Ich stelle fest, dass wir gerade weniger über Sicherheitsaspekte sprechen und mehr darüber, ob überhaupt mehr Handlungsbedarf besteht als bislang. Ich glaube schon, dass mehr Handlungsbedarf besteht.
Ich stimme Euch in vielem zu. Selbstverständlich bergen KI auch hilfreiche Anwendungen. Manche Phänomene und Probleme sind auch nicht neu und aufhalten lässt sich die Entwicklung von KI sicher nicht. Das Besondere an der gegenwärtigen Technologie und der damit verbundenen Entwicklung ist aber die Gründlichkeit, mit der das betroffene Phänomen auf die Spitze getrieben wird, die Skalierbarkeit der Technik und das eklatante Hinterherhinken der notwendigen Regulation. Die Applikationen sind schon unter uns und werden, sobald sie erscheinen und Nutzen versprechen, sofort eingesetzt, auch von Otto Normalbürgeri. Beispiel: Die Urheberrechtsdebate hat gerade erst begonnen, da werden Graphikassistenten bereits im großen Maßstab eingesetzt, nutzen ungehindert die Werke der Menschheit als Vorlage und haben bereits dazu geführt, dass bei Graphikern die Aufträge eingebrochen sind.
Verbundenes Beispiel: Erwerbsarbeit. Die ersten davon betroffenen Dienstleistungen werden meist diejenigen sein, die am Schreibtisch stattfinden. Das wird in einem viel größeren Ausmaß und in einem viel kürzeren Zeitraum stattfinden als die üblichen Umbrüche und vergleichbar mit den großen Wirtschaftskrisen sein. Darauf werden auch bald Dienstleistungen folgen, die körperlichen Einsatz benötigen, weil die Robotik gerade exponentiell mit der KI nachzieht. Beide profitieren voneinander. Und wie gesagt: Es gibt keinen ernsthaften Plan für dieses Szenario, obwohl klar ist, dass so schnell neue Jobs in dem Ausmaß nicht entstehen werden. Das bedingungslose Grundeinkommen ist bis heute ein Konzept geblieben, das die meisten Parteien nicht ernst nehmen.
Ein weiteres Problemfeld: Desinformation. Sie hat es auch schon immer gegeben, doch demnächst lässt sie sich in einer noch nie dagewesenen Perfektion umsetzen, und zwar nicht nur in Bezug auf übliche Bewertungskriterien wie die Plausibilität einer fotographischen Abbildung, sondern sogar maßgeschneidert auf den Adressaten, und damit meine ich nicht eine Volksgruppe, sondern ein ganz konkretes Individuum. Es lassen sich demnächst hochspezialisierte Agenten auf einzelne Personen ansetzen mit einem für den Initiator relativ geringen Aufwand, da die Vorbereitungen und die Performanz automatisiert ablaufen. Und das nicht nur für ein paar ausgewählte Personen, sondern für jeden Menschen in der Bevölkerung, der entsprechende Medien konsumiert, was demnächst quasi jeden betreffen wird. Das ist schon eine neue Qualität. Zugleich fangen wir erst an, Richtlinien aufzustellen, während die großen Unternehmen mehr oder weniger widerwillig beginnen ihre Werkzeuge zu überwachen, was sie ja viel Geld kostet, und die Menschen bereits munter konsumieren, ohne dass wir ein schlüssiges Konzept hätten, wie Fälschungen in jedem einzelnen Fall von allen Betroffenen entlarvt werden könnten.
Und hier fügt sich ein weiteres Glied in die Dominokette: das politische System z.B. die Demokratie. Was wird aus ihr, wenn kaum mehr jemand Vertrauen in online Medien finden kann? Wie informieren sich die Menschen dann? Wie bilden sie sich ihre Meinung?
Sollten wir nur mit den Schultern zucken und sagen: Na ja, das Problem hat es schon immer so oder ähnlich gegeben. Einfach mal abwarten. Es ist schon immer gut gegangen und falls nicht, auch egal? Ich glaube, damit würden wir der Sache nicht gerecht.
Bearbeitet von Christian Hornstein, 25 Mai 2024 - 10:27.