
Hofmanns Leseliste Ostern bis Herrentag, 2. Teil

Manchmal lese ich sozusagen "nach Plan" - immer dann, wenn z.B. für den NEUEN STERN ein Thema anliegt. Daher habe ich vor allem was aus Frankreich gelesen. Nicht viel, aber na ja, darum geht es ja wohl nicht, ... oder?
B.R Bruss: „Die Bestien“
Phantastik aus Frankreich
Ich habe was nachzuholen: SF Aus Frankreich. Dafür gibt es einen Grund, nämlich ein geplantes Schwerpunktheft des Rundbriefs des ASFC. Als Anhaltspunkt nehme ich eine alte Anthologie aus der BASAR-Reihe des DDR-Verlages Neues Leben, „Der Planet mit den sieben Masken“, Berlin 1979. Das war für mich damals eine richtige Initiation, zumal in dem Nachwort mir das erste Mal Begriffe wie „space opera“ und Weird Fiction übern Weg liefen. Ein paar Erzählungen daraus hatte ich all die Jahrzehnte in guter Erinnerung – teilweise hatte ich allerdings vergessen, dass die da drinstanden.
Ein Autor ist mit ganz kurzen Texten vertreten: Roger Blondel. Damals hatte ich von ihm nur diese gelesen, jetzt kann man ja schnell recherchieren und ggf. auch reagieren. Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel: Ist schon interessant, wer sich hinter diesem Namen verbirgt.
U.a. schrieb er unter einem (von vielen) Pseudonymen Horror-Grusel-Schmöker, die auf Deutsch immerhin – aber stark gekürzt – in Heftromanform erschienen. Musste ich lesen.
Zuerst gibt es schlimme Unfälle im Zusammenhang mit einem Brücken-Neubau. Die mysteriöse Spur führt dann aber in ein Jagdschloss, wo ähnliche „Unfälle“ und noch seltsamere Dinge passierten. Hunde fangen an zu fliegen, wobei das noch das Harmloseste ist.
Natürlich lässt sich nicht so schnell ermitteln, was hinter dem Spuk steckt. Erst einmal verdächtigt jeder jeden, zumal es auch um einen versteckten Schatz geht.
Was dahinter steckt? Schon eine große Sache, was mit ägyptischen Göttern …
Insgesamt kein großer Wurf das Ganze, wobei ich schon denke, dass viel Atmosphäre den Kürzungen zum Opfer fiel. Der Plot erschien mir arg konstruiert.
6 / 10 Punkte
B.R. Bruss: „Geister im Moor“
Phantastik aus Frankreich
Ein recht stimmungsvoller Roman. Sicherlich wieder enorm gekürzt (wobei ich mich frage, was da am Ende fehlt). Er spielt 1920 an der schottischen Küste. Dorthin verschlägt es einen Horror-Schriftsteller, der neue Inspirationen sucht. Dass er nicht so ganz zufällig dorthin geht, quasi hingelockt wird, erfahren wir erst im Laufe der Erzählung.
Auch hier gibt es gruslige Geheimnisse und einen Schatz zu entdecken. Die Spur führt auch hier in die Antike. Das Konfliktkonstrukt – zwei verfeindete Familien – hat für mich einen faden Beigeschmack, vor allem vor dem persönlichen politischen Hintergrund des Autors. Dazu mehr im Rundbrief dann.
Das Teil hat mir durchaus besser gefallen als „Die Bestien“, vielleicht habe ich mich aber auch nur an den Stil gewöhnt.
7 / 10 Punkte
B.R.Bruss: „Die magische Seuche“
Phantastik aus Frankreich
Eine kleine, ländliche Gemeinde wird von einer Reihe unheimlicher, grotesker und tödlicher Begebenheiten heimgesucht. Leute leiden unter spontan entstandenen Geschwüren und Wucherungen diverser Körperteile, unter Mini-Tornados, unter über das Feld wandernde Flammen und unerklärlichen Toden, die ihnen kurz vorher im Fernsehen verkündet wurden.
Daher steckt die Forschung eines alten Professors, der sich aber aus der Affäre zog, bevor das Dilemma losging, indem er sich selbst umbrachte.
Die Lösung finden die gebeutelten Stadtbewohner dann in hinterlassenen Schriften.
Nun, das war dann alles zusammen nicht so originell, glänzte durch viel Redundanz – immer wieder lesen zu müssen, dass es immer neue Opfer der „Seuche“ gibt, neue Todesfälle etc., war nicht wirklich spannend und diese Art der Auflösung fand ich auch sehr schwach.
5 / 10 Punkte
Jörg Weigand (Hrsg.): "Sie sind Träume"
Phantastik aus Frankreich, Heyne 1980.
Den Band las ich, nachdem Rundbrief-Mitautor Peter ihn las und rezensierte. Daher „musste“ ich hier nicht mit dem Ziel lesen, eigene Worte zur Lektüre zu formulieren. Aber, wie oben schon erwähnt: Ich habe was nachzuholen.
Hier haben wir dann auch schon Überschneidungen mit den „7 Masken“ von 1979, das fast zeitgleich, sogar etwas früher als dieser Heyne-Band (1980), erschien. Da hatten die SF-Redaktionen in Ost und West wohl ähnlichen Geschmack gehabt …
Jean-Pierre Andrevons, „Sie sind Träume“
- Metaphysisches Mosaik einer Welt, die sich die Natur zurückholt. Eine Dystopie oder Utopie?
Dominique Douay, „Thomas“
- Sehr starke Psycho-Story, die in der Kopf-Welt eines psychisch Kranken spielt und in der die titelgebende Person wohl nur eine „eingebildete“ Persönlichkeit ist. Ob das nun gut oder schlecht ist, darüber streiten sich der behandelnde Arzt und seine medizinische KI.
Jean-Pierre Hubert, „Sekunden der Wahrheit“
- Ein Nebengefecht eines Welt-Raum-Krieges, in der 2 irdische Raumkämpfer 2 Feinde jagen, obwohl sie es – aus Sicht des Lesenden – kaum müssten. Oder doch? Die angedeutete Versöhnungschance entpuppt sich dann doch als Falle.
Michel Jeury, „Rendezvous im Süden“
- Über das Schicksal eines Incels, könnte man heute sagen. Ein einsamer Mann hat Träume (?) von einer verführerischen Frau deren Verlockungen er folgt und dabei einen Höllentripp erleidet.
Christian Léourier, „Gesichtspunkt“
- Worum geht’s hier eigentlich? Am Ende um die Existenz der Erde. Ein Kontakt mit den Anderen stellt „uns“ vor ein großes Ultimatum. Ist aber irgendwie schwer zugänglich, so gewollt philosophisch; hatte ich wohl gerade keinen Nerv für.
Pierre Pelots, „Pioniere“
- Im Zeitalter der großen Aussiedelei kann man gut auf der fast entvölkerten Erde bleiben. Alles dann ziemlich einfach, aber friedlicher als gewohnt.
Guy Scovels, „Die Treibjagd“
- Beitrag zur Steuer-Tagespolitik in Frankreich? So viele Steuern, das macht kirre. Hier muss man nun als Fußgänger Steuern bezahlen. Na ja, das Thema altert wahrscheinlich nie, insofern…
Inwieweit ist diese Zusammenstellung repräsentativ für die damalige frz. SF? Es sind durchaus sehr verschiedene Stimmen und alle klingen – für mich – nicht so wie amerikanische. Vielleicht ist das vom Herausgeber so gewollt gewesen? Oder haben die Franzosen eben ihre(n) eigene(n) Stil(e)? Auf jeden Fall immer noch sehr gut zu lesen, relevanter, als das, was mitunter heute so in den zahlreichen Selfpublisheranthologien zu lesen ist.
8/10 Punkte
Irina Rasorgueva: „Pop-Up-Propaganda“
Mal weg aus Frankreich, dafür Russland. Aber keine Fiktion, ein ziemlich aufschlussreiches Sachbuch, durchaus subjektiv formuliert. Aber wenn nur die Hälfte stimmt (wobei ich keinen Anlass ehe, daran zu zweifeln), was da drinsteht. Oh je, dann tun mir die Leute dort doch schon ziemlich leid.
Ohne Wertung
"Der Planet mit den sieben Masken“
Anthologie mit französischer SF, BASAR, 1979, hg. V. Bernhard Thieme
Nach – hmm, nehme mal an ca. 40 Jahren das zweite Mal gelesen. Wollte ich schon lange mal wieder. Anlass bot nun, dass wir vom NEUEN STERN ein Spezialheft zur französischen SF zusammenstellen möchten. Natürlich greifen wir dazu in die Mottenkiste der SF-Historie, machen wir ja immer so. Aktuelles machen andere. Ist auch okay so.
Für mich war das echt eine Reise in die Jugend. Ich hatte beim neuerlichen Lesen immer die Frage vor Augen, wie ich das damals gelesen hatte. Ein paar Stories sind ja sehr gesellschaftskritisch, natürlich von Franzosen auf ihre eigene Gesellschaft gemünzt. Was hatte das damals mit „uns“ zu tun? Und wie verstehe ich sie heute, da ich ja nun auch in „ihrer“ Gesellschaft lebe.
Ich lasse mich sehr ausführlich und eben auch persönlich in meinem Beitrag für den Rundbrief aus. Das möchte ich hier natürlich och nicht reinstellen, zumal – aus meiner bescheidenen Sicht – so superlange Texte am Bildschirm sich ohnehin nicht gut machen.
Zu einigen Stories weiß ich, dass ich sie damals fast verständnislos las und heute eine ganz andere Sicht drauf habe. Andere sind mir jetzt zumindest ziemlich egal, wobei ich vermute, dass es mir damals ähnlich ging. Und dann gibt es die Stories, die mich nach wie vor stark beeindrucken. Freut mich! Denn ich habe mir vielleicht den sense of wonder bewahrt und lasse mich durch solche phantastische Staffage nach wie vor beeindrucken. Klingt naiv, mich freut es aber.
So ist mir immer noch der liebste Text aus dem Band „Mondfischer“ von Henneberg, gefolgt von der Titelstory. Ein paar Autoren kann ich nun weiterverfolgen, was mir damals nicht gelang. Bei einem habe ich das ja weiter oben schon dokumentiert (war nicht so paralle – siehe Blondel/Bruss), weitere werden wohl folgen, denn das hat die Antho jetzt bei mir ausgelöst: Lust auf franz. SF & Phantastik!
9 / 10 Punkte
Gunnar Decker: „Die Fledermaus. Bote der Nacht“
Auf Gunnar Decker wurde ich durch seine Franz-Fühmann-Biografie aufmerksam. Die hatte mir ja außerordentlich gefallen (siehe hier)
Da ging es mir natürlich um Fühmann, aber durch die Lektüre bin ich wohl auch ein wenig zum Decker-Fan geworden. Allerdings habe ich diesem Fandom lange nicht gefrönt; soll sich ändern – und ich beginne mit diesem Essay.
Was mir bei der F.F.-Bio halt so dolle gefiel, ist die Kunst des Formulierens, die Gunnar Decker anwendet und dessen Stil mir absolut toll gefällt. So eine Mischung aus Fakt und Schwärmerei, aus erkennbarer Begeisterung und Hingabe zum Thema, das er behandelt. Der Stil – könnte man sagen und ihm vorwerfen – altertümelt etwas; aber genau das gefällt mir auch! Und die Sujets, die der Autor so behandelt, sprechen mich an. Ob ich nun alles lesen werde? Weiß nicht, aber das hier soll auf keinen Fall das letzte Buch von ihm sein, das ich lesen werden.
Hier war es das Thema, das mich auch sofort ansprach: Fledermäuse! Wer meine Bilder kennt, weiß, dass die mir auch irgendwie imponieren; jedenfalls habe ich mich dran gewöhnt, sie allenthalben auf meinen Bildern einzubauen und darzustellen. Meist natürlich anatomisch völlig falsch; bei mir sind es eher Phantasiefiguren. (Die „Fledermaus“, die man hier sieht, stammt aus dem Intergalaktischen Bestiarium.)
Und warum zeichne ich sie so gerne? Genau wie Ratten / Mäuse? Sicherlich wegen ihres „Rufes“, den sie haben und ihrer Stellung in der phantastischen Literatur und Kunst.
Den Anlass für dieses Buch, den der Autor nennt und ausführt, kann ich sehr gut nachvollziehen. Tatsächlich ist mir das auch mal passiert: Fledermäuse im Schlafzimmer, die sich dorthin bei offenem Fenster in einer Sommernacht verirrt haben. Es knarzte komisch und Schatten folgen vor dem Fenster – nein, eben nicht vor dem Fenster, sondern im Raum.
Sowas hat also der Autor auch erlebt, und das auch noch in seinem Sommerdomizil in Venedig! Oha, Neid!!! Das gönnt er sich wohl so eine Sommerklause, zum Schreiben in Venedig. Absolut beneidenswert aus meiner Sicht. (Es gibt da diese Kolumne für eine Zeitung, in der er immer wieder mal aus Venedig berichtete, und die es gesammelt in einem Band gibt; den brauch ich wohl …)
In diesem Essay spannt der Autor einen weiten Bogen, der sich durch diese nächtliche Begegnung schon sehr gut andeutet: Fledermäuse – als Naturgeschöpfe und als Figuren aus der dunklen Ecke der Popkultur. Hier haben wir schon so viel davon: Die unheimliche Nähe dieser flinken, unfassbaren Geschöpfe, zudem in einem alten, vermutlich geheimnisumwitterten Gemäuer, den „Ruf“ den diese Wesen haben, eben als „Boten der Nacht“, die beim Menschen durchaus auch Angst erzeugen können – übrigens, wie ich hier lernen konnte, durchaus zurecht. Fledermäuse sind Krankheitsüberträger, sollte man gar nicht so vernachlässigen (okay, macht vielleicht nach Corona sowieso niemand mehr).
Vieles ist schon bekannt, anderes (mir) nicht. So z.B. was die Bezeichnung „Fledermäuse“ anbelangt, und wem wir zu verdanken haben, dass sie immer noch so heißen. Sollte sich mal ändern. Hat dann eine historische Unperson verhindert. Na ja, das wenigstens hat den Tieren nicht geschadet.
Man liest von der teilweise sehr brutalen Erforschung der Tiere und dann kommt der Autor zu den Vampiren. Es ist schon interessant wie die Tiere mit diesem Namen mit den übernatürlichen Untoten der Volkssagen und phantastischen Literatur und Filmkunst in Übereinklang gebracht wurden. War nicht immer so geradlinig, hat sich entwickelt.
Vieles ist natürlich schon bekannt; viele Beispiele, die der Autor vorstellt, auch. Aber hier greift das, was ich zu seinem Stil erwähnte: Ich lass mir sehr, sehr gern was von ihm erklären und schwärmerisch beschreiben. Hier konnte er seine Dunkel-romantische (im kulturhistorischen Sinne) Seite ausleben; sein Mitgefühl mit der Einsamkeit der Geschöpfe der Nacht kann ich gut nachempfinden und teilen.
10 / 10 Punkte