Ich habe tatsächlich die nächsten beiden Geschichten gelesen, eine gestern Abend, die andere heute Morgen.
Dabei ist mir auch etwas aufgefallen. Schmids Kurzgeschichte fängt sehr nach meinem Geschmack an, einfach in der Action, in einem sehr spannenden Moment (die Hauptfigur Adrana liegt im Sterben). Auch weiterhin ist die Story außergewöhnlich spannend, Adrana gerät in größtmögliche Schwierigkeiten, lernt eine Menge, macht eine immense Entwicklung durch.
Im Gegensatz dazu beginnt Rosenbergs Story sehr erzählend (fast schon im "Es-war-einmal-Style") und ich bekomme erst alle möglichen Informationen, bevor endlich, ganz langsam, die Handlung beginnt. Dann ist die Story nicht uninteressant und es steht auch ein bisschen etwas für das erzählende Ich auf dem Spiel, aber es ist ganz massiv weniger spannend als Schmids Story. Selbst die Aussagen (ich habe drei gefunden, wobei nur eine davon einen Abschluss findet) bleibt extrem subtil.
Nachdem ich so einiges von Autorx Rosenberg gelesen habe, würde ich mal vermuten: Das ist oft so. Keine spannende, vordergründige Story, aber eine Menge unter den Zeilen (was mal mehr, mal weniger interessant für uns Lesende sein mag). Für mich läuft diese Art von Kurzgeschichte immer stark unter "Abbruchgefahr"; weil ich keinen Sog verspüre. Ich sehe, Helge ging es hier anders. Diese Story ist auch interessant, aber spannend würde ich sie wirklich nicht nennen. Gerade im direkten Vergleich fällt das sehr auf.
However, beide Storys sind lesenswert, sowohl Schmid als auch Rosenberg, auch wenn ich mich bei Rosenberg permanent geärgert habe, aber dazu später.
Kornelia Schmid: Ein Augenblick im Kuun
Eine der spannendsten Storys bisher in der Anthologie. Es geht richtig um was (nicht nur um Andranas Leben, auch um die Kolonie, die Ureinwohner, das Zusammensein usw.). Der Plot ist wirklich recht bekannt (wie Helge schon erwähnte). Ich freue mich immer, wenn ich in der SF Storys lese, die Kolonialismus kritisch betrachten, nur hier hat die Autorin wirklich sehr naheliegende Plot-Momente gewählt, vor allem gegen Ende hin. Gelesen habe ich die Story trotzdem gern, weil mich Adranas Schicksal und auch ihre Figur interessiert hat.
Sprachlich hatte es auch viele gute Momente "Ihre Hände ... starr, wie aus Metall gegossen".
"Die Welt zerfloss. Und Adrana atmete noch einmal aus."
Die wörtliche Rede macht auch Spaß, bestes Beispiel "Niemand kann von mir erwarten, dass ich das da jetzt unterzeichne. Ich sterbe gerade."
Oder auch schöne Ideen: "Aber diese innere Stimme ... war es die Stimme der Vernunft oder der Feigheit? Manchmal waren die beiden nur schwer voneinander zu unterscheiden."
(Oder auch, ob man etwas Droge oder Medikament nennt. Der Humor hat bei mir immer gegriffen.)
Adranas Volk bewohnt einen Planeten (Waruu), auf dem schon ein anderes Volk (die Subaan) lebt. Mit denen liegen sie im Krieg und die empfinden sie als weniger entwickelt. Der Klassiker also. Das Volk hat einen ziemlich cleveren (und auch irgendwie fairen, sehr nachhaltig wirksamen) Plan ersonnen, wie sie Adrana mitteilen können, wer sie tatsächlich sind. Das hat Spaß gemacht. Der Schluss ist natürlich dann naheliegend, aber ein anderes Ende hätte mich auch verstört.
Ein bisschen läuft an einer Stelle ein Plakat durchs Bild (da denkt Adrana ihre Vorurteile und ihre Entwicklung ein wenig zu deutlich, man muss mir die Prämisse hier nicht erklären), aber sonst bin ich hochzufrieden.
Dieses "Wie" verdient Originalitätspunkte, so klassisch der Plot auch sein mag. Es gibt ein tolles Gleichgewicht zwischen Adranas Gedanken und Action außen. Tolle Story!
Jol Rosenberg: Familienhilfe
Wie gesagt, der Anfang ist sehr “Ich erzähle euch mal was”-mäßig und es dauert etwas, bis es losgeht. Einige schreiben ja schon, dass sie den Anfang mögen. Ich bevorzuge, dass die Story sofort beginnt und nicht erst eingeleitet wird, das macht mich ganz ungeduldig.
Aber nun gut. Das erzählende Ich (geschlechtslos, Pronomen “sie”) ist eine biologisch-mechanische Einheit. Sie hat vorher im Bergwerk gearbeitet, das war sehr hart und wird oft angedeutet. Dort arbeiten jetzt aber andere Einheiten mit weniger Emotionen, sie kann nicht zurück und braucht eine neue Aufgabe. Also: Familienhilfe.
Es gibt eine Menge Humor hier, der bei mir aber überhaupt nicht wirkt.
Das erzählende Ich kommt zu Familie Müller, zwei Erwachsene, vier Kinder. Zwei Kinder sind eher sehr jung (eines wird meistens noch getragen), zwei sind Schulkinder, die sich ein Zimmer teilen. Finn habe ich als nonbinär gelesen, Pronomen (vermutlich em), aber ems Klassenkameraden lesen em leider gern weiblich und missgendern ihn. Finn hat massiv mit Transfeindlichkeit zu tun und leidet darunter. Das scheint mir aber nur ein Nebenthema zu sein und findet keine Lösung oder einen Abschluss, genausowenig wie die Depression des Vaters Thomas.
Es geht einzig um das erzählende Ich, das ein Zuhause, eine neue Aufgabe braucht.
Sprachlich ist nichts auszusetzen, stilistisch geht es mir manchmal etwas langsam voran. Vermutlich übersehe ich auch Themen und Plots unter den Zeilen, aber ich mag mich nicht tiefer mit der Story beschäftigen.
Das ist nämlich absolut nicht meine Story! Mich regt die Story total auf. Ja, es geht um das erzählende Ich. Aber müssen deswegen alle Familienmitglieder dermaßen blass bleiben? Die Familie hätte ja auch kleiner sein können. Gregory wird kaum erwähnt, kann der dann nicht weg? So hat es was von “viele Kinder sind per se anstrengend”. Na, meinetwegen, aber drei wären auch genug. Und so habe ich irgendwie toten Ballast in der Story. Figuren, die nur einen Namen und kein Gesicht haben.
Der Vater spielt mitten im Chaos einfach ein Computerspiel? Alleine das macht mich schon fertig. Und ein brutales, für alle Kinder sichtbar. Kein Wunder, dass der kleine Jonas gern mit Stuhlbeinen um sich schlägt. Oh Mann, musste das wirklich so dick sein?
Okay, der Vater ist ja offenbar depressiv, aber trotzdem. Die Mutter hat immer alle Hände voll zu tun, muss offenbar auch alles alleine machen, denn der Vater kann ja nicht. Ist das nicht zu wenig verfremdet? Ich kenne zu viele Mütter, denen es so geht, ganz ohne dass der Vater krank ist. Und es geht ja hier nicht um die Mutter, und auch nicht um den Vater.
Die beiden jüngeren Kinder sind auch auf sehr wenig originelle Art und Weise anstrengend. Klar, es wird gehauen und es gibt klebrige Hände, sie klettern auf Rücken. Wo sind da die altersentsprechenden Trotzanfälle? Schreien in höchsten Tönen, dass einem das Trommelfell zittert? Gefährliche Situationen (Regale hochklettern), irgendwas, was einem wirklich Stress macht,oder zum zigsten Male ältere Geschwister quälen, die dann zurückhauen und zwar viel zu doll?
Das Familienleben blieb mir doch viel zu blass.
Hier kommt es darauf an, wer die Story liest. Ich, als Mutter zweier recht junger Kinder, fühle mich von der Story total ungesehen. Meine Probleme werden überhaupt nicht so thematisiert, wie ich mir das wünschen würde. Mich interessiert der Android, der nicht mal zu schlafen braucht, überhaupt nicht. Und plus, ich kriege nur Schrecken, wenn ich die Story lese und mir ernsthaft erklärt wird, eine Person, die bis auf drei Tage den gesamten Monat 24 Stunden am Tag anwesend ist und hilft, würde die Situation nicht verbessern. Ernsthaft? Aber sicher würde sie die Situation verbessern! Die Mutter könnte vielleicht mal alleine auf’s Klo gehen. Ein echtes Essen kochen, für das man sich etwas Zeit nehmen muss. Neue Socken anziehen. Irgendwas eigenes tun, ohne mitten in der Nacht aufzustehen.
Ich finde, solche Texte schaden Menschen, die in einer Situation wie ich sind, oder wie viele Freundinnen von mir zurzeit auch. Das liest sich wie “Nur wenn man übertrieben viele Kinder - sagen wir mal vier - hat und der Mann depressiv ist, kriegt man Probleme. Sonst kommt man ja gut klar. Und dann sind die Probleme so gravierend, da hilft auch eine dritte als erwachsen zu verwendende Person nicht.”
Ich weiß, es ist meine sehr persönliche Sichtweise, aber dieser Text hat mich sehr aufgeregt und wütend gemacht. Sorry dafür.