Leseliste Juni / Juli 2009
T.H. Leseliste 2009
Das Buch ist eine unterkühlte Aneinanderreihung von bösen Gewalttätigkeiten, die dem Wilden Westen jeden romantischen Nimbus raubt. Am Ende nehmen dann quasi-philosophische Ausbrüche zu, die ein sehr eigenartiges Licht auf den Chef der hier im Mittelpunkt stehenden Mörderbande wirft.
Ein wenig ist die Lektüre ermüdend, aber ähnlich wie in "Die Straße" vermag der Autor eine seltsame Spannung / Erwartungshaltung aufzubauen. Und das Ende ist dann irgendwie doch nicht so, wie dieser Spannungsbogen verspricht...
8 / 10 Punkte
Carlos Ruiz Zafón: "Der Schatten des Windes" - kam leider nicht durch, kam nicht ran an die Personen. Das Buch ist nicht übel, war mir aber irgendwie egal = irrelevant. Das Buch ist absolut flüssig geschrieben, das liest sich einfach großartig, aber ich fand, der Autor verschenkt zu viel: Die Story ist zu konstruiert, der historische Hintergrund (das Spanien in der Franco-Diktatur) spielt im Grunde (zumindest so weit wie ich gekommen bin) keine wirkliche Rolle.
4 / 10 Punkte
Thomas Ziegler: "Nur keine Angst vor der Zukunft" - SF-Stories, Ullstein, 1985
Der Band war wieder wie eine Zeitreise, in die Vergangenheit der SF... Ziegler präsentiert hier wieder sozial-harte Nah-SF, die zum Teil heute - 2009 - gar nicht so abwegig klingt. Und der Autor zeigt meisterhaft, wie gut er fabulieren kann, wie gerne er fantastische Kreaturen entwirft und verbal ausschmückt; das ist schon mal eine Wonne!
"Marathon" - der Ausreißer der Sammlung: Irgendwann in ferner Zukunft, irgendwo in den Weiten des Alls, die Menschen führen seit Jahrhunderten einen Krieg gegen einen dem Leser anonym bleibenden Gegner, in dem sie Planeten besetzen, deren Ressourcen schonungslos ausbeuten, Raketen bauen, die sie auf ferne Sonnen abfeuern, die dann nach Jahrhunderten diese zerstören, samt dazugehörigem Planetensystem, auf dem ja eventuell der Gegner sitzt...
Einem der ewigen Soldaten kommen Zweifel, weil bei so einer Planeteneroberung die seltsamen Einwohner, Marathons, vernichtet werden. Das sind Kreaturen, die Metalle fressen und in ihrem Innern aus Uran Atomkraft gewinne. Das erinnert auch ein wenig an Zieglers Fantasy-Zyklus, den ich vor kurzem gelesen habe.
"Artefakt 5578" - eine seltsame Story. Sie beginnt als "Brief-Roman" in ferner Zukunft, ist aber eine Replik auf ein typisches 80er Jahre Thema: Kampf von Hausbesetzern gegen Mietwucher und Spekulanten.
"City" - über die Phobie eines Underdogs. Aus dem Drecke der verkorksten Welt entsteht eine Invasion grünen Schleimes, der aus dem Klo kommt... Puh...
"Willkommen in der Stadt der Angst" - hier muss sich der Leser in die Elendsabgründe eines vernebelten Obdachlosen begeben, der sich für rassistisch radikalisieren lässt und gewalttätig wird.
"Tief unten IM Tal" - am Rande einer bundesdeutschen Stadt an der Wupper gibt es eine Zone, wo Leute von den Abfällen der umfriedeten Stadt leben. Irgendwann bleiben die Abfälle der Wohlstandsoase aus. Hier gibt Ziegler seinem Affen ordentlich Zucker und zeigt sehr eindringlich das Ergebnis zunehmender Polarisierung von Arm und Reich; der Text liest sich verdammt aktuell...
"Delirion: Liza" - Szenen aus dem Leben nach dem "30 Minuten Krieg", dem Ergebnis eines Computerfehlers, der zum Atom-Krieg führte. Auch ein typisches 80er Jahre Thema, das Ganze in einer fast experimentellen Erzähl-Anordnung.
8 / 10 Punkte
Richard Matheson: "Die seltsame Geschichte des Mr. C" - wieder ein Klassiker, wieder wunderbar. Den Film hatte ich ja vor ca. 20 Jahren das letzte Mal gesehen. Aber er war eindrucksvoll, da ist viel hängen geblieben. Das ist sicher ein Zeichen für Qualität. Beim Lesen des Buches wurden die Filmbilder wieder beschworen. Der Autor versteht es hervorragend, den Leser bei der Stange zu halten. Auch wenn man irgendwie weiß, worauf es hinausläuft, so erzeugt er Spannung durch die geschickte Konstruktion aus Rückblenden und Cliffhanger in der Haupterzählung, die den Kampf des Winzlings mit der Spinne umfasst.
Was wieder mal bei M. auffällt, ist die sexuelle Komponente, die ja bei den Verfilmungen immer ziemlich ausgeblendet wird. Der schrumpfende Held leidet, u.a. eben auch unter dem Entzug sexueller Aktivitäten. Irgendwo hatte ich in Rezensionen gelesen, dass dies nerve. Kann ich gar nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: Da wo in solchen Geschichten dieser Aspekt ausgeblendet wird, scheint was nicht zu stimmen (vielleicht auch mit dem Autor...).
9 / 10 Punkte
David Mitchell: "Der dreizehnte Monat" - das 3. Buch von Mitchell, leider gibts ja nicht mehr von ihm. Diesmal weniger komplex, da er nur eine Geschichte erzählt, aber wieder überaus packend. Ist ja Mainstream, aber Mitchell schafft es (bei mir), dass ich einfach alles gut von ihm finde.
Hier also eine Replik auf die Jugend und die 80er Jahre.
10 / 10 Punkte
Cormac McCarthy: "Grenzgänger" - wer hätte das gedacht: Ich lese Western... Na ja, ist ja in erster Linie "ein McCarthy"; ich vermute, dass es fast egal ist, was McCarthy schreibt, ich würde alles lesen - käme auf einen Versuch an.
Das Buch war jedenfalls wieder eine Wucht. Ja, etwas nervt es, dass die spanischen Passagen nicht übersetzt wurden, aber man kann im übrigen Text erraten, was da spanisch gesagt wird; ist auch nicht so viel.
Und am Ende bleibt totale Einsamkeit...
9 / 10 Punkte
Uwe Post: "Symbiose" - der letzte Schmöker im Juli war eine richtige Überraschung für mich, sozusagen eine Neuentdeckung. Der Name des Autors ist mir ja schon begegnet, u.a. im SF-Netzwerk, hatte auch schon mal eine Story gelesen, die schon auffiel, aber sein "Biopunk-Roman" ist erste Sahne. Hut ab,alle Achtung: Tolle Story, spannend, sehr komisch, kurios, lustig, grotesk, großartig geschrieben, der Mann kann was und überragt den Fan-Autoren-Durchschnitt bei weitem; kann gar nicht genug Superlative finde. Ich fühlte mich wunderbar unterhalten und den sense of wonder guter SF hat er auch getroffen, was nicht so leicht ist bei der heutigen SF und bei einem ollen Leser wie mich...
Ein wenig scheint es eine neue Welle zu geben; "Die Abschaffung der Arten" von Dath (Achtung: Laßwitz-Preisträger in spe) ist ja auch so was wie Biopunk. Bei Post hat eine hochentwickelte Biotechnologie die altbekannte herkömmliche technische Zivilisation ergänzt und in vielen Bereichen des Lebens abgeköst; das ist fast eine Art Bio-Utopie, allerdings mit genügend Konfliktpotential. Dazu kommt eine großartige SF-Idee, die metaphorisch was mit dem Hai auf dem Cover zu tun hat, und dann noch die liebevoll gezeichneten Aliens, also...
11 / 10 Punkte