@ Uwe:
Ich sehe, was du meinst, halte das aber nicht für ein spezifisches Problem der deutschen SF-Szene. Dass Preise nicht unbedingt kommerziellen Erfolg bedeuten bzw. kommerziell erfolgreiche Werke nicht unbedingt (literarische) Preise gewinnen, hast du ja selbst geschrieben. Und wenn diejenigen, die nominiert haben, nunmal keine Morris-, Peterson- oder Tree-Fans sind (oder sie etwas gefunden haben, dass sie für besser aka preiswürdiger halten), dann ist das halt so. Wenn ich irgendein Werk nominiert hätte (habe ich schon länger nicht mehr, weil ich nicht mehr ausreichend deutsche SF "in der Breite" lese), wäre da auch sicher kein Morris oder Peterson dabei gewesen, weil ich es mit beiden Autoren irgendwann mal versucht ... und irgendwann beschlossen habe, dass beide für mich eher nichts sind (oder ich nicht der geeignete Leser bin). Und das liegt keineswegs daran, dass ich nur literarischere Romane lese, ganz im Gegenteil, ich mag auch schlichte Abenteuerliteratur im weiteren Sinn, aber Morris und Peterson waren es damals für mich nicht.
Was nun diesen "tiefen Graben", oder dieses "absichtliche, gegenseitige Ignorieren" angeht, das du zu erkennen glaubst, lohn vielleicht ein Blick über den großen Teich (auch wenn wir da alle - oder zumindest die meisten von uns - momentan nicht so gern hinschauen). Wie im anderen Thread gemeldet, wurden da vor kurzem die Nominierungen für den Nebula Award bekanntgegeben, und der Nebula lässt sich im Hinblick auf Nominierungs- und Abstimmungsverfahren gut mit dem KLP vergleichen (er war bei der Installation des KLP ja das erklärte Vorbild).
Von den sechs nominierten Romanen stammt einer von einer wirklich populären Autorin (T. Kingfishers A Sorceress Comes to Call), der Rest teils von etablierten, teils von weniger bekannten Autorinnen und Autoren. Hierzu ein paar Zahlen:
Sleeping Worlds Have No Memory, Yaroslav Barsukov (Caezik SF & Fantasy) - Amazon: 38 ratings; Goodreads: 106 ratings, 71 reviews*
Rakesfall, Vajra Chandrasekera (Tordotcom) - Amazon: 46 ratings; Goodreads: 713 ratings, 268 reviews
Asunder, Kerstin Hall (Tordotcom) - Amazon: 134 ratings; Goodreads: 970 ratings, 324 reviews
A Sorceress Comes to Call, T. Kingfisher (Tor; Titan UK) - Amazon: 2.227 ratings; Goodreads: 29.858 ratings, 5.703 reviews
The Book of Love, Kelly Link (Random House; Ad Astra UK) - Amazon: 696 ratings; Goodreads: 7.704 ratings, 1.820 reviews
Someone You Can Build a Nest In, John Wiswell (DAW; Arcadia UK) - Amazon: 701 ratings; Goodreads: 9.192 ratings, 2.274 reviews
Die Zahlen machen mMn deutlich, dass auch beim Nebula keineswegs nur oder vor allem populäre (und damit wohl auch kommerziell erfolgreiche) Werke nominiert werden. Die Diskrepanz zwischen den Zahlen einer T. Kingfisher und dem Rest ist schon frappierend. Und während man John Wiswell und Kelly Link noch attestieren kann, dass sie zumindest in gewissen Kreisen erfolgreich/bekannt sind, haben die Romane einer Kerstin Hall, eines Vajra Chandrasekera oder vor allem eines Yaroslav Barsukov doch fast schon den Charakter von Insider-Tipps oder Nerd-Material.
Jetzt fallen mir auf Anhieb auch keine englischsprachigen Autoren oder Autorinnen ein, die den Morris- oder Peterson-Slot bedienen (Joshua Tree lasse ich hier immer deswegen weg, weil ich noch einen Roman von ihm gelesen habe) bzw. vergleichbare Hard-SF schreiben; zumindest ist mir da 2024 kein Werk ins Auge gesprungen, was nichts zu bedeuten hat, da ich den amerikanischen Markt nicht mehr so intensiv beobachte wie früher (und außerdem Augenbluten bekomme, wenn ich bei Amazon die vielen bunten Romantasy und Dark Romance und Sonstwie Romance Cover sehe).
Und natürlich zieht sich auch durch die amerikanische SF-Szene ein Graben; der verläuft aber auf anderem Terrain als zwischen populär und kommerziell erfolgreich. Beim KLP legen die Nominierenden - oder zumindest ein Teil davon - mMn seit zwei, drei Jahren Wert darauf, das Bild zu verändern, dass er in erster Linie an alte weiße Männer (und vor allem an Andreas Eschbach) verliehen wird. Was ja per se auch vollkommen in Ordnung ist. Aber eben auch Konsequenzen hat.
* - die Zahlen können sich zwischenzeitlich durchaus geändert haben (wobei sie steigen und nicht sinken sollten
)
Sudden moroseness. One hop too far.