Bei einer Story bin ich mal faul und poste das, was Christian schon ganz hervorragend ausgearbeitet hat.
Ich schließe mich seinen Ausführungen uneingeschränkt an.
Ja, genau, wobei ich glaube, dass Roland Grohs nicht objektifizieren oder jemanden reduzieren wollte, letztlich aber genau diesen Eindruck erweckt aufgrund der stereotypen Darlegung.
Das weiße Zelt
von Michael Schneiberg
Halbwegs konsequent und einfühlsam aus der Perspektive eines Kindes und mit vielen Alltagselementen aus dem Leben einer Familie zur Plausibilisierung des Settings erzählt uns die Hauptfigur von einem klassischen Pandemie-Szenario, das wir leider alle aus eigener Anschauung gut kennen, wenn auch in recht verschiedenen Varianten und die meisten von uns nicht in der Dramatik, die in der Geschichte entfaltet wird. Ich finde, man merkt es dem Text an, dass er aus genau diesen Erfahrungen schöpft. Die Beschreibungen unterscheiden sich nur in relativ geringfügigen Details von dem, was wir unter Corona erlebt haben. Der Virus, um den es im vorliegenden Text geht, wirkt auf kognitiv, und zwar auf die Sprachzentren. Das ist nicht ganz neu im SF-Genre (siehe z.B. der zunächst letzte Film New Kingdom aus der Reihe Planet der Affen) und erhält hier leider keine originelle Vertiefung, auch wenn die Überlegungen des Kindes zum Einfluss der Namensgebung von Dingen auf die Natur der Dinge und unsere Haltung zu ihnen ein nettes Leitmotiv ist, das sich am Schluss mit der Viruswirkung verbindet. Das Sprachthema wirkt eher wie eine Metapher für die Änderung der Lebenswelt der Menschen durch die Pandemie. Insofern hätte die Geschichte auch nicht unbedingt SF sein müssen.
Illustration von Dirk Berger
Die Illustration von Dirk Berger bietet ein zur Geschichte passendes Motiv: Ein einsam wirkendes Kind, das allein vor dem weißen Zelt mit dem Zeichen für Biohazard sitzt. Man sieht es von hinten, was Projektionen zu seinem Gesichtsausdruck/Gemüt zulässt, vor einem übergroß wirkenden Zelt mit schwarzem, undurchdringlichem Eingang. Das Sonnenlicht fällt von links auf das Kind und verleiht ihm eine Art Gloriole, ein Sinnbild für das Besondere und Gute, das es in der düsteren Welt darstellt. Der Stil ist einem Acrylgemälde mit groben Pinselstrichen nachempfunden, wahrscheinlich nicht wirklich gemalt, sondern ein Filter, vielleicht auch das nachbearbeitete Bild einer Graphik-Assistenz, jedenfalls deuten manche Details darauf hin.
Kleine Anmerkung: Den Einstieg mit dem gewollt alternativen aber gekonnt eher spießigen Familienleben mit den Selbstverwicklungsversuchen beider Eltern und der Arbeit des Vaters fand ich zunächst langweilig und uninteressant. Dann kam der letzte Satz des ersten »Kapitels«: »Meine Mutter hätte sicher noch weitere Kinderbücher illustriert, wäre meine kleine Schwester nicht so plötzlich und grausam am Virus gestorben.«
Wumm! Das haute richtig rein. Und danach hatte Michael mich gefesselt.
Yvonne Tunnat: Besuch für die Astronautin (I: Uli Bendick)
Inhalt: Alterspflegerin Jenny besucht, wie jeden Tag, die greise Astronautin Karla, Pflegling und Jennys Freundin. Doch heute hat sie Besuch. Karla wird abgeholt von ihrer 40jährigen Astronautenmutter, die von einer längeren Weltraummission zurückgekehrt ist.
Fazit: Ganz stimmungsvoll eingefangen, vor allem Jennys facettenreiche Gefühle für Karla, aber die Zeitdilatations-Pointe ist doch etwas abgestanden. Dafür gab es selbst in dieser kurzen Story zuviel Zierrat. Schön wäre es, wenn der Text das Anfangskapitel eines Romans würde, in dem die Problematik einer zweimaligen Mutter-Tochter-Beziehung verhandelt würde. (Jennys Eifersucht könnte gut als dramaturgischer Treiber in einem klassischen Drama-Dreieck dienen.)
Uli Bendicks Illu zeigt Karla und ihre Mutter von hinten vor einem Astronautenhelm auf einem Sessel vor einem blauen Planeten. Sehr symbolisch, sehr passend und ästhetisch ansprechend.
Uwe Hermann: Ein Stückchen Erinnerung (I: Nicole Erxleben)
Inhalt: Ein Astronaut erwacht, in einem Raumanzug in den Weiten des Alls treibend. Ihm wird bewusst, dass er eine Katastrophe überlebt haben muss, aber ohne Aussicht auf Rettung. Schließlich gibt es Funkkontakt mit Wissenschaftsoffizier Caroline, die ihm aber weder die Namen seiner Töchter noch die genaue Unfallursache mitteilen kann. Doch genau darauf kommt es gewissen Personen an.
Fazit: Ich mag ja solche Szenarien, wenn ein Astronaut einsam im All seinen sicheren Tod erwartet (z.B. Andreas Eschbach »Die Wunder des Universums«, Matthias Falke »Boa Esperança«). Die Gedanken des Raumschiffkommandanten an seine Familie sind sehr einfühlsam beschrieben. Die wohlbekannte Pointe ist hier passend und gut eingebunden.
Nette Stilblüte (S. 47, links, Z. 14-17): »Es schien, als hätte sich mein Verstand schon mit der Tatsache abgefunden, auch wenn mein Kopf sie noch nicht hatte wahrhaben wollen.«
Nicole Erxlebens comicartige Illustration passt und gefällt.
Comic:
Volker Dornemann: Volkertoons‘ STEINE
S. 48: Die Steine bewundern einen steinigen roten KI-Quader. Den Witz habe ich wohl verpasst.
S. 81: Endlich lüftet mal jemand das Geheimnis von Stonehenge. Und das ist richtig süß.
Lothar Bauer: Kunst und KI (Galerie-Einleitung)
Der Künstler stellt sich selbst und seine künstlerische Herangehensweise mit und ohne KI in der dritten Person vor.
Fazit: Und das macht Lothar richtig gut. Interessant und informativ.
Lothar Bauer: »die Galerie«
Diese Explosionen aus Farben, Technik und Aliens, oftmals mit einer gehörigen Portion Pathos aufgetragen, sind genau die Bilder, die mich als etwa 10jähriges Kind zum Science-Fiction-Fan gemacht haben. Ich bin von fast allen Bilder überwältigt, insbesondere von der Verschlingung der Dimensionen in »Verwerfung« und dem perspektivischen Sog in »Inwards Radiant«. Trotz dieser quantitativ und qualitativ überwältigenden Ernte habe ich ein Lieblingsbild: »Cor«. Dieses Wesen, das pflanzliche, tierische und maschinelle Elemente vereinigt, fasziniert mich total.
Auf die Plagiatsvorwürfe gegen Lothar gehe ich an dieser Stelle nicht ein, möchte sie aber nicht unerwähnt lassen.
Maria Orlovskaya: Slide Machine (I: Jan Hoffmann)
Inhalt: Jesse versucht, ihrem schlechten Leben, insbesondere dem Frauenschläger Alec, mit dem sie in einer toxischen Beziehung lebt, durch einen Wechsel in ein Paralleluniversum zu entkommen. Solche Transsitionen sind illegal. Aber sie findet einen Anbieter und geht den Schritt. Im neuen Universum kennt Alec sie noch gar nicht. Aber der Übergang ist nicht einseitig. Und er steht prinzipiell allen offen.
Fazit: Grundidee großartig, sehr eindrücklich beschrieben, wenngleich für meinen Geschmack zu viele historische Details der Beziehung aufgearbeitet werden und zu viele Nebenfiguren eingeführt werden. Insgesamt bleibt es aber spannend, die Pointe sitzt.
Jan Hoffmanns collagenhafte Vignetten visualisieren den Übergang zwischen den Universen. Ganz dekorativ, spricht mich aber kaum an.
Gruß
Ralf
Bearbeitet von ShockWaveRider, 12 September 2024 - 06:54.