Der Sommer ist nicht mein Lese-Monat. Von wegen Urlaub und so. Bin nicht so der "Ich lese endlich mal im Urlaub"-Typ, eher genau das Gegenteil. Insofern ist der Stapel hier nicht sonderlich hoch. Und von dem obersten Schmöker habe ich sogar nur ein Drittel "geschafft" bisher. Dafür ist hier nicht zu sehen, was ich angefangen und erst mal liegenlassen habe.
Na, wie auch immer, hier meine kurzen Bemerkungen zum Gelesenen:
Ka-Tzetnik 135633: „Das Haus der Puppen“
Nach der LSD-unterstützten Aufarbeitung seiner KZ-Erfahrungen und vor allem -Traumata in „Shivitti“ nun der „anrüchige“ Roman zum Thema Holocaust des Autors mit dem sprechenden Pseudonym. Der Roman hat ja einen gewissen Ruf, den ich nach der Lektüre überhaupt nicht nachvollziehen kann.
Art Spiegelman hat z.B. davon berichtet, dass dieses Buch für seine Sozialisation wichtig war, das es aber auch ob seines pornografischen Inhalts „falsch“ konsumiert wurde. Oder so ähnlich… Ich kann es nicht nachvollziehen.
Hier beschreibt der Autor die Erlebnisse und Erfahrungen eines Mannes und einer Frau, Bruder und Schwester, im Ghetto in einer polnischen Stadt und dann im Vernichtungslager der Nazis, in Auschwitz.
Die schöne Schwester wurde von den Nazis als Zwangs-Prostituierte missbraucht. Hier – so musste ich vorab vermuten, ob dessen, was ich über den Roman „hörte“ – wurden entgegen aller Gerüchte sexuelle Handlungen (Vergewaltigungen letztendlich) nicht in den Fokus gesetzt. Klar, es wird erwähnt, dass die Frauen im sog. „Puppenhaus“ sich von deutschen Wehrmachtsoldaten, die auf dem Weg zur Ostfront noch mal „etwas erleben“ sollten, wie Prostituierte ergeben sollten.
Dafür wurde die Grausamkeiten in dem KZ ziemlich hart und relativ ausführlich dargestellt. Und mehr noch die Angst, die Gefühle der Menschen, die im Ghetto und im KZ leiden mussten.
Was mich beim Lesen beschäftigte, war die Frage, warum sie sich das haben gefallen lassen? Man könnte ja denken, dass Menschen, die im Grunde nichts mehr zu verlieren haben, sich mit allem zur Wehr setzen, um ihren Peinigern Paroli zu bieten, sich aus der Situation selbst zu befreien.
Auf diese Fragen bekommt man hier wirklich Antworten… Ist beeindruckend. (Zum einen gab es Widerstand, bzw. die Absicht, sich zu wehren, zum anderen wird aufgezeigt, wie die Menschen sich von Hoffnung zu Hoffnung hangelten, bis jeder Ausweg unmöglich gemacht wurde.)
Auch interessant, dass der von den deutschen Besatzern eingesetzte Judenrat in den Ghettos von den dort angesiedelten Bewohnern überhaupt nicht gut angesehen wurde, dass deren opportunistisches Verhalten im Grunde mehr Unmut und Hass bei den Menschen erzeugte, als das Verhalten der Deutschen, das irgendwie – so kam es mir bei der Lektüre vor – wie eine nicht fassbare Naturgewalt betrachtet wurde. Moralisch und Faktisch verurteilt wurde aber das Verhalten des Rats. Und die Chefin im „Puppenhaus“ wird auch als Bestie charakterisiert. Eigentlich auch eine KZ-Inhaftierte, eine Kriminelle, die sich den Nazis als extrem bösartige und grausamen Aufpasserin andiente und hier wohl ihre Art von Vergnügen zog. Puh, echt fürchterlich!
Ein beeindruckendes Buch! Sehr emotional, sehr erhellend, da aus der Innenansicht eines direkt Betroffenen geschildert, eines normalen, unpolitischen Menschen, der eigentlich nur glücklich leben wollte, was ihm und den Seinen verwehrt wurde, der niemanden etwas getan hat und dennoch „bestraft“ wurde.
Die Schilderungen sind hier weit weniger spirituell im Vergleich zu „Shivitti“, insofern also eine interessante und wertvolle Ergänzung.
10 / 10 Punkte
Emma Braslavsky: „Aus dem Sinn“
Hörbuch, ungekürzte Autorenlesung von Emma Braslavsky & Alexander Magerl
Ihren Erstling wollte ich nun auch noch kennen lernen; zum Selberlesen hat’s da bei mir aber nicht gereicht. Also lass ich es vorlesen, und das gleich von der Autorin (mit Unterstützung).
Es geht um in die „Ostzone“, dann: DDR, umgesiedelte Sudetendeutsche aus der Tschechoslowakei. Für mich interessant war der Gedanke, dass sie auch eine, natürlich geheime, sudetendeutsche Organisation hatten, die durchaus politisch aktiv wurde, oder werden wollte. Gab es die sudetendeutschen Demonstrationen in Prag Ende der 60er Jahre? An denen auch Leute aus der DDR teilnahmen? Die dann natürlich in den Stasi-Knast wanderten…
Es ist eine Familiengeschichte, die in der frühen DDR spielt. Alle Leute haben Vergangenheit – das vergisst man ja bei nüchternen historischen Betrachtungen gern. Diese Vergangenheit in der Tschechoslowakei und auch nach dem Anschluss ans 3. Reich schimmert immer wieder durch.
Ich habe das Buch stückchenweise und über einen ziemlichen langen Zeitraum gehört. Dass tat ihm nicht gut, muss ich sagen. Mir fehlte der Fokus; Spannung konnte sich bei mir dadurch nicht aufbauen. Mag aber auch ein bisschen am Buch liegen? Es ist voller Figuren, deren Rollen ich kaum auseinanderhalten konnte, denn es gibt hier mehrere Protagonisten (?). Na ja, aber ich bin froh, es nunmehr zu kennen. Bin ich jetzt vollständig in meiner Braslavsky-Lektüre?
7 / 10 Punkte
Octavia E. Butler: „Dämmerung“
Erster Teil der XENOGENESIS-Trilogie. Nun wollte ich doch auch mal was von der viel gelobten Autorin lesen. Zuletzt gab es euphorische Rezensionen von Peter Schünemann im NEUEN STERN – über ihre PARABEL-Reihe, die Romane „Die Parabel vom Sämann“ und „Die Parabel der Talente“. Da nun die XENOGENESIS-Trilogie in einem fetten Band neu rauskam, schlug ich zu.
Und? Hmm, nun ja. War ja nicht übel, aber…
Restlos zufrieden oder stark begeistert bin ich nicht.
Eine Frau wacht – wohl nicht zum ersten Mal, aber nun dauerhaft – in einer ihr komplett fremden Umgebung auf. Was, warum, wieso: Sie weiß es lange Zeit nicht. Klar ist nur, dass sich die Menschheit auf der Erde (mal wieder) mit einem globalen Atom-Krieg ausgelöscht hat.
Wir erfahren, dass Aliens, die Oankali, sie gefangen hält und nach Bedarf in künstlichen Schlaf versetzt oder daraus erweckt. Unsere Heldin wurde von den Aliens eine Aufgabe zugeteilt. Sie soll im Grunde weitere Menschen auswählen und deren Erwachen begleiten, um den Kern einer Siedlergemeinschaft zur Neu-Urbarmachung der Erde aufzubauen.
Sie selbst kann sich auch nur schwer mit den Gedanken anfreunden, zum einen diese Aufgabe zu haben und auszufüllen, zum anderen überhaupt eine „normale“ Beziehung zu den doch arg fremdartigen Aliens aufzubauen. Die binden sie sogar in ihre Art von Familie ein.
Das Ziel der Aliens ist es, eine – quasi reformierte – neue Menschheit aufzubauen.
Das alles klingt nach einer SF-Utopie, wobei die Modalitäten eben nicht unbedingt realistisch klingen; mir wurde die Motivation den Aliens bis zum Schluss (des 1. Bandes) nicht plausibel.
Was mich aber ziemlich mit der Geschichte hadern ließ, war der Umstand, dass die gerade vom Tod auferstandenen, frisch vor der Ausrottung bewahrten Menschen schön weiter fremdenfeindlich, angstgesteuert und gewalttätig sind. Die haben gerade auf die harte Tour lernen müssen, wozu das führt, und können sich keinen Augenblick ändern, darüber konstruktiv nachdenken, auch wenn man ihnen die Chance dazu gibt! Das ist alles so ärgerlich! Aber vielleicht ist das in der ziemlich phantasievollen Geschichte der realistische Kern: Das ist die Art des Menschen.
Am Ende gibt es so eine Gruppe Wiedererweckter. Die glauben zum Teil noch nicht mal daran, dass es die überhaupt Aliens gibt, dass sie sich in einem Raumschiff und nicht auf der Erde befinden und sie haben Angst vor unsere Heldin, die schon zu nahe an den Fremdlingen ist.
Es endet in einem Blutbad – von dem ich immer noch dachte, dass es vermieden werden kann, von wegen Vernunft und so… Den Neustart für die Menschheit peitschen die Oankali aber durch. So kann es dann also weitergehen.
8 / 10 Punkte
Yvan Goll: „Der Mitropäer“
Mein 2. Roman vom Lyriker Yvan Goll. Der Vorname wird manchmal auch „klassisch“ Ivan geschrieben. Ich habe bisher nur die Bücher mit „Yvan“ erwischt (ein drittes wartet noch).
Hier treffen sich in den brisanten 20ern zwei Brüder, die sich bisher noch nie sahen, da sie zwar die gleiche Mutter, aber halt verschiedene Väter haben und auch 10 Jahre Altersunterschied aufweisen.
Einer ist sozialisierter Franzose, der Ich-Erzähler und Ältere „Mitropäer“, also Mitteleuropäer – im Grenzgebiet von Deutschland, Frankreich, Schweiz aufgewachsen.
Es gibt noch einen dritten Mann, einen (Exil-) Russen. Die drei verkörpern verschiedene Weltanschauungen, Lebensentwürfe; Charaktere sowieso. Alle drei werben um einen Frau. Dies ist der Kern der Erzählung. Ich griff zu dem Roman, weil ich mir davon versprach, dass die verschiedenen Welt-Entwürfe dieser Umbruchzeit (Revolution, Konterrevolution, aufkeimender Faschismus) in den Fokus gerückt wird, eben anhand der drei Figuren.
Na ja, so ganz konnten meine Erwartungen nicht erfüllt werden. Für Golls Nihilismus, der ihn wohl prägte, sollte ich dann doch noch ein anderes Buch lesen.
Aber es war kurz und kurzweilig, durchaus, auch wenn ich den damaligen Zeitgeist in den Zeilen nicht im gewünschten Maße vorfand.
7 / 10 Punkte
Wolfgang Brunner: "In seinen Händen mein Leben wie zerbrochenes Glas“
Pulptopia. Sonderausgabe Nr. 1
Der (sich selbst so betitelnde) „Fette Verleger“ haut ja ein Ding nach dem anderen raus. Sascha Lubenow scheint nach dem idealen Medium zu suchen, mit dem man den deutschen Literatur-Phantastik-Markt nachhaltig überschwemmen kann. Nach großartigen handgemachten Edel-Ausgaben nun also „SCHUND“ – Hommagen an die Groschenheft-Ära, in allen möglichen Formaten / Größen und jetzt also auch ein Magazin?
Vielleicht ist die Bezeichnung „Magazin“ hier etwas Etikettenschindel. Das Format passt, aber der Inhalt ist eben dieser eine Roman, der wahrscheinlich zu lang für die Schundheft-Auswertung war.
Der Autor schreibt auch keinen „Schund“ – wobei das die anderen auch nicht machen. Die, die ich bisher kenne, sind von leichter Hand, halt unterhaltsam. Das hier, von W. Brunner, scheint von anderem Kaliber.
Allerdings konnte es / oder er mich nicht wirklich überzeugen. Wir haben ein Post-Doomsday-Setting, das man nach modernen Zombie-Filmen und vor allem „Die Straße“ von McCormac ohnehin kaum noch toppen kann, aber die sich darin wiederfindenden Personen, zunächst ohne Gedächtnis, scheinen doch eher in einer Art Truman-Show zu stecken.
So richtig spannend ist das alles für mich nicht gewesen und die philosophische, ethische, emotionale Tiefe, die das Buch verspricht, konnte auch nicht – für meine Begriffe – eingehalten werden. Da wird viel zu viel besprochen – und also nur behauptet. Manche Auslassungen der Protags über Liebe & Leben sind mir zu flach und ihre emotionalen Verwicklungen kamen für mich nicht überzeugend genug rüber, packten mich nicht. Na, mag an mir liegen.
Ich las aber auf das Ende dann doch mit einer gewissen Spannung hin; wollte schon wissen, wie sich das Ganze auflöst, was dahinter steckt. Ja, es ist anders als es scheint, aber auch nicht sooo überraschend. Hat man schon mal irgendwo gelesen / gesehen…
Rezi dazu im NEUEN STERN. 7 / 10 Punkte
2 x Historische Auseinandersetzungen mit einem leider aktuellen Thema
Konrad Heiden: „Hitler rast“
Das Buch traf mich rein zufällig, als ich das hiernach vorgestellte las. Das passte wie die Faust aufs Auge, kam gerade zurecht und ich ließ mich drauf ein.
Heiden ist ein in Vergessenheit geratenen deutschen Publizist, der das Buch unter dem Pseudonym Klaus Bredow veröffentlichte und der sich schon früh mit faschistischen Entwicklungen in Deutschland befasste. Dieses Buch stellt seine Sicht auf den sog. Röhm-Putsch dar, inklusive Vorgeschichte dazu.
Das Buch ist lange nicht publiziert worden, auf dem Cover prangt ein Aufkleber: „Nach 90 Jahren wiederentdeckt“.
Für mich am erstaunlichsten war an dem Buch, dass es 1934 in Deutschland erschien, noch erscheinen konnte. Der Autor arbeitete auch für eine Zeitung, die SPD-nah und antifaschistisch auch noch 1934 arbeiten konnte. Die Gleichschaltung und das Verbot aller Nazi-Gegner erfolgte halt nicht abrupt und sofort 1933.
Leider argumentiert Heiden auch mitunter homophob; zumindest kreidet er den Hitler & Co. an, dass er/sie einerseits Homosexualität verurteilten und gleichzeitig die bekannte Homosexualität in der SA-Führung tolerierte. Zumindest bis zu dem Ereignis, in dem es in dem Buch geht. Dieses „Argument“ wird halt nach Belieben eingesetzt, wie so viele andere auch.
Ein großes Anliegen Heidens war es, Hitler und seinen Anhängern nachzuweisen, dass sie eben keine Interessen des Volkes vertraten. Ihren antikapitalistischen Ansatz hatten sie schon bald selbst verraten. Dabei gab es halt durchaus sozialistische Aspekte und Vertreter in der Nazi-Partei. Die wurden aber kaltgestellt, auch schon vor 1934. Dieser „Richtungskampf“ innerhalb der Nazi-Partei ist Teil des Erklärungsmusters, das der Autor hier bemüht. Dabei geht er in aller Kürze und bei seinem insgesamt knackig-prägnanten Berichtsstil durchaus differenziert vor.
Vielleicht kann Heiden uns heute über dieses Ereignisse nicht wirklich Neues erzählen, aber wie er das macht, macht das Buch – für mich – sehr interessant und lesenswert.
9 / 10 Punkte
Walter Mehring: „Die Nacht des Tyrannen“
Auf den Autor kam ich dank „Erdling“ von Emma Braslavsky. Wieder so eine tolle Inspiration aus diesem tollen Buch (das mir als Stichpunktgeber für eine Epoche, in der ich mich zurzeit ohnehin viel und intensiv bewege, dient und damit mir immer wertvoller wird).
Über den Namen „Mehring“ bin ich auch gestolpert, weil sein Namensvetter, Franz Mehring, mir als ehemaliger Geschichtsstudent durchaus geläufig war. Von Walter M. hatte ich aber bis dato gar nichts gelesen.
Dieses Buch ist 1937 geschrieben worden. Im Exil, ohne große Verbreitung. Auch wenn es zahlreiche Anspielungen und Parallelitäten zu damals aktuellen und tatsächlichen Ereignissen gab, so ist es doch eher ein phantastisches Buch, weil es in einem fiktiven südamerikanischen Land spielt und die geschilderten historischen Ereignisse auch fiktiv sind.
Mehring wollte wohl eher ein allgemeingültiges Buch zum Thema Tyrannei schreiben, nicht unbedingt eine Parodie auf die „Hitlerei“ (wie er sich wohl damals gern ausdrückte). Eher sollte es dem „Mythos Tyrann“ nachspüren, der Autor wählte dazu eher einen psychologischen Ansatz und brachte sich damit etwas in Widerspruch zu seinen antifaschistisch eingestellten Kollegen im Exil, die doch materialistischer an die Sache gingen.
Im Nachwort wird aber dargestellt bei wie vielen Punkten Mehring durchaus Parallelen zur Realität in Deutschland aufzeigt. Mir sind die beim Lesen nur sporadisch so direkt aufgefallen; es sind auch viele sehr allgemeine Punkte. Insofern hat der Autor vielleicht – bei mir – durchaus sein Ziel erreicht. Allerdings nahm er dadurch seinem Text die Brisanz.
Außerdem gewinnt der „Tyrann“ auch nicht, was leider nicht der Realität entsprach.
Was mir sehr stark wieder gefällt, ist die expressionistische Sprache des Textes; der Autor hat – wie viele seiner Generation – keine Scheu vor kräftigen Sprachbildern und poetischen Formulierungen Das ist – in der Kürze – sehr eindrucksvoll.
Zum Buch (-inhalt) lasse ich mich mal wieder mehr im NEUEN STERN aus – ja, ist ja im Grunde Phantastik, Alternative Historie (würde ich sagen); mythologische Fiktion (meint im Grunde der Nachwortautor Christoph Buchwald).
9 / 10 Punkte
Arnolt Bronnen: „Tage mit Bertolt Brecht“
Futter für meine Bronnen-Manie. Die hatte ich in meinem 2. STERNENSPLITTER (link) ausgelebt. Mein SF-Club-Kumpel Peter meinte während eines SF-Stammtischs, er hat ein Buch von Arnolt Bronnen, das er sehr gern gelesen hat. Ich war sogleich interessiert und er versprach, es mir mal auszuborgen.
Ich hatte das längst wieder vergessen, doch zum August-Stammtisch brachte er es tatsächlich mit. Ich war entzückt – und noch mehr, als er es mir schenkte. Warum? Er las es da aktuell gerade zum wiederholten Male. Auf seinem Weg zum Stammtisch ging er an einer der Halleschen Bücherzellen vorbei – und fand dort ein Exemplar genau dieses alten dialog-Büchleins aus dem DDR-Henschelverlag! Was? Gibt es solche Zufälle?
Als ich es zu lesen begann, war ich zunächst irritiert. Von wem stammt der Text? Scheinbar erzählt, schreibt da jemand über die Freundschaft zwischen Bronnen und Brecht zu Beginn der 20er Jahre, in der Zeit der Hyper-Inflation. Es brauchte tatsächlich ein Weilchen, bis ich checkte, dass hier Bronnen über sich selbst und Brecht schrieb – in der dritten Person.
Ja, Bronnen kann wohl nicht nicht außergewöhnlich.
Die anekdotische Erzählung von zwei sehr eigenen Persönlichkeiten, die auf jeden Fall ihre Leidenschaft zum progressiven Theater verband und die ziemlich aneinander hingen, was u.a. eingestreute Briefe beweisen, liest sich kurzweilig. Auch wenn es thematisch halt sehr um ihre Fortschritte und Niederlagen in Sachen Theaterstücke-Schreiben und -Aufführen geht, was ja fast schon ein Spezialthema ist (für das der Henschelverlag ja da war).
Die expressionistische Art, vor allem auch der Briefe von Brecht, fasziniert mich immer wieder. Auch wie sie mit ihrer Not, die auch durch die Inflation erzeugt wurde, in der ihre Entlohnung ja im Grunde schon bei der Auszahlung komplett wertlos war, umgingen, kann irgendwie Impuls für den Umgang mit eigenen Nöten (die aber den Götternseidank nicht so arg sind) geben.
9 / 10 Punkte
Stephen Marche: „Aufstand in Amerika“
Untertitel: „Der nächste Bürgerkrieg – ein Szenario“.
Nach dem Film „Civil War“ von Alex Garland und vor der Präsidentenwahl in den USA wollte ich mich doch etwas mehr mit dem Themenkomplex der aktuellen krisenbehafteten US-Gesellschaft beschäftigen. Dieses und ein weiteres Buch, das hier dann ja auch noch erwähnt wird, erschienen mir dafür richtig. Ob das so ist?
Der Gedanke, dass sich die USA auf dem Weg zu einem neuen Bürgerkrieg bewegt, kann auch als selbsterfüllende Prophezeiung verstanden werden, die genau die Kräfte befeuern, denen in dem vorliegenden Buch unterstellt wird, dass sie sich auf einen solchen vorbereiten. Ist also schon die Beschäftigung mit der „Idee des Bürgerkrieges“ Teil des Problems?
Nein, das weise ich von mir. Es muss ja möglich sein, dass man sich vorbehaltlos mit diesem gesellschaftlichen Narrativ beschäftigen kann, ohne es damit „herbei zu reden“.
Der Autor ist Kanadier und beobachtet sein Nachbarland. Er sieht die wachsende Spaltung der US-Gesellschaft und wie die politischen Kräfte damit umgehen und vor allem, wie die ideologisch ziemlich verhärteten Menschengruppen in den USA mit dieser Situation umgehen. Er zeichnet dabei durchaus ein recht auswegloses Bild.
Klar, irgendwie ist das Buch schon etwas „reißerisch“; allein der Titel. Die „Szenarien“, die laut Titel den Bürgerkrieg beschreiben, machen mitunter etwas anderes. Das alles ist sehr interessant und bilden möglicherweise in der Summe wirklich eine prekäre Situation.
Was mir gefällt, sind die historischen Bezüge. Der Autor fantasiert sich hier nichts zusammen und macht keine Prophezeiungen ins Blaue hinein, sondern schaut in die Geschichte der USA und zeigt auf, welche Konflikte in ihr bestehen, wie sie sich bereits entluden und wie sie sich nun weiterhin zu entladen drohen. Das alles wird nicht wissenschaftlich vertieft. Er hat mit Protagonisten des politischen und gesell. Lebens der USA gesprochen, sie interviewt, daraus seine Schlüsse gezogen. Klar, da hätte er mehr drauf eingehen können, die Quellen mehr zu Wort lassen können. So bleibt es bei dieser kurzen Anregung zum weiteren Nachforschen in den Untiefen der US-Gesellschaft.
8 / 10 Punkte
J. D. Vance: „Hillbilly-Elegie”
In Ergänzung zum “Amerikanischen Thema“ nun also das Buch der Tage. Zum Zeitgeist? Ja, ich gebe zu, hier wollte ich einfach mal wissen, wie die Trumpisten ticken. Wobei ich das gar nicht hier erkunden konnte, denn als Vance das Buch schrieb, war er kein erklärter Trumpist, eher sein Gegner. Aber der Kern sollte schon da sein, oder?
Ich mache es kurz: Es ist das Buch eines Aufsteigers, der die Schranken seiner Klasse (nein, so nennt er das natürlich nicht) durchbricht. Er kann sich aus der „Tradition“ seiner Familie, seines Milieus lösen, studiert an renommierter Universität und bleibt doch immer ein Sohn seiner Kla…, ach so, nein, so sagt er das ja nicht. Aber er bietet sich hier schon im Grunde als gebildeter Vertreter „seiner Leute“, als Volkstribun, an.
Was mich interessierte, war die Darstellung der Menschen, die im Rost Belt nun gerne Trump wählen, weil sie denken, er kann sie aus ihrem Elend befreien. Die Lage ist wohl schon verheerend. Die Hillbillys, Bewohner der Appalachen, die einst in die Industriegebiete der Arbeit wegen umsiedelten, die von schottischen Einwanderern abstammen und bestimmte religiöse, familiäre und soziale und gesellschaftliche Probleme und Bindungen etc. mitbrachten und weiterhin pflegten und die sie – so kann man es den Worten von Vance durchaus entnehmen – nicht zur intellektuellen Speerspitze der neuen US-amerikanischen Gesellschaft machten, sind nun noch durch den massiven Verlust der Arbeitsplätze in der Schwerindustrie betroffen und bedauern den Verlust ihres Amerikanischen Traumes. Die Familien zerrüttet, Drogenmissbrauch und Gewalt sind an der Tagesordnung, man bleibt seinem Milieu verhaftet.
Vance meint aber, man könnte, wenn man wollte, da raus. Er hat es ja geschafft. Staatliche Förderprogramme haben die Angelegenheit meist nur verschlimmert, auch wenn sie gut gedacht waren (was er durchaus einräumt). Aber man braucht Förderer und viel Glück, was er hatte. Na ja, halt so ein bisschen Ayn Rand für Anfänger, oder?
Insgesamt schreibt er aber sehr viel über seine Familie und sich selbst, was mich dann irgendwann nur noch wenig interessierte. Von Gesellschaftsanalyse ist prozentual sehr wenig im Buch enthalten. Hätte mich durchaus mehr interessiert, als die paar Schlagwörter und Kurzzusammenfassungen der Miseren seiner Welt.
So richtig gut erzählt ist das alles auch nicht, am Ende verstehe ich den Kult um dieses Buch nicht.
7 / 10 Punke