Inzwischen bin ich auch durch: Ich habe zweiten und dritten Teil des Romans am Wochenende quasi in einem Rutsch gelesen und auch schon meine Stimme bei der Umfrage abgegeben. Diesmal habe ich mich in allen Kategorien die Höchstnote entschieden und bin begeistert - wie schon bei Fiasko, aber aus völlig unterschiedlichen Gründen!
Der Roman ist angenehm ruhig aufgebaut und vermittelt mir auch nach vielmaligem Lesen noch immer sehr viel Stimmung. Was das Vermitteln eines postapokalyptischen Szenarios angeht, ist er in der Beschreibung des Verfalls einer Stadt verblüffend gut. Erst in neueren Publikationen werden die Abläufe ähnlich logisch und präzise geschildert.
@derbenutzer: Erstmal "Gute Besserung!" - ich hoffe, Dich hat´s nicht allzu schlimm erwischt und Du bist bald wieder genesen!
Deiner Aussage kann ich nur zustimmen! Überaus geschickt finde ich, daß Stewart einen Geographen und Ökologie-Spezialisten als Hauptfigur gewählt hat. Ishs genaue Beobachtungen und Anmerkungen zur Veränderung des ökologischen Gleichgewichts nach dem Verschwinden des Menschen sind für mich gerade im ersten Teil des Romans außerordentlich reizvoll! Heutzutage ist Ökologie ja in aller Munde, damals waren solche Konzepte in der breiten Öffentlichkeit noch nicht präsent, so dass Stewarts Herangehensweise in diesem Punkt m.E. sehr innovativ war.
Der Originaltitel (Earth Abides) ist ein Bibelzitat.
"One generation passeth away, and another generation cometh: but the earth abideth for ever."
(King James Bible, Ecclesiastes 1:4)
In moderner Form ist dieser Satz auch der letzte des Buches.
Kann es sein, dass Stewart gerade in den Zwischenpassagen immer wieder Bibelzitate oder zumindest -anleihen eingebaut hat? Der Sprachduktus mancher Passagen hat mich jedenfalls sehr an die "Heilige Schrift" erinnert - wobei ich als unverbesserlicher Skeptiker nicht besonders bibelfest bin.
Seht Ihr nicht auch in den Figuren Ish und Em ein Motiv aus dem Alten Testament aufgegriffen? Es gibt gewisse Bezüge -- auch die Bedeutung der Namen angehend. Ich bin da am Überlegen.
Die Assoziation zu Adam und Eva liegt hier wirklich sehr nahe. Laut der englischsprachigen Wikipedia bedeutet "Ish" auf hebräisch "Mann", und Em "Mutter", insofern hat Stewart diese Interpretation sicherlich beabsichtigt.
Übrigens: Der englische Wikipedia-Artikel ist - im Gegensatz zum deutschen - sehr ausführlich und interessant. Insbesondere sei auch auf die am Ende aufgeführten Links verwiesen, u.a. zu einer euphorischen Besprechung des Romans von James Sallis, dem Autor von "Driver" (tolles Buch, nebenbei, und die Verfilmung ist auch nicht zu verachten); Sallis stellt "Earth Abides" sogar in eine Reihe mit Werken von Joyce, Matisse und Beethoven!
http://en.wikipedia....ki/Earth_Abides
http://www.grasslimb...e.06.earth.html (Sallis-Rezi aus dem Boston Globe)
Für mich ist das ein sehr schönes literarisches Werk. Beim Lesen hatte ich immer das Gefühl, dass das Buch einen positiven und optimistischen Grundton hatte. Für mich war das immer verwunderlich, da ja fast die gesamte Menschheit und deren Zivilisation vernichtet wurde. Ich hatte etwas mehr Angst, Furcht und Grauen erwartet ... Es scheint wirklich eine Utopie zu sein.
Ja, das Buch ist trotz des postapokalyptischen Szenarios im Grunde sehr ermutigend: Wie der Titel schon sagt, geht das Leben weiter, auch wenn sich die Menschheit nach drei Generationen wieder auf einem steinzeitlichen Niveau befindet. Und Stewart deutet diesen "Abstieg" meiner Ansicht nach nicht als Rückfall in die Barbarei, wie dies viele andere an seiner Stelle wohl getan hätten. Gerade die vitale Jäger- und Sammler-Gesellschaft des letzten Kapitels - allen voran Ishs Urenkel Jack - wird überaus sympathisch geschildert und ist laut Stewart genauso wertvoll wie die untergegangene Zivilisation.
Vielleicht liegt der optimistische Ton auch daran, dass alle Protagonisten (mit Ausnahme Charlies) sympathische, ganz normale Menschen sind, die sich nicht gegenseitig "an die Gurgel gehen" - im Gegensatz zu fast allen heutigen Post-Doomsday-Romanen- oder -Filmen.
Ich bin echt erstaunt über die Wahrnehmungsgabe und die für mich sehr detaillierten Beschreibungen des Autors. Insbesondere sein Bewusstsein für soziale Zusammenhänge. Faszinierend war für mich wie Ish dem Stamm wichtige Grundlage auf spielerische Art beibringt und auch noch eine Form von Tradition etabliert, sodass diese Fähigkeiten trainiert, verbessert und weitergegeben werden. Das ist eine Art von "Sozial-Technologie" die in unserer auf mechanische und elektronische Technologie fixierte Gesellschaft nicht viel Wert gelegt wird und manchmal nicht mal als Fähigkeit oder Wert erkannt wird.
Dem kann ich nur zustimmen! Wobei Ish ja zunächst versucht, die alten zivilisatorischen Errungenschaften an die Nachfolgegeneration weiterzugeben. Außer Joey interessiert sich aber keines der Kinder für solche in der postapokalyptischen Welt auf den ersten Blick überflüssigen Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben - was Ish zunächst deprimiert. Aber - und das macht sicherlich auch einen Teil des optimistischen Grundtons aus: Ish resigniert nicht sondern vermittelt grundlegende Fähigkeiten wie das Bogenschießen in spielerischer Form.
Sehr überzeugend ist auch die "Trägheit" des Stammes: Es ist sehr einfach und bequem, eine neue Konservendose zu öffnen, den Wasserhahn aufzudrehen oder die übriggebliebenen Gewehr zur Jagd zu verwenden, so dass ein Vorausplanen für die Zeit, wenn die Konserven zur Neige gehen, das Wasserreservoir versiegt oder die Gewehre unbrauchbar sind, praktisch nicht stattfindet. Und Ish, der einzige Intellektuelle in einer Gruppe eher praktisch veranlagter Menschen, wird dann irgendwann mit seinen "Predigten", man müsse an die Zukunft denken, nicht mehr ernst genommen.
Stark geschildert und gut beobachtet sind auch die Konflikte und Schicksalsschläge der kleinen Gemeinschaft. Die Charlie-Episode liegt mir - eigentlich ein absoluter Gegner der Todesstrafe - immer noch schwer im Magen. Stewart konfrontiert seine Protagonisten zunächst mit einem moralischen Dilemma und zeigt anschließend sehr deutlich die psychologischen Konsequenzen ihrer Entscheidung, Charlie aus Selbstschutz hinzurichten: Ishs Gewissensbisse; die abergläubige Deutung des Stammes, das Typus-Fieber sei die Strafe Gottes; Ish bemerkt später, hier habe der Stamm seine Unschuld verloren. Und ich muss zugeben, dass diese Lösung sehr realistisch ist - ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich in einer solchen Situation anders entschieden hätte als Ish!
Da ich die englische Ausgabe gelesen habe, wollte ich gern wissen, was als letzter Satz in der deutschen Ausgabe steht. Bei mir steht:" Men go and come, but earth abides."
In meiner Ausgabe der "Bibliothek der Science Fiction Literatur" aus dem Heyne-Verlag heißt es: "Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich"
Kann ich mich nicht wirklich dazu durchringen es als Klassiker zu sehen, auch wenn nicht viel fehlt aber irgendwie fehlt mir noch ein letzter kleiner Schubser, warum es ein Klassiker sein soll. Vielleicht könntet ihr mir ja diesen kleinen Schubser geben?
(...) @Shevek: Da ich selbst noch nicht in den Genuss gekommen bin die Erfahrung zu machen, wie es ist ein Buch nach 30 Jahren noch einmal zu lesen, wollte ich gern wissen, ob sich was beim erneuten Lesen geändert hat oder wie das dich beim Lesen beeinflusst hat. Natürlich nur wenn die Frage nicht zu weit geht. Ich weiß, dass ich manchmal etwas zu neugierig bin.
Für mich ist "Earth Abides" eindeutig ein Klassiker! Werde meine Begründung demnächst nachliefern und auch kurz beschreiben, wie es gewesen ist, den Roman nach über 30 Jahren erneut zu lesen.
Bearbeitet von Shevek, 19 Februar 2014 - 16:26.