Januar 2023
Strugazki Franz Fühmann Wolfgang Harich
Ulrike Herrmann: „Das Ende des Kapitalismus“
Das Buch zum Zeitgeist. Oder auch nicht, eher dagegen. Ich nehme mal an, das, was die Autorin hier fordert – eigentlich nicht fordert, sondern als unausweichliche Notwendigkeit feststellt – wird nicht umgesetzt. Im Grunde ist es genau das Buch, das mir jetzt echt die gute Stimmung (falls überhaupt vorhanden) völlig verhagelt hat. Na ja, so kann das neue Jahr ja beginnen.
Klingt zynisch und apologetisch und depressiv? Na, dann lies mal selbst. Kann man natürlich alles leugnen und meinen, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gibt, okay, ja, aber des interessiert das Klima nicht, vermute ich. Insofern: Kopf in Sand = die Leute haben es dann wahrscheinlich am besten, so rein mental. Ich bin kein „Klimaleugner“, vielleicht hat mir das Buch auch gar nicht so viel Neues gebracht, aber das alles nochmal so konzentriert zu lesen, war für mich schon der Hammer.
Der Titel des Buches weist darauf hin, dass die Autorin eine Kapitalismus-Gegnerin wäre. Ist sie nicht. Im ersten Teil erklärt sie, wie gut der Kapitalismus für die Entwicklung der Menschheit war. Damit geht sie ja d’accord mit Marx. Was sie dabei auch versucht, ist den Kapitalismus reinzuwaschen, indem sie z.B. meint, dass die Kapitalisten den Kapitalismus nicht verstanden hätten, und z.B. auf „Ausbeutung“ lieber verzichten sollten. Allerdings ist in ihrem Zusammenhang Ausbeutung nur die Ausbeutung von Sklaven. Das kenne ich u.a. von Marx her anders. Und die moderne Sklaverei wäre sogar rein kapitalistisch gerechnet ein Verlustgeschäft gewesen. Nebenbei natürlich auch ein Verbrechen. An der Stelle fand ich ihre Argumentation zu verkürzt.
Unterm Strich: Grünes Wachstum kann es nicht geben, die Lösung ist so eine ressourcenbasierte Wirtschaft, ohne Wachstum. Nur, wie kommen wir aus dem wachstumsverpflichteten Kapitalismus (der übrigens keine „Marktwirtschaft“ ist) dahin, ohne ins Chaos zu versinken? Ihr Master-Plan: Die britische Kriegswirtschaft. Wird allerdings auch recht kurz abgehandelt. Aber okay, klingt nach einem Plan. Meine Frage: Wer wird den durchsetzen?
8 / 10 Punkte
Wolfgang Harich: „Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit“
Die Anti-Schrift zu Jankas „Schwierigkeiten…“ – schon mit dem Titel macht Harich einen geschickten Schachzug, wie ich finde. Wenn sein Kontrahent seine Schwierigkeiten mit der Wahrheit hat, so hat er selbst keine. Harichs Buch ist umfangreicher und ausführlicher und behandelt nicht nur seinen Streit mit Janka. Ich las es in erster Linie wegen dieser Auseinandersetzung, sozusagen als eine Sicht auf den Polit-Krimi um die Harich-Janka-Gruppe von 1956.
Janka kommt nicht gut weg; ein paar Vorwürfe Harichs sind dann sicher zu arg, aber das, was Harich bringt, kann auch andere Leute, die Janka beschuldigt, wieder rehabilitieren (Anna Seghers, Helene Weigelt).
Nebenbei habe ich jetzt auch Lust, mich mehr mit dem Menschen und Philosophen Harich zu beschäftigen. Er war ja mehr als nur der verurteilte und reumütige (und feig wirkende) Dissident der 50er Jahre. Dass er auch für die Grünen in der BRD eine große Rollen spielte, bzw. hätte spielen können, war mir auch neu. Und sein Ideen über eine (kommunistische) Ökodiktatur sind leider jetzt sehr aktuell; so aktuell, dass es mir den Atem raubt.
Habe mir gleich noch das „Heft zur DDR-Geschichte 146“ von Guntolf Herzberg besorgt – mit den Vorträgen „W. Harich – eine philosophische Wiederentdeckung“ und „Walter Janka und die Gruppe Harich“ (Berlin, 2017)
10 / 10 Punkte
Franz Fühmann: „SAIÄNS-FIKTSCHEN“
Was wäre mit mir passiert, wenn ich dieses Büchlein schon vor der „Wende“ gelesen hätte? Ich weiß nicht mehr, wann ich es erworben habe, ich habe die 3. Auflage der Hardcoverausgabe vom Hinstorff-Verlag, aus dem Jahre 1987, aber ich denke, ich habe es erst später nach 1989 erworben und auch gelesen. Allerdings war der Inhalt dann, nach der DDR, kaum noch relevant für mich. Doch als Geschichtslehrerstudent in der DDR hätte mich das Buch, hätte ich es gelesen, vielleicht sogar aus der Bahn geworfen (?).
Aber jetzt las ich es voll bewusst und voller Staunen: Was denn: Das Buch konnte in der DDR erscheinen? Also, wenn das mal keine Abrechnung mit dem vermurksten Real-Sozialismus der DDR ist, mit Stasi-Gesinnungsschnüffelei und – Bestrafung, mit ideologischer Durchseuchung von allem, des gesamten Lebens, mit der lähmenden Dogmatik im Denken und Forschen, in Kunst und Kultur und Philosophie. Das System hat den Autor krank gemacht, das spiegelt sich in seinen Figuren dieser Geschichten wider.
F.F. mochte gar keine Science Fiction, deshalb schrieb er ja auch Saiäns-Fiktschen. Aber es ist SF, halt nur nach Fühmann‘scher Art.
„Die Ohnmacht“ – man kann einen kurzen Ausblick in die Zukunft machen. Die Frage ist, kann ich, wenn ich weiß, was angeblich in den nächsten zehn Minuten passiert, mich dann nicht doch anders entscheiden? Eine ziemlich typische SF-Frage mit weitreichenden philosophischen Konsequenzen und der hier Infragestellung des Historischen Determinismus. Für den Sozialismus nicht unbedeutend, da „wir“ ja schon wussten, wohin der Lauf der Geschichte gehen wird, diese sozusagen durch ihr Ende vorherbestimmt war.
„Der Haufen“ – eine philosophische Dystopie. Die Frage lautet: Ab wann ist ein Haufen ein Haufen? Also eine unbestimmte Menge von irgendetwas? Blöde Frage? Na ja, die stellen sich schon „die alten Griechen“. Hier, mit dem Marxismus-Leninismus, kann die Frage schnell und unkompliziert geklärt werden – oder? Auf jeden Fall hat die Frage eine realpolitische Auswirkung (wie ja alles, was es bei „uns“ gab): So ein Haufen, den man mengenmäßig nicht fassen kann, kann man dann wohl auch nicht beherrschen.
„Das Denkmal“ – ist eine große, tolle, moderne Fabrik im „Westen“, in der nix Vernünftiges hergestellt wird. Hier ist die Stoßrichtung also nicht Kritik am eigenen System, sondern an den „Gegnern“, die wohl ihre Möglichkeiten nicht vernünftig nutzen.
„Die Straße der Perversionen“ geht in eine ähnliche Richtung und setzt sich mit der freien Medienwelt des „Westens“ auseinander. „West“ und „Ost“ haben hier natürlich in der fernen Zukunft, nach 2 Atomkriegen, andere Namen, aber man weiß ja, was gemeint ist.
Jedenfalls geht der mediale Krach und deren Inhalte (gern auch bunter Sex and Crime) dem alter ego des Autors auf den Zeiger.
„Das Duell“ ist dann eine harsche Auseinandersetzung mit marxistisch-leninistischer Geschichtsauffassung. Auch gern nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann auch nicht sein, oder so. Und wenn doch? Und wenn dann sich herausstellt, dass der Historische Materialismus und die ML-Geschichtsschreibung doch irgendwie Recht behalten, aber eben nicht so, wie sie es gern hätten? Man kann als Geistesmensch drüber verzweifeln – und zum Alkoholiker werden; so erging es der Figur in der Geschichte, aber auch dem Autor.
„Bewusstseinserhebung“ – wow, deutlicher und eindeutiger kann man nicht gegen Stasi-Methoden und Gesinnungsschnüffelei anwettern, wie in dieser Story. Das ist 1984 pur.
„Pavlos Papierbuch“ ist ein rabenschwarzer Text, der anhand von drei Geschichten, die Pavlo in einem der sehr raren Papierbücher in dieser fernen Zukunft lesen kann, aufzeigt, zu welchen Untaten Menschen fähig sind. Hier artikuliert der Autor meiner Meinung nach seinen historischen Pessimismus, nachdem er selbst Faschismus, Stalinismus und den stagnierenden Real-Sozialismus der DDR miterlebte und teilweise sogar mitgetragen und mitgestaltet hatte und nun am Ende seines Lebens sieht, dass all das nur Irrwege waren.
Manchmal kompliziert zu lesen, bei Fühmann sitzt jedes Wort. Aber unendlich wertvoll!
11 / 10 Punkte
Franz Fühmann: „Die Sage von Trojas Fall“
Bin gerade voll im Fühmann-Fieber. Am 15.1.23 machte das WUK Theater Quartier in Halle einen Matinee anlässlich des 101. Geburtstages von Fühmann. Und jetzt lese ich auch noch die Sagenverarbeitungen des Meisters. Nun, muss aber gestehen, dass ich seinen Troja-Stoff dann doch etwas verknappt fand. Auch hier gilt: Bei Fühmann sitzt jedes Wort, doch hätte ich mir etwas mehr Ausschmückung gewünscht. So ist es fast einen Art Nachschlagewerk, man kann sich schnell über die Abläufe vor Troja informieren; wer mit wem und gegen wen…
8 / 10 Punkte
Kurt Andersen: „Fantasyland. 500 Jahre Realitätsverweigerung“
Dickes Buch, das ich bereits im letzten Jahr begonnen hatte. Ich konnte / wollte es auch nicht in einem Ritt durchlesen, aber bin froh, es gelesen zu haben.
Der Untertitel lautet noch: „Die Geschichte Amerikas neu erzählt“. Ja, stimmt. Es werden aber bestimmte Aspekte der (nord- und US-) amerikanischen Geschichte aus der Gesamtgeschichte herausgelöst und dargestellt, aber Elemente, die aus Sicht des Autors die Geschicke und vor allem Das Denken der Menschen der USA bis heute bestimmen.
Es geht um alle möglichen realitätsverbiegenden und -verweigernden Vorstellungen in Religion und Alltags-Philosophie (so will ich das mal nennen), mit Auswirkungen auf Pop-Kultur und Politik (und da wird es ja dann auch richtig ungemütlich). Der Autor, selber US-Bürger und jemand, der viel, von dem was er hier erzählt, mitmachte, miterlebte, hält keine großen Stücke auf das Volk seines Landes. Er zeigt auf, was dieser „amerikanische Traum“ ist – nämlich ein Traumgebilde, das mit der Realität oftmals nicht viel zu tun hat, aber das Verhalten der Menschen in dieser Realität bestimmt.
Als SF & Fantasy-Fan bin ich teilweise etwas geschockt. Und das, was für mich schon seit Jahren nun gilt, dass auch Parawissenschaften und Verschwörungstheorien ihren Charme für mich verloren haben – als gedankliche Spielfelder – da sie auch bei uns in der Realität, also im Mainstream angekommen sind, wird durch dieses Buch noch enorm verstärkt.
Für mich ein wichtiges Buch, vielleicht etwas zu umfangreich und sich selbst wiederholend, redundant. 700 Seiten hätten da nicht sein müssen.
9 / 10 Punkte
Arkadi und Boris Strugazki: „Hotel ‚Zum Verunglückten Bergsteiger‘“
Hatte nun endlich mal die Gelegenheit, den estnisch-sowjetischen SF-Film „Hotel ‚Zum verunglückten Alpinisten‘“ zu sehen. Hat immerhin über 30 Jahre gedauert… Dass es den Film gibt, erfuhr ich damals durch eine DDR-Film-Zeitschrift; den kurzen Artikel habe ich noch in meiner Sammlung. Gesehen hatte ich ihn nie, obwohl er mal im DDR-Fernsehen lief, ob im Kino auch, weiß ich gar nicht. Und auf Konserve konnte ich ihn bisher nicht bekommen. Jetzt gibt es ihn, aber sehr teuer, wie ich finde. Aber es gibt ihn – und ich konnte ihn sehen!
Sein Ruf eilte ihm voraus! So hatte ich inzwischen z.B. den Komponisten der Filmmusik, Sven Grünberg, kennen gelernt, bzw. dessen Musik. Ich finde diese faszinierend, auch was er neben diesem Projekt so machte. Dazu wird die Machart des Films oft positiv herausgestrichen. Und nach dem Sehen kann ich das auch bestätigen, er weist viele experimentelle, fast psychedelische Elemente auf. Die Schrägheit der Sturgazki’schen Figuren wird durchaus im Film getroffen, wenn auch nicht so, wie ich sie in dem Buch kennen- und lieben lernte.
Unterm Strich war das Buch – wie so oft – doch besser! Muss ich schon sagen. Die Handlung, die Motivationen der Figuren, die Gesamtkomposition waren im Buch einfach besser, stimmiger, schlüssiger. Der Film „behauptet“ viel. Man kann die Szenen aus dem Buch wiedererkennen, aber sie sind dort zum Teil unverständlich aneinandergereiht, wie ich finde. Wenn man wissen will, wer diese seltsamen Gäste in diesem Hotel mit dem seltsamen Namen sind, was sie wollen und wohin sie wollen, sollte das Buch lesen. Auch die Handlungsweise des Inspektors Glebski, also des Protagonisten des Buches und Films, wird im Buch besser dargestellt, vor allem zwiespältiger, komplexer.
Das Buch jedenfalls hat es mir echt angetan, nach so langer Zeit (hatte es ja auch schon mal vor mehr als 30 Jahren gelesen). Kurzweilig, spannend, nicht ganz so märchenhaft-abgefahren wie z.B. in „Der Montag fängt am Samstag an“, obwohl es da durchaus Gemeinsamkeiten gibt, die mich veranlassen zu glauben, dass diese Werke in einem Universum spielen.
Die Geschichte wird wie eine klassische Krimi-Detektiv-Geschichte aufgezogen, könnte vom Setting her sogar von Agatha Christie stammen – klar definierter Raum, exakt definierte Personengruppe, ein Mordopfer (vermeintlich) – also muss der Täter ja hier zu finden sein…
Dann bohren die Autoren den Plot auf, es kommen politische Verwerfungen hinzu, das Böse lauert im Großen und Ganzen hinter allem, das Böse in Form faschistischer Bedrohung, gepaart mit dem organisierten Verbrechen. Und dann die kosmische Dimension, die den rationalen, analytischen, aber auch etwas faulen Polizeiinspektor an den Rand seines Denk-Horizontes bringt und ihn am Ende leider nicht die richtigen Entscheidungen treffen lässt. Großes Theater auf kleiner Bühne. Hat mir echt gut gefallen!
10 / 10 Punkte
Anna Seghers: „Der Räuber Woynok. Sagen und Legenden“
Phantastik von Anna Seghers? Gibt’s! Und zwar recht gute, wie ich finde. Der letzte Text ist sogar „echte“ SF – mit Außerirdischen, die hier die „Unirdischen“ heißen.
„Die schönsten Sagen vom Räuber Woynok“ – der Eigenbrötler und Anarchist Woynok im Böhmischen geht lieber allein auf Raubzug. Es gibt da eine Bande, der er sich partout nicht anschließen will. Mitunter braucht er die Hilfe der Bande und der alte Bandenchef will ihn als seinen Nachfolger aufbauen. Aber am Ende bleibt Woynok sich treu, auch wenn er das mit seinem Leben bezahlt.
„Sagen von Artemis“ – aneinandergereihte Erzählungen in einem Stück über geheimnisvolle Frauen, die wohl Personifikationen der Göttin sind.
„Die drei Bäume“ – sagenhafte Mini-Texte – über einen Ritter, der in einem Baum Zuflucht fand, aber nicht mehr herauskam, über einen Propheten, der Angst hat, sich in einem Holzstapel versteckt, aber aus Angst dort nicht mehr rauskommt – und zersägt wird. Uhh… Und über Odysseus, der von seinen Irrfahren zurück kehrte und einen alten Baum, der ihm und den Seinen zur Heimstatt wurde, wiederfindet.
„Das Argonautenschiff“ habe ich jetzt 2-mal gelesen und wieder für supergut befunden. Über den alterslosen, aber desillusionierten Jason.
„Tuomas beschenkt die Halbinsel Sorsa“ – fast schon epische Fantasy. Kann Ort und Zeit gar nicht zuordnen, braucht man bei Fantasy ja auch nicht. Über einen Mann, der sich friedlich behauptet, auch wenn die Umstände widrig sind, und dabei auch immer wieder, bei allem Neid und Missgunst, auf gute Leute stößt, die ihm wohlgewogen sind.
„Sagen von Unirdischen“ – Humanoide Aliens besuchen die Erde, während der „Religionskriege“, also irgendwie zu Luthers Zeiten, dann noch mal im 30jährigen Krieg. Den Eindruck, den sie von „uns“ bekommen, ist nicht der beste. Aber sie lernen jeweils auch Künstler kennen, die etwas schaffen – kreativ, mit ihren Händen und ihrem Talent, etwas Unnützes, aber sehr Schönes, was es auf der fremden Heimatwelt nicht gibt. Sie sind also auch beeindruckt.
Eine schöne Sammlung, hat mir durchaus gefallen, auch wenn ich als SF- und Phantastik-Fan mir mitunter mehr spannende Plots gewünscht hätte, Knalleffekte und Pointen. Das macht die berühmte Realistin eher nicht so…
9 / 10 Punkte
Arkadi und Boris Strugazki: „Die gierigen Dinge des Jahrhunderts“
So war das gar nicht geplant! Jetzt wollte ich doch einfach mal die diversen, parallel begonnenen Bücher abschließen und da kam mir die Möglichkeit dazwischen, den Film „Hotel Zum verunglückten Bergsteiger“, nach der Erzählung der Strugazkis, zu sehen. Siehe oben. Und schon war ich drin, wieder einmal, im Strugazki-Fieber! Habe mir nach dem „Bergsteiger“ gleich den nächsten Kurzroman aus meinem Bücherregal gefischt. Auch das Buch hatte ich vor langer, langer Zeit gelesen. Hier weiß ich sogar ziemlich genau, wann. Denn das Buch hatte ich mir für das freie Thema zum Abschluss-Aufsatz (Prüfung) in der 10. Klasse gewählt. Hach, Schade, dass ich den Aufsatz nicht wiederbekommen habe; würde mich gerade sehr interessieren, was ich damals dazu geschrieben hatte…
Jetzt als ein Wiedersehen mit Shilin, Pek und Oscar. Ehrlich, an die Namen konnte ich mich auch nicht mehr erinnern. Und dass das Buch lose in die Zukunfts-Historie der Autoren reingehört, wusste ich damals sicher nicht.
Auch den Roman habe ich jetzt regelrecht verschlungen, voller Begeisterung. Wieder hat mich die ungewöhnliche Herangehens- und Sichtweise der Autoren fasziniert. So wie im „Bergsteiger“ der first contact mit Aliens mal komplett auf den Kopf gestellt wurde, indem die Aliens halt nicht in der Welthauptstadt landen, um dort diplomatische Beziehungen zur US-Regierung suchen, oder halt dort gleich mit Kampfhandlungen beginnen, sind sie bei den Strugazkis an einer sich menschenfreundlich gebenden Räuberbande mit Beziehungen zu faschistischen Kräften geraten.
Und hier? Hier räumen sie mal so nebenbei mit der Doktrin in der sozialistischen Phantastik auf, wonach hochentwickelte Technologie, Wissenschaft, vor allem auch Raumfahrt, nur in einer gesamtplanetarischen (terranischen) Zivilisation passieren kann, und die ist idealer Weise kommunistisch. Nö, bei den Strugazkis ist der junge Pek mit 18 erst Raumerkunder, mit 30 kämpft er als Soldat gegen faschistische Banden in seinem Land (welchem Land?). Um dann als Agent einer ihren eigenen Agenten wenig vertrauenden Geheimorganisation „für die gute Sache“ im kapitalistischen Ausland einer neuen, geheimnisvollen Droge nachzuforschen, ihr verfällt und daran zugrunde geht. Also keine geradlinige Entwicklung, weder beim einzelnen Menschen, noch gesamtgesellschaftlich. Ich weiß nicht, ob ich das damals auch so verstanden habe…
Shilin ist auch so ein ehemaliger Raumfahrer, der nun als Geheimagent in der verruchten, dekadenten, im Konsum-Überfluss erstickenden „West-Stadt“ nach dieser Droge und ihre Macher und Dealer forschen soll. Es ist irgendwas Psychotisches, was bei falschem Gebrauch zum Tod führen kann. Dabei lernen wir durch seine Brille diese dekadente Gesellschaft kennen. Ist die wirklich „der Westen“? Oder hat sie auch Züge der verfallenden sowjetischen Gesellschaft? Auf jeden Fall können wir hier sehen, wie es aussieht, wenn ein Ideal der utopischen Gesellschaft realisiert werden würde: Was, wenn der Mensch von der Arbeit befreit würde? Dann kommt die große Langeweile und die große seelische Leere. Ja, könnte sein…
Das Buch ist mal wieder absolut prophetisch, damit eventuelle auch ein Beitrag zum Thema BGE. (ich würde es trotzdem mal ausprobieren…). Was mit aber inzwischen auch stark auffällt, ist der Fixierung der Strugazkis auf das Thema „Faschismus“. Sie befürchten und prophezeien, dass der nicht weg ist, dass er wiederkommt, dabei durchaus fast moderat, aber immer auch mit seinen richtig gefährlichen und menschenfeindlichen Aspekten. Das steckt in den beiden Russen tief drin, das kann man im „Lahmen Schicksal“, im „Bergseiger“ und auch hier dezidiert nachlesen.
Hervorheben möchte ich auch ihr Plädoyer dafür, „Weltprobleme wie seine eigenen zu betrachten“ (S. 249); könnte heute ja nicht aktueller sein, diese Botschaft.
Okay, wieder satte 10 / 10 Punkte