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Thomas Hofmanns Phantastische Ansichten



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Ein Buch, das es geben sollte.

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013, Phantastisches Halle & Le... 12 Januar 2025 · 222 Aufrufe
Nils Wiesner

Nils Wiesner: „Axis Mundi. 1. Buch: Die geschiedene Welt“
Dieses Buch gibt es (noch) gar nicht. Sollte es aber geben! Der „Verlag“ heißt daher auch selbstironisch „Edition Schublade“. Somit hatte ich ein ziemlich exklusives Lese-Erlebnis. D.h., nicht ganz exklusiv; meine Club-Kollegen & -Freunde aus dem Andromeda SF Club haben es mitunter auch schon gelesen, denn das Manuskript, in Form von sorgfältig in festen Pappschachteln gelegten DIN A 4-Papierstapeln gehen anlässlich unserer SF-Stammtische von Hand zu Hand. Na ja und jetzt bin ich halt dran. Bernd Wiese hat den bisherigen Zyklus z.B. recht ausführlich in unserem NEUEN STERN 92 vorgestellt.
Ich habe mich etwas dagegen gewehrt, ein paar Monate lang, denn ich bin der Meinung, dass das Buch auch als Buch veröffentlicht gehört und ich es dann gern lesen würde. Dazu muss aber erst alles fertig werden; ich habe nun den 1. Band gelesen.
Ich bin ja Wiesner-Fan, zumindest von dem, was ich bisher von ihm gelesen habe – siehe meine Rezi hier:
Das Gralprogramm
Das Haus der Lügen und Träume

 

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Das wird des Autors Mammut-Werk. Er begibt sich in die Welten der Mythen und Sagen, konfrontiert sie mit Menschen der Gegenwart, die uns Lesern als Identifikationsfiguren zur Verfügung stehen. Und es geht ums Ganze. Ich hätte es natürlich wissen müssen, dass ich nach diesem 1. Band noch kein „Ergebnis“ vorgelegt bekomme. Das alles ist nix für Ungeduldige, zu denen ich mich durchaus zähle; ich bin eigentlich kein Freund von Endlos-Serien (in Buchform. Auch nicht in Filmform, wie ich inzwischen merke; sog. Mini-Serien, mit 6 oder 8 Teilen finde ich sehr angenehm, aber wenn dann schon 5 Staffeln davon existieren, steige ich doch aus.) Aber hier muss ich wohl am Ball bleiben.
In diesem 1. Teil bildet sich mühsam die Reisegemeinschaft heraus. Es gibt den uralten Heiler, einen feschen, aber narbenübersäten Mann mit Schwert, das aber gar kein Schwert sein soll, sondern ein Symbol. Der Mann wird, von einem Auto überfahren, in ein sächsisches Krankenhaus eingeliefert, niemand kann sagen, wer er ist. Wie auch, der Mann ist ein aus der Anderen Welt, aber durchaus auch für unsere Welt zuständiges Kind der Urmutter, namens Lazarus. All das lernt seine Krankenschwester Maria, die mehr oder weniger unfreiwillig mit auf die Lazarus‘ Queste geht, auf die harte Tour kennen.
Dabei ist auch Achmed, so ein „Straßenköter“, ein verwahrloster Jugendlicher, der sich aber als gelehriger Heiler-Eleve entpuppt.

 

Die Drei sind die Kerntruppe; dazu kommen noch ein kleiner Riese, ein Drache, ein Steampunk-Gelehrter von der Sorte neugieriger, aber nicht allzu mutiger mad scientist.
Wozu das Ganze? Also, es geht ums Ganze! Um die Heilung unserer und anderer Welten. Dazu wird die Achse der Welt gesucht (Titel) und die ist auf einer Insel, die ein gewisser Arnold Böcklin gemalt hatte – weil er sie kannte und gesehen hat? Wer weiß. Ich befürchte, das erfahre ich erst ganz, ganz zu Letzt. Bis dahin gibt es weitere Abenteuer, die die Gefährten erleben dürfen – quer durch die Mythenwelten der Erde.

 

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Bin ich nun begeistert von dem Werk? Sehr wohl, durchaus, aber ich habe ja schon erwähnt, dass mir Serien nicht so munden. Das ist durchaus beliebig erweiterbar, was mir nicht so gefällt. Aber die Mischung aus interessanten Personenbeschreibungen, witziger und mitunter aber auch epischer Sprache, so viel Infos zu den mythischen Wesen und Welten, die handfesten Abenteuer und kuriosen Begegnungen in unserer und der anderen Welt haben mich gefesselt und wunderbar unterhalten. Nils bereist ja auch gern die Welt und schreibt auch darüber Bücher (Reise-Literatur); man merkt seinen hiesigen Schilderungen an, das er weiß wovon er schreibt. Schon Klasse. 10 / 10 Punkte
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Die Zeichnungen sind von mir, die erste ist aus einer Glückwunschkarte für Nils; die zufällig (?) ziemlich gut zum Inhalt des Romans passt; die zweite ist unverkennbar der Böcklin'schen Toteninsel nachempfunden (Vorzeichnung für mein 2. STERNENSPLITTER-Cover)




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Hofmanns Leseliste 2024. Die Abrechnung

Geschrieben von T.H. , in Statistik, Leseliste ab 2013 22 Dezember 2024 · 303 Aufrufe

Nicht mal 50 Bücher „geschafft“? Ja, so gesehen ist das eine ärmliche Bilanz. Wie kommt’s? Eine Ausrede: Einige Titel angefangen und bisher nicht beendet:
Remarque: „Der schwarze Obelisk“ (der erste Remarque, der mich nicht vom Hocker reißt)
Anthologie: „Unsterblichkeit. Slawische Variationen“ (bietet zu viele Ansätze, woanders weiter zu recherchieren und um mich herum zu lesen)
C. G. Jung: „Geheimnisvolles am Horizont“ (zu langatmig, werde ich wohl nicht weiter verfolgen)
Clemens J. Setz: „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ (was für ein Brocken! Der Umfang lähmt mich; vielleicht lege ich ihn doch beiseite und greife zu einem anderen Clemens)
Helmut Krausser: "Melodien" ( die Zweitlesung in neuerer Fassung sollte meine Sommerlektüre sein, doch irgendwie war der Sommer kürzer als das Buch)
Mark Fisher: "Sehnsucht nach dem Kapitalismus" (die aufgezeichneten Seminare, das erste Stück hab ich geschafft, dann hat mir das Buch meine Frau aus den Händen gerissen)
Joseph Campbell: "Der Heros in tausend Gestalten" (den großen Wurf spüre ich noch nicht, ist mir zu anekdotisch, will aber nicht aufgeben)
Die andere Ausrede? Habe relativ viel in der ersten Hälfte des Jahres gezeichnet (BESTIARIUM; Angst im Empire). Das kostete Freizeit. Ist aber okay. Jetzt bin ich übrigens „frei“ – keine anliegenden „Verpflichtungen“, also keine laufenden Projekte (die ja ohnehin rein hobbymäßig und freiwillig wären; aber natürlich möchte ich die Kumpel nicht hängen lassen). Das lässt mich aufatmen und auf Neues hoffen. Ich nehme mir vor, in 2025 wieder einfach so für mich was zu machen – was dann vielleicht in einem 4. STERNENSPLITTER münden kann. Ja, irgendwie freue ich mich darauf.
Aber zurück zur Leseliste. Hier kommt die Hitliste. Das wenige, was ich las, mundete mir zumeist.
Ach, da fällt mir auf, dass ich einen Titel nicht erwähnt habe: Die Geschichten von Petra Hartmann zu dem gemeinsamen Buchprojekt „Das galaktische Bestiarium“. Das liegt aber daran, dass die Stories ja Stück um Stück reinkamen und ich davon nur einige in diesem Jahr lesen konnte. War halt ein Langzeitprojekt – das übrigens abgeschlossen ist und in Bälde erscheinen wird (ja, Daumendrücken kann trotzdem nicht schaden!).

 

Also hier, die Liste. Und meine Lieblingsbücher in 2024 waren – mit 11 von 10 Punkten:
Birgit Schmidt: „Wenn die Partei das Volk entdeckt. Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn u.a. Ein kritischer Beitrag zur Volkfrontideologie und ihrer Literatur“, Unrast-Verlag Münster, 2002
Leo Perutz: „Der Meister des jüngsten Tages“

 

Weitere mit voller Punktzahl, also super gut gefallen
Emma Braslavsky: „Erdling“ 10 / 10 Punkte (in dem Jahr sogar 2-mal gelesen)
Yvan Goll: „Sodom und Berlin“ 10 / 10 Punkte
Georgi Demidow: „Fone Kwas oder Der Idiot“ 10 / 10 Härtepunkte
„Kolonialgeschichten“ – Arbeitstitel, Manuskript in der Edition Dunkelgestirn, Ende 2024 erschienen unter dem Titel „Angst im Empire“ 10 / 10 Punkte
John Higgs: „Einstein, Freud & Sgt. Ppper“ 10 / 10 Punkte
Gabriel Heim: „Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra?“ 10 / 10 Punkte
Michel Tournier: „Der Wind Paraklet“ 10 / 10 Punkte
Michel Tournier: „Die Familie Adam“ 10 / 10 Punkte
[E.D’M.A] KA-TZETNIK 135633: „SHIVITTI. Eine Vision“ 10 / 10 Punkte
Warren Ellis: „Gun Machine“ 10 / 10 Punkten
Johannes Weinberger: „Vérité“ 10 / 10 Punkte
Leo Perutz: „St. Petri Schnee“ 10 / 10 Punkte
Ka-Tzetnik 135633: „Das Haus der Puppen“ 10 / 10 Punkte
Daniel Kehlmann: „Über Leo Perutz“ 10 / 10 Punkte
Bodo Uhse: Söldner und Soldat“ 10 / 10 Punkte

 

Auch wunderbar, empfehlenswert, mit Genuss gelesen:
Vincent Voss und Constantin Dupien: „Das Vermächtnis: Ruf der Dunkelheit“ 9 / 10 Punkte
Jan Weiss: „Das Haus der tausend Stockwerke“ 9 / 10 Punkte
Julia A. Jorges: „Symbiose“ 9 / 10 Punkte
Konrad Heiden: „Hitler rast“ 9 / 10 Punkte
Walter Mehring: „Die Nacht des Tyrannen“ 9 / 10 Punkte
Arnolt Bronnen: „Tage mit Bertolt Brecht“ 9 / 10 Punkte
Ahmed Saadawi: „Frankenstein in Bagdad“ 9 / 10 Punkte.
Tatjana Tolstaja: „Rendezvous mit einem Vogel“ 9 / 10 Punkte
Bodo Uhse: „Wir Söhne“ 9 / 10 Punkte
Ferenc Herczeg: „Sirius“ 9 / 10 Punkte
Bechthold & Elbracht: „HERMIT, der Froschbarbar. Der Schrei der Schmättterlinge“ 9/10

 

Hier mache ich für mich schon ein paar Abstriche, aber insgesamt trotzdem für mich sehr gute und wichtige Bücher:
Wolfgang Harich: „Kommunismus ohne Wachstum?“ 8 / 10 Punkte
Anthologie: „Mängelexemplare 5. Am Ende der Zeit“ 8 / 10 Punkte.
Friedrich Nietzsche: „Ecce Homo“ 8 / 10 Punkte
Constantin Dupien: „Der Spuk auf Lakewood Manor“ 8 / 10 Punkte
Claude Cueni: „Weißer Lärm“ 8 / 10 Punkte
Felix Gasbarra: „Schule der Planeten“ 8 / 10 Punkten
Leo Perutz: „Die dritte Kugel“ 8 / 10 Punkte
Octavia E. Butler: „Dämmerung“ 8 / 10 Punkte
Stephen Marche: „Aufstand in Amerika“ 8 / 10 Punkte
Alex Garland: „Der Strand“ 8 / 10 Punkte
Stefan Zweig: „Sternstunden der Menschheit“ 8 / 10 Punkte

 

Weiter geht’s mit …
László F. Földényi: „Die Orte des lebenden Todes“ 7 / 10 Punkte
DROMMETENROT, hg. v. Tobias Reckermann 7 / 10 Punkte
Emma Braslavsky: „Aus dem Sinn“ 7 / 10 Punkte
Yvan Goll: „Der Mitropäer“ 7 / 10 Punkte
Wolfgang Brunner: In seinen Händen mein Leben wie zerbrochenes Glas“ 7 / 10 Punkte
J. D. Vance: „Hillbilly-Elegie” 7 / 10 Punkte
Jan Schomburg: „Die Möglichkeit eines Wunders“ 7 / 10 Punkte
Johannes Weinberger: „Aus dem Beinahe-Nichts“ 6 / 10 Punkte

 

Bei einem Buch möchte ich keine Punkte vergeben, war mehr so ein Nachschlagewerk, auch wenn diese Form eher Vorwand für eine Art polit. Sachbuch darstellte:
Thomas Urban: „Lexikon für Putin-Versteher“




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Leseliste am Ende des Jahres

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 22 Dezember 2024 · 366 Aufrufe
Ina Elbracht, Daniel Bechthold und 5 weitere...

Mein Leselistenabschluss für 2024; die Gesamtübersicht nach Punkten gibt’s aber noch. Beim Lesen der Einträge (und Suchen nach Fehlern, ja ein paar habe ich gefunden, die noch drin sind, nicht) fiel mir jetzt auf, dass meine Gedanken zu den Büchern ziemlich persönlich geraten sind. Ich hoffe, das stört nicht weiter. Ich merke, dass ich immer mehr nach Relevanz für mich persönlich in der Lektüre suche, nach Bestätigungen und In-Frage-Stellungen alter Überzeugungen.

 

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Daniel Kehlmann: „Über Leo Perutz“
Was für ein feines Büchlein! Bin ja erst kürzlich (gemessen an meiner Lese-Karriere) auf Leo Perutz gestoßen. Jetzt weiß ich, was das für ein großartiger Schriftsteller war und habe ihn gleich in den Kreis meiner Lieblingsautoren aufgenommen. Dort befindet sich Kehlmann ja schon ein Weilchen. Und nun beide Namen unter einem Buchdeckel! Was dann auch kein Wunder ist, denn wenn man sich mit Perutz beschäftigt, stößt man auf die Verfilmungen seiner Bücher von dem Vater Daniel Kehlmanns.
Perutz gehörte fest zum Hausrat der Kehlmanns, Daniel ist sozusagen damit aufgewachsen. Er ist zeit seines Lebens Fan des Autors, auch wenn der von der Literatur-Kritik etc. quasi vergessen wurde. Ob sich das mit dem „Über…“-Buch von Kehlmann jetzt ändert?
Das Büchlein hier jedenfalls bemüht sich sehr, Perutz aus dem Vergessen zu zerren. Wobei sehr wenig über das Leben des Autors bekannt ist und Kehlmann sich daher stark auf Inhaltswiedergaben einiger Titel von Perutz, insbesondere und sehr ausführlich auf „Nachts unter der steinernen Brücke“ stürzt. Insgesamt hat das Kehlmann-Buch nur 100 Seiten, also so richtig viel erfährt man dann auch nicht. Wer Angst vor Spoiler-Alarm hat, sollte es jedenfalls nicht lesen. Andererseits offenbart Kehlmann, dass man so manchen Text von Perutz bei einem ersten Lesen gar nicht verstehen kann, weil sich bestimmte Bezüge in einem Roman erst am Ende offenbaren – sofern man sich an Details vom Anfang auch noch am Ende des Lesens erinnern kann. Da hilft wohl nur – mindestens – eine Zweitlesung. Ja, auch ein guter Tipp!
10 / 10 Punkte

 

Jan Schomburg: „Die Möglichkeit eines Wunders“
Die fiktive Biografie des (mir bis dato un-) bekannten „Geister-Barons“ Albert Schrenck-Notzing. Ich hatte mir mehr drunter vorgestellt. Mehr von der Münchner Bohème um 1900, mehr Enthüllungs-Material zu den parawissenschaftlichen und -psychologischen Experimenten, mehr von dem auf dem Buch-Umschlagrücken versprochenen „okkulten Auswüchsen des deutschen Faschismus“.
Dass die erzählte Biografie des Protagonisten so gut wie gar nicht stimmt, habe ich dann erst im Nachgang beim (oberflächlichen) Recherchieren gemerkt. Ist aber okay, ist dann halt ein gut erzählter Roman. Ja, ist gut erzählt, obwohl mir zu viel nur angerissen und angedeutet erschien.
Dabei gibt es da so viele tolle Themen, die den Phantasten in mir triggerten: Parapsychologie und sogar Voodoo auf Haiti (war der echte Albert je auf Haiti?).
7 / 10 Punkte

 

Alex Garland: „Der Strand“
Im Rahmen meiner Alex-Garland-Gesamtlesung und meiner Alex-Garland-Gesamtschau nun also sein Roman-Erstling. Der verfilmt wurde, mit Leonardo DiCaprio & Tilda Swinton. Den Film hatte ich mir dann auch noch gleich angeschaut. Klar, gibt wieder Unterschiede.
Und was ist besser, Buch oder Film? Also, auch wenn das Buch meiner Meinung nach Längen aufweist, ist es doch besser.
Warum? Weil es bestimmte, für mich interessante Elemente, verstärkt darstellt, im Vergleich zum Film. Z.B. die „Apokalypse Now“- Stimmung, oder – noch extremer – das Abgleiten des Protagonisten Richard in den Wahnsinn, der sich durch seine traumartigen „Begegnungen“ mit dem toten Duffy Duck manifestiert. Kommt im Film nur sehr vorsichtig vor, im Roman ist das ein wichtiger und lang erzählter Teil. Sogar so intensiv, dass man vielleicht erst mal gar nicht merkt, dass Richard sich hier mit einem Toten unterhält.
Auch den Wahnsinn Richards angehend, wird sein Verhältnis zu Tot und Töten intensiver dargestellt. Könnte aber eindeutiger sein. Im Film ist sein „Totmachen-Handeln“ ja eher ein Akt der Erlösung für den Betroffenen und es bleibt auch bei dem einen, nicht wie im Buch.
Dafür kommt im Buch m.M.n. das utopische Element der Insel-Gemeinschaft nicht so zum Tragen.
Tja, lohnt das nun für einen 3. Teil meiner „Garland-Akten“ im NEUEN STERN? Hmm, sicher dann doch erst zum 3. Teil seiner Zombie-Filmreihe.
8 / 10 Punkte

 

Tatjana Tolstaja: „Rendezvous mit einem Vogel“
Boah, was für eine Poetin! Ich kann leider nicht sagen, dass ich alles komplett verstanden hätte, aber ich muss gestehen, dass ich von der Sprache und den Bildern, und vor allem von den Gefühlen, die sie erzeugen, komplett überrannt wurde.
Es mag an der Zeit liegen, es gibt so viele Dinge, die (nicht nur) mich endlos traurig machen, und ich daher beim Lesen fast Heulen musste.
So etwa bei „Peters“ – über einen unansehnlichen, dicken Jungen / jungen Mann, der auch sonst kaum Wesenszüge besitzt, die ihn für andere Menschen attraktiv machen. Er vereinsamt und leidet darunter. Hat Selbstmordgedanken. Erfüllung im Leben scheint ihm verwehrt, aber er entscheidet sich doch für das Leben und am Ende, als Alter, ist er sowas wie glücklich (?), jedenfalls sind die letzten Worte der Story ein euphorisches Hoch auf das schöne Leben. Boah – wie wundervoll – traurig!
Oder: Die Titelstory. Über eine erste Liebe, eines Jungen, der Liebe sucht. Sie – existiert sie überhaupt? Bin mir da nicht sicher, ob nur in seiner Phantasie (?) – ist exaltiert, sprüht vor Phantasie. Sie weiht ihn in ihre geheimnisvolle (Parallel-) Welt ein, in der bestimmte Vögel eine Rolle spielen.
Das alles passiert, als der Opa im Sterben liegt, vielleicht ist dies alles eine Metapher auf den Wechsel von Tod & Leben?
Sie schenkt ihm ein Ei, das seinem Besitzer „ewige Schwermut“ verleiht, und dennoch zum Sucht-Ankerpunkt wird. Boah… okay, ich wiederhole mich.
„Der Fluß Okkerwil“ – über eine Frau, die wohl mal sowas wie ein Popstar war, eine begnadete Sängerin und nun in die Jahre gekommen ist.
Eine Story, die mir gerade zu passe kommt, wo ich alternde Popstars beobachten kann – die aus meiner Sicht sehr unterschiedlich (gut) gealtert sind: Jeff Lynne und Robert Smith, die sich gerade beide auf unterschiedlichem Wege aus ihrem Popstarleben verabschieden. Ja, was bleibt vom alten Zauber? Wie hätte ich die Story gelesen, als sie rauskam und ich noch jung war (in den 80ern)? Damals war es mir unvorstellbar, dass die mal genau so alt sein können, wie meine Eltern damals waren. Aber doch, das geht.
„Sonja“ – hat sogar einen eigenen Wiki-Eintrag auf Deutsch. Auch hier ist die Protagonistin eher ein Aschenputtel, wie in „Peters“. Sie wird zudem von einer anderen, die sich als schön und unwiderstehlich wähnt, gehänselt und auch ziemlich arg an der Nase herumgeführt (die andere schreibt scheinbar Liebensbriefe als Mann an Sonja). Während der Leningrader Blockade rettet Sonja der anderen, bösen Kontrahentin das Leben und stirbt selbst. Schon heftig.
Zu jeder Story kann ich hier so eine Zusammenfassung gar nicht schreiben. Würde nur etwas ratlos wirken. Aber ich glaube, ich muss mir da keine Gedanken machen; die Autorin betont immer wieder, dass sie ihre Geschichten so offen und unklar anlegt. Wahrscheinlich ist das Leben so – unklar?
9 / 10 Punkte

 

Bodo Uhse: „Wir Söhne“
Noch so ein „Hobby“ von mir: Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihre verrückten, komplizierten, „unentschiedenen“ Charaktere und Protagonisten. Hatte mir da ja schon „vorgenommen“: Arnolt Bronnen, Felix Gasbarra und zuletzt auch Franz Fühmann. Den ersten und dritten sogar in den STERNENSPLITTERN. Wir sind ja heute gern geneigt, falsche Entscheidungen von damals zu verurteilen. Ich versuche aber immer noch dahinter zusteigen, wie diese Zeit „funktionierte“ und was da wirklich passierte – auch in den Köpfen der Betroffenen.
Mit Bodo Uhse hat es dann auch noch den persönlichen Hintergrund, dass er zu den Lieblingsautoren meiner Mutter gehörte. Konnte ich damals gar nicht nachvollziehen. Aber nun stolperte ich wieder über ihn, mit der Lektüre von „Erdling“ von Emma Braslavsky – wo er nicht auftaucht, aber sein Umfeld und bei Recherchen stieß ich halt wieder auf diesen Namen – und nun vor allem bei der Lektüre von Jens Biskys „Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934“, zu dessen Präsentation in Leipzig ich war und das ich jetzt aktuell lese (halt mit Unterbrechungen, wie dieser hier) und das ja thematisch komplett ins Volle bei mir traf.
Bodo Uhse ist in der DDR irgendwann angekommen, aber das dauerte und er hatte „seine Geschichte“, die ihn vom Kapp-Putsch-Unterstützer in die Redaktion einer faschistischen Tageszeitung führte, ihn dort mit der Landvolk-Bewegung und auch mit kommunistischen Funktionären konfrontierte, was ihn noch vor 1933 veranlasste, von der NSDAP zur KPD zu wechseln.
Man findet schnell etwas über ihn und sein Umfeld; will ich jetzt hier nicht vertiefen. Aber das weckte nun meine Neugier auf seine Literatur, die er selber verfasste (nicht die über ihn).
Dieser Roman beschreibt aus der Ich-Erzähler-Perspektive eines Sohnes eines Offiziers der kaiserlichen Armee eine coming-of-age-Story von Realschülern am Ende des 1. Weltkrieges. Das ist ein Roman über Freundschaften, erste Liebe, über weltanschauliche Entwicklungswege, über erste Lebensentscheidungen – die vor dem historischen Hintergrund des Untergangs des Deutschen Kaiserreichs und des verheerenden Krieges, Armut und Hungerjahre und ideologische Indoktrination und dann auch vor dem Hintergrund revolutionärer Entwicklungen – schon ziemlich weittragend sind. Wo die jungen Leute „rauskommen“, wird dann wirklich erst ganz zum Schluss deutlich.
Stilistisch? Na ja, Uhse ist kein Remarque. Trotzdem las ich es mit Genuss und Spannung; auch wenn das nun kein Abenteuerroman ist, gibt es richtige Cliffhanger und Andeutungen, die das Interesse auf das Folgende wecken sollen.
Ideell hat es mich gepackt, als der Protagonist sich abschottend von seinem Umfeld auf die Suche nach seinem Platz in der (Ideen-) Welt suchte, sich aufmachte auf eine Reise zwischen Blauer Blume und dem Verheißungen der Insel Orplid, der über „krause Wege … die über Sehnsüchte und in sinnlos widrige Abenteuer führten“, begab. (S. 53)
9 / 10 Punkte

 

Birgit Schmidt: „Wenn die Partei das Volk entdeckt“
Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn u.a. Ein kritischer Beitrag zur Volkfrontideologie und ihrer Literatur
Unrast-Verlag Münster, 2002
Was der Titel mit dem Inhalt zu tun hat, hat sich mir nicht erschlossen. Macht aber nichts, denn ich griff bewusst zu diesem Buch, weil es mir im Zusammenhang mit dem Thema immer wieder empfohlen wurde, mit dem ich mich gerade beschäftige. Welches Thema? Na, ich lese z.B. Bodo Uhse; sein „Söldner und Soldat“ liegt nun auch bereit für die Lektüre.
Es sind diese Typen, die so zwischen den Fronten jonglierten, durchaus als Protagonisten – als Täter und auch als Opfer. Über die wir heute so gern den Stab brechen und sie verurteilen, weil wir wissen, wie „das alles“ ausgegangen ist. Ja, damals aber nicht. Und übrigens nützt dieses Wissen offensichtlich auch nicht so viel, wenn man sieht, in welchen Entwicklungen wir heute stecken.
Bodo Uhse und Ludwig Renn sind solche Autoren und Funktionäre, die aus einer reaktionären Ecke stammen, sich dann aber umentschieden haben, die „dazugelernt“ haben – um dann aber, wie dieses Buch hier sehr eindringlich darstellt, sich wieder auf den Holzweg begaben.
Die Autorin beleuchtet die sog. Volksfront-Strategie der Kommunistischen Partei Deutschlands. Über die habe ich im DDR-Unterricht natürlich auch viel erfahren. In Frankreich war sie ziemlich erfolgreich, konnte eine rechte Regierung verhindern. Und Deutschland? Dort scheiterte sie. Allerdings war sie auch ganz andersausgerichtet als z.B. in Frankreich, so die Autorin.
Jetzt kommt kein Geschichtsvortrag. Ich habe aber diese Lektüre regelrecht aufgesogen. Sie eröffnete mir komplett neue Aspekte und Sichtweisen. Ich bin erschüttert und begierig, da mehr drüber zu erfahren.
Dabei geht es oft um die historischen und politischen Begebenheiten, aber immer noch viel stärker um die erzählende Literatur, die dies Politik begleitete, transportieren sollte (wirklich wirksam wurde sie gar nicht, da viele Romane etc. ihre Zielgruppen dann gar nicht mehr erreicht haben).
Die Autorin räumt – bei mir – mit Überzeugungen und Vor-Urteilen auf. Diese Literatur, die sich dann in der DDR fortsetzte, ist wohl keineswegs fortschrittlich, progressiv, wie sie gern erscheinen wollte oder auch (von der DDR-Literaturwiss.) dargestellt wurde. Da gibt die Autorin ziemlich harsche und vernichtende Urteile.
Vielleicht sieht sie ja alles aus ihrem Blickwinkel. Die Arbeit scheint einen wissenschaftlichen Anspruch zu haben, aber sie liest sich einfach auch gut, erscheint mir dann an vielen Stellen gar nicht akademisch, sondern griffig und bildreich.
Für mich klare 11 / 10 Punkte (mein Buch des Jahres 2024?)

 

Stefan Zweig: „Sternstunden der Menschheit“
Nachdem ich endlich mal den Film, „Vor der Morgenröte“, über die letzten Jahres von Stefan Zweig, gesehen habe, der mich ziemlich anrührte, wollte ich auch – endlich mal – sein Buch lesen, das ich bereits als Geschichtsstudent besitze, aber eben doch nie gelesen habe. Vielleicht, weil ich dachte, es bringt mir nichts an Wissenszuwachs? Wobei ich schon sah, dass da Themen angesprochen wurden, mit denen ich mich bisher nicht befasst hatte; insofern hätte es auch Wissenszuwachs gebracht.
Na gut, wie auch immer, dann eben jetzt. Ich habe es mir als Hörbuch gegönnt. Gelesen von Jürgen Hentsch.
Nach dem Hören weiß ich, dass ich Stefan Zweig mehr zu verdanken habe, als ich dachte. Viele seiner Gedanken und Sichtweisen zu historischen Figuren und Ereignissen, bis hin zu konkreten Formulierungen, kamen mir im Nachhinein ziemlich bekannt vor. Warum? Na ja, meine erste Leidenschaft – als Kind, Jugendlicher – war nicht die Phantastik, sondern die Geschichte, vor allem alte Geschichte, griechisch-römische Antike, Mittelalter, aber auch z.B. die Großen Geografischen Entdeckungen. Und mein wichtigster „Geschichtslehrer“ war mein Vater. Er war wirklich Lehrer, aber ich hatte bei ihm keinen Unterricht, aber zuhause hörte ich ihm gern zu. Er prägte meine Gedankenwelt, keine Frage, und bestimmte Schlagwörter, „Urteile“ usw., die ich von ihm quasi geerbt habe, habe ich hier bei Zweig wiedergefunden. Er muss das Buch gelesen – und quasi aufgesogen haben.
Das ist alles lange her.
Die Texte sind, anders als ich vermutet hatte, viel mehr Essays als Short Stories. Dabei sicher subjektiv, schwelgerisch, pathetisch mitunter. Aber warum nicht? Zweig liebte die europäische Zivilisation; so sehr, dass er sich das Leben nahm, als sie durch die Nazis vernichtet wurde.
Für mich bot dieses Buch also einen Ausflug in alter Erinnerungen, aber auch neue Eindrücke; wie z.B. über den US-Präsidenten Wilson und seinen Weltfriedensplan, der nicht zündete, oder über den Schweizer in Kalifornien.
Ein paar Helden der Geschichte fand ich auch langweilig, wie Händel. Aber das ist Geschmacksache, denke ich. Da konnte ich halt auch wirklich nichts Neues erfahren, deshalb fand ich es langweilig und viel zu ausufernd erzählt. Dabei müsste ich als Waldtraut-Lewin-Fan ja auch Händel-Fan sein, oder? Aber das ist eine andere Geschichte.
8 / 10 Punkte

 

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Ferenc Herczeg: „Sirius“
… und sechs weitere phantastische Erzählungen. Hg., teilweise ins Deutsche übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Lars Dangel. DvR, Lüneburg 2024
Was für eine faszinierende Entdeckung, die wir – also erst einmal ich hier – Lars Dangel zu verdanken haben! Ich wünsche dem Buch mehr Aufmerksamkeit. Ein ungarischer Schriftsteller, der nach dem II. Weltkrieg in Vergessenheit geriet. Warum, erklärt Lars in seinem sehr umfangreichen Nachwort ausführlich.
Sein Nachwort stellt die Fragen, ob es sich bei Herczeg um den ungarischen H.G. Wells handelt. Gerade die Titelstory, in der es um Zeitreise mittels Zeitmaschine geht, lässt diese Vermutung ja zu. Die Story entstand übrigens vor Wells! Das macht die Sache noch interessanter, oder?
Lars beantwortet die Frage aber auch gleich selbst; man kann es sich aber auch beim Lesen der Story selbst beantworten: Die „Zeitreise“ hier hat mehr von Jules Verne, weniger von Wells. Die Idee dahinter ist die, dass bei genügend hoher Geschwindigkeit des Flugzeugs, mit dem man um die Erde entgegen der Rotation der Erde fliegt, Tage, Wochen, Jahre „einsparen“ kann, bzw. halt die Zeit zurückdrehen kann.
Ob das physikalischer Unsinn ist, ist dem Autor aber egal. Ihm geht es um die Frage, was passiert, wenn man seinen eigenen Vorfahren begegnet und es dazu kommen würde, dass ein unmittelbarer Vorfahre vorzeitig stirbt. Eine der grundsätzlichen Fragen von Zeitreisen hat damit der Autor schon auf die Agenda gebracht. Allein dafür gebührt ihm Aufmerksamkeit und Bekanntheit.
Die Stories sind durchaus unterhaltsam und allesamt handfeste SF-Stories; eine über einen Unsichtbaren dann wohl tatsächlich von Wells inspiriert, aber auch mit anderer Ausrichtung als bei Wells.
Ich habe den Band mit großem Vergnügen gelesen! 9 / 10 Punkte

 

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Bechthold & Elbracht:
„HERMIT, der Froschbarbar. Der Schrei der Schmättterlinge“
… als Buch! Gab’s ja schon mal in Kurzform im NEUEN STERN. Hier also die Langversion, der ganze Roman. Der erste einer Reihe? Hmm, wer weiß.
Habe mich jedenfalls riesig gefreut, das Werk nun endlich in den Händen halten zu dürfen. Okay, der Druck ist nicht optimal, der Bundsteg fast nicht vorhanden, die Schrift vielleicht ein bisschen zu groß, um gefällig zu sein.
Aber dafür: Die vielen, vielen, tollen Illustrationen. Fast ein Comic ist das ja. Daniel Bechthold hat sich die Seele aus dem Leib gezeichnet. Das macht echt Spaß bei der Lektüre. Dazu die vielschichtige Science Fantasy (?) Geschichte von Ina Elbracht. Eine fremde Welt – TREBORIA – mit „menschelnden“ Wesen, die auf der Erde eher als Insekten und Amphibien durchgingen, dazu irgendwie verloren gegangene Roboter. Etwas Irdisches hat sich dorthin auch verirrt. Wir haben humorige Szenen, seltsam-sexuelle Anspielungen (na ja, Insekten), aber auch handfeste Action und blutiges Geschlachte, wie in der „echten“ Fantasy üblich.
Das Genre wird nicht so ganz ernst genommen, was es mir einfacher machte einzusteigen. Bin ja nicht so der „echte“ Fantasy-Leser.
Ja, hat mir gefallen und ich möchte 9/10 Punkte vergeben; mehr Eindrücke gefällig? Ich verweise gern auf den Eintrag in den Zauberwelten, von Andreas Giesbert:
Hermit - Ein Froschbarbar schlägt zu - Der Schrei der Schmättterlinge - Zauberwelten-Online, der das Buch übrigens auch im NEUEN STERN ausführlich vorstellt.

 

Bodo Uhse: Söldner und Soldat“
Zum Ende des Jahres – ist ja fast mein letztes Buch in 2024; über die Feiertage komme ich erfahrungsgemäß eher weniger zum lesen – bin ich wieder in der deutschen Geschichte drin. So wie ich das Jahr angefangen hatte (mein erstes war eins von Wolfgang Harich).
Und ich habe mich wohl immer noch nicht komplett an dem Thema abgearbeitet – an dem Thema der gespaltenen, unentschlossenen historischen Persönlichkeiten, die zwischen den ideologischen Polen schwingen, die Täter und Opfer waren, die sich entwickelt haben, und über die in der Geschichtsschreibung und gesellschaftlichen Wahrnehmung mitunter schnell ein Urteil gefällt wurde, die aber auch so ambivalent wahrgenommen wurden, wie sie waren.
Hier ist es also Bodo Uhse, ein in der DDR verlegter Autor, dessen Bücher in meiner elterlichen Bibliothek zu finden waren. Ich weiß noch, wie ich die Bücher immer wieder in die Hand nahm, als Jugendlicher, aber sie nie gelesen hatte. Irgendwie ist meine Lektüre Bodo Uhses jetzt auch ein Stück Familien- und persönliche Geschichtsaufarbeitung (?); na ja, mit 60 darf man das wohl.
Diesen Roman schrieb der Autor mit so ca. 30 Jahren. Etwas früh für eine Autobiografie, die sie ja ist. Insgesamt ist er nicht alt geworden, aber wenn ich daran denke, was er auch noch nach diesen ersten 30 Jahren erlebte und machte, dann kann ich kaum glauben, dass er nicht mal 60 wurde. Er hat die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts „voll mitgenommen“ – alle Tiefen ausgelotet (Höhen gab es ja nicht wirklich), ist in alle politischen Extreme gefallen und hat sie auch ausgefüllt, ist also nicht nur einfach Mitläufer gewesen. Genau darum geht es in seinem Buch: Er war als junger Mensch in rechtsextremen Kreisen involviert und aktiv, vom „Bund Oberland“ zur NSDAP. Wobei er das mit dem „Sozialismus“ im Namen der faschistischen Partei sehr wörtlich und ernst nahm – und daher dort an Grenzen stieß. Es gab ja diesen nationalbolschewistischen Flügel innerhalb der NSDAP, um die Strasser-Brüder etc., die er auch selbst kennen lernte. Von der Position aus, quasi moderiert durch seine Konfrontation mit dem teilweise terroristischen Bauern-Widersand gegen staatliche Auflagen, der sich politisch auch sehr zwischen den polit. Extremen bewegte, gelangte er zum ihm zuvor verhassten Kommunismus. Das wird nur ganz zum Ende angedeutet; insgesamt schildert er sehr ausführlich, was diese Männern (ja, es waren ja eigentlich nur Männer) so attraktiv an einem nationalistischen, national-revolutionären und vor allem gewalttätigen „Kampf“ gegen die Weimarer Republik und die KPD fanden. Es geht um Saalschlachten, auch um seine Arbeit bei entsprechenden Zeitungen, die er zum Teil auch redaktionell leitete, und um den Kampf innerhalb der Nazi-Partei um die politische Ausrichtung.
In den Ausführungen von Birgit Schmidt (siehe weiter oben) wird ihm unterstellt, dass er sich mal von den einen, mal von den anderen instrumentalisieren ließ. So habe ich das zumindest verstanden. Als Aussteiger aus der rechten Szene hat er sich dann angeboten, anderen Ausstiegswilligen eine Brücke bauen zu wollen. Das sollte das Buch auch leisten – wirkungstechnisch kam es sicher eher selten dazu, denn es erschien im Exil und wurde höchsten nach Deutschland eingeschmuggelt; ich denke, eine große Verbreitung vor 1945 gab es nicht.
Für mich war dies ein Steinchen mehr für mein Verständnis dieser komplett unbestimmten Zeit und schwer fassbaren (Ideen-) Welt. Dazu mitunter mit sehr griffigen, fast poetischen Formulierungen. Für mich sind das 10 / 10 Punkte




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Tipp zwischendurch: Frankenstein in Bagdad

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 26 September 2024 · 546 Aufrufe

Ahmed Saadawi: „Frankenstein in Bagdad“

 

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Als ich zufällig auf dieses Buch stieß, dachte ich sogleich an meinen SF-Clubfreund Volker Adam. Er ist Islamwissenschaftler und für unseren Rundbrief NEUER STERN immer wieder auf der Pirsch nach phantastischen „Merkwürdigkeiten“ aus dem Orient. „Merkwürdigkeiten“ deshalb, weil uns in (West-) Europa der Kulturkreis gerade hinsichtlich phantastischer Literatur, also was Fantasy und Science Fiction anbelangt, eher komplett unbekannt ist. Wenn da mal was zu „uns“ rüberschwappt, ist man (ich) erst mal sehr überrascht, weil man damit gar nicht gerechnet hat. Ob es Phantastik aus Arabien oder Nordafrika jenseits von „Sindbad, dem Seefahrer“ überhaupt geben kann?
Ja, warum auch nicht?
Jedenfalls biss Volker gleich an, besorgte sich das Buch und las es. Ich kam natürlich mal wieder nicht hinterher. Wir wollten es gemeinsam rezensieren, im NEUEN STERN vorstellen. Seine Expertise in Sachen Orientalistik sollte da gute Dienste leisten. Mein Beitrag wäre dann eher so ein Kommentieren aus Sicht des Phantastik-Fans.
Mir liegt seine Rezension vor, doch habe ich sie bis dato, bis zu dem Moment, da ich diese Zeilen schreibe, noch nicht gelesen. Ich will mal unvoreingenommen rangehen; aber ich weiß jetzt aktuell auch gar nicht, ob und wie meine Ergänzungen zu seiner Darstellung aussehen können.
Ich hoffe, ich habe Euch, liebe Leser / Leserinnen meines Leselistenblogs jetzt hinreichend neugierig gemacht, um dann am Ende den NEUEN STERN in die Hand zu nehmen? Ich kann auf den verweisen und mich hier ja kurz halten.
Wir werden in den Alltag der irakischen Hauptstadt, kurz nach dem Sturz Husseins und der Besetzung durch US-Truppen versetzt. Es beginnt mit einer Explosion. Autobomben sind Alltag in dieser Stadt geworden. Explosionen spielen immer wieder eine Rolle in dem Roman. Wobei – ich müsste jetzt vielleicht zu viel verraten – aber es ist unklar, wann und wie viele Explosionen wir hier betrachten.
Ein Protagonist ist Hadi, ein Trödel-Händler, der auch gern im Teehaus Geschichten erzählt. Die Leute hören ihm zu, glauben ihm aber nicht; das gehört eher in die 1001-Nacht-Ecke.
In einer Geschichte geht es um einen Toten, den Korpus eines Mannes, der aus Stücken verschiedener Menschen zusammen gesetzt wurde. Ihn belebt die Seele eines Bombenopfers. Anders als beim Original-Frankenstein, ist hier die Quelle des künstlichen, neuen Lebens kein Produkt bewusster wissenschaftlicher Forschung, sondern das Nebenprodukt der negativen Auswirkung von Anwendungen wissenschaftlich-technischer Errungenschaften, die Bomben ja im Grunde darstellen. Der Hauch von 1001 Nacht hängt auch hier drüber, aber das ist okay, denke ich, denn Frankensteins Experimente sind ja auch fiktiv und keine Wirklichkeit gewesen.
Das neue Monster beginnt einen Rachefeldzug durch die Stadt. Es hat keinen Namen, wird der Soundso genannt und verbreitet Angst und Schrecken – und das in einer Stadt, in der täglich Bomben explodieren, Milizen und Banden ihr Unwesen treiben, Menschen entführt und getötet werden. Der Soundso ist nicht zu kriegen und nicht zu töten; ja, wie auch, der ist ja schon mal tot gewesen. Er nimmt sich von seinen Opfern auch immer mal wieder neue Teile, die seine wegfaulenden ersetzen.
Gewalt und Blut-Rache, Familien-, Clanfehden lodern nach dem Zusammenbruch des Regimes im Irak auf. Der Autor illustriert sehr eindrücklich, wie sich das anarchistische Leben in der irgendwie kaputt wirkenden Stadt anfühlt. Man kann leben, aber man weiß nicht, was gleich geschieht.
Es werden auch alte Rechnungen beglichen. Z.B. Rache an einem Mann der Baath-Partei, der einst junge Männer dem Wehrdienst zugeführt hatte (für den Krieg gegen Iran) und damit mittelbar den Tod der Männer verantwortete.
Es gibt natürlich auch Kriegsgewinnler, oder Leute, die sich an dem rechtsfreien Zustand bereichern wollen, wie einen Immobilienhändler, der sich irgendwie frei gewordene Häuser und Grundstücke aneignet. Der macht das einfach; scheint zu klappen, also, manchmal.
Der Soundso scheint all diejenigen bestrafen zu wollen, die den Tod derjenigen herbeigeführt haben – direkt und indirekt – aus deren Bestandteilen er sich zusammensetzt.
Ein Journalist wird aufmerksam, und so wie ein Polizist versucht er, dem Soundso auf die Schliche zu kommen. Was sie dabei erleben, Journalist und Polizist, sind noch mal ganz eigene Abenteuer. Da spielt dann auch Korruption eine Rolle und die Ausübung von Justiz in einem Nicht-Rechtsstaat eine große Rollen. (Da bin ich mal gespannt, was Volker dazu sagt in seinem Beitrag im NEUEN STERN.)
Ein paar Dinge haben mich dann auch noch überrascht, die das Leben in Irak betreffen. So spielt Alkohol eine sehr große Rollen, was ich in dem eher islamischen Land gar nicht vermutet hätte. Außerdem sind einige Figuren aus dem Roman überhaupt keine Moslems, sondern Christen. Sie können – zu diesem Zeitpunkt zumindest – ihrem Glauben durchaus folgen auch wenn es Anfeindungen gibt.
Ein vielschichtiges und interessantes sehr gut erzähltes, wenn auch nicht immer so superspannendes Buch, das auch noch eine durchaus überraschende Auflösung erfährt (bin mir nur nicht sicher, ob das so zeitebenen-mäßig und erzähl-technisch funktioniert). Für mich war das eine tolle Entdeckung und erhält 9 / 10 Punkte.

 

PS. Im Forum hier wird es zumindest mal erwähnt, ist also nicht gänzlich unerkannt geblieben.




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Leselistenbericht Sommer '24

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 20 September 2024 · 630 Aufrufe
Emma Braslavsky, Yvan Goll und 2 weitere...

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Der Sommer ist nicht mein Lese-Monat. Von wegen Urlaub und so. Bin nicht so der "Ich lese endlich mal im Urlaub"-Typ, eher genau das Gegenteil. Insofern ist der Stapel hier nicht sonderlich hoch. Und von dem obersten Schmöker habe ich sogar nur ein Drittel "geschafft" bisher. Dafür ist hier nicht zu sehen, was ich angefangen und erst mal liegenlassen habe.
Na, wie auch immer, hier meine kurzen Bemerkungen zum Gelesenen:

 

Ka-Tzetnik 135633: „Das Haus der Puppen“
Nach der LSD-unterstützten Aufarbeitung seiner KZ-Erfahrungen und vor allem -Traumata in „Shivitti“ nun der „anrüchige“ Roman zum Thema Holocaust des Autors mit dem sprechenden Pseudonym. Der Roman hat ja einen gewissen Ruf, den ich nach der Lektüre überhaupt nicht nachvollziehen kann.
Art Spiegelman hat z.B. davon berichtet, dass dieses Buch für seine Sozialisation wichtig war, das es aber auch ob seines pornografischen Inhalts „falsch“ konsumiert wurde. Oder so ähnlich… Ich kann es nicht nachvollziehen.
Hier beschreibt der Autor die Erlebnisse und Erfahrungen eines Mannes und einer Frau, Bruder und Schwester, im Ghetto in einer polnischen Stadt und dann im Vernichtungslager der Nazis, in Auschwitz.
Die schöne Schwester wurde von den Nazis als Zwangs-Prostituierte missbraucht. Hier – so musste ich vorab vermuten, ob dessen, was ich über den Roman „hörte“ – wurden entgegen aller Gerüchte sexuelle Handlungen (Vergewaltigungen letztendlich) nicht in den Fokus gesetzt. Klar, es wird erwähnt, dass die Frauen im sog. „Puppenhaus“ sich von deutschen Wehrmachtsoldaten, die auf dem Weg zur Ostfront noch mal „etwas erleben“ sollten, wie Prostituierte ergeben sollten.
Dafür wurde die Grausamkeiten in dem KZ ziemlich hart und relativ ausführlich dargestellt. Und mehr noch die Angst, die Gefühle der Menschen, die im Ghetto und im KZ leiden mussten.
Was mich beim Lesen beschäftigte, war die Frage, warum sie sich das haben gefallen lassen? Man könnte ja denken, dass Menschen, die im Grunde nichts mehr zu verlieren haben, sich mit allem zur Wehr setzen, um ihren Peinigern Paroli zu bieten, sich aus der Situation selbst zu befreien.
Auf diese Fragen bekommt man hier wirklich Antworten… Ist beeindruckend. (Zum einen gab es Widerstand, bzw. die Absicht, sich zu wehren, zum anderen wird aufgezeigt, wie die Menschen sich von Hoffnung zu Hoffnung hangelten, bis jeder Ausweg unmöglich gemacht wurde.)
Auch interessant, dass der von den deutschen Besatzern eingesetzte Judenrat in den Ghettos von den dort angesiedelten Bewohnern überhaupt nicht gut angesehen wurde, dass deren opportunistisches Verhalten im Grunde mehr Unmut und Hass bei den Menschen erzeugte, als das Verhalten der Deutschen, das irgendwie – so kam es mir bei der Lektüre vor – wie eine nicht fassbare Naturgewalt betrachtet wurde. Moralisch und Faktisch verurteilt wurde aber das Verhalten des Rats. Und die Chefin im „Puppenhaus“ wird auch als Bestie charakterisiert. Eigentlich auch eine KZ-Inhaftierte, eine Kriminelle, die sich den Nazis als extrem bösartige und grausamen Aufpasserin andiente und hier wohl ihre Art von Vergnügen zog. Puh, echt fürchterlich!
Ein beeindruckendes Buch! Sehr emotional, sehr erhellend, da aus der Innenansicht eines direkt Betroffenen geschildert, eines normalen, unpolitischen Menschen, der eigentlich nur glücklich leben wollte, was ihm und den Seinen verwehrt wurde, der niemanden etwas getan hat und dennoch „bestraft“ wurde.
Die Schilderungen sind hier weit weniger spirituell im Vergleich zu „Shivitti“, insofern also eine interessante und wertvolle Ergänzung.
10 / 10 Punkte

 

Emma Braslavsky: „Aus dem Sinn“
Hörbuch, ungekürzte Autorenlesung von Emma Braslavsky & Alexander Magerl
Ihren Erstling wollte ich nun auch noch kennen lernen; zum Selberlesen hat’s da bei mir aber nicht gereicht. Also lass ich es vorlesen, und das gleich von der Autorin (mit Unterstützung).
Es geht um in die „Ostzone“, dann: DDR, umgesiedelte Sudetendeutsche aus der Tschechoslowakei. Für mich interessant war der Gedanke, dass sie auch eine, natürlich geheime, sudetendeutsche Organisation hatten, die durchaus politisch aktiv wurde, oder werden wollte. Gab es die sudetendeutschen Demonstrationen in Prag Ende der 60er Jahre? An denen auch Leute aus der DDR teilnahmen? Die dann natürlich in den Stasi-Knast wanderten…
Es ist eine Familiengeschichte, die in der frühen DDR spielt. Alle Leute haben Vergangenheit – das vergisst man ja bei nüchternen historischen Betrachtungen gern. Diese Vergangenheit in der Tschechoslowakei und auch nach dem Anschluss ans 3. Reich schimmert immer wieder durch.
Ich habe das Buch stückchenweise und über einen ziemlichen langen Zeitraum gehört. Dass tat ihm nicht gut, muss ich sagen. Mir fehlte der Fokus; Spannung konnte sich bei mir dadurch nicht aufbauen. Mag aber auch ein bisschen am Buch liegen? Es ist voller Figuren, deren Rollen ich kaum auseinanderhalten konnte, denn es gibt hier mehrere Protagonisten (?). Na ja, aber ich bin froh, es nunmehr zu kennen. Bin ich jetzt vollständig in meiner Braslavsky-Lektüre?
7 / 10 Punkte

 

Octavia E. Butler: „Dämmerung“
Erster Teil der XENOGENESIS-Trilogie. Nun wollte ich doch auch mal was von der viel gelobten Autorin lesen. Zuletzt gab es euphorische Rezensionen von Peter Schünemann im NEUEN STERN – über ihre PARABEL-Reihe, die Romane „Die Parabel vom Sämann“ und „Die Parabel der Talente“. Da nun die XENOGENESIS-Trilogie in einem fetten Band neu rauskam, schlug ich zu.
Und? Hmm, nun ja. War ja nicht übel, aber…
Restlos zufrieden oder stark begeistert bin ich nicht.
Eine Frau wacht – wohl nicht zum ersten Mal, aber nun dauerhaft – in einer ihr komplett fremden Umgebung auf. Was, warum, wieso: Sie weiß es lange Zeit nicht. Klar ist nur, dass sich die Menschheit auf der Erde (mal wieder) mit einem globalen Atom-Krieg ausgelöscht hat.
Wir erfahren, dass Aliens, die Oankali, sie gefangen hält und nach Bedarf in künstlichen Schlaf versetzt oder daraus erweckt. Unsere Heldin wurde von den Aliens eine Aufgabe zugeteilt. Sie soll im Grunde weitere Menschen auswählen und deren Erwachen begleiten, um den Kern einer Siedlergemeinschaft zur Neu-Urbarmachung der Erde aufzubauen.
Sie selbst kann sich auch nur schwer mit den Gedanken anfreunden, zum einen diese Aufgabe zu haben und auszufüllen, zum anderen überhaupt eine „normale“ Beziehung zu den doch arg fremdartigen Aliens aufzubauen. Die binden sie sogar in ihre Art von Familie ein.
Das Ziel der Aliens ist es, eine – quasi reformierte – neue Menschheit aufzubauen.
Das alles klingt nach einer SF-Utopie, wobei die Modalitäten eben nicht unbedingt realistisch klingen; mir wurde die Motivation den Aliens bis zum Schluss (des 1. Bandes) nicht plausibel.
Was mich aber ziemlich mit der Geschichte hadern ließ, war der Umstand, dass die gerade vom Tod auferstandenen, frisch vor der Ausrottung bewahrten Menschen schön weiter fremdenfeindlich, angstgesteuert und gewalttätig sind. Die haben gerade auf die harte Tour lernen müssen, wozu das führt, und können sich keinen Augenblick ändern, darüber konstruktiv nachdenken, auch wenn man ihnen die Chance dazu gibt! Das ist alles so ärgerlich! Aber vielleicht ist das in der ziemlich phantasievollen Geschichte der realistische Kern: Das ist die Art des Menschen.
Am Ende gibt es so eine Gruppe Wiedererweckter. Die glauben zum Teil noch nicht mal daran, dass es die überhaupt Aliens gibt, dass sie sich in einem Raumschiff und nicht auf der Erde befinden und sie haben Angst vor unsere Heldin, die schon zu nahe an den Fremdlingen ist.
Es endet in einem Blutbad – von dem ich immer noch dachte, dass es vermieden werden kann, von wegen Vernunft und so… Den Neustart für die Menschheit peitschen die Oankali aber durch. So kann es dann also weitergehen.
8 / 10 Punkte

 

Yvan Goll: „Der Mitropäer“
Mein 2. Roman vom Lyriker Yvan Goll. Der Vorname wird manchmal auch „klassisch“ Ivan geschrieben. Ich habe bisher nur die Bücher mit „Yvan“ erwischt (ein drittes wartet noch).
Hier treffen sich in den brisanten 20ern zwei Brüder, die sich bisher noch nie sahen, da sie zwar die gleiche Mutter, aber halt verschiedene Väter haben und auch 10 Jahre Altersunterschied aufweisen.
Einer ist sozialisierter Franzose, der Ich-Erzähler und Ältere „Mitropäer“, also Mitteleuropäer – im Grenzgebiet von Deutschland, Frankreich, Schweiz aufgewachsen.
Es gibt noch einen dritten Mann, einen (Exil-) Russen. Die drei verkörpern verschiedene Weltanschauungen, Lebensentwürfe; Charaktere sowieso. Alle drei werben um einen Frau. Dies ist der Kern der Erzählung. Ich griff zu dem Roman, weil ich mir davon versprach, dass die verschiedenen Welt-Entwürfe dieser Umbruchzeit (Revolution, Konterrevolution, aufkeimender Faschismus) in den Fokus gerückt wird, eben anhand der drei Figuren.
Na ja, so ganz konnten meine Erwartungen nicht erfüllt werden. Für Golls Nihilismus, der ihn wohl prägte, sollte ich dann doch noch ein anderes Buch lesen.
Aber es war kurz und kurzweilig, durchaus, auch wenn ich den damaligen Zeitgeist in den Zeilen nicht im gewünschten Maße vorfand.
7 / 10 Punkte

 

Wolfgang Brunner: "In seinen Händen mein Leben wie zerbrochenes Glas“
Pulptopia. Sonderausgabe Nr. 1
Der (sich selbst so betitelnde) „Fette Verleger“ haut ja ein Ding nach dem anderen raus. Sascha Lubenow scheint nach dem idealen Medium zu suchen, mit dem man den deutschen Literatur-Phantastik-Markt nachhaltig überschwemmen kann. Nach großartigen handgemachten Edel-Ausgaben nun also „SCHUND“ – Hommagen an die Groschenheft-Ära, in allen möglichen Formaten / Größen und jetzt also auch ein Magazin?
Vielleicht ist die Bezeichnung „Magazin“ hier etwas Etikettenschindel. Das Format passt, aber der Inhalt ist eben dieser eine Roman, der wahrscheinlich zu lang für die Schundheft-Auswertung war.
Der Autor schreibt auch keinen „Schund“ – wobei das die anderen auch nicht machen. Die, die ich bisher kenne, sind von leichter Hand, halt unterhaltsam. Das hier, von W. Brunner, scheint von anderem Kaliber.
Allerdings konnte es / oder er mich nicht wirklich überzeugen. Wir haben ein Post-Doomsday-Setting, das man nach modernen Zombie-Filmen und vor allem „Die Straße“ von McCormac ohnehin kaum noch toppen kann, aber die sich darin wiederfindenden Personen, zunächst ohne Gedächtnis, scheinen doch eher in einer Art Truman-Show zu stecken.
So richtig spannend ist das alles für mich nicht gewesen und die philosophische, ethische, emotionale Tiefe, die das Buch verspricht, konnte auch nicht – für meine Begriffe – eingehalten werden. Da wird viel zu viel besprochen – und also nur behauptet. Manche Auslassungen der Protags über Liebe & Leben sind mir zu flach und ihre emotionalen Verwicklungen kamen für mich nicht überzeugend genug rüber, packten mich nicht. Na, mag an mir liegen.
Ich las aber auf das Ende dann doch mit einer gewissen Spannung hin; wollte schon wissen, wie sich das Ganze auflöst, was dahinter steckt. Ja, es ist anders als es scheint, aber auch nicht sooo überraschend. Hat man schon mal irgendwo gelesen / gesehen…
Rezi dazu im NEUEN STERN. 7 / 10 Punkte

 

2 x Historische Auseinandersetzungen mit einem leider aktuellen Thema

 

Konrad Heiden: „Hitler rast“
Das Buch traf mich rein zufällig, als ich das hiernach vorgestellte las. Das passte wie die Faust aufs Auge, kam gerade zurecht und ich ließ mich drauf ein.
Heiden ist ein in Vergessenheit geratenen deutschen Publizist, der das Buch unter dem Pseudonym Klaus Bredow veröffentlichte und der sich schon früh mit faschistischen Entwicklungen in Deutschland befasste. Dieses Buch stellt seine Sicht auf den sog. Röhm-Putsch dar, inklusive Vorgeschichte dazu.
Das Buch ist lange nicht publiziert worden, auf dem Cover prangt ein Aufkleber: „Nach 90 Jahren wiederentdeckt“.
Für mich am erstaunlichsten war an dem Buch, dass es 1934 in Deutschland erschien, noch erscheinen konnte. Der Autor arbeitete auch für eine Zeitung, die SPD-nah und antifaschistisch auch noch 1934 arbeiten konnte. Die Gleichschaltung und das Verbot aller Nazi-Gegner erfolgte halt nicht abrupt und sofort 1933.
Leider argumentiert Heiden auch mitunter homophob; zumindest kreidet er den Hitler & Co. an, dass er/sie einerseits Homosexualität verurteilten und gleichzeitig die bekannte Homosexualität in der SA-Führung tolerierte. Zumindest bis zu dem Ereignis, in dem es in dem Buch geht. Dieses „Argument“ wird halt nach Belieben eingesetzt, wie so viele andere auch.
Ein großes Anliegen Heidens war es, Hitler und seinen Anhängern nachzuweisen, dass sie eben keine Interessen des Volkes vertraten. Ihren antikapitalistischen Ansatz hatten sie schon bald selbst verraten. Dabei gab es halt durchaus sozialistische Aspekte und Vertreter in der Nazi-Partei. Die wurden aber kaltgestellt, auch schon vor 1934. Dieser „Richtungskampf“ innerhalb der Nazi-Partei ist Teil des Erklärungsmusters, das der Autor hier bemüht. Dabei geht er in aller Kürze und bei seinem insgesamt knackig-prägnanten Berichtsstil durchaus differenziert vor.
Vielleicht kann Heiden uns heute über dieses Ereignisse nicht wirklich Neues erzählen, aber wie er das macht, macht das Buch – für mich – sehr interessant und lesenswert.
9 / 10 Punkte

 

Walter Mehring: „Die Nacht des Tyrannen“
Auf den Autor kam ich dank „Erdling“ von Emma Braslavsky. Wieder so eine tolle Inspiration aus diesem tollen Buch (das mir als Stichpunktgeber für eine Epoche, in der ich mich zurzeit ohnehin viel und intensiv bewege, dient und damit mir immer wertvoller wird).
Über den Namen „Mehring“ bin ich auch gestolpert, weil sein Namensvetter, Franz Mehring, mir als ehemaliger Geschichtsstudent durchaus geläufig war. Von Walter M. hatte ich aber bis dato gar nichts gelesen.
Dieses Buch ist 1937 geschrieben worden. Im Exil, ohne große Verbreitung. Auch wenn es zahlreiche Anspielungen und Parallelitäten zu damals aktuellen und tatsächlichen Ereignissen gab, so ist es doch eher ein phantastisches Buch, weil es in einem fiktiven südamerikanischen Land spielt und die geschilderten historischen Ereignisse auch fiktiv sind.
Mehring wollte wohl eher ein allgemeingültiges Buch zum Thema Tyrannei schreiben, nicht unbedingt eine Parodie auf die „Hitlerei“ (wie er sich wohl damals gern ausdrückte). Eher sollte es dem „Mythos Tyrann“ nachspüren, der Autor wählte dazu eher einen psychologischen Ansatz und brachte sich damit etwas in Widerspruch zu seinen antifaschistisch eingestellten Kollegen im Exil, die doch materialistischer an die Sache gingen.
Im Nachwort wird aber dargestellt bei wie vielen Punkten Mehring durchaus Parallelen zur Realität in Deutschland aufzeigt. Mir sind die beim Lesen nur sporadisch so direkt aufgefallen; es sind auch viele sehr allgemeine Punkte. Insofern hat der Autor vielleicht – bei mir – durchaus sein Ziel erreicht. Allerdings nahm er dadurch seinem Text die Brisanz.
Außerdem gewinnt der „Tyrann“ auch nicht, was leider nicht der Realität entsprach.
Was mir sehr stark wieder gefällt, ist die expressionistische Sprache des Textes; der Autor hat – wie viele seiner Generation – keine Scheu vor kräftigen Sprachbildern und poetischen Formulierungen Das ist – in der Kürze – sehr eindrucksvoll.
Zum Buch (-inhalt) lasse ich mich mal wieder mehr im NEUEN STERN aus – ja, ist ja im Grunde Phantastik, Alternative Historie (würde ich sagen); mythologische Fiktion (meint im Grunde der Nachwortautor Christoph Buchwald).
9 / 10 Punkte

 

Arnolt Bronnen: „Tage mit Bertolt Brecht“
Futter für meine Bronnen-Manie. Die hatte ich in meinem 2. STERNENSPLITTER (link) ausgelebt. Mein SF-Club-Kumpel Peter meinte während eines SF-Stammtischs, er hat ein Buch von Arnolt Bronnen, das er sehr gern gelesen hat. Ich war sogleich interessiert und er versprach, es mir mal auszuborgen.
Ich hatte das längst wieder vergessen, doch zum August-Stammtisch brachte er es tatsächlich mit. Ich war entzückt – und noch mehr, als er es mir schenkte. Warum? Er las es da aktuell gerade zum wiederholten Male. Auf seinem Weg zum Stammtisch ging er an einer der Halleschen Bücherzellen vorbei – und fand dort ein Exemplar genau dieses alten dialog-Büchleins aus dem DDR-Henschelverlag! Was? Gibt es solche Zufälle?
Als ich es zu lesen begann, war ich zunächst irritiert. Von wem stammt der Text? Scheinbar erzählt, schreibt da jemand über die Freundschaft zwischen Bronnen und Brecht zu Beginn der 20er Jahre, in der Zeit der Hyper-Inflation. Es brauchte tatsächlich ein Weilchen, bis ich checkte, dass hier Bronnen über sich selbst und Brecht schrieb – in der dritten Person.
Ja, Bronnen kann wohl nicht nicht außergewöhnlich.
Die anekdotische Erzählung von zwei sehr eigenen Persönlichkeiten, die auf jeden Fall ihre Leidenschaft zum progressiven Theater verband und die ziemlich aneinander hingen, was u.a. eingestreute Briefe beweisen, liest sich kurzweilig. Auch wenn es thematisch halt sehr um ihre Fortschritte und Niederlagen in Sachen Theaterstücke-Schreiben und -Aufführen geht, was ja fast schon ein Spezialthema ist (für das der Henschelverlag ja da war).
Die expressionistische Art, vor allem auch der Briefe von Brecht, fasziniert mich immer wieder. Auch wie sie mit ihrer Not, die auch durch die Inflation erzeugt wurde, in der ihre Entlohnung ja im Grunde schon bei der Auszahlung komplett wertlos war, umgingen, kann irgendwie Impuls für den Umgang mit eigenen Nöten (die aber den Götternseidank nicht so arg sind) geben.
9 / 10 Punkte

 

Stephen Marche: „Aufstand in Amerika“
Untertitel: „Der nächste Bürgerkrieg – ein Szenario“.
Nach dem Film „Civil War“ von Alex Garland und vor der Präsidentenwahl in den USA wollte ich mich doch etwas mehr mit dem Themenkomplex der aktuellen krisenbehafteten US-Gesellschaft beschäftigen. Dieses und ein weiteres Buch, das hier dann ja auch noch erwähnt wird, erschienen mir dafür richtig. Ob das so ist?
Der Gedanke, dass sich die USA auf dem Weg zu einem neuen Bürgerkrieg bewegt, kann auch als selbsterfüllende Prophezeiung verstanden werden, die genau die Kräfte befeuern, denen in dem vorliegenden Buch unterstellt wird, dass sie sich auf einen solchen vorbereiten. Ist also schon die Beschäftigung mit der „Idee des Bürgerkrieges“ Teil des Problems?
Nein, das weise ich von mir. Es muss ja möglich sein, dass man sich vorbehaltlos mit diesem gesellschaftlichen Narrativ beschäftigen kann, ohne es damit „herbei zu reden“.
Der Autor ist Kanadier und beobachtet sein Nachbarland. Er sieht die wachsende Spaltung der US-Gesellschaft und wie die politischen Kräfte damit umgehen und vor allem, wie die ideologisch ziemlich verhärteten Menschengruppen in den USA mit dieser Situation umgehen. Er zeichnet dabei durchaus ein recht auswegloses Bild.
Klar, irgendwie ist das Buch schon etwas „reißerisch“; allein der Titel. Die „Szenarien“, die laut Titel den Bürgerkrieg beschreiben, machen mitunter etwas anderes. Das alles ist sehr interessant und bilden möglicherweise in der Summe wirklich eine prekäre Situation.
Was mir gefällt, sind die historischen Bezüge. Der Autor fantasiert sich hier nichts zusammen und macht keine Prophezeiungen ins Blaue hinein, sondern schaut in die Geschichte der USA und zeigt auf, welche Konflikte in ihr bestehen, wie sie sich bereits entluden und wie sie sich nun weiterhin zu entladen drohen. Das alles wird nicht wissenschaftlich vertieft. Er hat mit Protagonisten des politischen und gesell. Lebens der USA gesprochen, sie interviewt, daraus seine Schlüsse gezogen. Klar, da hätte er mehr drauf eingehen können, die Quellen mehr zu Wort lassen können. So bleibt es bei dieser kurzen Anregung zum weiteren Nachforschen in den Untiefen der US-Gesellschaft.
8 / 10 Punkte

 

J. D. Vance: „Hillbilly-Elegie”
In Ergänzung zum “Amerikanischen Thema“ nun also das Buch der Tage. Zum Zeitgeist? Ja, ich gebe zu, hier wollte ich einfach mal wissen, wie die Trumpisten ticken. Wobei ich das gar nicht hier erkunden konnte, denn als Vance das Buch schrieb, war er kein erklärter Trumpist, eher sein Gegner. Aber der Kern sollte schon da sein, oder?
Ich mache es kurz: Es ist das Buch eines Aufsteigers, der die Schranken seiner Klasse (nein, so nennt er das natürlich nicht) durchbricht. Er kann sich aus der „Tradition“ seiner Familie, seines Milieus lösen, studiert an renommierter Universität und bleibt doch immer ein Sohn seiner Kla…, ach so, nein, so sagt er das ja nicht. Aber er bietet sich hier schon im Grunde als gebildeter Vertreter „seiner Leute“, als Volkstribun, an.
Was mich interessierte, war die Darstellung der Menschen, die im Rost Belt nun gerne Trump wählen, weil sie denken, er kann sie aus ihrem Elend befreien. Die Lage ist wohl schon verheerend. Die Hillbillys, Bewohner der Appalachen, die einst in die Industriegebiete der Arbeit wegen umsiedelten, die von schottischen Einwanderern abstammen und bestimmte religiöse, familiäre und soziale und gesellschaftliche Probleme und Bindungen etc. mitbrachten und weiterhin pflegten und die sie – so kann man es den Worten von Vance durchaus entnehmen – nicht zur intellektuellen Speerspitze der neuen US-amerikanischen Gesellschaft machten, sind nun noch durch den massiven Verlust der Arbeitsplätze in der Schwerindustrie betroffen und bedauern den Verlust ihres Amerikanischen Traumes. Die Familien zerrüttet, Drogenmissbrauch und Gewalt sind an der Tagesordnung, man bleibt seinem Milieu verhaftet.
Vance meint aber, man könnte, wenn man wollte, da raus. Er hat es ja geschafft. Staatliche Förderprogramme haben die Angelegenheit meist nur verschlimmert, auch wenn sie gut gedacht waren (was er durchaus einräumt). Aber man braucht Förderer und viel Glück, was er hatte. Na ja, halt so ein bisschen Ayn Rand für Anfänger, oder?
Insgesamt schreibt er aber sehr viel über seine Familie und sich selbst, was mich dann irgendwann nur noch wenig interessierte. Von Gesellschaftsanalyse ist prozentual sehr wenig im Buch enthalten. Hätte mich durchaus mehr interessiert, als die paar Schlagwörter und Kurzzusammenfassungen der Miseren seiner Welt.
So richtig gut erzählt ist das alles auch nicht, am Ende verstehe ich den Kult um dieses Buch nicht.
7 / 10 Punke




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Leseliste 1.Mai bis Sommeranfang 2024

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 21 Juni 2024 · 1.175 Aufrufe
Leo Perutz, Team Feuerernte

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Emma Braslavsky: „Erdling“
Rekord: So schnell habe ich – als Erwachsener* – kein Buch wiederholt gelesen. Es ist kein halbes Jahr rum. Aber hier hatte ich natürlich einen Grund. Werde am 30. Mai eine Lesung der Autorin im Literaturhaus Leipzig, eingeladen vom Freundeskreis SF Leipzig moderieren / bzw. moderiert haben. Da muss ich mich doch vorbereiten. Ansonsten gilt, was ich damals geschrieben habe. Bin nach wie vor von dem Werk begeistert. Diesmal habe ich noch mehr auf die „Nebenfiguren“, also die ständigen und temporären Reisebegleiter von Emma Andreas geachtet. Wobei mir mehr als zuvor klar wurde, dass Hanns Heinz Ewers eigentlich keine Nebenfigur ist, sondern vielleicht sogar DIE Hauptfigur? Muss ich die Autorin mal fragen, warum sie denn nicht gleich eine Biografie des Schriftstellers geschrieben hat, der so viel mehr als „nur“ ein Schriftsteller war.
*) Als Jugendlicher hatte ich das schon drauf: Buch ausgelesen, umgedreht, gleich noch mal von vorn. Kam vor, ich erinnere mich da an einen Roman von Hugh Lofting über den mit den Tieren sprechenden Tierarzt Doolittle und an Fühmanns tolles Sprachbuch.

 

Leo Perutz:Der Meister des jüngsten Tages“
Endlich! So lange liegt er schon auf meinem SUB – und was habe ich da so lange verpasst! Das Buch ist einfach herrlich. Der Autor scheint insgesamt superinteressant, das wird hier garantiert nicht mein letzter Perutz gewesen sein!
Dabei habe ich ihn „nur“ gelesen, weil ich mich auf die Lektüre von „Drommetenrot“, einer Anthologie des „Teams Feuerernte“, vorbereiten wollte. Dazu dann gleich im Anschluss…
Was ist das für eine Geschichte? Ein Roman über Drogenmissbrauch? Die Erzählung eines „unzuverlässigen Erzählers? – Das wird oft kolportiert, aber ich muss gestehen, ich habe ihm, dem Baron, durchaus jedes Wort geglaubt. Als er dann wirklich abdrehte, war er ja nicht bei sich – um es mal so auszudrücken.
Oder ist es doch ein normaler Krimi und wir müssen herausbekommen, wer die vermeintlichen (?) Selbstmorde initiierte?
Den Inhalt käue ich hier nicht wider. Außerdem gibt es eine ziemlich gute Verfilmung, die übrigens vom Vater von Daniel Kehlmann stammt, der im Herbst ein Buch über den halbvergessenen Autor Leo Perutz veröffentlichen wird. Na, so ein Zufall! (Eine Nachricht, die meine Begeisterung über meine Entdeckung dieses Autors ins Unermessliche steigert und mich sehr auf den Herbst freuen lässt!)
Also, da gibt es eine Selbstmordrate, die den illustren, ansonsten gelangweilten Vor-Kriegs-Dekadenz-Zirkel in der K&K-monarchischen Idylle aufmischt. Es gibt Beschuldigungen und ein Geheimnis, das sich um einen Renaissance-Künstler, ein Buch aus der Zeit und ein geheimes Drogen-Rezept aus noch älterer Zeit dreht. Das Ganze ist spannend und flüssig erzählt, wirkt keineswegs angestaubt, aber auch nicht reißerisch. Bin begeistert, aber das sagte ich ja bereits.
11 / 10 Punkte

 

DROMMETENROT“, hg. v. Tobias Reckermann
Anthologie mit 3 Novellen und 1 Erzählung von
Christian Veit Eschenfelder, Felix Woitkowski, Tobias Reckermann & Erik R. Andara
Das Team Feuerernte. Da Gibt es noch mehr Anthologien, wobei die Zusammensetzung des Teams auch etwas wechselt. Dieser Band steht thematisch unter dem Einfluss des Romans von Leo Perutz, „Der Meister des jüngsten Tages“. Man sollte den Roman gelesen haben, sonst entgeht einem, was es mit diesem Rot-Ton auf sich hat.
Dieser Band ist, wie die anderen auch, im Blitz-Verlag erscheinen, allerdings in der Reihe „H.P.Lovecrafts Schriften des Grauens“. Warum? Keine Ahnung. Weiß auch nicht, warum dann nur dieser, die anderen aber nicht. So kommen wir aber in den zweifelhaften Genuss, dass in den ersten beiden Novellen zwischen den Absätzen das Portrait von Lovecraft erscheint. Warum nur bei den ersten beiden? Keine Ahnung. Zumal sie da für meine Begriffe am wenigsten passen, denn diese beiden Texte sind am weitesten vom „Geist HPLs“ entfernt – für meine Begriffe.
Die beiden ersten haben es mir als Leser auch nicht leicht gemacht. Hach, ich würde ja gern mehr zum Plot erzählen, möchte mich aber nicht outen als jemand, der den nicht so richtig verstanden hat.
Nee, die haben mir nicht gefallen. Und da ich Perutz noch so gut im Gedächtnis hatte, mich auch an seiner konkreten, fassbaren, spannenden Erzählweise erfreut hatte, konnte ich mit den kryptischen, fast experimentellen Texten weniger anfangen.
Felix Woitkowskis Story (mehr drei Stories in einer Novelle) war da noch am greifbarsten für mich. Sein Protagonist sucht und findet Geheimnisse in einer mysteriösen GaLerie (ja, mit großem Binnen-L), aber es geht nicht nur um die Wirkung von Bildern, sondern auch von Musik. Bei CVE ist es das Theater. Möglichweise das Dada-Theater? Weiß nicht…
Verwöhnt wurde ich dann durch den Beitrag des Herausgebers!
Das war stark! Dafür lohnt die Anschaffung dann durchaus. Formal lehnt sich seine Novelle, „Der Meister der Letzten Tage“, auch am meisten an Perutz an. Und holt den Stoff gekonnt in die Gegenwart, in die reale Welt eines bundesdeutschen Linken, dem eine Nähe zu terroristischen Kräften zum Verhängnis werden könnte. Der Protagonist ist so ein Mensch aus dem Kreuzberger Milieu. Seine Flucht, auf die er sich sicherheitshalber begibt, obwohl er eher nichts mit einem Anschlag auf ein Szene-Café zu tun hat (aber wer weiß – ist er der unzuverlässige Erzähler?) führt ihn über ein italienisches Kloster, das auch bei Perutz eine Rolle spielt, in die orientalische Wüste und eine Kommune, Sekte (?) von Kultur-Widerständlern, die sich dahin zurück gezogen haben, aber weiter aktiv bleiben, weltweit, mittels Hochtechnologie in Wüstenhöhlen. Sie kämpfen gegen die drohende Apokalypse, die ganz konkret und akut droht – gegen den sozialen und vor allem klimatischen Kollaps.
Ein Text, den ich zum Teil gleich mehrfach las. Großartige Formulierungen und Sprachbilder, die aber nicht vom Plot ablenken. So muss das! Ich bin ziemlich angetan.
Erik R. Andara hat den kürzesten Beitrag im Band. Macht aber nix. War eine sehr feine Erzählung! Über die Beziehung einer Entwurzelten zu einem apokalyptischen Gemälde in Drommetenrot. Sie ist die Erbin des Bildes und wir erleben, wie sie es wieder in ihren Besitz bringt – physisch und psychisch. Dies ist ihr persönlicher Reinigungsprozess – sowas wie eine positive Apokalypse?
Eines schafft der Band: Drommetenrot wird zum Symbol, Synonym für ein apokalyptisches Gefühl, einen besonderen Seelenzustand und im Grunde mit der „Blauen Blume“ der Frühromantiker vergleichbar. Sollte ich mir merken.
7 / 10 Punkte (für den gesamten Band; was mich nicht davon abhalten wird, auch die anderen Bände des Teams Feuerernte zu lesen – bald)

 

Johannes Weinberger: „Vérité“
Noch eine Zweitlesung. Hatte ich Anfang der Nullerjahre gelesen, als Geschenk von jemanden erhalten. Auch wenn ich nicht dachte, dass es „mein Thema“ ist – so war ich dann doch sehr überrascht. Fast würde ich schreiben, „freudig überrascht“ – nur kann man bei dem Stoff kaum wirklich Freude erfahren. Aber spannend, brillant geschrieben und am Ende und insgesamt sehr drastisch. Mehr Horror und auch Mystery, als man vermuten würde. Ist es aber.
Leier habe ich jetzt erst erfahren, dass der Autor 2022 verstorben ist. Geboren 1975 und jetzt schon tot! Ich wollte immer mal sehen, was er noch so… und nun das. Bin ziemlich erschüttert.
Deshalb habe ich das Büchlein aus dem Aarachne-Verlag (den es auch nicht mehr gibt) gelesen und war wieder ziemlich angetan. Schräge Sache, leider nicht komisch, wenn auch mitunter schwarzhumorig und mit einem Grinsen zu lesen, über so manche „komische“ Formulierung, aber nein, kein lustiges Buch, aber gut!
10 / 10 Punkte

 

Johannes Weinberger: „Aus dem Beinahe-Nichts“
Was ist das? Ein Prosagedicht? Eine Parabel-Reigen? Ein Märchen? Mich hat es dann doch nicht so überzeugt.
Der Wolf aus dem Beinahe-Nichts, einer Art Ur-Zeit-Welt, spielt eine viel zu kurze Rolle, finde ich. Es gibt ein paar dolle Bilder, die mit ihm zu tun haben. Das ja, aber am Ende ist das alles nur angedeutet. Es gibt auch andere Begegnungen, kaum mit „normalen“ Menschen. Den tieferen Sinn habe ich da nicht verstanden.
6 / 10 Punkte

 

Thomas Urban: „Lexikon für Putin-Versteher“
Eine LBM-Erinnerung. Ich war bei der Veranstaltung zum Buch und mit dem Autor in der „Runden Ecke“ während der Leipziger Buchmesse 2024. Und ich war recht beeindruckt von dem Journalisten, der viele Jahre u.a. auch in Russland verbrachte und das Land und sein politisches System quasi von innen kennen lernen durfte. Nun ist er sehr erpicht darauf, sein Wissen weiterzugeben.
Auch bei der Veranstaltung geizte er nicht mit seinem Wissen, mit Fakten und Hintergrundinfos, die man so kaum haben kann, ohne sich tiefer mit der Materie beschäftigt zu haben. Da knüpft diese Buch an. Es gibt vor, ein Lexikon zu sein und es enthält Artikel zu Stichpunkten, die alphabethisch geordnet sind. Ja, das schon, aber im Grunde nutzt der Autor solche Stichpunkte, um ein Thema und dessen Umfeld abzuklopfen. Die Informationsdichte ist dabei sehr hoch. Insofern ist es auch als Nachschlagewerk geeignet. Aber eines, das über den Inhalt zu vergleichbaren Schlagwörtern in der Wikipedia z.B., weit hinaus geht. Sehr erhellend. Vielleicht auch mit persönlicher politischer Sicht (die Ostpolitik der Sozialdemokratie gefällt dem Autor so gar nicht…), aber nach meinem Eindruck stark faktenbelegt.
Wertung gibt es hier nicht. Wie denn auch? Ob mir gefällt, was ich da lesen konnte? Das kann ja kaum ein Kriterium sein. Aber empfehlenswert ist es allemal aus meiner Sicht!

 

Leo Perutz: „Die dritte Kugel“
Wäre dies das erste Buch, dass ich von Perutz gelesen hätte, ich weiß nicht, ob ich Fan von ihm geworden wäre.
Dabei finde ich das Thema des Buches – die Eroberung Mexicos durch die Spanier unter Cortes – ziemlich spanend. Der Autor erweitert es noch durch einen ganz anderen Aspekt und verbiegt dabei die Geschichte ein wenig, opfert sie seinem Plot. (Möglicherweise ist das aber auch Stand der Geschichtsforschung der Zeit von Perutz?). Damit wird es quasi Alternativ-Historie – ein wenig zumindest. Hier ist der Knackpunkt der Tod des Montezuma.
Der zusätzliche Aspekt verhandelt das Schicksal deutscher, protestantischer Siedler auf dem Territorium des Aztekenreiches, die sogar – so der Autor – kurz vor der Ankunft des Cortez dort waren und sich friedlich mit den Azteken einigen konnten. Ihre Utopie von einem neuen Leben in der Neuen Welt haben die goldgierigen Spanier auch gleich noch mit zerstört. Und sie schwören Rache und dafür sollen die drei Kugeln dienen. Die „agieren“ dann aber anders, als gewünscht, weil sie verflucht wurden. Ach ja, der Teufel taucht (oder doch nur im Alkoholrausch?) auch als handelnde Person auf; aber mehr Phantastik ist nicht dabei…
Schwierig ist die Sprache, denn der Autor lehnt sie an die Sprache der Renaissance, des Frühbarock an. Das liest sich etwas kurios bis kompliziert. Aber ich konnte mich einlesen, bin aber nicht wirklich davon überzeugt.
8 / 10 Punkte

 

Julia A. Jorges: „Symbiose“
Das Buch liegt mir als Rezi-Exemplar für den NEUEN STERN vor. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich es auf diesem Wege kennen lernen durfte. Wahrscheinlich hätte es nicht gelesen. Aber das wäre ein ziemlicher Verlust gewesen.
Der Band enthält sechs Erzählungen der Autorin, die bereits an anderer Stelle publiziert wurden, allesamt in Zwielicht-Anthologien etc., hg. v. Michael Schmidt.
Die Geschichten sind Horror-Stories. Sie erfinden das Genre nicht neu. Im Vorwort der Autorin wird der Umstand hervorgehoben, dass es kaum Frauen im Horrorgenre gibt. Nun, ob die Stories hier eine „typisch weibliche“ Handschrift tragen? Kann ich nicht bestätigen; ist aber auch egal, wie ich finde.
Einige greifen recht tief in die Abgründe menschlicher Seelen; als Leser weiß ich nicht immer, ob das Geschilderte Erlebtes, Durchlittenes oder von den Protagonisten nur Erdachtes ist. Der Horror steckt halt in uns tief drin, unsere eigenen Ängste sind es, vor denen wir uns fürchten.
Ich war von dem Band recht angetan; mehr dazu in einem NEUEN STERN, wie schon erwähnt.
9 / 10 Punkte

 

Leo Perutz: „St. Petri Schnee“
Perutz ist Klasse! Hier wieder mehr als in dem historischen Roman über Cortez, bzw. über fiktive deutsche Gegner des Cortez im Aztekenreich. Der Roman war ja auch sein Erstling. Hier haben wir wieder so einen komplett unklaren, unzuverlässigen Erzähler, dem man nicht trauen darf und der uns dennoch so eine ziemlich verrückte Story erzählt.
St. Petri Schnee, was ist denn das? Wusste ich halt vorher nicht. Eine Bezeichnung für eine Getreidekrankheit, die auch viele andere Bezeichnungen weltweit hat. So infiziertes Getreide löst Wahnvorstellungen oder ähnliches aus. Also ein waschechtes Rauschgift. Ob das stimmt? Ich lass es mal so stehen.
Hier ist man sogar der Meinung, dass es den Glauben an Gott verstärkt, religiöse Gefühle (Wahn?) auslöst. Daher auch der andere Name dafür: Muttergottesbrand. Das kann – wie hier – durchaus erwünscht sein, allerdings geht ein damit durchgeführtes, geheimes Experiment etwas in die Hosen.
Oder auch nicht. Ob das alles überhaupt stattfand? Oder ob der Erzähler, der vorgibt, das erlebt zu haben, nicht doch die ganze Zeit ohnmächtig im Krankenhaus verbracht hat? Alles nur geträumt? Vo der großen Liebe, über das geheime Experiment?
Klingt ja kompliziert, ist es aber nicht. Der Roman liest sich flüssig und ist spannend. Ich bin mir nur nicht sicher, ob der Roman zum Entstehungszeitpunkt relevant für seine Zeit war, er liest sich wie aus der Zeit gefallen. Es klingt nach 19. Jahrhundert, vermeintlicher Landidylle, nicht nach Vorabend von Nazireich und 2. Weltkrieg. Oder doch?
Die Droge, die tiefe Religiosität erzeugen soll, erzeugt aber revolutionären Furor. Was steckt da für eine Aussage dahinter…
10 / 10 Punkte




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Hofmanns Leseliste von Ostern bis zum 1. Mai 2024

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 30 April 2024 · 964 Aufrufe
Michel Tournier, Gasbarra und 2 weitere...

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Michel Tournier: „Der Wind Paraklet“
Ein autobiografischer Versuch.
Endlich, meine Michel-Tournier-Lektürewiederholung (erweitert) beginnt! Habe ich die hinausgezögert. Warum? Weil ich mich etwas vor fürchtete, denn der Autor ist kein einfacher. Wer weiß, ob er mich noch oder wieder erreicht? Vielleicht finde ich ihn jetzt, nach all den Jahrzehnten, in denen ich ihn nicht gelesen habe, nur noch langweilig?
Ich kann mich beruhigen: Nein, ist nicht langweilig, sondern vielleicht sogar viel spannender als damals. Auf jeden Fall hat er mich wieder.
Ich lese ja gerade seinen Erzählungsband, den ich in den 80ern las. Parallel dazu seinen „autobiografischen Versuch“, den ich damals natürlich nicht zur Verfügung hatte.
M.T. steht ja, oder stand bei uns (DDR) im Ruf, ein Freund gewesen zu sein. Na ja, jetzt liest sich das etwas anders. Er war Freund alles Deutschen und „freute“ sich darüber, dass es nach 1945 zwei Mal Deutschland gibt. Ich nehme aber an, das war ironisch gemeint. In dem Buch hier zeigt er sich nicht unbedingt als Freund der sozialistischen Entwicklung dieses Teils Deutschlands, der seiner Meinung nach nur im drohenden Schatten der Roten Armee existiert (S. 113). Ja, das Buch erschien natürlich nicht in der DDR – andere schon.
Der Autor schreibt hier nicht nur über sich, sondern auch über seine Ansichten zu Gesellschaft, Literatur, Kunst, Sexualität auch. Und viel über den Entstehungsprozess und seine Gedanken, die ihn antrieben beim Schreiben seiner Romane und Erzählungen. Er liefert quasi Stoff zur Interpretation seiner Primärtexte. Find ich gut, war interessant. Wird mir vielleicht bei der Lektüre helfen.
Darüber hinaus schreibt er auch hier einfach sehr gut. Spannend, wohl formuliert, exakt und auf den Punkt, auch wenn seine philosophischen Themen zum Schwafeln einladen. Na, nicht alles war so interessant für mich, das meiste aber schon. Wieder so einer, dem man einfach gern „zuhört“, egal, worüber er erzählt / schreibt.
Natürlich war dieses Buch Inspirationsquelle für weitere. Es hört wohl nie auf…
10 / 10 Punkte

 

Claude Cueni: „Weißer Lärm“
Auf diese wohl komplett vergessene Dystopie hat mich ein Arbeitskollege aufmerksam gemacht. Ich war erst skeptisch; na ja, ich hatte nie von gehört und das, obwohl ich mich doch umfänglich in Sachen klassische Dystopien informiert fühlte. Aber vielleicht liegt es daran: Das ist keine Klassische, aber eine, die an einer bekannten Dystopie ansetzt – das ist eine Orwelliade, erschienen 1984. Sicher kein Zufall.
Es ist das Werk eines mir unbekannten Autors – der aber keineswegs so unbekannt ist. Der Mann schreibt Prosa, für das Theater, Hörspielen, Film- und Fernsehstücke. Das hier ist ein Frühwerk, da war er 24 Jahre jung – und hat so gelitten.
Sein Protagonist leidet unter Schmerzen. Hmm, wenn man auf Wikipedia schaut, kann man lesen, dass der Autor an Krebs erkrankt ist und damit laboriert; aber ob er das damals schon erahnen konnte? Ich habe mich beim Lesen gefragt, wieso ein so junger Mensch über ein Leben in Schmerz schreibt (schreiben muss)?
Aber nicht nur persönliche Leiden – Schmerz, Depression – ist das Thema und Problem des Protagonisten, der ein direkter Verwandter von Winston Smith ist. Die Gesellschaft hat sich in Westeuropa / BRD in Richtung Überwachungsstaat entwickelt. Ja, scheint dort auch denkbar gewesen zu sein. Nein, das beruhigt mich nicht. Viele Sachen, die man in den Buch lesen kann, erinnern tatsächlich an heute – zumindest an das, was möglich erscheint.
Allerdings wird die verdrehte westliche Welt auch mit Versatzstücken eines totalitären Staates – also entsprechende Behörden, Bürokratie etc. – gepaart. Der Protagonist glaubt, wenn er sich als IM rekrutieren lässt (nicht, dass man ihm da eine große Wahl gelassen hätte), könne er dem Druck und der Gefahr, selbst Opfer des Regimes zu werden, entgegen. Na ja, klappt so nicht.
Ist eine ziemlich trostlos-düstere Nah-Zukunfts-Vision, die gerade für einen nicht so erfolgreichen, einzelgängerischen, unter Krankheit und Schwerz Leidenden ein Leben bereithält, das kaum zu bewältigen ist.
Trotzdem liest sich das Buch flüssig. Der Autor hat sicher noch Reserven, aber die Dialoge, die unser Nicht-Held mit Vertretern der Behörden („Welche Behörde?“ – „Na, die zuständige Behörde!“) halten muss, sind einfach köstlich. Das hat auch viel von Kafka – na, passt ja in das Jahr.
8 / 10 Punkte

 

Michel Tournier: „Die Familie Adam“
Ein Wieder-Lesen nach über 30 Jahren. Ich hatte in den 80ern die DDR-Ausgabe gelesen und mir auch ein paar Stichpunkte zu den Erzählungen notiert. Dabei kann ich jetzt feststellen, dass in der DDR-Ausgabe ein paar Texte fehlten. Jetzt, nach dem erneuten und hier auch erstmaligen Lesen kann ich nicht mal sagen, warum die bei „uns“ fehlten. Vielleicht war es nur eine Lizenz- und Platzfrage? Eine Story jedenfalls, die nicht damals übernommen wurde, dreht sich um eine mehr oder weniger romantisch-melancholische Verklärung des Suizids; vielleicht war die zu heiß für die DDR-Zensoren, deren Staatslenker z.B. auch ungern über das Thema sprachen und keine Statistiken veröffentlichten; wenn ich das richtig erinnere.
Aber die Sammlung selbst ist so oder so großartig. Bizarre Texte, die oftmals zwischen Realität und Fantastik changieren, alte und neue Mythen erzählen und so wundervolle Passagen aufweisen. Deshalb gibt es auch eine ausführliche Buchvorstellung im NEUEN STERN, na klar, wo sonst.
10 / 10 Punkte

 

[E.D’M.A] KA-TZETNIK 135633: „SHIVITTI. Eine Vision“
Eine ganz besondere Form der persönlichen Trauma-Verarbeitung eines Auschwitz-Überlebenden. Er „reiste“ unter ärztlich verordneter und kontrollierter LSD-Einnahme zurück auf den „Planeten Auschwitz“. Ein brutaler Tripp, kann man wohl nicht anders sagen. Dem Autor und Patienten sollte es helfen. Half es? Wenn, dann nicht unmittelbar, denn es mussten erst noch einmal 10 Jahre vergehen, ehe er das Wieder-Erlebte als Text verarbeiten konnte.
Auch wenn es formal keine Phantastik ist, lasse ich mich im NEUEN STERN etwas darüber aus, unter einer neuen Spartenüberschrift: „Nachrichten aus dem Herzen der Finsternis“.
10 / 10 Punkte

 

Felix Gasbarra: „Schule der Planeten“
Ein Wieder-Lesen, sogar ein recht kurzfristiges. Hängt mit meiner Lektüre seiner Biografie zusammen. Unter dem Eindruck wollte ich mich selbst überprüfen, ob mit dem Wissen um die Person des Autors, die allein für einen Roman gut ist, sich auf meinen Eindruck zu dessen Roman auswirkt.
Ja, ein paar Bemerkungen im Roman verstehe ich erst jetzt. Z.B. gleich zu Beginn, wo Swift, sein Protagonist, „alle Setzer der Welt [mit] einem neuen schrecklichen Fluch belegen“ will (S.7). Das versteht man, wenn man weiß, wie sehr der Autor seien Job in Bozen hasste.
Oder Seite 17: „…war er nicht nur überzeugt, daß man aus Kochtöpfen mehr lernen könne als aus allen Büchern der Naturwissenschaft…“ – Er verbot seiner Tochter das Studieren…
Hier hatte ich kurz von meiner damaligen Lektüre berichtet:
Februar - alte (Lektüre-) Liebe aufgewärmt - SF-Netzwerk (scifinet.org)
Ausführlicher damals im Doppel-NEUEN STERN zu Jonathan Swift. Na ja, wer wissen will, was ich da… also, ich würde da jemanden kennen, der könnte… genug der Werbung.
Es bleibt bei 8 / 10 Punkten

 

Warren Ellis: „Gun Machine“
Noch ein Wider-Lesen! Auch kurzfristig. Was hat mich nur gepackt? Also hier hatte ich Sehnsucht nach New York, das man in dem Reißer auf verschiedenen Wegen „bereisen“ kann – auf den normalen, modernen Straßen, aber eben auch mit den Augen eines von amerikanischen Ureinwohner-Virus befallen Psychopathen, der die Wegen der Indigenen „sieht“ und ihnen folgen kann. Man lernt so nebenbei wie so oft bei dem Autor – viel über etwas – hier: über die Einwohner Manhattans vor der Ankunft der Europäer, bzw. während ihrer Invasion.
Die dritte Art von Wegen durch Manhattan ist die der Datenleitungen. Hier geht es nicht um Längen, Entfernungen in Metern, sondern um die Durchlaufgeschwindigkeit der elektronischen Daten, Informationen. Eine ganze andere Dimension, aber superwichtig für die kapitalistische markt-Stadt.
Auch der zynisch-abgeklärte, leider auch traumatisierte Detective hat es mir wieder angetan.
Hier mein kleine euphorische Replik dazu: Der Sommer ist vorbei in Hofmanns Leseliste - SF-Netzwerk (scifinet.org)
Na ja, so ganz euphorisch war ich diesmal nicht; dazu war mir der Inhalt doch noch zu gegenwärtig. Aber ich bleibe natürlich bei meiner Empfehlung und 10 / 10 Punkten

 

Ach so: Ohne weiteren Kommentar. Ist halt ... meine Leseliste. Diesmal viel Nostalgie.
Tournier soll mich noch weiter verfolgen - auch mit Büchern, die ich bisher gar nicht gelesen habe.
„Kaspar, Melchior und Balthasar“ dafür als (noch recht neues) Hörspiel genossen. Na, muss ich mich dann doch wieder im NEUEN STERN auslassen drüber...




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Hofmann las bis kurz vor Ostern (2024)

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 28 Mrz 2024 · 1.128 Aufrufe
Gasbarra

Was, schon Ostern? Und im Grunde noch keine „richtige“ Leseliste vom Hofmann? Hat das überhaupt jemand gemerkt? Ach, egal, jetzt halt etwas massiver. Obwohl ja schon ein paar erste Bücher erwähnt wurden, jetzt hat sich doch was angesammelt; nur gut, dass ich gar nicht so schnell & viel lese.
Viele komische Sachen dabei – auch Kritik, die vielleicht ärgern wird? Siehe dazu meine Worte zu „Poor Things“ (das ich nicht gelesen, aber gesehen habe). Na, man (ich) kann ja nicht alles gut finden.
Also, hier mein Lektüresammelsurium:

 

Georgi Demidow: „Fone Kwas oder Der Idiot“
Harter Stoff aus Russland. Ein Buch, das lange nicht veröffentlicht wurde, weder auf Russisch, noch auf Deutsch. Auf Russisch nicht, weil es eine realistische Darstellung der „Haftbedingungen“ zur Zeit der „Großen Säuberungen“ um 1937 unter Stalin ist, die man auch nach Stalin nicht unbedingt so der sowjetischen Leserschaft zumuten wollte. Also, das ist ironisch…
Das Buch soll was Kafkaeskes haben. Ja, hat es, denn der Beschuldigte und Inhaftierte weiß, dass er unschuldig ist, weiß lange nicht, wessen man ihn beschuldigt und muss sich dann selbst eine Strategie überlegen, wie er sich selbst einer Straftat beschuldigt und die ermittelnden Behörden so lenken kann, damit sie a) ihm seine Strafe möglichst milde gestalten (was eigentlich sehr illusorisch ist), oder b), wenn das nicht klappt, ihm sein Leiden in der U-Haft abkürzt, die Folter beendet – Lagerhaft wäre in jedem Falle diesen viehisch-unmenschlichen Bedingungen in der U-Haft vorzuziehen, und c) seine Familie, Verwandten und Freunde nicht mit belastet werden (auch illusorisch). Man kann sich vielleicht seine eigenen Bedingungen etwas abmildern, wenn man andre verrät, damit die Behörden weiter was zu tun haben. Ja, das ist kafkaesk.
Was man hier liest, ist unglaublich. Ich weiß, ich würde das keine 24 Stunden aushalten. Und dabei ist alles so dermaßen sinnlos. Okay, kann jetzt um so mehr verstehen, dass Leute den Sozialismus abgrundtief hassen, wenn das Sozialismus sein soll. (War es aber nicht, hatte aber das Etikett, bezeichnete sich selbst so, und damit… Na ja, Schei#@e)
„Fone Kwas“ sind Idioten – die Ermittler sind welche. Warum sie es sind, kann man hier gut nachlesen. Das Buch wird durch eine kleine Biografie des Autors abgerundet (plus Nachwort), aus der hervorgeht, dass er selbst Lagerhaft erdulden musste, danach aber seine Biografie aufschrieb, weitere Lagerprosa, irgendwann hat man ihm seine Manuskripte abgenommen, was ihn in tiefe Verzweiflung stürzte. Soll er alles noch einmal aufschreiben? Erst seine Tochter konnte die Rückgabe und die Veröffentlichung erwirken.
10 / 10 Härtepunkte

 

„Kolonialgeschichten“ – Arbeitstitel, Manuskript in der Edition Dunkelgestirn
Das Buch ist noch nicht erschienen, wenn ich diese Zeilen schreibe. Wird noch etwas dauern, mindestens so lange, bis ich ein paar Zeichnungen dazu angefertigt habe. Das kann dauern, das weiß ich aus Erfahrung…
Aber ich kann das Buch schon mal wärmstens empfehlen! Ich war ja skeptisch: Ob das nicht irgendwelche Kolonalmacht-verherrlichende Machwerke sind? In denen die unterdrückten Völker auch noch verunglimpft werden und deren Unterwerfung irgendwie gerechtfertigt. Na ja, sicher kommen die Texte nicht ohne den Point Of View des Erzählers, also des Vertreters des Volkes, das hier ein anderes kolonial unterjocht hat, aus. Aber weit weniger, als ich dachte, oder herauslesen konnte. Mitunter nimmt der Erzähler die Position des „Eingeborenen“, gerade was alte Traditionen und Glaubensinhalte anbelangt, die gegen die allzu rationale und damit oberflächlich- arrogante Haltung der Europäer zu verteidigen sind.
Es geht viel um Gespenster, Rache aus dem Totenreich, unheimliche Begegnungen. Wir haben ein paar Krimis, ein wenig Archäologie-Abenteuer, viel Wüste und Wildnis. Dabei alles in einem meist flotten, modern anmutenden Ton erzählt. Ob das an den Übersetzungen liegt? Mir hat es jedenfalls großartig gefallen. Motive zum Zeichnen habe ich auch gefunden.
Satte 10 / 10 Punkte

 

Abbruch des Monats:
Alasdair Gray: „Einer, der Geschichte macht“
Ich habe „Poor Things“ lesen wollen. Der Film ist in aller Munde – also, zumindest in aller Munde von Leuten, die die gleichen kulturellen und künstlerischen Vorlieben mit mir teilen, also z.B. SF- & Phantastik-Fans. Inzwischen ist der Film auch beim Mainstream-Publikum und -Preis-Jurys angekommen. Bevor ich den Film sah, erfuhr ich, dass es sich um eine Romanverfilmung handelt. Die Vorlage gab es auf Deutsch, ist aber (immer noch) nicht zu bekommen (Stand: 24.02.24)
Aber was ich über den Autor und sein Werk las, machte mich neugierig, also las ich dieses Buch hier. Das ist sogar SF. Zumindest spielt es in der Zukunft, in Schottland, wo der Autor auch herkommt. Dass es SF ist, merkt man aber beim Lesen kaum. Im Grunde wird so eine alte schottische Stammesgeschichte erzählt. Mit Stammesfehden, Liebelein usw. Wobei der „Krieg“ und der Kampf zwischen den Stämmen nach festen Regeln ausgeführt werden muss (die man halt aber auch brechen kann), die im Grunde so einen Krieg ad absurdum führen.
Eigentlich leben die Menschen in dieser ländlichen Idylle in einem Utopie. Ominöse Pflanzen ermöglichen im Grunde ein sorgenfreies Leben, weil für die Befriedigung aller Grundbedürfnisse gesorgt ist. Es gibt keinen Grund für Zwist, so kommt es mir vor – und leider auch dafür, überhaupt so ein Buch zu schreiben. Für mich blieb es, so lange ich durchhielt, komplett irrelevant.
Wie der Film! Ja, liebe Leute, bitte mir nicht böse sein, aber ich kann in die allgemeine Euphorie über den Film „Poor Things“ nicht einstimmen. Das Setting, die Art des Erzählens ist mir nicht neu, ist halt so was zwischen Neil Gaiman, Terry Gillian, Wes Anderson. Ich mag die alle, aber auch hier müssen sie, für meine Begriffe, darauf achten, dass sie sich nicht immerzu selbst kopieren (die TV-Filme von Anderson, die es im Streaming derzeit gibt, konnten mich auch nicht mehr abholen, trotz der tollen Schauspieler, die da mitmachen).
Die Grund-Aussage von „Poor Things“, die auch so abgefeiert wird, kann ich auch nicht recht nachvollziehen. Die Protagonistin ist im Grunde sozial und gesellschaftlich unbedarft, muss alles lernen. Das ist okay. Sie geht mit einer Naivität an die Dinge heran und nimmt sie, wie sie sind, pur, ohne Kompromisse und Hintergedanken, auch Sex z.B. Alles okay. Aber diese naive Weltsicht hat mir schon in „Forrest Gump“ nicht gefallen. Ja, da hab ich meine Grenzen, sorry.
Die Protagonistin in „Poor Things“ wird als feministische Ikone stilisiert – habe ich das richtig verstanden? Aber wenn das so ist, muss dann ihre Emanzipation u.a. darin bestehen, dass sie sich prostituiert? Ich weiß, dieses Gewerbe kämpft darum, als normales Gewerbe anerkannt zu werden, und die sich Prosituierenden darum, nicht als halbkriminell und gesellschaftlich verachtenswert dazustehen. Aber ist die Prostitution wirklich ein „normales Geschäft“? Ist es Ausdruck von Emanzipation, also Befreiung, wenn man sich als Frau prostituiert? Vielleicht bin ich da konservativ, ich kann dem nichts abgewinnen.
Jetzt steht hier mehr zum Film als zum Buch – das ich aber auch nicht zu Ende las, weil es mir auch nichts gab. Keine Wertung.

 

John Higgs: „Einstein, Freud & Sgt. Pepper“
Hörbuch, gelesen von Frank Arnold (der das hervorragend machte!)
Das ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, wie ich sie tatsächlich noch nicht gehört / gelesen habe. Echt großartig. Vielleicht rümpft so der eine oder die andere Historiker*in die Nase über die „Erzählweise“ und vielleicht auch über die Sichtweise, die sehr speziell ist, mich aber absolut abholt und überzeugt.
Es ist eine eher kulturgeschichtliche Herangehensweise, keine alltagspolitische. Damit lässt sich ein größerer Rahmen ziehen, aber dennoch wird der Autor „persönlich“, macht das Große auch am Einzelnen fest, bzw. zeigt auf, warum Einzelne, Persönlichkeiten so agierten und argumentierten – bzw. warum sie vielleicht auch einfach zur rechten Zeit da waren.
Z.B. das Heranziehen von Leuten wie Aleister Crowley und Ayn Rand als Stichwortgeber für den Drang nach persönlicher Freiheit in der (Klassen-) Gesellschaft, also einem hohen Ideal und Wert eines Teils der Gesellschaft(en) der Welt. Ja, so kann man das halt auch sehen.
Usw., hier kommt keine Rezi. Dafür aber satte 10 / 10 Punkte

 

Friedrich Nietzsche: „Ecce Homo“
Hörbuch, gelesen von Konstantin Graudus
Mit Nietzsche habe ich es schon des Öfteren versucht. Kam nie weit, muss ich mal zugeben. Aber bei dem (gekürzten) Hörbuch konnte ich es ja noch mal versuchen, oder?
Ja, klappte. Fand es gut. Und überraschend. Warum, weiß ich nicht, dachte ich lange, N. wäre eher die Misanthrop. Nee, ist er nicht. Seine Kraft durch eigenes Leiden hat mich sogar angesprochen. Seine Zuwendung zum Leben! Und seine Kritik an (er schimpft eher ausgiebig auf) Deutschland fand ich auch überraschend. Für Deutschnationale bietet er aber wenige Anknüpfungspunkte, um es mal so auszudrücken.
Im 2. Teil nervte mich ein wenig sein permanentes Selbstlob. Aber ein paar Grundgedanken seines Schaffens und Denkens hat er mir durch seine Selbstdarstellung (Autorbiografie wäre zu hoch gegriffen) durchaus näher
8 / 10 Punkte

 

Jan Weiss: „Das Haus der tausend Stockwerke“
Faszinierendes Zeugnis früher tschechischer SF, die mal nicht von Capek stammt. In Tschechien muss der Autor durchaus eine größerer Rolle spielen, gilt als Begründer der tschechischen SF. Auf Deutsch gibt es kaum etwas. Aber dieses Buch, das in der DDR-Ausgabe erschien und der der damaligen (70er Jahre) Ausgabe in der CSSR gleicht. Das Buch ist ein Kleinod, ein ästhetisches Fest. Schon das macht Laune. Aber auch inhaltlich ist es interessant. Ich möchte es als märchenhafte Dystopie bezeichnen. Irgendwie gehört es in eine Reihe mit den großen Dystopien, von Samjatin bis Orwell.
Aber – wohl typisch für den Autor Weiss, der einst in russischer Kriegsgefangenschaft seit 1915 fast an Typhus starb und im Delirium wild träumte – dominieren seine Erzählungen Träume und traumatische Erlebnisse. So auch in diesem Roman, der vieles unwirklich, unlogisch, konstruiert wirken lässt.
Das Haus wurde von einem Multimillionär gegründet, der seinen Reichtum auf ein spezielles Material begründet, das er entdeckte, das fester als Beton und leichter als Luft ist. Das Zeug ist sehr kostbar und er hat Tonnen davon.
Der Mullerton ist eine Welt für sich – damit eine Metapher für die Welt, für eine geschlossene Gesellschaft, die durch Ausbeutung und Unterdrückung geprägt ist. Muller ist auch sowas wie der Vorläufer des Großen Bruders.
In diese Welt gerät – wie weiß er selbst nicht – der Privatdetektiv Brok, der Muller stellen will, den Revolutionären und einer von Muller entführten Prinzessin helfen möchte. Eine wilde Queste durch die 1000 Stockwerke beginnt und endet… im Traum?
Interessantes und tolles Buch – ich gebe mal 9 / 10 Punkte

 

Constantin Dupien: „Der Spuk auf Lakewood Manor“
Ein handmade-book aus dem Hause KOVD (Novella), persönlich beim Autor nach seiner Lesung im Haus des Buches Leipzig am 15. Februar erworben. Seine Lesung und sein Auftritt waren mir Motivation genug, das kleine Büchlein zu erwerben und zu lesen. Und? Ja, hat sich gelohnt!
Eine fast schon klassisch anmutenden, britisch wirkende, geradlinig erzählte Gruselstory – die es am Ende offen lässt, ob es sich hier um ein psychologisches oder doch um ein metaphysisches Problem handelt.
Wir haben ein typisches Ermittlerpaar, das natürlich an Holmes und Watson erinnert, mich aber mehr noch an die „Denkmaschine“ Professor van Dusen und seinen Begleiter, der ähnlich wie Watson bei Sherlock Holmes, von den Großtaten des Meisters berichtet, Hutchinson Hatch – zumal das Wort „Denkmaschine“ tatsächlich im hier vorliegenden Text auftaucht!
Unser Meisterdetektiv hier heißt Preston Lennox und der „Schriftführer“ John Denton.
Ob es noch mehr Abenteuer von den beiden gibt, geben wird?
Diesmal müssen sie dem Hilferuf eines entnervten Adligen nachgehen, in dessen Villa es spukt. Es gibt dann sogar einen Toten, ehe der Meisterdetektiv dann doch recht schnell – eventuell aber nur vermeintlich – den Fall löst.
Für Stimmung, kurzweilige Unterhaltung und eine Story, die nicht so super tief in die Tiefe geht: 8 / 10 Punkte

 

László F. Földényi: „Die Orte des lebenden Todes“
Kafka, Chirico und die anderen, Fröhliche Wissenschaft 102 aus dem Hause Matthes & Seitz Berlin
Ich verzettle mich, aber was soll’s: Es gibt so viel zu entdecken. Zu diesem Essayisten habe ich mich regelrecht „hintreiben“ lassen – die Assoziationskette erspare ich mir und Euch hier. Mir macht solche Erkundungstour in der Regel immer wieder mal großen Spaß, aber leider komme ich da selber dann nicht mehr hinterher. Mal sehen, wie weit ich hier komme.
Es geht um traurige Orte, auf Bildern und im Leben von traurigen Schriftstellern. Kann man da so sagen? Ja, weiß nicht, ich habe den Eindruck, dass der Autor sich auch gern „treiben“ lässt und seinen eigenem assoziativem Gedränge* folgt.
Stellenweise klingen seine Sätze einfach toll, aber nicht immer kann ich ihm folgen. Er ermuntert mich auf jeden Fall, Gemälde mir wieder genauer zu betrachten. Dafür 7 / 10 Punkte
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*) das ist ein Begriff, der mir sehr gefällt, den ich aber auch nur geklaut habe. Er stammt von Ernst Petz, den er für eine Essay-Buchreihe aus seiner Feder einst fand.

 

Gabriel Heim: „Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra?“
Mein Lieblingsthema? Ja, muss wohl. Felix Gasbarra ist ein inzwischen eher vergessener Autor, vor allem von Theaterstücken. Aber auch von Artikeln, Gedichten – und einem Roman: Den hatte ich mal im Zusammenhang mit unserem Neuer-Stern-Projekt zu J. Swift gelesen: „Schule der Planeten“ – und den ich nach der Lektüre dieses Buches hier noch einmal lesen werde.
Wer war Felix Gasbarra? Die Frage stellte sich mir damals auch und ich fand auch was Faszinierendes, denn er changierte zwischen den politischen Systemen und Ideologien des 20. Jahrhunderts. Damit stelle ich ihn in eine Reihe mit Arnolt Bronnen und auch Franz Fühmann. Sie sind nicht direkt vergleichbar, aber was die Knicke in ihren Lebensläufen anbelangt durchaus. Und genau das ist sehr interessant für mich, daher habe ich diese Biografie des Sohns von Gasbarra mit großem Interesse gelesen.
Helm ist der uneheliche Sohn Gasbarras, der ihn auch nie richtig kennen lernen konnte. Gasbarra war nicht so der Familienmensch, um es mal so auszudrücken.
Er kam aus wohlhabender Familien, die mit und nach dem 1. Weltkrieg in die Armut schlitterte. G. musste sich dann als Handwerker verdingen, lernte die linke, kommunistische Bohme und Theaterszene in den 20er Jahren kennen. U.a. Brecht, aber vor allem Erwin Piscator.
Er war der elegante und lebenslustige kommunistische Propagandist – ehe er 1933, komplett von der linken Szene desillusioniert, auf die Gegenseite wechselte. Allerdings ging er nach Rom und schrieb u.a. für Mussolini die Reden.
Also so einer war das. Um 1944 wechselte er zu den Alliierten und war in Bozen / Tirol Pressezensor. Und Burgherr. Seinen Lebenslauf musste der Autor, sein Sohn, erst mühsam rekonstruieren, vor allem anhand der Aufzeichnungen der Ehefrau Gasbarras, Doris Hohmann, eine expressionistische Künstlerin, die in Südamerika landete.
Das Buch wäre sicher spektakulärer, wenn Gasbarra bekannter wäre – heute. Aber für sich genommen ist das ein Lebens-Polit-Krimi erster Klasse.
10 / 10 Punkte




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Constantin Dupien zu Gast beim Freundeskreis SF Leipzig e.V.

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013, Phantastisches Halle & Le..., Ich war dabei... 18 Februar 2024 · 999 Aufrufe
FKSFL

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Foto © Volker Adam. Rechts zu sehen: Constantin Dupien, links der Moderator

 

Constantin Dupien zu Gast beim Freundeskreis SF Leipzig e.V.
Im Literaturhaus Leipzig
Am 15.02.2024

Moderation: ich – daher hier nur ein kleiner Report.

 

Wie das so ist, wenn man selbst mitmacht, kann man sich hinterher nicht so über eine Veranstaltung auslassen, als würde man nur zuhören und Notizen machen.
Notizen habe ich ja, aber da stehen Fragen drauf und das, was ich sagen wollte. In den 1,5 Stunden kam ich nicht zu all den Stichworten, die ich mir notiert hatte. So was ist aus meiner Sicht immer ein gutes Zeichen, denn das heißt, es lief gut: der Autor gab alles, erzählte viel, so dass ich gar nicht so viel fragen musste. Das Publikum hat auch prima mitgemacht. Ca. 30 Leute kamen ins Literatur-Café, immerhin (es gab schon Veranstaltungen des SF-Clubs mit weniger Beteiligung).
Constantin macht seine Sache aber auch wirklich gut, er ist sehr unterhaltsam, eloquent und erteilt gern Auskünfte über sich und sein Schreiben. Ein paar „Geheimnisse“ konnte ich ihm entlocken – wir wissen jetzt, wie sein richtiger Namen lautet, denn „Dupien" ist nicht rein zufällig der Name des Detektives bei E.A. Poe, den der Autor sich ja sehr zum Vorbild nahm und den er verehrt.
Wir wissen auch, wer welche Teile in der Horrornovelle „Das Vermächtnis“ geschrieben hat – siehe meinen kurzen Leselisteneintrag in Folge.
Wir wissen nun auch, wie die erweiterte und aktuelle Version dieser Novelle zustande, bzw. vollendet wurde. Hat mit einem Kind zu tun, wenn auch auf anderer Art als man vielleicht denken könnte.
Nein, ich verrate dies alles hier nicht, sondern empfehle, ruhig mal eine Lesung des Autors zu besuchen, oder mein Tipp an die SF- u.a. Literaturclub: Einladen, selber ausfragen.

 

Gelesen hat er:
Story aus dem „Best Of” der MÄNGELEXEMPLARE. Das Familienvermächtnis - „Uroma Klaras Veranda“ und aus „Das Vermächtnis. Ruf der Dunkelheit“ – zusammen mit Vincent Voss geschrieben, der übrigens am 22. März zu Gast beim FKSFL sein wird (u.a.)

 

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Leselistenauszug
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Vincent Voss und Constantin Dupien: « Das Vermächtnis: Ruf der Dunkelheit“
In Vorbereitung zu seiner – Constantin Dupiens – Lesung beim FKSFL im Februar, die ich ja moderieren soll, las ich endlich mal auch etwas von ihm. Sein Name war mir natürlich bekannt. Auch, dass er mit der MÄNGELEXEMPLARE-Reihe zu tun hat.
Diese Horror-Novelle erzählt von einem unheimlichen Erbe, das jemand antritt, von Tagebuchaufzeichnungen aus dem I. Weltkrieg. Ist dieser Krieg schon schlimm genug, so sucht etwas Unheimliches, Unnennbares aus einem finsteren Loch inmitten der Schützengräben die deutschen und englischen Soldaten heim. Dieses böse Etwas stört dann auch die historisch verbriefte gemeinsame Weihnachtsfeier der Verfeindeten.
Mich haben die Schilderungen der Erlebnisse in diesem fürchterlichen Krieg durchaus beeindruckt; für meine Begriffe hätte es des zusätzlichen übernatürlichen Gruselfaktors benötigt. Der konnte eigentlich das Unheilgar nicht verstärken. Aber als „Erbe“ ist es vielleicht greifbarerer, als das viel beschworene historische Erbe, dass eine Gesellschaft mit sich herumträgt und auch bis in die Gegenwart wirkt – ob wir das wollen oder nicht.
9 / 10 Punkte

 

Anthologie: „Mängelexemplare 5. Am Ende der Zeit“
Hier begann ich zu lesen mit dem Beitrag von Constantin Dupien. „Sechsunddreißig Stunden am Arsch“. Da lernte ich gleich das Dimensionstor des mad scientist Professor Groll kennen, dessen Erfindung / Entdeckung und Person die Rahmenhandlung füllt. Der schickt jemanden durch das Tor, hier auf eine Welt im Arsch. Die war nicht immer so, im Gegenteil. Einst fast das Paradies, denn alle uns bekannten sozialen und auch Klima-Probleme waren im Griff. Aber die Gegenwart der Fremden aus dem Dimensionstor hat das alles ins Ungleichgewicht gestoßen. Hmm, weiß nicht, ob das eine Metapher – für was? – sein kann? Ich fand die Begründung, dass die Herrschenden sich von den Leuten aus andren Dimensionen verunsichern ließen, etwas mager. Es wird aber auch noch ein handfesterer Grund für den Zerfall des Paradieses genannt. Aber nur am Rande.
Gefallen hat mir die Story von Vincent Voss noch sehr gut gefallen. Auch wenn sie klischeehaft beginnt: Ein Pärchen muss nach einer Art Zombieapokalypse überleben. Zombies gibt es zwar nicht, aber ähnliches: Alphas, Betas, Aliens, die Alphas ernsten, Plünderer. Die Dynamik ist ähnlich wie in 08/15-Zombie-Settings. Aber trotzdem vermochte der Autor mich mitzureißen. Ich habe mit den beiden mitgefiebert. Ein happy end gibt es obendrauf nicht.
Die Beiträge fand ich durchwachsen, auch bei der Prof.-Groll-Rahmenhandlung hätte man mehr machen können. Wobei hier Ideen der Stories zum Teil aufgegriffen und forterzählt wurden Was war gut. Viele Erzählungen hatten keinen wirklichen Bezug zu Grolls Dimensionstor. So auch der Beitrag von Arthur Gordon Wolf, dessen Story in seinem UMC-Universum spielte. Was mich daran erinnerte, dass ich mich mit diesem mal auch näher befassen muss.
Auf jeden Fall habe ich nun Stoff für das Gespräch mit dem Autor am 15.2. im Haus des Buches Leipzig. Bin gespannt und vergebe hier meine 8 / 10 Punkte.




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Was mir "Erdling" empfahl - 1/2: Yvan Goll

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 25 Januar 2024 · 646 Aufrufe
Emma Braslavsky, Yvan Goll

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Yvan Goll: „Sodom und Berlin“
Zu diesem Roman griff ich aufgrund der dringenden Empfehlung, die Emma Braslavsky mit der Stimme von „Erdling“ gab, also ihrer Stimme, denn Erdling heißt auch Emma und außerdem gibt es sogar für mich erkennbare biografische Übereinstimmungen zwischen den beiden Emmas (der echten und ihrem fiktiven alter ego).
Also, ich meine: Den Namen des Autors habe ich ihrem Roman „Erdling“ entnommen. Dort taucht er als Nebenfigur auf und vor allem auch so ein Intellektuellen- und Boheme- und Lebemenschen-Salon in den „goldenen“ 20ern in Berlin, der in dem Roman von Yvan Goll beschrieben und auch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Ein wunderbarer kleiner Roman, sicher mit vielen Schwächen was Plot und Figurenzeichnung anbelangt, aber so wundervoll, dynamisch, reizvoll, blumig, expressiv formuliert. In der Kürze des Textes absolut gut verträglich und begeisternd.
Der Protagonist ist sowas wie die Verkörperung der Genration, die die Zwischenkriegszeit so in vollen Zügen miterlebte und mittrug. Er war vor dem Krieg in einer Schlagenden Vereinigung, hat seine Schmisse von einem von Thun und Taxis; später von den dämlichen Studentenvereinigten enttäuscht, wandet er sich einem Menschen zu, der ihn in mittelalterliche Mysterien einweihte, seinem Denken und Fühlen damit mehr Tiefe verlieh. Dann der Krieg und die Nachkriegszeit, die Revolution. Unser „Held“ wäre fast Minister geworden, hat dann eine Art Dachverein für alle obskuren und esoterischen Organisationen der Weimarer Zeit gegründet. Ein buntes (bis schwarz-braunes) Sammelsurium obskurer Gestalten und Ideen.
Durch die Inflation zu seltsamen Reichtum gekommen, inklusive eigener Insel und Adelstitel, was aber alles nix brachte. Insgesamt eine sicher unausgegorene „Geschichte“, aber ein absolut faszinierender Einblick in einen funkelnden und sprühenden und gefährlich brennenden Abschnitt deutscher Geschichte.
Für mich Anlass genug, mehr von Goll lesen zu wollen. Das Bild zeigt, dass dieses Buch Teil meiner kleinen Inspirationskette ist, die mit „Erdling“ begann.
10 / 10 Punkte + 1 Extra-Punkt für das wunderschöne Cover




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Leseliste Januar 2024, Buch 2 - ein Hit!

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 21 Januar 2024 · 693 Aufrufe
Emma Braslavsky

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Emma Braslavsky: „Erdling“
Suhrkamp 2023
Was für ein Werk! Eine Art Geistesgeschichte des ausgehenden 19. Und beginnenden 20. Jahrhunderts – auf dem Weg zum Nationalsozialismus. Anhand der Phantasten dieser Zeit, von Kurd Laßwitz bis Hanns Heinz Ewers. Dabei auch eine Art Krimi – den man aber keineswegs ernst nehmen darf, denn es ist schon eher unwahrscheinlich, dass eine Privatdetektivin von Oskar Lafontaine damit beauftragt wird, nach seiner von Aliens entführten Frau zu suchen. Aber genau das ist der Aufhänger einer ergebnisreichen Zeit- und Raum-Reise durch den vor allem deutsch-sprachigen fiktiven Weltraum von vor 1940.
Ich lasse mich im NEUEN STERN breiter drüber aus. Also, wer will…
Ansonsten: Satte 10 / 10 Punkte – für den Mut, die Eloquenz, richtig gute Erkenntnisse und das Hinterfragen der eigenen Position. Kann ich alles nur teilen und für richtig gut befinden.
Das Buch ist auch gleichzeitig eine Lektüreempfehlungsliste – ich habe mir jedenfalls 2 Inspirationen herausgepickt, die hier im Bild als „Basis“ für den ERDLING fungieren (das sind sie ja auch gewesen).




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Hofmann hat erstes Buch fertig: nix Neues unter der Sonne

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 07 Januar 2024 · 583 Aufrufe
Wolfgang Harich

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Wolfgang Harich: „Kommunismus ohne Wachstum?“
Das Jahr beginnt wie das vorherige, wie es scheint. Wieder einen Harich beim Wickel. Wobei ich an dem Buch hier wochen-, fast 1 Monat lang gelesen habe, immer mal ein Häppchen.
Es ist übrigens gar nicht so leicht aufzutreiben und das Exemplar, das ich hier habe, ist in keinem guten Zustand, war aber nicht gerade billig. Und es ist nur ausgeliehen. Aber nun gelesen.
Es ist die Aufzeichnung von Gesprächen, die der ostdeutsche Philosoph Wolfgang Harich mit Freimut Duve führte und die dann der westdeutsche Rowohlt-Verlag veröffentlichte. In der DDR erschien das Buch nie, dabei wendet es sich in erster Linie an „den Osten“.
Untertitel: „Babeuf und der ‚Club of Rome‘“. Es erschien 1975. Damals begann die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der drohenden totalen, menschheitszerstörerischen Umweltzerstörung, die heute in der Diskussion um den menschengemachten Klimawandel seine Fortsetzung findet. Was mich bei der Lektüre am meisten erstaunt, ist der Umstand, das damals, 1975, ziemlich genau die gleichen Problematiken auf die Tagesordnung gesetzt wurden wie heute. Damals schon wurde ultimativ formuliert, dass einen Wende im Denken und Handeln, vor allem im Wirtschaften essentiell sei und es um Leben und Tod der Menschheit geht.
Na und? Zynisch – sorry, anders kann ich da nicht mehr reagieren – muss man feststellen, dass alles Reden und Schreiben für die Katz ist.
Anfang 2023 begann ich mit Ulrike Herrmanns „Das Ende des Kapitalismus“ (click), jetzt habe ich mir dem Harich ein Déjà-vu. Herrmann schlägt z.B. vor, den Stand der Industrialisierung und der wirtschaftlichen Ausbeutung der Ressourcen etc. auf den Stand von Anfang der 70er d. 20.Jh, zurückzuführen. Also genau in die Zeit, in der der Club of Rome und hier auch Harich ihre Warnungen formulierten. Harich kolportiert einen ähnlichen Vorschlag 1975: Zurück zum Jahr 1910! (S. 54) Tja, nix Neues unter der Sonne.
Ich habe mir viel aus dem Buch abgeschrieben (weil ich es ja wieder abgeben muss) und oft den Vermerk dazu: „WIE HEUTE!“
So spricht Harich z.B. davon, wie in den westlichen und östlichen Medien die Warner verächtlich gemacht werden, um von den genannten Problemen abzulenken. Engagierter Umweltschützer wird als „dummer August“ hingestellt (S. 7) In der DDR, hat wohl ein Hermann Ley (kenne ich nicht) sie mit den „Pestpredigern des ausgehenden Mittelalters“ verglichen. Auch nicht nett.
Die Quintessenz der Forderung Harichs, wie des Club of Rome, besteht in der, das Wirtschaftswachstum zu beenden. Diese Forderung widerspricht nicht nur den Grundzügen der kapitalistischen / Markt-Wirtschaft, sondern auch der der sozialistischen Volkswirtschaften. Alle sind auf Wachstum orientiert, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven heraus. Dummerweise sind es ja nicht unbedingt die persönlichen Wünsche einiger Protagonisten, die das bestimmen, sondern funktionierende „Systeme“, die so ausgerichtet sind. Die zu stoppen und umzukehren, ist das Problem. Daher heute sicher die moderate Forderung nach „grünem Wirtschafts-Wachstum“. Mir persönlich gefällt ja der „Ressourcen-basierte“ Ansatz; aber da schreien dann sicher auch gleich viele Leute: Das ist Kommunismus!
Apropos, Harich wendet sich ja an seine Ideologie-Genossen (die es im Grunde aber gar nicht sind). Er formuliert 2 Dinge, die ganz wesentlich der vorherrschenden Ideologie des realexistierenden Sozialismus widersprechen: Es sollte / wird nicht zum prophezeiten Absterben des Staates auf dem Weg zum Kommunismus kommen, das das lenkende und regulierende Moment des Staates unverzichtbar für die zukünftige kommunistische Gesellschaft sei und er meint, dass nicht unbedingt die existierenden, leider nicht sehr weit entwickelten sozialist. Staaten den Schritt zum Kommunismus machen werden, sondern die hochentwickelten kapitalist. Puh, das ist ja sicher ein Schlag ins Gesicht aller Ideologen – sowohl im Osten, wie auch im Westen. Schwer verdaulich damals, denke ich. Heute, wie schon angedeutet, kommt so ein Gedanke z.B. mit der Zeitgeist-Bewegung wieder auf die Agenda. Allerdings, auch nicht gerade so populär. Ulrike Hermann bemüht die britische Kriegswirtschaftsordnung der 40er Jahre. Auch ein Ansatz, der vielleicht nur auf den ersten Blick schmerzt.
Der Analogien von damals und heute gibt es noch mehr. So spricht Harich davon, dass zu seiner Zeit „die Experten“ sich nicht einig waren über bestimmte Detailfragen bei ihrer Einschätzung der Umweltfaktoren und deren Auswirkung etc. Das wird für die Öffentlichkeit so dargestellt, bzw. kommt dort so an, als wären sie sich grundsätzlich über den Fakt der Umweltzerstörung uneinig. Und so lange sie da diskutieren, muss und kann man ja auch noch nix machen. – Genau wie heute (ja, es gibt auch Wissenschaftler, die den „Klimawandel“ anzweifeln, aber das gros ist sich da schon einig, dass er stattfindet und verheerende Folgen haben wird).
Auch der Glaube an das „grüne Wachstum“ hatte 1975 schon seinen Vorläufer in Form an den Glauben, dass neue Technologien und Energiequellen unendlichen Wohlstandswachstum und Naturschutz garantieren. (S. 103)
Die Wirtschaft bekennt sich zu Naturschutz, bleibt aber allgemein, verschwommen und inkonsequent (S. 104), legt sich nicht fest und muss so nicht wirklich etwas tun. „Neue Energie- und technologische Faktoren werden so nicht genau unter die Lupe genommen, nicht als unzulänglich oder gar als Quelle neuer Gefahren erkannt.“ (ebenda)
Ein Faktor, der unser Überleben bedroht, wird hier immer wieder genannt, der inzwischen etwas aus dem Fokus geraten ist, weil er sicherlich nicht unbedingt humanitäre Konsequenzen suggeriert: Die „Bevölkerungslawine“ (S. 109 z.B.) Auch der Faktor Wettrüsten wird immer wieder genannt – wo – auch wenn es nicht zum Krieg kommt – Unmengen an Ressourcen sinnlos verballert werden. Ja, klingt für mich plausibel; ist aber aktuell z.B. Überhaupt kein Thema mehr, im Gegenteil: ich sag nur „100 Milliarden“ …
An der Stelle mache ich einen Punkt. Die Ausführungen wiederholen sich. Außerdem setzt sich Harich mit den Reaktionen seine vor allem sowjetischen „Kollegen“ zur Thematik auseinander. Ist mitunter nicht uninteressant, aber für heute kaum noch relevant. Außer, dass daraus die Erkenntnis gezogen werden kann: Leider nix Neues unter der Sonne.
8 / 10 Punke




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Buchdeckel zu. Ende der Lektüreliste 2023

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 25 Dezember 2023 · 750 Aufrufe
Julia Kulewatz, Maxime Weber und 3 weitere...

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Zu guter Letzt, meine Lektüre-Eindrücke aus dem Spätherbst.
(Gleich kommt noch meine Jahres-Gesamt-Abrechnung & -Übersicht)
In diesen 2 Monaten hatte ich ein paar richtig tolle Überraschungen, aber auch leichte bis ziemlich schwere Enttäuschungen. Na ja, wie das ganze Jahr war, nicht nur lektüretechnisch.
In diesem letzten Zeitraum hatte ich auch ein "Problem", konnte gar nicht richtig am PC tippen. Daher habe ich ein paar Notizen mit der Hand geschrieben. Die sind dann hier als "Kommentar" und Grafik eingefügt.

 

Roland Topor: „Der schönste Busen der Welt“
Manche Texte sind kaum „richtige“ Stories, eher kurze Witze. Mitunter keine wirklich komischen Witze, ziemlich unkorrekte, zynische, aber auch vulgäre. Aber dann gibt’s wieder spannende und phantastische Geschichten, kleine Krimis oder bizarre, obskure Phantasien. Eine super-interessante Sammlung, die mir den Autor noch ein Stückchen näher brachte.
9 / 10 Punkte

 

Franz Fühmann: „Unter den PARANYA. Traum-Erzählungen und -Notate“
Ein Rezi? Hierzu? Nein, gibt’s nicht. Diese „Nicht-Rezension“ kann man dann im nächsten STERNENSPLITTER nachlesen, wenn man möchte. Da geht es ums Träumen, was denn sonst – und es gibt ein paar Grafiken von mir, nach Fühmann.
Wertung? Hach, schwierig, das Buch hat mich jetzt über Monate beschäftigt, immer mal zum Zeichnen bewegt, auch mein Scheitern, seine Traumbilder in Grafiken umzusetzen, provoziert. Was soll ich sagen: Schon großartig, also ruhig 10 / 10 Punkte

 

CARCOSA-Almanach: „Vor der Revolution“
Was für ein toller Verlag! Der da gegründet wurde (Maestros Kettlitz & Riffel) in diesem Jahr und richtig großartige Dinger raushaut. Hab auch zugeschlagen: DEN großen LeGuin-Roman, den es Jahrzehnte lang nicht auf Deutsch gab. Mal sehen, wann ich dazu komme. Derweil habe ich aber den begleitenden Almanach gelesen. Okay, ist sicher Werbung für die Verlagsprodukte, aber halt richtig gute „Werbung“ – also, Texte von und über die Helden (Autor*innen) des Verlagsprogramms: Le Guin, Delany, Leigh Brackett, Alan Moore, von Dath, Clemens J. Setz (sic!), aber auch von Karlheinz Steinmüller über Erik Simon.
Schade, dass mir der längste Beitrag, eine Story von Samuel R. Delany, „Imperiumsstern“, nicht gemundet hat. Ich glaube, ich komme an den Autoren einfach nicht ran. Aber interessant war es auf jeden Fall und in dieser Portionsgröße kann man auch nix falsch machen.
9 / 10 Punkte

 

Roland Topor: „Kunstpause“
Sein letzter. Musste ich auch noch lesen, zumal es ja nicht so viel von Topor auf Deutsch gibt. Okay, war okay. Ein Schriftsteller = der Autor in der Schreib-Blockade. Was soll er machen? Er weiß es nicht, lässt sich treiben, ärgert sich. Und beim Herumtreiben begegnet er komischen Menschen. Um mehr geht es nicht? Habe jedenfalls nicht mehr rausgelesen. War jetzt nicht so dolle…
7 / 10 Punkte

 

Alexej Pludek: „Der Untergang der Atlantis“
Im Zuge der Lese-Challenge, „das letzte Jahr in der DDR-SF“ las ich diesen tschechischen Fantasy-Roman. Der kam 1989 in der DDR raus.
Inzwischen haben wir ja das Internet, d.h., man kann schnell recherchieren. Und was man über diesen Menschen, den Autor, da lesen kann… oh je. Ist schon übel!. Gerade vor heutiger Nahost-Kriegskulisse und dem leider wieder weltweit aufbrausenden Antisemitismus. Der Typ ist einer, schon lange. Er hat nach 1968 eine “Aufarbeitung“ der Ereignisse in seinem Heimatland antisemitisch interpretiert, in einem Roman, der nicht in der DDR erschien, in der BRD, glaube ich, auch nicht. Was man aber im Netz über dieses Machwerk lesen kann, reicht mir.
Und nun dieser quasi-historische Fantasy-Roman? Eigentlich eine dolle Sache für osteuropäische Verhältnisse. Er spielt im sagenhaften Atlantis – und bedient volle Pulle ausländerfeindliche Stereotype. Dreimal darf man raten, wer u.a. am Untergang dieser famosen Superzivilisation Schuld trägt. Die Passagen dazu sind eindeutig. Ob ich die Code-Wörter damals schon so verstanden hätte, glaube ich nicht. Denn die als böse deklarierten Ausländer werden verbal so charakterisiert, wie in einschlägigen antisemitischen Hetzschriften. Dass „bei uns“ in der DDR sowas rausgebracht wurde – dafür schäme ich mich ja nachträglich noch.
Daher: Komplettausfall = 0/10 Punkte – in unserem NEUEN STERN zum „letzten Jahr…“ lasse ich mich näher dazu aus.

 

Franz Fühmann: „Marsyas. Mythos und Traum“
Wow, Fühmann satt! Mehr geht nicht – zumindest, was den Aspekt des Mythischen anbelangt. Ein fettes Reclam-Buch, keine Originalzusammenstellung. U.a. mit „Prometheus. Die Titanenschlacht“ (mein wohl allererstes Fühmann-Lese-Erlebnis als Kind, konnte ich wieder auffrischen und darin neue Aspekte finden, die ich in jungen Jahren mit Sicherheit nicht so las) und einem Essay, in dem F.F. seine Sicht auf den Mythos in der Literatur darstellt – absolut erhellend, auch wenn er zugeben muss, dass er keine abschließende Definition des Mythischen anbieten kann.
Satte 10 / 10 Punkte

 

Anthologie: „Zeitgestrüpp, oder Die Räder von Himmel und Erde“, hg. v. Erik Simon
In bewährter Manier sammelte Erik Simon wieder Texte, die zwar SF sind, aber in geschichtlichen Epochen angesiedelt sind, wobei die historischen Ereignisse in ihnen nicht immer so erzählt werden, wie wir sie ggf. aus den Geschichtsbüchern kennen. Alternative und Krypto-Historie. Das ist ja nicht das 1. Mal, dass sich Erik Simon damit befasst. Finde ich echt gut, dass er da am Ball bleibt. Diesmal aber nicht für Heyne, sondern den Verlag Torsten Low. Auch gut. (Obwohl mir das eklektische Titelbild nicht so dolle gefällt, wirkt zu unorganisch collagenhaft auf mich.)
Es sind viele „alte Bekannte“ dabei, die der Herausgeber sicher aus persönlicher Bekanntschaft heraus ansprechen konnte, viele deutsche Originalveröffentlichungen und ein paar internationale Namen – Lugin, Malinow, Tais Teng (von dem es so viel gibt, nur nicht auf Deutsch – warum?) u.a., insg. 18 Autorinnen und Autoren aus 7 Ländern. Näheres von meiner Seite dazu in einem NEUEN STERN. Auf jeden Fall so gut wie keine Ausfälle, ein paar viele so richtig gut!
9 / 10 Punkte

 

Anthologie: „Das Lächeln am Abgrund“
Hg.v. Jörg Weigand, Bastei Lübbe 1982 – siehe handschriftl. Notiz
8 / 10 Punkte

 

Anatol E. Baconsky: „Die schwarze Kirche“
Den Roman brauchte ich nicht selber lesen, hat mir jemand vorgelesen. Fand ich schon mal richtig gut. Inhaltlich ist das aber ein ziemlich schwieriger Brocken. Am ehesten erinnert mich Baconsky noch an Kafka. BTW: Es gibt in Rumänien eine Schwarze Kirche, in Siebenbürgen, Kronstadt. Ob die dem Autor als Vorbild diente?
Seine Schwarze Kirche ist jedenfalls in einer Stadt am Meer, im Winter und sie dient einem ominösen Bettler-Orden als Stätte für obskur-sexistische Rituale.
Unser Ich-Erzähler gerät komplett ahnungslos und eigentlich unbeteiligt in die Fänge der Bettler. Er ist melancholisch, weltabgewandt, er will seine Ruhe haben, ein normales Einkommen und eine Wohnstätte. Aber all das ist nicht so einfach zu bekommen, wenn man sich nicht zu dem Orden bekennt.
Das Regime der Bettler soll sicher an die Errichtung eines kommunistischen Staates, wie der Autor ihn in seiner Heimat Rumänien kennen gelernt hat, erinnern. Mich erinnerten die Machenschaften und Praktiken der Bettler auch an den Faschismus, aber das mag kein Zufall sein, wenn man sich den „Realsozialismus“ Rumäniens vor Augen führt.
Ein paar Figuren könnten Spiegel realer historische Personen sein (?), kann ich aber nicht dekodieren. Interessant fand ich "die Putzfrau“, die zunächst in der Unterkunft, in die unser Nicht-Held kam, reinigte. Die war ihm gleich nicht geheuer und tatsächlich entpuppt sie sich später.
Ein wenig ratlos lässt mich der kurze Roman zurück. Die Stimmung des Nicht-in-diese-Welt-gehörig-Sein, der Melancholie der Winterspaziergänge am Meer, das meistenteils komplette Unverständnis gegenüber den Ereignissen, die den Ich-Erzähler umgeben, behelligen, zu involvieren versuchen, auch wenn er das nicht will und nie weiß, wie er sich zu verhalten hat, bis hin zu echten Bedrohungen, weil er auch einmal auf den Listen der Feinde steht – all das hat mich schon ziemlich angesprochen. Ähnlich wie Kafka, oder auch Orwells 1984, lässt sich diese Geisteshaltung auch auf andere polit-gesellschaftliche Zustände „anwenden“, denke ich.
8 / 10 Punkte

 

Maxime Weber: „Das Gangrän“
Hab mir mehr von versprochen, nachdem ich den Autor auf der Leipziger Buchmesse 2023 in einer Veranstaltung luxemburgischer SF-Autoren lesen sah und hörte. Am Ende ist es eine durchaus gute, wenn auch nicht sehr gut erzählte Doomsday-Story über die Bedrohung durch ein alles verschlingendes Etwas, dem sich vor allem die Bewohner eines luxemburgischen Provinznestes ausgesetzt sehen. Es läuft der übliche gesellschaftliche Zerfall ab, dabei haben die jugendlichen Protagonisten eigentlich alle Hände mit sich selbst zu tun.
Möglicherweise haben junge Leute mehr vom Text als ich, weil sie die Anspielungen auf eher destruktive Musik-Kult-Formen verstehen und goutieren können. Aber das ist halt schon nicht mehr meine Generation, nicht mehr „meine“ Musik, obwohl ich inzwischen Have A Nice Life auch sehr gerne höre.
8 / 10 Punkte

 

Julia Kulewatz: „Dysfunctional Woman“
Eine lyrische Dystopie. Die Autorin begann mit Lyrik, und nun gibt es diesen 1. Roman von ihr; weitere sollen folgen, die dann auch in der gleichen Welt spielen.
Ihre Welt des 25. Jahrhunderts ist einen Dystopie, aber auch das Resultat der Rettung unserer Welt. Vielleicht ist es das, was uns erwartet, weil wir ja gerade unsere Zuhause massiv und nachhaltig zerstören. Am Ende leben wir in diesem streng-hierarchischen Ameisensaat, komplett enthumanisiert.
Bin nicht leicht in den Roman reingekommen, da mir die Versatzstücke dieser Welt zu fremd, die Sprache zwar schön, aber schwer zugänglich erschien. Aber ich las mich ein und bin am Ende echt entzückt! So freue ich mich auf die Fortsetzung, die da kommen soll.
9 / 10 Punkte




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Hofmanns Leseliste Spätsommer / Herbst 2023

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 29 Oktober 2023 · 757 Aufrufe
Franz Fühmann, Ursula K. Le Guin und 2 weitere...

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Das mit der monatlichen Berichterstattung in Sachen Lektüre scheint derzeit nicht so recht zu klappen bei mir. Vielleicht, weil es sich nicht lohnt? Oder habe ich was anderes zu tun? (Auf jeden Fall: NEUER STERN basteln, auch mal wieder was gezeichnet – wobei das mehr sein könnte! )
Ich lass mich treiben. Was zur Folge hat, dass ein paar Bücher angelesen einen eigenen Stapel bilden. Aber ich hab ja noch so viel Zeit – habe ich die?
Jedenfalls treibt mich derzeit ein neues Projekt an. Im April hat unser SF-Club in Halle seinen 35. Geburtstag. Irgendwie muss sich das auch im NEUEN STERN widerspiegeln. Da kam mein Mitstreiter beim NEUEN STERN und ASFC-Mitglied Peter Schünemann auf die Idee, ein Schwerpunktthema zu machen. Es soll um uns, um den ASFC und um das „letzte Jahr der DDR-SF“ gehen. In der Zeit haben wir uns gegründet und sind dann ja gleich in den Wende-Tumult hineingestrauchelt – was für uns als SF-Fans ja nicht mal so übel war – neue Welten und so…
Jedenfalls lese ich jetzt verstärkt auch SF, die so 1989/90 in DDR-Verlagen erschien. Die „richtigen“ Rezis dazu gibt’s dann in der 100. Ausgabe des NEUEN STERNS, im April (oder Mai) 2024.

 

Die Übersicht der Titel:
Ursula K. Le Guin: „Keine Zeit verlieren“ - 7 / 10 Punkte
Paddy Chayefsky: „Die Verwandlung des Edward J.“ - 9 / 10 Punkte
Ned Beauman: „Der Gemeine Lumpfisch“ - 10 / 10 Punkte
Stefan Grabinski: „Dunst“ - 8 / 10 Punkte
Jeremej Parnow: „Das Tal der sieben Glückseligkeiten“ - 10 / 10 Punkte
Franz Fühmann: „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ - 8 / 10 Punkte
Frank Geissler: „Tausend Jahre bis zur Morgendämmerung“ - 7 / 10 Punkte
Jörg Weigand: „Isabella oder Eine ganz besondere Liebe“ - 9 / 10 Punkte
Roland Topor: „Der Mieter“ - 9 / 10 Punkte
Jean-Pierre Andrevon und Philippe Cousin, „Das Haus gegenüber“ - 10 / 10 Punkte
Alphonse Brutsche: „Tödliche Kälte“
Alphonse Brutsche: „Der Totentanz“
Jean-Pierre Andrevon: „Neutron“ - 10 / 10 Punkte
Roland Topor: „Memoiren eines alten Arschlochs“
C. U. Wiesner: „Die Geister von Thorland“ - 7 / 10 Punkte

 

Im Detail:
Ursula K. Le Guin: „Keine Zeit verlieren“
Essay-Sammlung. Besser: Sammlung ihrer späten Blog-Einträge.
Also, ich weiß nicht, so dolle war das nicht, fand ich. Ganz nett, Plaudereien der schon älteren Autorin. Vielleicht habe ich zu viel erwartet? Ja, ein paar Bemerkungen zum Literaturbetrieb fand ich erhellend, aber wenn sie dann über ihre Katzen schreibt, bin ich raus. (Ich mag die Überrepräsentanz von Katzen im Internet einfach nicht).
7 / 10 Punkte

 

Paddy Chayefsky: „Die Verwandlung des Edward J.“
Das ist das Buch zu „Der Höllentrip“ von Ken Russell – ach nee, stimmt so nicht. Denn das ist die Verfilmung des Romans. Aber da Roman und Drehbuch vom gleichen Autor stammen, dürfte das kein Grund zur Verwirrung sein. Konnte auch feststellen, dass selten Buch und Film so gleich sind wie hier. Obwohl der Autor mit Russells Arbeit wohl nicht so zufrieden war, sich deshalb im Abspann auch nur unter Pseudonym nennen ließ, stimmen Handlung, Figuren und Aussage ziemlich überein. Im Buch ist der Protagonist vielleicht noch eine Note unsoziale, mieser, daher rücksichtsloser, fanatischer. Kann das aber gut begründen und quasi entschuldigen.
Es geht hier um ein psychisches Experiment – um das Erwecken uralter „vererbter“, seelischer und vor allem Bewusstseinszustände. Der Protagonist schafft es, sich in eine vergangene Epoche zu versetzen, wird regelrecht zum Vormenschen und „erlebt“, was die Welt, das Universum zusammenhält. Ja, nicht weniger. Das kriegt er mit Isolationstank-Besuchen und einer mexikanischen Drogenmischung hin. Und mit Selbstaufgabe; aber am Ende siegt die Liebe – was dann wieder irgendwie nicht passte.
Unterm Strich ist der Film für meinen Geschmack sogar besser als das Buch; ist auch der einzige Roman des Drehbuch- und Theaterautors.
9 / 10 Punkte (aber vor allem für den Film!)

 

Ned Beauman: „Der Gemeine Lumpfisch“
Der Roman stand schnell auf meiner Wunschliste, da ich den Autor meisten großartig finde, also, was er schreibt, und ich zweitens das Thema irgendwie dolle interessant fand. Nun habe ich ihn wieder von der Liste gestrichen. Huch, was ist passiert? Nichts Schlimmes, im Gegenteil. Inzwischen hat BR 2 das Buch komplett als Hörbuch für den Rundfunk und die ARD-Audiothek umgesetzt. Gelesen von Stefan Kaminski. Man kann also das Buch für umme genießen. [Link]
Und das sollte man! Ich fand den Roman Spitze (der auch den Arthur C. Clarke Award 2023 erhielt)! Eine Nah-Zukunfts-Geschichte, in der es um die Folgen von 2-Grad-Erwärmung und Artensterben geht. Das alles wird satirisch angeboten, aber nicht ins Lächerliche gezogen. Der Roman ist voller interessantem Wissen, voller Ideen und zeigt eindrucksvoll und überzeugend, welche Folgen der Klimawandel so haben könnte. Teilweise skurril anmutende Folgen, aber alles durchdacht und – für mich – sehr überzeugend dargestellt.
Inhaltlich? Ach, hört doch selbst. (Außerdem verweise ich auch hier mal wieder gern auf den NEUEN STERN… Ausgabe weiß ich noch nicht, demnächst halt).
10 / 10 Punkte

 

Stefan Grabinski: „Dunst“
Hab ich mir vorgenommen: Alles (teilweise noch mal) von Grabinski zu lesen. Hier der Aufschlag, ein Suhrkamp-Band. Mal sehen, wie weit ich komme und was da alles so auf mich wartet. Es sind ja auch vor allem die Romane nicht auf Deutsch verfügbar, aber… na mal sehen…
„Dunst“ Reisender findet auf seinem verschneitem Weg Unterkunft. Dort leben 2 Personen, die nie zugleich in einem Raum sind. Eine verführerische Frau und eine hässliche Alte. Es geht viel um Sex und am Ende um Mord.
„In der Villa am Meer“ über einen Dichter und seinen reichen Freund und die telepathische Verbindung zu einem verehrten, toten Dichter.
„Der Dämon des Verkehrs“ irgendwie unentschiedene Story. En Mann wird getrieben zum Bahnfahren, weiß nie, wozu und wohin und trifft dann auf einen Geister-Schaffner.
„Feurige Hochzeit“ Feuer scheint neben Eisenbahnen eine andere Vorliebe des Autors zu sein. Und Sex auch. Hier geht’s um Sex und Brandstiftung. Der Mann kann mit diesen beiden Dingen gut umgehen, seine Partnerin eher nicht, sie treibts in den Wahnsinn.
„Im Abteil“ Zugfahren erweckt Kräfte, Lebensenergie, die Geschwindigkeit des Einbahnfahrens überträgt sich wohl auf die Physis des Protagonisten. Die Lebensenergie schlägt um in Sexualtreib und Mordlust. Der Protagonist ermordet Ehemann der Frau, die er besitzen möchte. Aber ohne Zugfahren auch kein große „Liebe“…
„Das wahnsinnige Gehöft“ Es geht um Psychische Mimikry – und den unheimlichen Einfluss eines Ortes auf die menschliche Seele. Ein rational denkender Vater bringt seine Kinder um, weil der Ort es so will.
„Der Schatten“ Über Schatten, die ein altes Verbrechen quasi gegenwärtig und erkennbar halten.
„Lokführer Grot“ Auch so eine Story über die unheimliche Wirkung der schnellen Bahnzüge. Die machen den Lokführer ganz wuschig, der wird eigenmächtig und macht mit „seinem“ Zug alles Mögliche, aber nix Gutes.
„Die Siedlung der Rauchschwaden“ Eine handfeste Abenteuerstory, die in die amerikanische Wildnis führt. Dort finden 2 europäische Forscher ein scheinbar verlassenes Dorf der Einheimischen. Es lebt dort nur noch der Häuptling, der aber nicht möchte, dass die Forscher dort bleiben. Nächtens spuken nämlich die Seelen der ehemaligen Dorfbewohner dort noch, in Form von Rauch ihrer Lagerfeuer. Endet pessimistisch mit Selbstmord des Häuptlings und der gierigste Europäer wird vom Rauch massakriert.
„Das Gebiet“ poetischste, philosophischste Story bisher. Über Dichter am Ende seiner Inspiration, seiner Phantasie, dem die allgemeine Anerkennung fehlt. (ein Selbstbild des Autors?) Zieht sich in Einöde zurück, in die innere Immigration, ins neue Gebiet der eigenen Gedankenwelt. Am Ende schwört er blutgierige Gespenster herauf, die ihn zu Tode bringen.
„Der irrsinnige Zug“ Ein Eisenbahnzug als Fliegender Holländer, quasi klassischer Gespensterstoff auf Schienen.
„Die Feuerstätte“ Über brandgefährlichen Ort, wo die Häuser immer wieder abbrennen. Eine Familie aus Warschau lässt sich nicht abschrecken, zieht dort hin, baut ein Haus. Geht auch lange Zeit gut, aber der Geist des Ortes wirkt auch auf diese scheinbar rationalen Seelen. Die Menschen verlieren sich im Wahnsinn und werden brutale Brandstifter.
„Projektionen“ Ein Architekt setzt sich zur Ruhe, in einem alten Kloster. Dort findet er Hinweise und geheime Gänge und den Schlüssel dazu – und am Ende den Tod.
„Zufall“ Ort eines geheime Liebestreffens ist die Eisenbahn. Enes Tages steigt aber zufällig der gehörnte Ehemann in das Abteil, wo sich gerade noch seine Frau und ihr Liebhaber trafen. Der Liebhaber ist noch dort und erkennt seinen Kontrahenten. Es kommt – zufällig – zum Tod des Ehebrechers…
„Der Rabe“ erinnert nicht nur dem Titel nach an Poe. Eine Mann ist verliebt in eine Tote, die mit 25 gestorben ist. Sie war die Nachkommin byzantinischer Kaiser und Frau eines Kaufmanns, der sehr eifersüchtig war. Der in sie Verliebte besucht immer ihr Grab. Dort ist auch ein Rabe, der ihn anschreit und dann auch attackiert. Der Mann erschießt den Raben – und zufällig stirbt auch der eifersüchtige Kaufmann, dem man unterschwellig die Schuld am Tod seiner jungen Frau nachsagt. Aber unser Grabgänger stirbt auch an den Folgen der Attacke.
„Der Blick“ Ein Mann spürt irgendwas nichts Gutes, das ständig hinter ihm lauert. Er dreht sich nie spontan danach um. Aber irgendwann doch, und dieser Eine Blick…
Diese Sammlung ist echt durchwachsen. Ein paar Stories sind handfeste Horror-Stories, andere eher Seelenstudien. Ein paar Geschichten kommen ungelenk daher, fangen mit einer Sache an, die aber nicht wirklich bis zum Ende verfolgt wird. Es gibt wundervolle Beschreibungen vor allem von Stimmungsbildern, dann aber auch ziemliche 08/15-Geister.
8 / 10 Punkte

 

Jeremej Parnow: „Das Tal der sieben Glückseligkeiten“
Das Buch liegt jetzt geschlagene 34 Jahre auf meinem SUB. Im nächsten Jahr wären es also 35 und da wird unser SF-Club (ASFC) auch 35 Jahre alt. Das soll uns Andromedianer Grund genug sein, an die Gründung des Clubs und an das letzte Jahr der DDR-SF zurück zu denken. Das Thema wurde für unseren „Rundbrief an die Freunde des ASFC“, den NEUEN STERN; vorgeschlagen.
Das hat mich elektrisiert. Was gab es denn in diesem letzten Jahr der DDR-SF überhaupt? Na ja, doch noch so einiges, und vieles davon ist im Tumult der „Wende“ nicht beachtet und gleich wieder vergessen worden. Bei den Büchern, die ich mir hierfür herausgesucht habe, konnte ich das schnell feststellen, dass die gar nicht mehr so auf dem Schirm der Leute sind, bzw. unbekannt.
Dieses Kompass-Büchlein liegt jedenfalls bei mir diese ca. 35 Jahre ungelesen. Ich hatte es mir noch gekauft, aber dann hat mich die „West-SF“ sozusagen davon abgelenkt.
Was soll ich sagen? Ich hatte mich nun anlassbezogen sehr auf die Lektüre gefreut. War dolle gespannt! Und? Bin auf keinen Fall enttäuscht worden! Das ist ja ein richtiges Kleinod, eine Perle der phantastischen Abenteuerliteratur!
Europäer suchen einen geheimnisvollen Ort im Tibet. Sie haben alle ihre Gründe und Motive, nicht immer lautere. Aber – das fiel schon mal auf – der Autor aus dem sozialistischen Lager bricht nicht gleich und vollständig den Stab über die „bösen Westler“, wobei sich durchaus schnell auch ein wirklich Böser unter ihnen herauskristallisiert.
Auf der Queste ereignen sich seltsame Dinge; alles erinnert durchaus an „Picknick am Wegesrand“; und richtig erklärt oder aufgeklärt wird nichts. Jede mitreisende Person erlebt am Ende ihr eigenes Wunscherfüllungs-Szenario.
Der Autor hatte sich wohl intensiv mit buddhistischer Weltanschauung / Religion beschäftigt. Und auch mit anderen aus dem tibetanischen Raum. Jedenfalls lässt er es wortgewaltig und einfühlsam einfließen. Einige Passagen haben etwas Esoterisches, was es damals in der DDR so kaum zu lesen gab. Aber auch heute liest es sich noch faszinierend. Ich bin echt begeistert!
10 / 10 Punkte

 

Franz Fühmann: „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“
Hörbuch, gelesen von Rudolf Jürgen Bartsch (was er sehr gut macht!)
Es selbst zu lesen, habe ich mich nicht getraut. Beim Anlesen kam es mir zu sperrig vor, kam nicht rein. Aber so, durch die morgendliche Stadt zur Arbeit wandernd, dem „assoziativen Gedränge“ zu lauschen (um mal Ernst Petz zu zitieren), machte großen Spaß.
Formal ist es eine Reisebeschreibung, über eine Reise als Schriftsteller nach Ungarn, eingeladen vom dortigen Schriftstellerverband. Dabei hat F.F. viel Muße und Zeit, über alles Mögliche nachzudenken, über Sprache, über Land & Leute, Geschichte, seine eigene Geschichte und Entwicklung vom Faschisten zu dem Menschen, der er in den 70er Jahren wurde.
Es ist viel Geplauder dabei, das zugegebener Maßen etwas über mich hinweg, an mir vorbei gerauscht ist. So hat es mir aber gefallen.
8 / 10 Punkte

 

Frank Geissler: „Tausend Jahre bis zur Morgendämmerung“
Hg. 1989 Verlag das Neue Leben Berlin. Erstlesung 2023 – für das Projekt 35 Jahre ASFC & das letzte Jahr der DDR-SF.
Der Band fällt ob seiner expressiven Gestaltung auf, die eher untypisch für SF ist. Aber was wussten wir in der DDR schon von SF?
Das Buch hat mich jetzt nach so vielen Jahren dann doch eher im Regen stehen lassen. Da ist garantiert sehr viel klausuliert und chiffriert formuliert. In meine Rezi für den NEUEN STERN habe ich versucht, es zu verstehen.
Aber sein Hauptanliegen ist die Psychologie - Beziehungskonflikte etc. Dabei sind die Geschichten für meinen Geschmack zu konstruiert, der SF-Part wirkt dann oft aufgesetzt.
Die längste und Titelstory hat mir noch am besten gefallen. In ferner Zukunft kommt man dem Rätsel des Verschwindens des fast schon mythischen ersten Gründers der ersten Konklave, eines außer-irdischen Besiedlungsprojektes, endlich auf den Grund. Der hat nämlich auf den Trümmern seiner Konklave ein System ritualisierten Dauerkrieges initialisiert, um nach 1000 Jahren ein unbegreifliches, ominöses Ziel zu erreichen. Ja, Nachtigall, ick hör dir trapsen… Wenn das mal keine Metapher auf sozialistische Heilsversprechen und Kritik am Dauer-Klassenkampf ist – oder war.
Ähnlich ist „Demontage“. Innere Emigration als Reaktion auf den pathologischen Dauerzustand der real-soz. Gesellschaft, mit suizidaler Perspektive?
„Zehn Prozent Risiko“ – oder, um es mit Oppenheimer zu sagen: Das Risiko ist fast Null. (aus dem Nolan-Film) Es geht um Kinderwunsch und um deren Erfüllung, für den man aber einen hohen Preis zahlen müsste. Oder: Was macht es mit einem, wenn man dank Hochtechnologie alles vorausschauen kann? Wird man dann gelassener mit der Zukunft umgehen?
In „Schwarze Kreuzungen“ verzweifelt ein Alien, der uns blöden Menschen eigentlich helfen möchte, mit unseren Psychosen und Beziehungskonflikten ins Reine zu kommen. Das schafft kein Außerirdischer! Nicht mal mit Harmonisator.
Insgesamt ein durchmischtes Lektüreerlebnis. Damals hätte ich es bestimmt abgebrochen, heute wollte ich wenigsten wissen, wie es ausgeht. Mir zu viel neben dem SF-Plot, leider auch für mich zu Irrelevantes.
7 / 10 Punkte

 

Jörg Weigand: „Isabella oder Eine ganz besondere Liebe“
„Eine Novelle aus heutiger und vergangener Zeit“, Verlag Hubert Katzmarz, 1993
Gelesen aus Gründen… Ach, ich mag diesen Ausdruck so gar nicht, will aber noch nicht erzählen, welche Gründe hier vorliegen.
Es ist eine helle Vampirstory, sozusagen. Sie spielt an einem realen Ort (ich war dort, extra!), sie spielt mit realen Begebenheiten (Bauernkrieg) und ist doch konsequent phantastisch. Und so nebenbei auch ein sehr schönes Leseerlebnis für mich!
9 / 10 Punkte

 

Roland Topor: „Der Mieter“
Im NEUEN STERN (Ausgabe weiß ich gerade noch nicht) wird es einen Artikel mit dem Titel „Französische Häuser“ geben, weil es sich so ergeben hat. Durch einen Tipp bei einem Facebook-Kontakt bin ich auf das Buch von Jean-Pierre Andrevon und Philippe Cousin, „Das Haus gegenüber“, gebracht worden. Durch das Sehen des Filmes „Die Hamburger Krankheit“ kam ich auf Roland Topor, auch Franzose, der auch etwas über ein Haus schrieb. Ja, so kann es kommen.
Aber was habe ich da für mich losgetreten? Eine neue, ganz neue Welt, wenn auch alte Werke, die teilweise durchaus Klassiker-Status haben (sollten!). Das Buch von Topor hat ihn sicherlich, allein durch seine Verfilmung von und mit Roman Polanskis. Also habe ich mir Film und Buch reingezogen.
Danach: Buch ist etwas besser als der Film, der halt schon etwas angestaubt wirkt. Die Horror-Effekte sind gelesen sogar eindrucksvoller als gesehen, finde ich.
Inhalt? Ach, wen es interessiert (und es auch noch gar nicht kennt) möge mich doch nach einem Exemplar des NEUEN STERNs fragen. Darin lasse ich mich drüber aus.
9 / 10 Punkte

 

Und jetzt: aufbauend auf dem anderen „französischen Haus“ kommt der Jean-Pierre Andrevon-Komplex.
Jean-Pierre Andrevon und Philippe Cousin, „Das Haus gegenüber“
Ist gar eher kein Roman, sondern eine Sammlung von Erzählungen. Jede Story ist einer Partei des Mietshauses gewidmet, auf das der Titel hinweist. Alle haben so ihre Sorgen und vor allem Ängste und Psychosen. Ja, anders kann man das kaum beschreiben: Hier ist keiner „normal“. Die Stories sind nicht mal einfach „nur“ SF, sondern eher surrealistisch, Horror, bizarr und grotesk. Ich bin begeistert! Und damit spontan Andrevon-Fan. Von Cousin kann ich kein Fan werden, denn von dem ist weiter nichts auf Deutsch erschienen, von Andrevon auch nicht so viel. Mit seinem Gesamtwerk – auf Deutsch – ist man schnell durch.
Inhalt? Auch hier muss ich leider auf den NEUEN STERN verweisen.
10 / 10 Punkte
Alphonse Brutsche: „Tödliche Kälte“
Ein DÄMONEN-LAND-Heftroman!? Echt jetzt? Ja, denn Alphonse Brutsche ist Jean-Pierre Andrevon! Sein Pseudonym wählte er extra für die schnelle Mark (oder den schnellen Franc). Von seinen Horror-Abenteuern gab es immerhin 2 auf Deutsch. Das ist der eine hier.
Es geht um die Erlebnisse eines Toten, was man als Leser durchaus ahnt, aber erst zum Schluss erfährt – also, dass es ein Toter ist, der da erzählt. Hat was von „Pincher Martin“.
Alphonse Brutsche: „Der Totentanz“
Noch ein DÄMONEN-LAND. Diesmal geht’s um den Wunsch, den Tod zu überwinden, darum, verstorbene geliebte Menschen zurückzuholen. Quasi ein positiver Zombie-Roman, der aber natürlich auch im Ekel und Grusel endet.
Beide Romane haben nicht die Raffinesse der Erzählungen, die ich nun von dem Autor kenne. Aber sie lesen sich flott, sind hinreichend spannend – wenn man davon absieht, dass hier natürlich tonnenweise Klischees gewälzt werden. Amüsant, aber dem Autor nicht angemessen. - Keine Wertung
Jean-Pierre Andrevon: „Neutron“
Ja, das ist er wieder! Großartig! Ein Band mit Erzählungen, die keine Rahmenhandlung (wie bei dem Haus-Roman) zusammenhält, die aber dennoch ein Thema verfolgen: Das Leben mit und vor allem nach „der Bombe“. Eindrückliche, mitunter herzzerreißende Geschichten von Menschen, die den Atom-Tod überlebten, oder auch nicht. Auch darüber muss ich länger und breiter erzählen, denn es ist eigentlich irgendwie eine Schande, dass der Autor so vergessen wurde (dabei lebt er sogar noch). Für mich ist das der französische Bradbury – in der Übersetzung erscheint er mir vom Ton ihm sehr ähnlich, die feine oder auch überwältigende Melancholie.
10 / 10 Punkte

 

Roland Topor: „Memoiren eines alten Arschlochs“
Sorry, nicht mein Titel! Aber auch ansonsten nicht mein Ding. Der Roman ist eine Replik auf die Erinnerungsliteratur seiner Zeit, über die sich Topor hier lustig macht. Ihn hat wahrscheinlich angekotzt, dass alle möglichen unwichtigen Menschen meinen, ihr Leben vor allen ausbreiten zu müssen. In solchen Fällen hilft es halt, wenn man viele bekannte Bekannte hat und damit glänzen kann. Topor macht „seine“ Autobiografie zum Spielfeld, mit ALLEN Berühmtheiten seiner und anderer Zeiten zu glänzen. Das ist reines Namedropping – aber echt, so gelesen, ist das stinkelangweilig. Das soll es wohl auch sein. Aber ich fands dann doch einfach nur öde – und ich verspreche hiermit, hoch und heilig, lieber Herr Topor, ich werde diese Biografien nie lesen, die du mir hiermit ein für alle Mal verdorben hast.
Keine Wertung (denn das Buch hat sicher sein Ziel erreicht, aber ich fand es eben auch nicht gut)

 

C. U. Wiesner: „Die Geister von Thorland“
Ein Fantasy-Buch des „Spuk unterm Riesenrad“-Autors. Das habe ich für mich jetzt „entdeckt“, als ich auf der Suche nach SF-Büchern war, die im letzten Jahr der DDR erscheinen sind. Wir wollen da aus gegebenem Anlass 2024 ein Schwerpunktheft des NEUEN STERNS machen.
Thorland ist eine Variation von Vineta. 1885 versank diese Insel in der Ostsee. Sie beherbergte ein Herzogtum, dass sehr gute Beziehungen zum Kaiserlichen Deutschland, aber miese zu Dänemark hatte. Diese Insel des Gottes Thor, resp. seine Bewohner, haben den Unwillen des Gottes heraufbeschworen, so dass der sich veranlasst sah, die Insel für 100 Jahr untergehen zu lassen.
Als Thorland 1985 wieder auftauchte, hatte der leidlich erfolgreiche, sich selbst aber eher erfolglos wähnende Unterhaltungs-Schriftsteller und gelernte DDR-Bürger Klingsporn einen Badeunfall in der Ostsee. Er wachte aus dem Koma am Strand dieser unbekannten Insel auf und wurde als „der Auserwählte“ begrüßt. Er darf den Laden – also das Herzogtum Thorland – wieder auf Vordermann bringen. Ha, kein Problem für so einen DDR-Bürger, oder?
Also, na ja, ich fand die Geschichte gar nicht mal so übel. Auch die vielen Spitzen auf die DDR-Wirklichkeit, die hier verarbeitet wurden. Aber insgesamt hat mir der Roman nicht gefallen. Das war eher so eine Art lustige Nummern-Revue. Vielleicht gut geeignet für Lesungen, oder auch als Mini-Serie fürs Fernsehen, so in 45-Minuten-Häppchen.
7 / 10 Punkte




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Hofmanns Sommerliche Leseliste

Geschrieben von T.H. , in Leseliste ab 2013 09 August 2023 · 993 Aufrufe
Christian Kracht, Ellen Norten und 1 weitere...

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Urlaubszeit = Lesezeit? Bei mir noch nie. Im Gegenteil, da fehlt mir die Muße. Noch sind wir halt im Urlaub mehr auf Achse und ich komme nur wenig zum Lesen. Ist aber okay; ich brauche den kulturellen und sonstigen Input unserer Reisen.
Ich finde, diesmal habe ich ein paar wichtige Bücher gelesen (den Oschmann, Krachts „1979“), mir ein paar neue Horizonte erschlossen („Die zerrissenen Zwanziger“, Dion Fortune), auch mal neue Bücher bewusst jetzt gelesen (und nicht erst auf den SUB gelegt und vor sich hinschimmeln lassen – „Jamila tanzt!“ und „Café Meyrink“) und begonnen, LBM-Eindrücke zu vertiefen ( „Wie die Fliegen“).

 

Christian Kracht: „1979“
Eigentlich wollte ich das Buch schon lange mal gelesen haben. Nun folgte ich einer direkten Empfehlung meines Sohns, der auf einmal Kracht-Fan ist. Na ja, keine schlechte Wahl.
Das Buch hat zwei Teile, in denen aber derselbe Protagonist zwei Stationen seiner Reise beschreibt. Einmal im Iran der Revolutionszeit. Dort verliert er seinen Freund an den Drogen. Der Wirrwarr um ihn herum wird eher wie eine Kulisse wahrgenommen; geht einen nicht so recht was an. Aber irgendwie wirkt diese Kulisse dennoch bedrohlich.
Im zweiten Teil geht es in den Tibet. Auch nicht besser. Mal abgesehen von dem religiösen Hintergrund (Berg umrunden) wird es auch hier sehr gefährlich. Der Protagonist wird von den chinesischen Behörden aufgegriffen und in ein Umerziehungslager gesteckt. Keine Ahnung, ob das westlichen Leuten wirklich passiert ist. Nach ihm fragt niemand, keiner scheint ihn zu vermissen. Und er? Er arrangiert sich mit diesem harten, quälenden Leben (oder Sterben) dort. Hätte ich so nie gedacht. Der Protagonist ist ein der Dekadenz verfallener westlicher bürgerlicher Schnösel, eher der feine Herr. Dass er da nicht sofort umkommt, ist schon ein Wunder. Aber er nimmt diese Strafe (wofür eigentlich?) und die Umerziehung zum strammen Maoisten (obwohl Mao gar nicht mehr da ist) an. Irritierend und beängstigend.
9 / 10 Punkte

 

Virginia Kidd (Hg.): „Futura“
Ein Heyne -Erzählungsband, den ich mir vor allem wegen einer Geschichte zugelegt habe. Darin ist nämlich der Kurzroman von…
Ursula K. LeGuin, „Das Auge des Reihers“, enthalten. Mit dem Text habe ich die Lektüre auch begonnen.
Ja, LeGuin ist wieder großartig! Hier geht es um einen Planeten, der von Menschen als Verbannungsort, als großes Gefängnis genutzt wird. Sozusagen ein planetares Australien. Die erste Gruppe waren tatsächlich Kriminelle, die zweite dann aber Pazifisten, die den öffentlichen Un-Frieden störten auf der Erde. Dort herrscht Krieg, sicher so eine Kalter-Kriegs-Fortsetzung zwischen den Weltsystemen. Pazifisten aller Länder hatten einen großen Marsch durch Europa durchgeführt und als sie auf den amerikanischen Kontinent übersetzten, wurden sie gefangen gesetzt. Sie wollten ihre eigene Stadt bauen, nun können sie das ja auf Victoria.
Die beiden Siedlergruppen sind nun auch in einer Art gegenseitiger Abhängigkeit und einem hierarchischen System verbunden. Die ersten sind die Herrscher, die Pazifisten werden von ihnen eher als Arbeitskräfte und vielleicht sogar Sklaven angesehen. Die Pazifisten leisten passiven Widerstand, suchen aber für sich auch Auswege aus dem Dilemma. Indem sie neue Landstriche als Siedlungsgrund suchen. Natürlich kommt es zu Konflikten.
LeGuin nutzt dies mal wieder, exzellent solche gesellschaftlichen Modelle und Konflikte darzustellen und auszumalen. Sie zeigt, wie mir das kaum irgendwo anders vorgekommen ist, wie pazifistischer, passiver Widerstand funktionieren kann (dann aber trotzdem an seine Grenzen gerät) und welchen Ausweg es geben kann. Man muss sich einig sein (wird hier auch ideologisch manifestiert; die Pazifisten sind es aus Überzeugung und sind bereit, für ihre Ideale einzustehen). Dann formuliert man konkrete Forderungen, die dem Gegner zwar Privilegien rauben, aber erfüllbar sind, deren Existenz halt auch nicht in Frage stellt und gibt bekannt, dass man so lange eigene Verpflichtungen (Arbeiten) nicht nachkommen wird, bis die Forderungen erfüllt sind. Man wird keine Waffen benutzen, keine Gewalt ausüben und wird auch Gewalt der Gegner aushalten. Ja, klingt hart, ist es auch…
10 / 10 Punkte
Aber es sind ja noch mehr Stories enthalten:
Cynthia Felice, „Keiner hat gesagt, es sei für immer“. Damit konnte ich nix anfangen. Ein Pärchen lebt sich auseinander, weil sie immer mal ihrer Jobs wegen in andere Orte versetzt werden und damit ihr Zusammenleben in Frage gestellt wird. Wer unterwirft sich wem? Vielleicht ist hier interessant, dass eben nicht vorausgesetzt wird, dass SIE sich IHM und seinen Job-Zwängen unterwirft. Zumal sie den besser dotierten, aber wohl nicht ganz ungefährlichen Job hat (abgelegenes Einsatzgebiet, wo die „bösen Russen“ sie bedrohen könnten, also irgendwas mit Spionage – wird aber nicht ausgeführt, und hat für die Story auch keine wirkliche Bedeutung). 4 / 10 Punkte
Auch die folgenden Stories gaben mir kaum was: Diana L. Paxon: „Das Heldenlied des N’Sardi-el“ – so eine Science-Fantasy-Sache mit Familienkonflikten im Weltall; Elisabeth A. Lynn: „Die Geschichte von Jubiläa“ – über sich selbst behauptende Frauen (hier hab ich mich gefragt, warum diese Story überhaupt ein SF-Gewand trägt, bzw. in einer SF-Anthologie enthalten ist). Sind ja 2 große Namen, aber mich haben ihre Stories nicht abgeholt.
Ganz gut fand ich „Mab Gallein, Bordarzt a.D.“ von Cherry Wilder. Eine Raumschiffärztin muss loslassen lernen. – Die vier Geschichten haben alle auch den Vorteil, kurz zu sein – falls sie einem (wie mir) nicht gefallen… Vielleicht ist das aber auch ein Nachteil, da die Geschichten sich nicht entwickeln konnten.
Das ist bei Joan D. Vinge, „Phönix aus der Asche“, dann schon anders. Anfangs kam ich schwer rein, aber es entwickelte sich und am Ende fand ich die Story recht gut.
Nach dem Untergang der Zivilisation leben die Leute auf dem nordamerikanischen Kontinent in so einer Art neuem Mittelalter. Aber aus Südamerika stoßen Flugmaschinen vor, die nach Bodenschätzen und Erdöl suchen; dort scheint sich die Zivilisation erhalten und weiterentwickelt zu haben. Ein Pilot aus Brasilien (der Hoffmann heißt) stürzt auf dem Feld eines solchen Mannes aus dem Norden ab. Dessen Tochter nimmt ihn auf und die beiden werden ein Paar. Klingt unspektakulär, aber das alles ist halt auch eine konfliktreiche Kontakt-Story – Kontakt zwischen verschiedenen Stufen menschlicher, ethischer Entwicklung. Schade nur, dass man bei dem Neubeginn nach dem großen Knall nicht auf das Unterdrückergehabe verzichten konnte (Quasi-Feudalwesen + Männermacho-Vormachtstellung). Alles widerholt sich? Aber das Paar findet sich, rauft sich zusammen und wird glücklich. Na schön.

 

Jung Wien 14: „Die zerrissenen Zwanziger“
Eine Anthologie aus dem Hause Brot und Spiele. Der Kurzgeschichtenverlag, 2022
Eine LBM-Entdeckung. Nachdem es den Aarachne-Verlag mit seinen Anthologien nicht mehr gibt, dachte ich, schau mal, was der österreichische Nachwuchs so macht. Na ja, lässt sich schlecht vergleichen. Einmal sind bei Aarachne ja gar nicht „nur“ Österreicher veröffentlicht worden und außerdem gabs bei Aarachne Phantastik. Bei Brot und Spiele eher nicht. Wobei dort auch Klassiker, wie Meyrink veröffentlicht werden.
Hier also eine Antho mit österr. Autoren und Autorimmen, die mir allesamt unbekannt waren. Dabei haben einige schon was veröffentlicht. Eine Autorin sogar Fantasy.
Die 20er sind hier einmal ein Abschnitt im Kalender – wobei die „goldenen“ 20er des 20. Jh. mit denen dieses Jahrhunderts vergleichen werden, aber die Protagonisten sind halt auch in dem Alter = 20er Jahre, bzw. erinnern sich an diese Zeit.
Corona spielt eine Rolle, als nur Bedrohung – sie wird tatsächlich in Beziehung zu alten Krankheitsbedrohungen gesetzt – zu AIDS, zu Cholera. Was machen die Umstände mit einem? Die jungen Leute (20er) werden durch Corona ausgebremst, aber damals halt auch schon.
Es sind sehr unterschiedliche Stimmen, von denen mir einige sehr gut gefielen. Die historische Erzählung des Herausgeber Max Haberich z.B., auch die Josephine-Baker-Story von Ida Leibetseder und die kurzen Texte = Prosa-Gedichte von Lorena Pircher u.a.
(Das Cover fehlt oben auf dem "Gabentisch" - weil ich das Buch zur Zeit verborgt habe. Dafür hier jetzt mit Link.)
Eingefügtes Bild
8 / 10 Punkte

 

Ellen Norten: „Jamila tanzt!“
„Magische Science Fiction“? So stehts als Untertitel auf dem Umschlag. Nun gut, ich würde es eher als Splatter-Märchen… Ach, das wäre sicher auch nicht korrekt. Also, es ist ein Märchen, von Flüchen, die Menschen heimsuchten und die sich von diesen zu befreien trachten. Es ist ein Märchen vom Kampf guter gegen böser Personen. Es gibt Tiermensch-Wesen und andere mythologisch anmutende Tiere, eine Hexe, und alles spielt im „Kleinen Muck“-Land, im arabisch anmutenden Orient. Wobei es weder eine zeitliche, noch eine geografische Einordnung gibt. Dafür gibt es poetische Weltraum-Beschreibungen Übergänge zu fremden Welten, aber all das bleibt im Märchen-Ton – unterbrochen wird der nur, wenn es zu harten Auseinandersetzungen kommt – und dann rollen Köpfe, Schädeldecken und Blut fließt. Wow! Also, eher kein Märchen für Kinder zur guten Nacht.
Der Roman ist rasant und unterhaltsam, spannend und hat auch ein gutes Ende (wie für Märchen ja wohl zu erwarten). Also, mir hat’s gefallen; im NEUEN STERN stelle ich ihn näher vor.
9 / 10 Punkte

 

Dirk Oschmann: „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“
Ja, darf der denn das? Seine (vor allem westlichen) Kollegen meinen: Nein.
Tja, was soll ich schreiben? Ich bin Ossi, und natürlich tut es mir weh, wie viele meiner „Landsleute“ so auf das Leben im vereinten Deutschland reagieren. Und ich war ja anfänglich, also zu Beginn der 90er auch sehr gegen diese Wiedervereinigung. Auch für mich war das ein Bruch in der Biografie (ziemlich harsch, aber wer weiß, wozu es gut war…) – übrigens haargenau so, wie Oschmann es in seinem Buch schreibt – nicht zuletzt DAS hat mich von dem Buch auch überzeugt. Und ich war sicher nicht immer ein „fairer“ Diskutant, wenn es um solche politischen Fragen ging. Aber ich habe mich eingefunden in dieses neue Land. Und nun schreibt jemand, dass viele Leute sich eben nicht da eingefunden haben—wobei er eben nicht nur die „Ossis“ meint, sondern halt auch die Westdeutschen.
Muss ich jetzt nicht weiterdiskutieren, aber muss auch gestehen, dass mir das Buch sehr viel brachte und ich aber vermute, dass es nur im Osten wahr genommen wird, als Bestätigung, als Erklärung. Wünsche mir, dass es im „Westen“ auch wahrgenommen wird und zum Nachdenken anregt.
(ohne Wertung)

 

Samuel Hamen: „Wie die Fliegen“
Nah-SF, Dystopie, für mich auch Nachbereitung der LBM 2023. (Autor auf Lesung von vier Luxemburger Autor*innen erlebt)
Die „Akademie“ (ziemlich mächtige Institution) schickt einen Ermittler in die Provinz, um das Verschwinden eines jungen Mannes aufzuklären. Was er dabei feststellt, ist, dass die Fliegen sich seltsam verhalten. Okay, das klingt schräg, oder?
Die Krimi-Handlung nimmt eine scharfe Wendung, ist aber auch sonst eher von sekundärer Wichtigkeit. Interessanter sind die gesellschaftlichen und anderen Auswirkungen der Klimaänderungen, die hier beschrieben, oftmals nur skizziert werden.
Migration ist täglich Brot, also, nicht nur aus „dem Süden“, sondern auch innerhalb Europas. Es gibt mehr oder wenige gut bewohnbare Zonen, die sich auch ändern können. Die Leute haben keine freie Bewegungsmöglichkeit mehr; alles wird dirigiert.
Widerstand gegen staatliche Überregulierung formiert sich in einer Art Jugend-Musik-Subkultur; Flucht, das Abseilen aus den Zwängen wird primäres und geheimes Ziel der Menschen.
Dazu kommt noch etwas Geheimnisvolles, eher irrational Erscheinendes: „die Materie“, die von einem „Institut“ verwaltet wird. Dieses Motiv mildert die Aussagekraft des Romans leider ab, obwohl es mir als Phantasten ja gefallen müsste. Aber der surrealistische Touch, den das Buch dadurch erhält, reduziert seine Aussage.
8 / 10 Punkte

 

Helge Lange: „Café Meyrink“
Eine schöne Dark-City-Variante – über die Unmöglichkeit eines Ortes und die Unmöglichkeit , ihn zu verlassen.
Da wacht jemand mit Kater in einem ihm unbekannten Kellerraum auf. Doch nicht nur der Keller, auch alles drum herum ist ihm unbekannt. Außerdem hat er eigentlich alles vergessen, einschließlich seines Namens. Was ihm dann aber schnell sehr komisch auffällt, ist der Umstand, dass er das Stadtviertel (er ihm unbekannten Stadt) nicht verlassen kann; sein Bewegungsradius ist enorm eingeschränkt.
Alle Versuche, diese seltsame Grenze zu überschreiten, schlagen fehl. Er gewinnt in seinem neuen Leben neue Freunde, die auch unter diesem Phänomen leiden – ohne es aber zuvor wahrgenommen zu haben.
Ansonsten bietet der Roman Freunden alternativer Musik (Metal, Gothic) viele emotionale Anknüpfungspunkte. Auch wenn es mitunter ins Surrealistische und Bizarre abdriftet, bleibt der Erzählstil realistisch. Nur das happy end erschien mir etwas erzwungen.
9 / 10 Punkte

 

Günter Schenk: “City-Trip Liverpool“
Zur Reisevorbereitung gelesen. Ja, ich führe hier auch mal so ein typisches Reisebuch auf. War nämlich gut, bot mir alles, was ich im Internet sonst mühselig zusammen suchen müsste. Plus Stadtplan, was will man mehr. Nur die App ist eigentlich irgendwie gar keine, sondern eine Webseite. Und wenn es Probleme mit der Erreichbarkeit gibt, nützt die nicht viel. Offline rules!
10 / 10 Punkte

 

Dion Fortune: „Glastonbury“
Jetzt wird’s esoterisch? Ja, ein bisschen, aber weniger als ich dachte. Eher historisch (wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob die historischen Angaben so auch stimmen). Auch das Buch diente mir zur Reisevorbereitung. Es bot aber eher eine Einstimmung auf diesen „mystischen“ Ort – „Das englische Jerusalem – Avalon und der heilige Gral“. Na ja, ich gebe es zu, das war so eine Art Sehnsuchtsort für mich. Mehr dazu in einem NEUEN STERN.
Ohne Wertung

 

Matthias Senkel: DUNKLE ZAHLEN
schon mal hier vorgestellt.
satte 10 / 10 Punkte








Motto

„Die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nigthmare.“ 
Arno Schmidt
 
Er weiß nun auch, was er gegen die … lauernde Stupidität, die sich als Realismus ausgibt, zu tun hat: das Bild von Wirklichkeit eingrenzen, sie mit ästhetischem Maß und nur mit diesem messen, den Schritt in surreale Reiche wagen."
(aus: Gunnar Decker: Franz Fühmann. Die Kunst des Scheiterns. Eine Biographie. S. 201)

 

 

Thomas Hofmann, ein Phantastik-Fan

Angehängtes Bild: Demiurg_g.jpg

© Thomas Hofmann

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Als Freund der phantastischen Künste artikuliere ich mich seit ca. 1988. Vielleicht kennen einige von Euch meine Zeichnungen. War auch als Rezensent im Fandom unterwegs, einst vor allem im leider nicht mehr existenten Fanzine SOLAR-X, neuerdings im NEUEN STERN (kein Fanzine, nur ein "Rundbrief...")
Dieses Blog soll den geneigten Leser auf Tipps und Termine in Sachen Phantastik aus dem Raum Halle / Leipzig hinweisen. Einer alten SOLAR-X-Tradition folgend möchte ich auch Berichte zu von mir besuchten SF / Phantastik-Veranstaltungen einstellen.
Ich will immer mal wieder auf die Stammtisch-Termine meines Heimat-SF-Clubs, des ANDROMEDA SF CLUB Halle und auf die Veranstaltungen des Freundeskreis SF Leipzig hinweisen.

 

Man wird hier auch die eine oder andere Rezension zur Phantastik aus alten Tagen von mir finden, von denen zumindest ich meine, dass sie nicht völlig dem Vergessen anheim fallen sollen.

 

Mehr als Merkhilfe für mich, aber vielleicht auch als Anregung für den einen oder die andere Leser/in wird hier meine kommentierte Leseliste zu finden sein.

 

 

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Archiv

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Bücher, die weitestgehend von mir illustriert wurden:
 Sagen der Oberlausitz, Nordböhmens und angrenzender Gebiete; Oberlausitzer Verlag A. Nürnberger, 1990
 Sagen der Oberlausitz..., Band II, ebd., 1991
 Oberlausitzer Kochbuch mit historischen Betrachtungen, ebd., 1991
  Märch. d. Bergwelt, ebd., 1991
 Wilko Müller jr. & Renald Mienert: Die Zeitläufer, Solar-X-Prod., 1994
 Das große Dorfhasser-Buch, Aarachne, Wien, 2000
 Christian v. Aster: Nachmieter gesucht, midas 2000
 Von dunklen Kräften und alten Mächten, Rollenspielbuch, Caedwyn, Hannover 2001
 Das große Verwandtenhasserbuch, Aarachne, Wien 2001
 N. Rensmann: Ariane, Bastian, Luzifee und Co., K&C Buchoase,Solingen, 2001
 Felten & Streufert: Gänsehautgeschichten, K&C Buchoase, Solingen, 2001
 Spinnen spinnen. Die Anthologie zu nützlichen Tieren, Aarachne, Wien 2002
 Peter Brandtstätter: Von Schmetterlingen und der Liebe..., Wien, 2002
 Feenmond, Rollenspielbuch, Caedwyn, Hannover 2002
 Ruf der Ferne, Rollenspielbuch, Caedwyn, Hannover 2003
 Frank Haubold: Das Geschenk der Nacht. Phantastische Erzählungen, EDFC e.V., Passau, 2004
 Das Mirakel, Phantastische Erzählungen, EDFC e.V., Passau, 2007
 Rose Noire, Anthologie im Voodoo-Press, 2009
 Michael Knoke: Das Tal des Grauens, Voodoo-Press, 2010
 Michael Siefener: Die Entdeckung der Nachtseite, Verlag Lindenstruth, 2011
 A.G.Wolf: Die weissen Männer, VP 2013
 Tobias Bachmann, "Liebesgrüße aus Arkham", Edition CL, 2016
 A.G.Wolf: Die weissen Männer, KOVD 2020 (Neuauflage)
 Peter Schünemann, "Nachtmahr", Ed. Dunkelgestirn, 2023
 Andreas Fieberg & Ellen Norten (Hrsg.): RÜCKKEHR NACH BLEIWENHEIM, p.machinery, 2023

 "Angst im Empire", hg.v. Reinhard Klein-Arendt, Ed. Dunkelgestirn, 2024

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Bücher, an denen ich mich beteiligen durfte:
 Der Abenteuerwald. Phantastische Nachwuchsanthologie, Kreutziger Verlag, 1996
 Das Herz des Sonnenaufgangs, Eine Alien Contact Anthologie, 1996
 Liber XIII und andere unerwünschte Nachlässe, Goblin Press, 1999
 Lichtjahr 7, Freundeskreis SF Leipzig e.V., 1999
 Von kommenden Schrecken, Buch zum ElsterCon, Leipzig, 2000
 Der Erstkontakt. Stories und Bilder aus dem Perry-Rhodan-Wettbewerb, Berlin, 2001
 Phantastik 2002, Taschenkalender, 2001
 Michael Lohr, Gemurmel aus dem Buch der Drachen, 2001
 Hysterisch funktionieren, Aarachne, Wien. 2002
 C. Bomann: Anthrins Kind, Abendstern-Verlag, Parchim, 2002
 C. Bomann, Parchimer Hexengeschichten, Abendstern-Verlag, Parchim, 2002
 Des Todes bleiche Kinder, Abendstern-Verlag, Parchim 2002
 Geschichten von Phönix und Sperling. Buch zum ElsterCon, Leipzig, 2002
 Cover: Wilko Müller jr.: Operation Asfaras, Ed. Solar-X, 2003
 Alien Contact Jahrbuch 1 für 2002, Shayol, 2003
 Alien Contact Jahrbuch 2 für 2003, Shayol, 2004
 Alien Contact Jahrbuch 3 für 2004, Shayol 2005
 Cover: Carl Grunert: Der Marsspion, DvR, 2005
 G. Arentzen: Christoph Schwarz, Detektiv des Übersinnlichen, Bd. 1 bis 6, Romantruhe, 2005
 M. Borchard: Der Zeitarzt, SF Blues Bd. 4, edfc, 2005
 Cover: Wilko Müller jr. & Renald Mienert: Die Zeitläufer, Ed. Solar-X, 2005
 Cover: Carl Grunert: Im irdischen Jenseits, DvR, 2005
 Cover: Carl Grunert: Zukunfts-Novellen, DvR, 2005
 Markus Kastenholz: Tiamat 1 - Asche zu Asche, VirPriV-Verlag, 2005
 Welt der Geschichten 1, Web-Site-Verlag, Mai 2006
 Cover: Wilko Müller jr.: Mandragora, Ed. Solar-X, 2006
 Kastenholz, Ippensen: Tiamat 2 - Die Stunde Null, VirPriV-Verlag, 2006
 Nocturno 6, VirPriV-Verlag, 2006
 Alien Contact Jahrbuch 4 für 2005, Shayol, 2006
 Welt der Geschichten 2, 2006 (alte Ausgabe; in der Nachauflage von 2008 sind keine Bilder von mir enthalten)
 Welt der Geschichten 3, 2008 (neue Ausgabe)
 Cover: Bernd Rothe & Astrid Pfister (hg.): Gequälte Seelen; Welt der Geschichten Sonderausgabe, 2008
 Robert N. Bloch: Michael Siefener. Eine kommentierte Bibliographie, Verlag Lindenstruth, 2011
 Frank W. Haubold: Der Puppenmacher von Canburg, Edition Lacerta(eBook) und CreateSpace Ind. Pub. Platform, 2012
 "Saramees Blut", Atlantis 2012
 M. Kastenholz: Projekt Hexenhammer, Printausgabe, 2013
 Simon & Steinmüller: Die Wurmloch-Odyssee, Shayol, 2014
  Richard Kühle: Alraune und der Golem, Goblin-Press, 2015
 Ine Dippmann und Uwe Schimunek: Leipzig mit Kindern, Jaron 2015
 Leipzig - Visionen. Gestern und heute, FKSFL & Edition Solar-X 2015
 Simon & Steinmüller: Die Wurmloch-Odyssee, Memoranda, 2017
 Simon & Steinmüller: Leichter als Vakuum, Memoranda, 2017
 Uwe Lammers, „Mein Freund, der Totenkopf“, Teil 1, 2017
 IF Magazin für angewandte Fantastik # 666, Okt. 2017
 Angela & Karlheinz Steinmüller: Andymon, Memoranda, 2018
 Ferne Welten, Buch zum 14. ElsterCon, 2018
 Angela & Karlheinz Steinmüller: SPERA, Memoranda, 2018
 Angela & Karlheinz Steinmüller: Sphärenklänge, Memoranda, 2019
 Angela & Karlheinz Steinmüller: Der Traummeister, Memoranda, 2020
 Angela & Karlheinz Steinmüller: Marslandschaften, Memoranda, 2020
 Fahrenheit 145, Buch zum 15. ElsterCon, 2020
♦ Angela & Karlheinz Steinmüller: Pulaster, Memoranda, 2021
♦ (N)IRGENDWO (N)IRGENDWANN. Utopie und Humor. Begleitband zum ElsterCon 2022
♦ Goblin Press. Die frühen Jahre: 1990 - 2004. Eine illustrierte Dokumentation von Uwe Voehl, Lindenstruth 2022
♦ Hubert Katzmarz: Im Garten der Ewigkeit, p.machinery, 2022

 Angela & Karlheinz Steinmüller: Computerdämmerung, Memoranda, 2023

 Andreas Fieberg (Hrsg.): ABSCHIED VON BLEIWENHEIM. In memoriam Hubert Katzmarz MMXXIII, p.machinery, 2023

 Hubert Katzmarz: EIN MEISTERWERK DER WELTLITERATUR, p.machinery, 2023
 

 
Magazine und SmallPress
Alien Contact, Kopfgeburten, GOTHIC, The Gothic Grimoire, Vanitas, Tanelorn, Fleurie, Bonsai 6 / Zimmerit 5, 1995, Tumor (Sonderheft 8), Andromeda SF Magazin des SFCD 143 / 144, EXODUS 15 / 16 / 17 / 18 / 19 (mit Galerie v. mir, 2006) / 20 / 21 / 22 / 24 / 25 / 27
einblicke. Zeitschrift der Krebsforschung, August 2005,
Watchtower 8 / 9
Die Ruhrstadt-Zeitung 41
ARCANA 6 (2005)
Andromeda Nachrichten 216, 218 / 219, 220, 222, 223, 224
Nova 16 (2010)
Fantastic Artzine 1, Fantastic Artzine. Halb-Zeit, beide 2012

Nova 22 (2014)
Der lachende Totenschädel, Nr. 3 (10 / 2015)
Cthulhu Libria Neo, BuCon-Ausgabe 10/2015

Cthulhu Libria Neo 1, April 2016
Cthulhu Libria Neo 2, Oktober 2016
Cthulhu Libria Haunted Houses, März 2017
EXODUS 36, Juni 2017

Der lachende Totenschädel Nr. 4, Jan.2018
!Time Machine, Januar 2018
IF #7, März 2018

EXODUS 38, 09 / 2018
!Time Machine 2, Januar 2019
!Time Machine 3, April 2020
!Time Machine 4, Januar 2021
Der neue Pegasus Nr. 2, April 2021

!Time Machine 5, Oktober 2021
!Time Machine 6, Januar 2022
!Time Machine 7, Januar 2023

!Time Machine 8, Januar 2024
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Fanzines
aktuell & laufend NEUER STERN, Solar-X, Fiction Post, Goblin Press Hefte
TERRAsse 27 (zum 60. FörsterCon, April 2019)
TERRAsse zum PentaCon 2019
TERRAsse zum PentaCon 2021
REISSWOLF S5, 2024
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CD-Cover
 The Beat Of Black Wings: Nightfall; 1999
 Syngularity: The Four Horsemen; 2000
 Gothica: Within A Dream; 2000
 Gothica: Into The Mystic; 2000
 The Beat Of Black Wings: Black Love; 2000
 Gothica, Workbook 1995, 2003

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Telefon: o345 77 64o 72
E-Mail: sub.jekt @ arcor.de

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