Jahreswechsel in Hofmanns Leseliste
Arnolt Bronnen Ira Levin 2021
61 - Monika Maron: „Stille Zeile Sechs“
Da ja nun alle über Monika Maron sprechen, will ich sie wenigstens auch mal lesen. In der Hausbibliothek steht dieses Buch. Das ist nicht das aktuelle, auch kein „umstrittenes“. Das ist so eine Abrechnung mit der DDR. Aber auch mit der Vätergeneration, so ganz allgemein.
Liest man es jetzt, kommt es einem 30 Jahre zu spät vor. Die Brisanz ist futsch; über das verdorbene Experiment Sozialismus auf deutschem Boden wurde ja schon oft und umfangreich geschrieben. Interessant ist es natürlich schon noch, zumal für jemanden wie mich, der in der DDR groß geworden ist.
Ich fühle mich aber als solcher (DDR-Geborener) recht wenig „ertappt“. Könnte ja sein: Die Vorwürfe, die die Protagonistin (die Ich-Erzählerin hat sicherlich viel von der Autorin) dem SED-Regime allgemein und deren Protagonisten im Besonderen macht (dem fiktiven Bonzen Beerbaum und ihrem Vater - der im realen Leben immerhin ein Minister war, im Buch Neulehrer und Schuldirektor), könnte ich mir ja annehmen. Mach ich aber nicht. Die Autorin prangert Dinge an, die ich selber auch nicht gut fand. Vor allem die Borniertheit in der Diskussion über Missstände - die ja gar nicht wirklich stattfand. Und diese platten Sprüche, schrecklich, keine Frage.
Was mich an ihrer „Kritik“ aber echt stört: Sie kritisiert nicht nur Haltungen und Charakterschwächen, auch die aus ihrer Sicht falsche Ideologie, sondern auch persönliche Äußerlichkeiten (Alter, Figur, Kleidung). DAS fand ich echt daneben. Vielleicht menschlich verständlich, denn wen ich nicht leiden kann, den finde ich ggf. auch hässlich, aber so in dieser Form (und wiederholt) fand ich das echt daneben.
Der Hauptkonflikt ist der zwischen Bildung und Macht - die Mächtigen, ehemalige Proletarier, weitestgehend bildungsfern aufgewachsen, entscheiden über Wohl und Wehe von Bildungsbürgern. Und die können sich nicht mal effektiv lustig machen über die „dummen“ (und hässlichen) Mächtigen. Es bleiben Ohnmacht und Wut.
Das alles beschreibt die Autorin einfach großartig, das muss man schon mal sagen. Der Plot ist sogar durchaus spannend, obwohl man dies ja nicht unbedingt erwarten würde (also ich). Die Sprache ist teilweise auch poetisch, aber insgesamt klar und nicht intellektuell verschwurbelt (was man auch erwarten könnte, also ich).
Okay, die Lektüre hat sich gelohnt für mich! Und ich will jetzt auch mal was Neueres (und Umstrittenes) von ihr lesen. Demnächst†¦
8 / 10 Punkte
jetzt aber: 2021 - der Januar, mit ein bisschen Februar
1 - Arnolt Bronnen: „O.S.“
Das Jahr beginnt bei mir politisch. So, wie es aufgehört hat (siehe Nachtrag). Das Buch war aber schon lange fällig. Versuche ich doch gerade, einen Menschen zu verstehen, der - nicht nur einfacher Mitläufer - scheinbar einfach mal so die politischen Fronten wechselte, und zwar radikal.
Wenn man sich mit Arnolt Bronnen befasst, stößt man unweigerlich auch auf seine Tochter, Barbara Bronnen, die interessanter Weise das gleiche Problem hat, nur halt wirklich existentiell, da sie als Familienmitglied „betroffen“ ist: Wie konnte ihr Vater so eine Karriere hinlegen? Sie schrieb ein Buch darüber, wie sie und ihr Bruder sich auf die Spur des Lebens ihres Vaters machten; ich befürchte, das muss ich auch noch lesen („Das Monokel“).
Für mich ist das nur „Grübel-Sport“ - etwas, was mich einfach fasziniert. Bronnen habe ich kennen und lieben gelernt mit seinem Roman „Aisopos“. Damals, als Jugendlicher in der DDR, wo das Buch erschien, hatte ich noch gar keine Hintergrundinfos. Das kam später. Und damit auch das Grübeln über diese „Un-Person“.
„O.S.“ ist schon ein „reifes Zeugnis“ seines weltanschaulich-politischen Wandels zum „Rechten“. Der Roman wurde von seinem Kumpel Goebbels gelobt. Der ehemaliger Brecht-Freund und Theater-Revolutionär hat nun eindeutig die Fronten gewechselt. - Wobei: Hat er es? Oder hat er sich einfach nur „verirrt“? Er wird ja in die nationalbolschewistische Ecke gestellt und saß im Grunde immer zwischen den Stühlen.
Und das merkt man dem Roman an. Sein Hauptheld ist ein gestandener Proletarier, der vom Kommunisten zum Nationalisten und Freischärler in Oberschlesien wird. Er lässt sich dort von den Ereignissen Anfang der 20er Jahre in Beschlag nehmen. Für ihn - und Bronnen - war eine nationalistische Haltung für Deutschland und gegen Polen kein Widerspruch zu einer positiven Haltung zur unterdrückten Arbeiterschaft. Na ja, so kann man sich irren†¦
Ich lass mich zu dem Roman und Bronnen in meinem Sternesplittern dann noch etwas aus; also, wer Lust drauf hat†¦
Keine Wertung
2 - Ina Elbracht: „Pentimenti“, illustriert von Daniel Bechthold
Darüber hatte ich schon berichtet -Klick-
3 - Arnolt Bronnen: "Film und Leben. Barbara La Marr"
Ich bin gerade im BRONNEN-Fieber. Dabei macht er es einem ja nicht leicht, schließlich hat er sich in verschiedenen Phasen seines Lebens verschiedenen Extremen zugewandt und ergeben. Jetzt wollte ich mal schauen, ob bei einem unverfänglichen, unpolitischen Thema das auch eine Rolle spielt.
Nee, tut es nicht! Das Buch hier ist eine Exkursion in die sprühenden, glühenden 20er Jahre, in der die Filmindustrie entstand und ihre ersten Stars und Skandale hervorbrachte.
Das Buch entstand 1927 und behandelt das Leben der Schauspielerin (und Drehbuchautorin, Burlesk-Tänzerin, Lebe-Dame und Rauschgiftsüchtigen) Barbara La Marr. Sie lebte von 1896 bis 1926. Gestorben ist sie am Übergenuss an Rauschmitteln und quasi an Überarbeitung. Sie betonte immer, dass sie nicht mehr als 2 Stunden Schlaf bräuchte; alles andere wäre Zeitverschwendung.
Sie war „das Mädchen, das zu schön ist“. Ein amerikanischer Traum. Nach schwerem Anfang ein Stummfilm-Star mit richtig großer Gage; eine der ersten Hollywood-Größen mit viel Kohle - die sie aber auch, folgt man dem Roman, gern und schnell verbrannte. Und was sie so alles in ihren nicht mal 30 Lebensjahren erlebte! Bronnen hat sich da jemanden rausgesucht, mit der man halt einfach einen großartigen Gesellschafts- und Abenteuerroman fabrizieren konnte. Das ist ihm voll & ganz geglückt. Ich bin echt angetan von dem Buch - und auch von der schönen Frau†¦
10 / 10 Punkte
4 - Christa Wolf: „Was bleibt“
Mein Lesejahr begann politisch, so wie das letzte aufhörte und wird nun noch ein wenig so fortgesetzt. Bin gerade beim „Aufarbeiten“. Nach Marion Marons Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit nun ein kleines Werk von Christa Wolf.
Ch. Wolf ist ja „etablierter“ in der DDR gewesen als M. Maron. Wurde aber auch observiert. Hängt mit Biermann zusammen, aber auch schon davor, erst verdeckt, dann offen observiert - das ist genau das Thema der Novelle. Sie setzt sich in dem kurzen Text mit ihrer Observation auseinander. Sie schreibt über Leute, die sich der Stasi verschrieben haben und über Leute, die sich dieser widersetzten. Das alles auf großzügig bedruckten 100 Seiten.
Ich bin kein Wolf-Leser, weiß daher nicht, wie weit dieses Thema woanders bei ihr noch eine Rolle spielte. Ich nehme mal an, so deutlich wie hier in dem Text, der nach 1990 erschienen ist, spielt es in den Werken, die sie in der DDR veröffentlichen konnte, eher keine große. Allerdings ist er schon in den 70er Jahren entstanden also unmittelbar unter dem Eindruck dessen, was sie da schildert. Das hatte natürlich keine Chance, auch veröffentlicht zu werden.
Interessant ist aber, wie sie einer jungen Autorin rät, sich in ihren Texten nicht zu stark gegen den Staat zu engagieren. Die junge Frau sucht den Rat der gestandenen Autorin. Die Szene fand ich großartig, denn sie zeigt, wie man als kritisch denkender Mensch und Schriftsteller in der DDR „überleben“ konnte. Der Eindruck des Duckmäusertums, der dadurch entstehen kann, ist irrelevant (ich selbst habe gar keinen Grund, so zu tun also ob), jemanden vorzuwerfen, er oder sie hätte nicht „ordentlich“ Widerstand geleistet, zeugt eher von Unkenntnis des Lebens bei „uns“. Wie auch immer: Mich hat die Erzählung durchaus beeindruckt.
9 / 10 Punkte
5 - Arnolt Bronnen: „Roßbach“
Was für ein schreckliches Buch! Leider habe ich mir dieses Buch als letztes in Sachen Bronnen ausgesucht. Leider, leider†¦
Ich möchte da gar nicht über den Inhalt schreiben, aber es ist auch stilistisch unterste Schublade. Sehr ärgerlich, weil ich mit dem Buch meine Bronnen-Lektüre (erst einmal?) beende. Ob da dieser miese Eindruck alles überdeckt?
4 / 10 Punkte
6 - Monika Maron: „Munin, oder Chaos im Kopf“
Als Hörbuch, gelesen von der Autorin
Das ist wohl das erste (?) Buch der Autorin, mit dem sie politisch aneckte - in der BRD. In der DDR hatte sie ja bereits einschlägige Erfahrungen gemacht. Jetzt hat sie ein neues Feld ihrer kritischen Sicht für sich gefunden. Aber immerhin muss sie das Land nicht verlassen.
Okay, ich mach es kurz: Ist nicht meine politische Position, die sie einnimmt. Interessant ist aber, dass sie „nur Fragen“ stellt, sozusagen. Ihre fiktive Autorin - die Ich-Erzählerin - soll einen Essay über den 30jährigen Krieg schreiben und in dem Zusammenhang kommen ihr Assoziationen zu der 2018 aktuellen Lage in der Welt und in Deutschland. Es geht um die syrischen Kriegsflüchtlinge, die - so die Autorin - den Krieg mitbringen. Aus ihrer Sicht leben wir hier in Europa in einer Vorkriegszeit. Das betont sie mehrmals.
Der Untertitel des Romans soll darauf hindeuten, dass sie sich noch gar nicht im Klaren darüber ist, was sie genau über all das denken soll. Um das Chaos zu sortieren, hält sie Selbstgespräche; als Gesprächspartner steht ihr ein einbeiniger Rabe, den sie Munin nennt, zur Verfügung.
Der rote Faden im Buch wird aber durch einen anderen Konflikt geprägt: Im Haus der Protagonistin lebt eine Frau, die jeden Tag auf dem Balkon steht und grässlich, dafür laut singt. Sie hat psychische Probleme. Die Mitbewohner der ganzen Straße leiden unter ihr. Sie können aber die Situation nicht klären. Die Frau ist durch ihre Krankheit geschützt, einen Pflegplatz bekommt sie aber auch nicht. Auf jeden Fall entwickelt sich anhand dieses Problems ein Konflikt zwischen den Bewohnern der Straße, der stellvertretend für die gesamte politische Situation steht.
Ja, kann man sicher so machen. Wobei die Autorin sich um eine Antwort bzw. Lösung drückt. (Ja, ist sicher nicht ihre Aufgabe.) Aber wie sie die Fragen stellt, wie sie Fakten in einen Zusammenhang stellt und den Bezug zur Situation vor und im 30jährigen Krieg, hat zumindest den Verdacht genährt, in welcher Richtung sie die Aufmerksamkeit ihre Leser und Leserinnen lenken möchte.
Ich fand den Roman durchaus kurzweilig (er ist ja auch schön kurz), interessant, aber kaum erhellend. Mal sehen, vielleicht lese oder höre ich ihren aktuell letzten Roman noch?
ohne Wertung
7 - Ira Levin: „Rosmaries Baby“
Ein Klassiker! Endlich gelesen! Hurrraaaa!
Es läuft da gerade so eine kleine Ira-Levin-Challenge in der Redaktion des NEUEN STERNS, na ja, es sind 2 Leute, die mal mehr von dem Autor lesen und vorstellen wollen; der eine davon bin ich. Da mein „Kollege“ damit angefangen hat, werde ich die beiden Roman um „Rosmaries Baby bzw. Sohn“ vorstellen und er ein paar andere. Also, ausführlich gibt es dazu dann im NEUEN STERN dann was. Aber ich werde auch weiter Bücher von dem Autor lesen, denn das habe ich schon mal durch die Lektüre dieses Buches hier erkannt: Der Autor ist großartig!
Macht echt Laune! Auch wenn man den Plot kennt, so ist das Buch einfach spannend. Wobei ich den Film vor 30 Jahren (?) sah - noch in Schwarzweiß. Schaue ich mir natürlich gleich jetzt noch mal an†¦
Buch und Film sind übrigens sehr kongruent; beide Medien so schnell hintereinander zu konsumieren, ergibt kaum Sinn.
Für mich so nebenbei auch spannend: Der Film spielt ja im Bramford, gedreht wurde aber im Dakota. Das Dakota wird als mögliche Alternative für eine Wohnung, die das Ehepaar sucht, im Text genannt (im Film nicht). Spannend für mich auch, weil ich ja schon mal da war - natürlich nicht reingekommen, da kommt niemand rein†¦
Zum Inhalt? Muss ich nicht wirklich was schreiben, oder?
10 / 10 Punkte
8 - Ira Levin: „Rosemarys Sohn“
Da hat der Autor tatsächlich eine Fortsetzung seines berühmten Romans geschrieben. Mir kam ja das Ende von „Rosmaries Baby“ sehr offen, wie ein Cliffhanger vor. Aber dann gab es 30 Jahre nichts.
Kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts erinnerte sich der Autor aber daran. Gut so - dachte ich erst. Ich habe den Roman auch mit großem Interesse verschlungen. Aber war das wirklich eine gute Idee?
Also, ich will nicht zu viel verraten. Ich kann Interessierten an dem Stoff sehr empfehlen, den Roman zu lesen. Er ist an mehreren Stellen sehr seltsam. Er greift durchaus die Stränge aus dem Vorgänger auf, spielt mit der Erwartungshaltung der Leser und Leserinnen, indem er Rosemary stellvertretend mit diesen Dingen konfrontiert.
Diesmal ist sie nicht die hilflose Person, aber am Ende wird sie auch verraten dastehen - wobei: Am richtigen, schlussendlichen Ende macht der Autor etwas, was den echten Fans des Buches und Films von Polanski sicher einen enormen Schock versetzten könnte.
Ist das Buch nun eine Gurke? Oder ein genialer Schachzug? Ich weiß es nicht. Ich neige dazu, das Buch zu verreißen und sowas wie 5 / 10 Punkten zu geben. Aber ich achte die Absicht und den Versuch des Autors, seinen großen Mythos fortzuspinnen - und ihn dabei ironischer Weise vielleicht fast zu zerstören. Den Mut muss man erst mal haben.
8 / 10 Punkte