Aber nicht nur darum. Der Film funktioniert in einem ganz anderen Sinne, nicht nur auf der Handlungs-Ebene. Wir Zuschauer identifizieren uns ohne weiteres mit den künstlichen Gestalten, und das liegt mit Sicherheit daran, dass wir sie nach sehr kurzer Zeit als "real" akzeptieren.
Abgesehen davon, dass ich das Konzept der "Identifikation" für falsch halte und eher von empathischem Ein- oder Nachfühlen sprechen würde, ist das an sich nichts Besonderes. Wir können uns auch in gezeichnete Mäuse oder Strichmännchen, ja sogar in Quadrate und Rechtecke einfühlen.
EDIT: Zur Ergänzung: Um die Qualität eines Busens zu diskutieren, ist keine Einfühlung nötig. Auch wenn mir eine Frau aus Fleisch und Blut gegenübersteht, ist für die Frage, wie mir ihr Busen gefällt, relativ unerheblich, ob ich mich nun in sie einfühlen kann oder nicht. Und wenn Du Dir anschaust, was es alles an gezeichneter Pornographie gibt, wird offensichtlich, dass die Menschen grundsätzlich kein Problem damit haben, sich auch von stark stilisierten Darstellungen erregen zu lassen.
Das hat aber alles gar nichts mit Identifikation zu tun. Identifikation würde ja heissen, dass ich als Zuschauer die Figur quasi als Ebenbild meiner selbst verstehe, dass da Probleme ausgetragen werden, die mich ganz persönlich betreffen. Das ist aber nur in Ausnahmefällen der Fall. In den allermeisten Fällen fällt es dem Zuschauer nicht schwer, mit einer Figur mitzufühlen, die überhaupt nichts mit ihm gemein hat, die Probleme zu bewältigen hat, die für den Zuschauer irrelevant sind. Und interessanterweise kann diese Art von emotionaler Teilnahme auch von Szene zu Szene wechseln. Es ist problemlos möglich, zwei auf einander Szenen so zu gestalten, dass ich in der ersten Szene mit Figur A mitfiebere und Figur B sehr negativ bewerte, um dann in der zweiten Szene plötzlich auf der Seite von Figur B zu sein.
Was an
Avatar das Besondere ist, dass er das
Uncanny Valley umschiffen kann. Damit wird der Effekt beschrieben, dass wir als Zuschauer mit hochgradig stilisierten Figuren (Comics etc.) keine Mühe haben, dass es aber einen Grad von an sich hohem Realismus gibt, der nicht funktioniert, bei dem die Figuren irritierend wirken. Ein hoher Grad von Realismus, der aber noch nicht ganz an die Qualität photographischer Abbildungen reicht, wird nicht akzeptiert. Die Figuren im Film
Final Fantasy sind viel "realistischer" als die in
Ice Age oder
Monsters Inc., dennoch "funktionieren" sie nicht. Aus dem verlinkten Wikipedia-Artikel: "Ab einem gewissen Punkt wird also weniger die Ähnlichkeit zu einem echten Menschen anerkannt, sondern das Publikum stört sich vielmehr an den verbliebenen Differenzen zu den Vorbildern. Heutzutage erfolgreiche 3D-Trickfilmstudios wie Pixar oder Dreamworks umgehen das Uncanny Valley, indem sie meist nicht-menschliche Charaktere mit menschlicher Psychologie zu Hauptdarstellern machen und physiognomisch realistische Menschendarstellungen vermeiden."
Avatar hat diese Hürde durch sehr realistische Gesichtszüge genommen. Auch hier geht es wahrscheinlich aber nur begrenzt um die Frage der Einfühlung; die Abneigung, die wir gegenüber sehr aber doch nicht genug realistischen Figuren fühlen, ist wohl auf einer basaleren visuellen Ebene, die zum Tragen kommt, bevor wir uns empathisch einfühlen können.
Bearbeitet von simifilm, 23 Dezember 2009 - 11:12.