Ogion schrieb am 16.01.2009, 22:21:
Ich denke in dem Vergleich dieses Threads mit einem Seminar liegt ein Teil des Problems. Ein Thread in einem Forum ist nicht wie ein Seminar in der Uni. Es ist viel mehr wie eine mündliche Diskussion.
In einem Forumsthread hält man aber keine Vorträge sondern bringt kurze bis mittellange Beiträge, wie in einem Gespräch.
Voellig einverstanden. Ich wollte hier auch kein Seminar, ich wollte einfach wissen, was geschieht, wenn ich meine Frage mal in den Raum werfe. Zu meiner Ueberraschung ist ja trotz der vielen Vorwuerfe, die teilweise berechtigt sind, dieser Thread der mit Abstand laengste zum Thema ! Zum Thema gab es schon 8 andere Threads, die Jorge im ersten Antwortposting hier aufgelistet hat.
Mein Problem war : In einem Seminar wird immer schon eine Vorlesung und der eine oder andere verbindliche Grundlagentext vorausgesetzt, und man bekommt Themen zu Teilfragen zugeteilt. Alle wissen daher, worum es geht. Hier ist das aber nicht der Fall. Daher habe ich versucht, gleichsam den Grundlagentext kapitelweise nachzureichen, weil er ja nicht existierte. Mir ist hier kein Handbuch der Zukunftsforschung bekannt, auf das ich einfach haette verweisen koennen. Damit waere dann eine Gliederung gegeben gewesen, die Simifilm immer fordert.
Ich deute nur mal an, wie eine Gliederung aussehen koennte :
Wenn wir uns die gemeinsame Zukunft wie eine "City of Man" denken, eine von uns gemeinsam zu bauende Stadt, dann braucht man dazu (1) die mahssgeblichen Personen, (2) die mahssgeblichen Plaene, (3) die mahssgeblichen Verfahrens-Regelungen. Ds kann man dann untergliedern : Personen sind "Auftraggeber/Bauherren" (z.B. "das Volk", "der Souveraen"), "Architekten/Bauleiter" (z.B. "die Regierung"), dann "Ingenieure und Fachkraefte" (etwa "Verwaltung"), dann Kontrolleure und Juristen und Finanzleute usw.. Da gibt es natuerlich viele Reibungflaechen und Konflikte. Aber man erkennt hier das Schema der Demokratie, die ja doch den Sinn hat, alle "am Bau der Zukunft zu beteiligen".
Zu den Plaenen gehoeren alle Weltanschauungen politischer und religioeser Art, auch der Gegensatz von Sozialisten und Liberalen und von "Davos-WEF-Typen" gegen "Attac-Typen" (vgl. Gegengipfel in Zuerich !), usw.. Da geht es um Werte, Ziele, Wege, das gibt auch viel Streit. Und weil man Streit regeln und schlichten muss, wird man also Gerichte und "die Oeffentlichkeit" (Medien, Unis usw.) als staendige Kontrollen schuetzen und auf deren Unabhaengigkeit achten.
Alle diese Ueberlegungen, die hier am Staedte- und Hausbau illustriert sind, gelten also auch fuer den Bau "an der Stadt der Zukunft der Menschheit".
Das kann man also als Grundgeruest fuer die Diskussion sehen. Aber man sieht dann auch sofort, wie unendlich das alles auffaechert, trotz der jetzt erkennbaren Gliederung. Die ganze Debatte der vergangenen 100 Jahre zwischen Sozialisten, Liberalen, Konservativen, auch zwischen den verschiedenen Fraktionen jeder dieser Gruppen, kommt in den Blick. Das gibt mindestens zwei bis drei Dutzend Parteien, die ueber die beste Zukunft streiten. Man kann aber hier versuchen, das etwas auf die Kerngedanken einzudampfen. Ich deute das nur an. Hier hat man also bereits "das verbindlich zugrundeliegende Lehrbuch der Zukunftsforschung" vor sich - wenn auch nur sehr knapp skizziert. Und nun verstehst Du vielleicht, warum ich hier ein paar "Vorlesungen" geposted habe. Wenn man naemlich nur unverbindlich so dahin palavert, dann kommt nichts dabei heraus.
Vielleicht sollten wir uns also erst einmal darauf einigen, was denn zum Thema gehoert, und dann etwas untergliedern, ohne das Ganze dabei aus dem Blick zu verlieren. Ich habe da doch ein paar wirklich weiterfuehrende Gedanken geposted, wie z.B., dass auch ein Cyborg oder ein Androide oder ein genetisch-elektronisch modifizierter Mensch der (nahen?) Zukunft immer noch eins mit uns heutigen Menschen gemeinsam haben wuerde : Die Intelligenz, und damit automatisch auch die Freiheit, von dieser phantasievoll Gebrauch zu machen. Wir koennen uns also schon jetzt von dem vertrauten Bilde des Menschen loesen, das ist nicht so wichtig, aber das Problem der Freiheit bleibt. Schon in der Star-Wars-Serie kam das gut rueber : So verschiedenartig dort die Wesen sind - vor allem in der Alien-Kneipe im Teil 2 - aber auch Jarjar Binks und der Zottelmann und sogar die beiden Roboter r2d2 und c3po : Sie alle sind denkende und moralisch handelnde Wesen. Das ist ein Punkt, der uns vielleicht beschaeftigen sollte : Der Mensch nicht mehr durch seine Anatomie, sondern durch sein Denken und Handeln definiert ! Die Frage waere dann : Was ist fuer dieses "Wesen" des Menschen mahssgeblich ? Da sind wir auch wieder beim "aeffischen Wesen", das vielleicht abgetan werden koennte, und das in einem realen Raumschiff keine Rolle spielen sollte.
Uebrigens ist uns auch dieser Gedanke nicht fremd : Niemand bestreitet doch einem Stephen Hawking, der da verkruemmt in seinem Elektrowaegelchen sitzt, die Menschenwuerde. Nur aus reiner Bequemlichkeit hat man die Leute in den Raumschiffen auch von Startrek so belassen, wie eben "normale" Menschen aussehen. Man hat sogar versucht, etwas Sex-Appeal in die Szene zu bringen durch ein paar "gut gebaute" weibliche Offiziere. Aber das sind Zugestaendnisse, weil eine Mannschaft von geschlechtslosen Robotern ohne Menschenaehnlichkeit es den Zuschauern erschwert haette, sich zu identifizieren. Es gibt aber eine huebsche SF Kurzgeschichte, deren Titel mir entfallen ist, in der die Mitglieder eines religioesen Ordens auf dem Mars als frei schwebende "blaeulich schimmernde Kugeln" beschrieben werden. Das ist mutig ! Wieso religioeser Orden ? Die menschlichen "Marsonauten" koennen es anders nicht verstehen, denn diese Kugeln haben einen abstuerzenden Menschen sanft aufgefangen und wieder sicher hingestellt, und sie haben dazu schoene Hymnen gesungen.
Verstehst Du, warum ich gegen solche wirklich guten und phantasievollen Bilder solche Filme wie "Starship Troopers" nur als "den ueblichen SF-Schwachsinn" bezeichnet habe ?
Ich glaube, unser Problem ist noch immer ein Mangel an Phantasie und Intelligenz und Mut : >90% aller SF hat nicht wirklich mit Zukunft zu tun, sondern ist nur eine witzige Verkleidung banaler und vertrauter Probleme, die ebensogut in der Gegenwart hier und jetzt geloest werden koennten. Das gilt sich auch fuer "Star Wars". Auf unser Selbstverstaendnis als Menschen, die eine Zukunft zu bewaeltigen haben, werfen alle diese Modelle sehr wenig Licht, meistens nur Schatten. Das war mein Einwand.
Folgerung : Wie muessen uns fragen, was "Zukunft" fuer unser Selbstverstaendnis ueberhaupt bedeutet ! Da sind wir doch noch nicht einmal angekommen ! Und das in einem Science Fiction Forum !!