Wider Erwarten wiederentdeckt: James Blish: "Der Tag..."
James Blish
James Blish? Den Namen verband ich viele Jahre hindurch mit „Raumschiff Enterprise“-Geschichten. Von denen hatte ich um 1990 ein paar gelesen - und war enttäuscht.
Trotzdem hatte der Name, schon vor 1990, bei mir einen mysteriösen, geheimnisvollen Klang: Zum einen wird er in der SF-Sekundärliteratur als einer der Großen der Space Opera geführt; sein „Cities in Flight“ soll ja wegweisend gewesen sein. Noch mehr haben mich aber Titel wie „The Day After Judgement“ und „Black Easter“ fasziniert. Darüber hatte ich in diversen Quellen gelesen, immer wieder mal. Doch hat mich - so hatte ich es zumindest in Erinnerung - lange Zeit der Ruf dieser Bücher dann doch nicht dazu bewegt, sie mir mal zu beschaffen und zu lesen.
Nun aber!
In der Mitte des dünnen Bücherleins stieß ich auf folgende Passage: „Beim Anblick dieser verabscheuungswerten Kreatur erhob ich das Kruzifix, aber es zerschellte in meinen Händen.“ (Heyne-Ausgabe 3390 von 1974, S. 57). --- Ich stutze. Diese Szene kam mir sehr bekannt vor! Aber nicht als Text, sondern als Bild - ein Bild, das ich einst, so um 1990, gezeichnet hatte!
In meiner Sammelmappe wurde ich schnell fündig; ich gebe es hier mal zur Ansicht:
© Bild: Thomas Hofmann
Das ist sicher nicht genau die Szene aus dem Buch, aber die Inspiration, denke ich, ist eindeutig erkennbar. Komisch ist nur, dass ich überhaupt keine Erinnerung daran habe, was mich zu dem Bild veranlasst hatte; aber dass ich es gezeichnet hatte, daran konnte ich mich gut erinnern.
Nun habe ich lange Zeit alles Mögliche an Informationen, Zeitungsartikeln, Mitschriften zu TV- und Radio-Sendungen etc. gesammelt. Auch zu James Blish hatte ich Einträge erstellt. Ich schlage dort nach und finde dies: Eine Notiz, dass ich das Buch im April 1990 bereits gelesen hatte!
© Bild: Thomas Hofmann
Wow, so vergesslich kann man sein? Nichts blieb mir davon haften! --- Zu meiner Verteidigung darf ich allerdings vortragen, dass der April 1990 schon eine besondere Zeit war. Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht daran erinnern, in dieser Zeit überhaupt etwas gelesen zu haben, Zeit und Nerven für solcherlei Lektüre gehabt zu haben.
April 1990: Das war mein allerletzter Monat meines NVA-Grundwehrdienstes. Das war die Zeit des Untergangs der DDR und ich stand kurz davor, aus dem Armeedienst entlassen zu werden, und im „richtigen Leben“ aufzuschlagen - mit neuer Arbeitsstelle (die ich mir während der Armeezeit „besorgen“ musste, da meine alte Arbeitsstelle mich inzwischen gerne „abgegeben“ hatte). War ja insgesamt eine komische Situation, denn die Welt um mich herum hatte sich in der Zeit meines Armeedienstes völlig verändert. Dadurch konnte ich nun auch „West-SF“ lesen, aber dass ich dafür überhaupt Nerven hatte? Na ja, nun weiß ich, was da in mir ablief: Ich hatte eben keine Nerven für SF, habe alles gleich wieder vergessen.
Unter diesen Umständen kann ich fast nichts darüber aussagen, inwieweit mich die erneute Lektüre anders berührte als damals. „Fast“, denn aus meiner damaligen kleinen Notiz kann ich ja doch etwas ablesen: Für mich war das damals also eine Mischung aus Mystik und Hard SF. Würde ich heute nur sehr verkürzt so sehen.
Beim aktuellen Lesen fielen mir ein paar Wörter, Begriffe auf, die ich damals eher noch nicht kannte. Gerade die Begriffe aus dem Bereich der „Schwarzen Magie“ wurden mir erst in den 90er Jahren geläufig, als ich mich den Dunklen Pfaden der Phantastik und anderen populären Kulturformen näherte. Welche Assoziationen hatte ich damals beim Lesen, sind sie mir überhaupt aufgefallen?
Auf alle Fälle habe ich das kleine Büchlein nun an einem Mai-Sonntag in einem Ratz mit Hochgenuss durchgelesen!
Das Buch ist ein feines Kabinettstückchen. Die Apokalypse auf Erden wird durch schwarzmagische Umtriebe provoziert. Dämonen werden beschworen, die gleich mal Städte in Schutt und Asche legen. Das alles wird fast lakonisch erzählt, nicht dramatisch überzogen präsentiert. - Solche Geschichten werden heute so gar nicht mehr erzählt; aber ok, alles zu seiner Zeit.
Neben den experimentierfreudigen Schwarzen Magiern gibt es auch Weiße Magier, ein exklusiver geistlicher Club, Priester, die sich schon zu Zeiten Karls des Großen zurück gezogen ihrer Form der Magie widmeten und nun nach der Schlacht von Armageddon wieder aktiv werden müssen, da sie nicht glauben können, dass Gott tot sei.
Und dann gibt es noch die ganz profanen Militärs, die in ihrem Bunker den 3. Weltkrieg leiten, allerdings unter Widerstand erkennen müssen, dass Wasserstoffbomben nichts gegen tanzende Dämonen ausrichten können.
Je 1 Vertreter dieser Gruppierungen gehen zur Höllenstadt Dis, die nun im Tal des Todes, also im Death Valley, Westküste der USA, aufragt, um jeweils aus ihrer Sicht die Dinge zu klären. Dis ist ein Utopia, das zum Alptraum wurde: So wie in dialektisch-faustischer Manier der Teufel Gutes schuf, so ist hier die strahlende Utopie ein höllischer Ort. Es ist einfach großartig, wie knapp und treffsicher Blish große philosophische Fragen bearbeitet, fast so nebenher!
Das Ganze geht dann übrigens gut aus; wer hätte das gedacht!
10 / 10 Punkte.