatur wird Sexverbot erlassen, höchstens den Sex instrumentalisieren), aber Charaktere, Orte, Atmosphäre - wunderbar eindrücklich und klar beschrieben. Gestört hat mich die konkrete Nennung der Musikstücke, am Ende hat er es übertrieben. Insgesamt aber eine gute Story, vielleicht Ralphs beste bislang!
Holger Eckhardt: Düsterkamps Didaktik
SS-Mann Düsterkamp durchstöbert mit einem Assistenten im Jahr 1945 ein Schulgebäude, das aus dem Jahr 2007 nach Berlin transferiert wurde. Eins von vielen sog. Chronofakten, mit denen sich Düsterkamps Geheimbehörde beschäftigt. In der Schulbibliothek entdeckt D. Bücher, die er selbst in der Zukunft geschrieben hat.
Interessante Variation bekannter Idee, sauber und humorvoll geschrieben mit netten, ironischen Seitenhieben. Dabei macht Eckhardt auch nicht vor Querverweisen zum eigenen Werk halt. Die 7 Schlußsätze sind mit zu explizit programmatisch und für die Story unnötig.
Jakob Schmidt: Alle Zeit der Welt
Die "Intelligenz", ein Netzwerk aus elektronischen Einheiten, verwaltet die Erde zu Nutzen der Menschheit. Dass dies ungewöhnliche Blüten treiben kann, bemerken die Krebskranken Stuart und Rebecca, als die nach einem jahrelangen Tiefschlaf auftauen.
Die Szenen sind gut und widerwärtig ausgeführt. Aber der Rahmen bleibt etwas blass. Von der "Intelligenz" erfahren wir nur - das aber explizit -, dass sie mit menschlichen Maßstäben nicht zu verstehen ist. Das Ende zu explizit, zu erklärend.
Thomas Wawerka: Die Göttin des Überflusses
Eine galoppierende Inflation zwingt die Überreichen, vorzeitig aus dem Tiefkühlschlaf zu erwachen. Das einzige, was sie sich von ihrem Geld noch leisten können: ein schöner Tod.
Hmm, alles etwas dünne. Idee so wenig tragfähig wie die Charaktere, Referenzen an Meister-Statuen erscheinen anbiedernd und im Zusammenhang unnötig.
Hartmut Kasper: Wenn man stürzt
Ein Mann glaubt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Um die Sache zu klären, wendet er sich an einen Kurator in einem Museum.
Die surreale, entrückte, eigentümliche Stimmung gut erfasst, eine Welt ohne Moral - sogar ohne Erinnerung an das frühere Vorhandensein einer Moral - gut dargestellt. Aber es packt mich nicht recht. Man wünscht sich mehr Hintergrundinfos über das Zustandekommen dieser Zukunftswelt.
Christian Günther: Dreistern Blau
An der Ostsee stranden 20 Flüchtlinge aus Osteuropa. Da gerade kein Lastwagen bereit steht, erhalten die deutschen Grenzsoldaten Schießbefehl. Nur Amir hat Gewissensbisse.
Heftige, eindrückliche Szene, man sieht alles sehr klar vor Augen. Die eingeschobene Weihnachtsszene reicht mir nicht ganz, um Amirs Verhalten zu erklären. Die Story ist ausbaufähig, so aber nicht mehr als eine durchaus gelungene Fingerübung.
Die Auslassungen über Hogans Gaststory und die Sachartikel folgen nach.
Gruß
Ralf
Bearbeitet von ShockWaveRider, 22 August 2008 - 10:45.