Philosophie - das ist eigentlich ein gutes Stichwort. Ich hab's bisher nur als Exkurs in die Meta-Diskussion wahrgenommen und deswegen gar nicht aufs Thema bezogen. Aber wenn es explizit als Antwort für Zukunftsmodelle genannt wird, gibt's dazu auch sicher eine Menge zu sagen.
Aus meiner Sicht ist die Philosophie derzeit eine tote Wissenschaft. Sie mag früher Impulse im Sinndiskurs gesetzt haben - im Augenblick ist sie den übrigen Geisteswissenschaften mit fliegenden Fahnen vorneweg an den Rand der Gesellschaft gestürmt, bemüht, die wichtigen Fragen nicht zu beantworten, sondern so umzudefinieren, dass sie zu den erwünschten Antworten passen.
Um das an einem praktischen Beispiel zu konkretisieren. Vermutlich hat jeder mitbekommen, dass die Frage nach dem "Freien Willen" derzeit ein ganz heißes Thema ist, angestoßen von Fortschritten auf dem Gebiet der neurologischen Forschung. Verschiedene Experimente deuteten darauf hin, dass Entscheidungen bereits getroffen waren, bevor die Fragestellung, die zu diesen Entscheidungen führte, überhaupt ins Bewusstsein drang. Das führte zu der Theorie, dass alle Entscheidungen schon vom Unterbewusstsein vorgegeben sind und wir, wenn wir sie zu "treffen" glauben, tatsächlich nur die determinierten Vorgänge rationalisieren.
Das mag so sein oder nicht. Es gibt andere Studien, und eine sehr interessante Kontroverse zu dem Thema, mit vielen zielführenden Beiträgen. Die so ziemlich alle von Neuropsychologen kamen. Insofern war ich natürlich sehr interessiert, als ich vor ca. zwei Jahren im Feuilleton der Süddeutschen einen Artikel zum Thema aus philosophischer Sicht entdeckte.
Er war lang. Es wurde viel kompliziert herumgeredet. Und als klar verständliches Fazit stand am anderen Ende, dass mit dem Gesagten klar bewiesen wäre, dass der Freie Wille existiert. Wenn man sich dann die Mühe machte, die Argumentation akribisch zu analysieren, musste man am Ende feststellen, dass die Kausalkette zwar makellos war, der eigentliche Knackpunkt des Artikels aber in den Festlegungen lag: Die wesentliche Leistung lag darin, den "Freien Willen" so zu definieren, dass er
trotz aller neuen Erkenntnisse der Neurologie gewahrt bleibt. Leider bedeutet das auch, dass diese "philosophische Definition des Freien Willens" erst mal etwas völlig anderes daraus machte, als irgendein nicht in eingeweihter Zuhörer sich zunächst einmal darunter vorstellen würde.
Das finde ich wenig hilfreich.
Aber symptomatisch.
Bei eigentlich allen philosophischen Feuilletonbeiträgen der letzten 10 Jahre musste ich, wenn ich mir die Mühe machte, feststellen, dass die Hauptaussage nicht in der Argumentationskette lag, sondern schon im deklaratorischen Teil der Texte. Damit hat also sozusagen der philosophierende Autor sein Fazit schon in die Prämisse gesteckt, und seine Hauptanstrengung darauf verwendet, diesen geraden Weg von Prämisse zum Fazit durch einen möglichst komplex wirkenden Argumentationsstrang zu verschleiern.
Da halte ich persönlich wenig von, weil ich darin eine ... "verschwurbelte"
Form des Zirkelschlusses sehe. Für die Bedeutung der Philosophie im Alltag sagt das allerdings zunächst mal wenig aus.
Würde die Philosophie auch nur mit ihren Definitionen das "Lebensgefühl" der Menschen treffen, und durch ihre Argumentation zur Bestätigung und Verankerung in der Kultur beitragen, könnte sie trotzdem als Bildner von "Zukünften" wirken. Religionen machen ja ganz gut vor, wie man über Prämissen den Alltag regieren kann. Nur leider trifft die Philosophie eben dieses Zentrum der Gesellschaft heute nicht mehr.
Die Philosophie ist mit allen Geisteswissenschaften in der Defensive. Die Deutungshoheit über die Welt haben vorläufig die Naturwissenschaften inne. Aber die Philosophie weigert sich dennoch, nach diesen derzeit gültigen kulturellen Spielregeln zu spielen und konzentriert sich in erster Linie darauf, dem ernsthaften Diskurs durch eifriges Hakenschlagen auszuweichen. Und damit trägt sie natürlich auch nichts ernsthaftes mehr zur Sinnfindung oder gar zur Zukunftsbildung des Menschen bei.
Die Philosophie hat sich in die Defensive drängen lassen und müsste dringend an ihrer eigenen Zukunft arbeiten.
Und das ist zumindest
meine Einschätzung zu der Frage, warum die Philosophie derzeit schlecht geeignet ist, Antworten auf aktuelle Anforderungen zu liefern. Und ich habe das Gefühl, dass damit ganz nebenbei auch ein Hinweis darauf gegen ist, warum Femowolfs "philosophierender" Ansatz hier ins Leere gelaufen ist - oder Widerspruch bis Desinteresse hervorgerufen hat.
Im Verlauf der Diskussion hier liegt eigentlich schon die Antwort darauf, welchen Eindruck die Philosophie heutzutage meist hinterlässt, und was für eine Rolle sie für das gesellschaftliche Bewusstsein spielt. Will sie als Zukunftsfaktor wirksam werden, muss sie in der Lage sein, ihre Beiträge so zu formulieren, dass sie nicht nur innerhalb der eigenen "Peer-Group" nachvollzogen und gebilligt werden.
Okay. Ich geb's zu. Mein Beitrag zum Kampf um die Lufthoheit überlanger Postings.
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)