
So ab Herbst, bis Mitte Dezember 2025 gelesen, zumindest zu Ende gelesen. Was so begonnen, abgebrochen wurde, sei hier verschwiegen.
Das Jahr endet mit "kontroversen" Texten, aber auch mit einem absoluten Highlight für mich: Sebastian Guhr!
So viele Bücher, die ich auf meinem SUB nach oben gelegt habe, die ich aber doch wieder nicht "geschafft" habe - aber so habe ich vieles, worauf ich mich im neuen Jahr freuen kann. Hat doch was.
Gerard Klein: „Die Herren des Krieges“
Nachdem mit die Titelstory der Anthologie „Der Planet mit den sieben Masken“ so ausnehmend gut gefallen hatte, musste ich mehr von G. Klein lesen! Nicht ganz uneigennützig, denn wir wollen ja ein Zine zum Thema „SF aus Frankreich“ zusammenstellen.
Dieser Roman macht schon was her. Muss damals auch ganz gut angekommen sein, wenn kein Geringerer als John Brunner ihn ins Englische übersetzt hatte. Die deutsche Übersetzung als TERRA-SF-Roman dürfte wieder mal gekürzt sein. Schade, denke ich, denn mir kam bei der Lektüre es durchaus so vor, als wären da Sprünge und ein paar Dinge erschienen mir unerklärlich. Als würde da was fehlen. Aber vielleicht hat der Autor es auch selbst so angelegt. Die Geschichte ist eine riesige Space-, besser: Time-Opera, eine fulminante, groß angelegte, aber auch haarsträubende Geschichte.
In einem galaktischen Krieg zwischen den Solar-Mächten (Menschen) und den Urianern, der bereits Jahrhunderte tobt, will unser Held Corson ein Monster auf den Heimatplaneten der Urianer aussetzen, das dort alles niedermetzelt. Das Monster hat aber noch eine andere Eigenschaft, die die Menschen bisher nicht wirklich kennen: Es kann kleine Zeitsprünge unternehmen. Bei Ankunft auf Uria hüpft das gefangene Monster in der Zeit und kann sich so befreien. Es stürzt zusammen mit dem Astronauten auf dem feindlichen Planeten ab. Allerdings ist der Zeitsprung nicht nur ein paar Sekunden, sondern gleich mal 6000 Jahre in die Zukunft erfolgt.
Jetzt gibt es keinen Krieg mehr zwischen Menschen und Urianern, ein anarchistisches, friedliches Utopia herrscht. Corson gilt jetzt als Kriegsverbrecher. Aber es gibt da so einen machtgierigen Nachkommen der Prinzen von Uria, der Corsons kriegerischen Kompetenzen ausnutzen möchte. Und ihn mit Hilfe der Zeitspringer-Monster, die inzwischen Freunde der Menschen und Urianer sind, durch Zeiten und Räume schickt, um einen perfiden Intrigenplan auszuführen. Na ja, der Rest ist Geschichte, eine abstruse, verrückte Geschichte. So richtig ernst kann man das Ganze nicht nehmen. Aber es war amüsant und unterhaltsam.
8 / 10 Punkte
Gerard Klein: „Schachbrett der Sterne“
Weiter mit den Zeitkriegsromanen des Herrn Klein. Ist nämlich auch so einer. Allerdings auf das Format eines TERRA ASTRA Romanheftes geschrumpft. Wie man in der isfdb nachlesen kann, wurde es zudem wohl aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Keine Ahnung, wieviel davon noch Klein ist…
Ein Raumschiff der im All ausgebreiteten Menschen aus der magellanschen Wolke gerät auf en Schlachtfeld unbekannter Über-Mächte, die gern Dritte involvieren, indem sie sie in die ferne Vergangenheit (230 Mill. Jahre) zurückversetzen. Dort dürfen sie dann gegeneinander Krieg führen – gern mit Raumschiffen, Atomraketen, aber auch Flitzebogen und zu Pferd. Hier entspinnt der Autor wieder ein komplett verrücktes Szenarium. Leider hatte ich beim Lesen mitunter echt den Eindruck, mir wurde hier nur das Exposé vorgelegt.
Unsere Magellaner wollen natürlich wieder zurück und machen bei den Kriegsspielen mit, um dadurch irgendwie das Geheimnis zu ergründen, wie sie die Zeit manipulieren können. Wie das zusammen passt, habe ich nicht kapiert. Komplett unlogisch, das alles.
Wieder spielt ein monsterhaftes Wesen eine Rolle, das intelligenter ist, als die Menschen gemeinhin glauben. Aber der Raumschiffkapitän hat ihm Schachspiel beigebracht und kann sich mit ihm verständigen. Und dieses Monster kann eventuell den Weg in die ferne Zukunft aufzeigen. Oder auch nicht…
Man lernt natürlich Vertreter der großen Mächte kenne, die da im galaktischen Hintergrund seit tausenden von Jahren Krieg führen, bzw. Krieg führen lassen. Die können „helfen“, wieder in die eigene Zeit zurück zu kehren, wollen dafür aber das besagte Monster ausgeliefert bekommen, vor dem sie echt Angst haben.
Was für eine Klamotte – 7 / 10 Punkte
Peter Schneider: „Lenz“
Eine Bildungslücke geschlossen – zufällig. Auf den Autor gestoßen bin ich durch den Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“ in dem auch über das Verhältnis des Sohnes von Mengele zu seinem Vater erzählt wird. Und darüber hatte nun wiederum Peter Schneider geschrieben. Aber mein Interesse schwenkte dann zu dieser Büchner-Hommage, die ja auch irgendwie mich selbst mehr berührte. Obwohl ich natürlich kein westdeutscher Alt-Linker bin, kein 68er, aber eben als „Ossi“ mit vermeintlich linken Idealen aufgewachsen. Jetzt wollte ich mal wissen, wie so Linke im Westen, also solche, die sich als links ansahen und ansehen, verhalten haben.
Ja, interessant, aber weit weniger aufregend als ich dachte. Vielleicht ist die Zeit auch weiter fortgeschritten. Aber die Wohlstands-Linken gibt es ja immer noch, die der Protagonist hier etwas ungläubig wahrnehmen muss und die ihn in seinem revolutionären, proletarischen Elan ausbremsen. Mit den „echten“ Arbeitern kommt er aber auch nicht zurecht. Ein Fazit kann ich gar nicht ziehen; gibt es eins?
(keine Wertung)
Thomas Melle: „Haus zur Sonne“
Hatte mir mehr von versprochen. Der Autor verarbeitet hier wiederum seine bipolare Erkrankung, die sich seit dem letzten Roman*, den ich von ihm dazu gelesen hatte, verschlechtert hat. Wobei mir natürlich nicht bewusst ist, ob das Beschriebene wirklich hundertprozentig autobiografisch ist, denn der „Ausweg“, den er hier für sich andeutet, ist ja mit Sicherheit fiktiv.
Es gibt ein Institut, eine medizinische Einrichtung, das „Haus zur Sonne“, in dem Menschen einkehren können, die sterben wollen.
Der Ich-Erzähler will sterben, weil vor allem seine manischen Phasen immer unerträglicher werden, die depressiven aber auch. Im Haus zur Sonne bietet man ihm an, alles erleben zu können, was er möchte, sich vorstellen kann, was ihn glücklich machen kann. Am Ende wird er aber in den Tod begleitet.
Er ist dort nicht allein, andere Menschen haben andere Gründe, sterben zu wollen; meist unheilbare Krankheiten.
In dem Roman geht es vor allem um den seelischen Zustand des Erzählers, dann auch um die „Erlebnisse“ in dem Haus, also die von den Medizinern erzeugten Traum-Sequenzen.
Nun, seine manisch-depressiven Befindlichkeiten, sein Leidensdruck, dem er dadurch ausgesetzt wird, die wirklich erschreckend sind, für mich nicht nachvollziehbar (natürlich, sowas möchte ich nie erleben), sind schon sehr eindrucksvoll beschrieben, aber das kannte ich ja schon durch seinen anderen Roman.
Die „Erlebnisse“, die er dort träumen kann, sind beliebig und austauschbar; da bleib auch wenig bei mir hängen. Sie sind ohnehin nur Hinhalte bis zum bitteren Ende, oder?
Er lernt dort auch andere Insassen kennen, mit denen er sich auch etwas anfreundet. Können diese menschlichen Bindungen ihn retten, ihm helfen? Durch seine Krankheit hat er ja auch alle Freunde verloren. Wird er wirklich den Tod finden? (Und wenn ja, wer erzählt dann diese Geschichte?)
8/10 Punkte
*) siehe Orwell, Orwell, Melle... (T.H.s. Leseliste) - SF-Netzwerk
Gilles d’Argyre: „Die Herrschaft des Zufalls“
Hinter dem Autorennamen verbirgt sich Gérard Klein, von dem ich zuvor 2 „Bücher“ gelesen habe (eins davon war ja nur ein Heft, ein stark gekürzter Roman).
Diesmal ist der Ansatz ein eher gesellschaftlich-politischer, vielleicht satirischer, aber auch utopischer: Menschheit auf der Ede auf 120 Millionen geschrumpft. Dafür 200 Welten galaxisweit besiedelt. „Regiert“ wird diese Gemeinschaft von einem von einem Zufallsgenerator ermittelten, also per Los-Verfahren (nicht) „gewählter“ Repräsentant. Diesmal erwischt es jemanden der mit diesem Amit absolut nix anzufangen weiß. Aber er muss… Zumal bald auf ihn ein Attentat ausgeübt wird, er gejagt, entführt wird und auf seiner Heldenreise natürlich reift.
Was utopisch beginnt, geht über in eine für den Autor typische bizarre, haarsträubende, üppige Space Opera. Es gibt einen anonym bleibenden Alien-Feind, mit dem sich unser Held aber aussöhnen kann. Und es gibt eine Untergrundbewegung, die komischen Demokraten, und eine Untergrundwelt, eine irgendwie libertär-liberale, anarchistische Welt in den alten Metroschächten von Paris.
Wie das endet und wie mir mundet, kann man dann im Frankreich-Spezial unseres NEUEN STERNS im Sommer 2026 lesen.
7 / 10 Punkte
Jerk Götterwind: „Das Atelier in Schielding“
Kurzer, knackiger Horror-, besser: Gruselroman um die Geheimnisse eines Malers, Pictor (nomen est omen), der sich vor 200 Jahren in die Einöde zurückzog, um wahre Kunst zu schaffen. Die scheint aber etwas zu lebendig geworden zu sein. Das wollen in unserer Zeit zwei Kunststudent*innen rausbekommen und erleben auch ihr grusliges Wunder.
Hat mir gefallen, ist kurzweilig, auch wenn das Genre mit dem Roman nicht neu erfunden wird.
8 / 10 Punkte
Hans Dietmar Sievers: „Halbhorsts Erzählungen“
Diese neue Sammlung von Erzählungen, fast ein Roman, könnte man als dystopische Polit-Satire bezeichnet. Deutschland in naher Zukunft ist wieder mal in Besatzungszonen aufgeteilt, weil die NATO wohl den Krieg gegen Russland verloren hat. Aber irgendwie waren die staatlichen Maßnahmen vorher auch schon stark freiheitsbeschränkend, so, als würden die Corona-Maßnahmen weitergehen: also, nur Straßenbahnfahren mit gültigem Impfausweis z.B. Außerdem wurde ein Sozial-Score eingeführt und wer den unterschreitet kann nicht mal mehr die Regionalbahn nutzen.
Was die Zukunft bringt, weiß ich natürlich auch nicht. Dass es so haarsträubend wird, glaube ich nicht. Aber es ist ja ohnehin nur satirisch gemeint, wobei mir ein paar Witze nicht wirklich gelungen wirkten, für meine Begriffe.
Der Detektiv ist von der Sorte der traurigen (Noir-) Detektive, immer hart am Absturz. Aber er nimmt das alles ziemlich cool auf. Der kurze, knappe Erzählton des Autors hilft ihm dabei. Sogar eine Zwangsrekrutierung für den Krieg im Osten überlebt er und kehrt heim, ohne damit groß Aufsehen zu erregen.
Unterm Strich: War mal eine kurzweilige, durchaus streckenweise unterhaltsame Exkursion, von der ich aber erst mal auch nicht mehr brauche. Das politische Grundrauschen ist nicht so meins; ich finde, die Gesellschaftskritik kratzt an den falschen Stellen. Wir haben eventuell ganz andere Problemfelder in naher Zukunft, an denen wir uns die Zähne ausbeißen; verspätete Zwangsimpfungsmaßnahmen würde ich nicht dazu zählen.
Mehr darüber im ersten NEUEN STERN des Jahres 2026. Ich vergebe mal keine Punkte.
Michael Tillmann: „Jenseits des Zeitgeistes lauern Gespenster“
Und gleich weiter auf diesem Spielfeld. Diesmal mehr Phantastik / Grusel, aber auch gesellschaftskritische Satire – wiederum aus einer Sicht, die nicht meine ist. Aber ich war neugierig und außerdem ist der Autor ja ein sehr guter Schreiber. Das hat er auch in einigen Texten in diesem Band unter Beweis stellen können, in anderen eher nicht.
Der Untertitel, der dem Autor auch sehr wichtig ist, lautet: „Anti-Wokeness-Phantastik“. Der Autor ist sehr engagiert dabei, seine Sichtweisen an die Phantastik-Interessierten zu bringen. Die Stories in diesem Band, in denen seine Botschaften im Vordergrund stehen, leiden meiner Meinung nach darunter. Die Plots sind kaum vorhanden, übernatürliche Erscheinungen sind oft nur Platzhalter, es geht ihm halt mehr um das Proklamieren von Meinungen, die – so der Autor – subversiv gegen den sog. Zeitgeist gerichtet sind.
Mir hat die Lektür am Ende nicht so viel Laune gemacht. Im Vergleich dazu fand ich die Stories von Dietmar Sievers unterhaltsamer, weil wenige bissig, lakonischer, schwarz-humoriger. Ich will aber keine Äpfel mit Birnen vergleichen, obwohl es durchaus ideologische Überschneidungen gibt.
Mehr dazu von mir auch im 1. 2026er NEUEN STERN dann. Ich lass es hier auch mit der Punktewertung weg.
Sebastian Guhr: „Chamissimo“
Endlich gelesen! 2022 gekauft, als das Buch neu rauskam. Formal ist es ein biografischer Roman, aber es ist eben auch ein „echter Guhr“. Was das heißt? Ich weiß gar nicht so genau. Ich weiß nur, dass ich im Grunde alles von dem Autor lesen möchte, weil er einfach supergut schreibt.
Das Buch ist nicht sehr umfangreich, als Biografie vielleicht nicht ausreichend. Für mich ist es sehr gut vergleichbar mit Kehlmanns „Vermessung der Welt“. Wobei sich hier S. Guhr auf eine Person konzentriert. Anders als in dem vorherigen Roman – „Mr. Lincoln & Mr. Thoreau“ (siehe hier), im gleichen Verlag in gleicher Aufmachung. (Eine Serie? Wo noch mehr kommt?) – wo ähnlich wie in Kehlmanns Buch zwei historische Figuren / Persönlichkeiten quasi im Vergleich miteinander portraitiert werden.
Den Dichter, Wissenschaftler und Weltreisenden Chamisso kannte ich zuvor eigentlich nur dem Namen nach. Der Autor vermochte es aber hervorragend, die Person, in all ihrer Widersprüchlichkeit und damit charmant und einfühlsam näher zu bringen. Sein Lebenslauf ist ein Roman, da braucht der Autor gar nicht viel zu erfinden, um hervorragend zu unterhalten.
Mir hat auch die Begegnung mit einer „Nebenfigur“ aus dem Leben Chamissos gefreut: ETA Hoffmann und seine „dunkle Sicht“ auf das Leben und die Poesie. Einfach Klasse!
Soweit mein kurzer Eindruck, der hier nur sehr unvollkommen beschreibt, was das kleine Buch alles enthält. Der Autor ist ein Meister der Verknappung, des auf den Punkt Bringens. Ein Kleinod & Meisterwerk!
11 / 10 Punkte