Leseliste September 22
Remarque Vonnegut Kehlmann Binet Katzmarz Wyndham
Der September bescherte mir eine abwechslungsreiche Leseliste. Hier mein Fazit:
John Wyndham: „Kolonie im Meer?“
Nachdem ich durch seinen Erzählungsband „Die Kobaltblume“ Blut geleckt habe, ist jetzt auch mal massiv Wyndham dran. Ein Klassiker, den ich doch schon längst aufgearbeitet haben müsste, oder?
Dieses Werk ist ein typischer Wyndham, der ja für seine gemütlichen Apokalypsen bekannt ist. Die Welt kann gemächlich untergehen, dann aber auch richtig. Hier kommt die Gefahr aus dem All, aber die Aliens verziehen sich bei Ankunft auf der Erde gleich in die Tiefsee. Wir bekommen sie im Grunde nie zu Gesicht. Der andere Titel des Romans lautet auch „Wenn der Krake erwacht“. Dass es sich um krakenförmige Wesen handelt, wird zwar mal spekuliert, ist aber nicht durch direkte Beobachtung abgesichert.
In der Tiefsee sind die Aliens unantastbar. Sie versenken Schiffe und greifen Inseln und die Küsten weltweit an. Dazu nutzen sie schildkrötenförmige Amphibienfahrzeuge mit Tentakeln. Sie schnappen sich die Menschen; was mit denen passiert, wird nicht erklärt.
Für den Leser beobachtet ein frisch vermähltes Pärchen die ganze Geschichte. Sie sind Reporter und meistens immer vorne mit dabei. Am Ende kulminiert die Handlung auf den britischen Inseln. Die Aliens schmelzen das Eis an den Polkappen ab, es kommt zu Überschwemmungen, auch die britischen Inseln sind betroffen. Die Bevölkerung beträgt nur noch ein Zehntel. Dass das eigentlich ziemlich dramatisch ist, merkt man dem Roman kaum an. Am Ende scheint man sich – also, wer überlebt hat – ohnehin damit abgefunden zu haben, das die neuen Herrn der Erde die Aliens sind und man sich auf den Rest des Landes, der übrig blieb, irgendwie einrichten muss und das auch kann. Alles gut am Ende?
Der Roman ist kurzweilig, auch nicht zu lang. Wobei ich mal wieder nicht weiß, ob der auch vollständig vorliegt. Ich habe eine Hardcoverausgabe des Goldmannverlages von 1961, die auch nur diese standardisierten 180 Seiten hat, aber die neuere Ausgabe von Suhrkamp hat auch nicht mehr. Aber mehr braucht man zu dieser recht geradlinigen, wenig überraschenden UFO-Gefahr-Apokalypse auch gar nicht erzählen.
8/10 Punkte
Hubert Katzmarz: „Garten der Ewigkeit“
Erstaunlich, ein SF-Roman von Hubert Katzmarz? Ja, gibt es - bzw. wird es bald geben. Der wird nämlich aus seinem Nachlass demnächst veröffentlicht. Ich sag mal noch nix darüber...
Kurt Vonnegut: „Katzenwiege“
Im Grunde ist der Roman nicht rätselhaft, aber was der Titel mit dem Inhalt tatsächlich zu tun hat, hat sich mir nicht erschlossen. Eine Katzenwiege ist ein Fadenspiel, das man mit zwei Händen ausübt und halt so verschiedene Formen bildet.
Ansonsten geht es aber um eine neue Superwaffe, die einer der fiktiven Väter der Atombombe erfunden hat. Die nennt sich Eis 9 und kann folgendes – obwohl das wahrscheinlich physikalisch nicht geht – was wiederum gut ist: Es setzt den Gefrierpunkt von Wasser hoch, so um die 40 Grad. Also, was mit Eis 9 in Kontakt kommt, erfriert sofort. Ganz schön blöd für einen Planeten wie die Erde, dessen Oberfläche hauptsächlich aus Wasser besteht und Wasser für alles Lebenswichtige braucht – Wasser in flüssiger Form ...
Ein Journalist forscht dem Erfinder hinterher und will auch rauskriegen, wo diese Eis 9 hin ist. Und was das für ein Mensch war, der ein genialer Erfinder war, aber sich für das, was man mit seinen Erfindungen anstellen kann, nicht die Bohne interessierte.
Dabei kommt er in einen kleinen Inselstaat, so einer Bananenrepublik, im Schatten der USA: San Lorenzo. Dorthin haben sich die Erben des Erfinders verzogen. Das Land ist arm, die meisten Leute dort auch, dafür gibt es einen Diktator, der sich „Papa“ nennen lässt.
Die Story lebt von den skurrilen Figuren und Protagonisten und erfindet eine eigene Religion. Man denkt natürlich bei so einem südamerikan. Land gleich an Voodoo oder so, aber beim Lesen kam mir eher Rastafari in den Sinn. Auf jeden Fall bietet dies dem Autor, schön über religiöse “Wahrheiten“ abzulästern. Herrlich! Sie heißt Bokononismus. Eine ihrer grundsätzlichen Wahrheiten ist, dass Religion einen Lüge ist. Die Lüge heißt hier Foma, das macht sie aber auch nicht wahrer, ist aber hilfreich (wie Notlügen vielleicht).
Der Erfinder kommt übrigens auch aus Ilium (Player Piano), der Roman spielt aber hauptsächlich in San Lorenzo. Dort wird er durch seltsame Umstände sogar zum Präsidenten der Insel. Aber wie das gehen kann, verrate ich hier nicht. Ist jedenfalls eine tolle, schnurstracks-geradlinig erzählte Story, die im Fiasko endet. Ende der Welt und so.
Ich kann hier nur 10 / 10 Punkte geben, auch wenn der Stil – diese superkurzen Kapitel z.B. – irgendwie verknappt wirkt. Aber was soll’s? Alles auf den Punkt gebracht. Super!
Aiki Mira: „Titans Kinder“
Kurzweilige, spannende und diverse Weltraum-Abenteuer-Utopie. Ja, viele Adjektive und Zuschreibungen. Man staune, was alles so auf 180 Seiten passt. Auch wenn hier mitunter ziemlich durch den Plot und die Jahre gehetzt wird, dabei aber eine eigenständige Evolution des Lebens auf dem Jupitermond Titan beginnt, was mir dann doch eher unwahrscheinlich erschien, war der Roman für mich eine wahre Wohltat. Die Figuren sind interessant und teilweise echt liebenswert, auch vielleicht gerade wegen ihrer Diversität und ihrer Problematiken im Zusammenleben mit andere Menschen. Die Utopie darin (Untertitel lautet: „Eine Space-Utopie“) ist sicher nicht so leicht nachvollziehbar, denn die Umstände, mit denen die Protags zurechtkommen müssen, sind schon sehr bizarr und extrem. Aber auch hier findet „das Leben“ seinen Weg. Schön!
9 / 10 Punkte
Daniel Kehlmann: „F“
Hörbuch, gelesen von Burghart Klaußner (das macht er gut!)
Ein Wiedersehen mit einem guten, alten Bekannten. Das Buch las ich im Frühjahr 2015. Inhaltlich will ich gar nicht viel mehr hinzufügen. Siehe meinen Eintrag von damals.
Die Faszination ist auch immer noch / wieder da. Klasse Roman um eine kleine Familie und der Frage, was sie antreibt, was ihr Schicksal = F = Fatma – ist.
(keine neue Punktzahl, ich belasse es bei damals…)
Laurent Binet: „Eroberung“
Mein erster Binet und mit Sicherheit nicht mein letzter! Eine superinteressante und wundervoll erzählte Alternativ-Welt-Geschichte – wobei hier „Geschichte“ vielleicht mitunter etwas zu sehr als „Historie“ erklärt werden könnte. Gerade der Hauptteil, in dem die Inkas Europa „erobern“, ist historisch sehr genau. Um da alle Finessen mitzubekommen, müsste man sich schon ziemlich gut in der europäischen Geschichte des 16. Jahrhunderts auskennen. Aber dennoch macht die Lektüre Laune und alles wird sehr schlüssig und nachvollziehbar erklärt. Ja, so könnte es auch gelaufen sein, wenn nicht…
10 / 10 Punkte
Erich Maria Remarque: „Im Westen nichts Neues“
Ja, ich gebe es zu: 1. Ich habe bisher diesen Klassiker nicht gelesen und 2. Ja, die Ankündigung, dass es eine Neuverfilmung (bei Netflix) gibt, hat mich jetzt auch auf das Buch neugierig gemacht. Und es gibt sogar noch einen 3. Punkt, der hat aber was mit der Familie zu tun. – Unterm Strich ist es aber egal, warum ich das Buch jetzt las. In jedem Falle war es längst überfällig. Und ich habe gleich gemerkt, dass das auch nicht mein letzter Remarque bleiben darf.
Großartiges Buch, starke Sprache, starke Figuren. Grausam und gleichzeitig sogar spannend. Ich bin ziemlich begeistert.
10 / 10 Punkte