"Das Ich ist eine Fiktion" - Matthias Hirth in Leipzig
Phantastisches Halle & Leipzig - Termine & Berichte
Nun war er also da - im Haus des Buches, eingeladen vom Freundeskreis SF Leipzig am 23.10.2009.
Moderiert hat diesmal Thomas Braatz, gekommen sind leider wieder viel zu Wenige (12 Leutchen). War wirklich Schade, denn der Autor könnte ja auch jenseits der "strengen" SF-Fan-Kreise bekannt sein - gerade außerhalb des SF-Fandoms, denn ich habe gar nicht so viel über ihn in einschlägigen Phantastik-Foren etc. gefunden.
Und das zumindest hat er nicht verdient!
„Angenehm“ ist nämlich wahre „Wissenschaftliche Literatur“, tatsächlich wörtlich genommen. Der Autor: „Ich wollte ein Buch schreiben, in dem alles drin steht. Und das hat mich 10 Jahre meines Lebens gekostet. Noch mal mach ich das nicht.“ Das Buch ist das Ergebnis einer jahrelangen, intensiven Recherche des Autors, der nicht vom Fach, sich mit Gehirn- und Bewusstseinsforschung, dem Entwicklungsstand der KI-Forschung befasst hat. Daher ist der Roman fast gar keiner geworden, sondern ein im fiktionalen Korsett gekleideter wissenschaftlicher Artikel. Seine Kenntnisse als Theatermensch, der einmal war (Leiter des Münchner Theaters in der Kreide) bewahrte ihn davor, ohne jegliche dramaturgische Mittel aus zukommen.
Neben der Lesung von Textpassagen des Romans (aus der Rahmenhandlung, die sich unmittelbar mit der KI-Forschung und ihren Entwicklern befasst) äußerte er sich auch ausführlich über das, worüber er schrieb. Ihm da zu folgen, fiel dem Publikum (auch mir) sehr schwer; man merkte, wie intensiv und tief er in die Materie einstieg. Alles andere hätte auch keinen Sinn, denn das Thema ist außerordentlich komplex & kompliziert. Alles oder nichts. Genau das macht die Lektüre des Romans dann auch zur Herausforderung. Vielleicht übersteigt dies den Anspruch eines „normalen“ SF-Konsumenten, der doch nur unterhalten werden möchte von seiner Lektüre und sich dann doch nicht so dolle mit der dahinter stehenden Wissenschaft auseinandersetzen möchte.
Insofern kann ich nun nur jedem Interessierten an der Frage: Was wird aus uns Menschen, was aus unserem Bewusstsein, wie sieht die nächste evolutionäre Entwicklungsstufe des Bewusstseins aus? dieses Buch wärmstens empfehlen. Ich selber nehme mir vor, zumindest bestimmte Passagen doch noch mal zu lesen, auch wenn ich mich durchbeißen muss.
Der Autor ist ein Entertainment-Profi, allerdings bei weitem nicht so auf Show aus wie derzeit ein anderer Autor, der ein neues dickes Buch geschrieben hat. Aber Matthias Hirth kann sehr schön vorlesen und er kann akzentuiert und umfänglich auf Fragen eingehen. Das Gespräch mit ihm war ehr ergiebig.
Zur Entstehung des Buches erzählte er auch. Als Theatermensch hatte er irgendwann mit dem Buch begonnen, und dabei festgestellt, dass er sich zu einem anderen Menschen entwickelte. Das Theater forderte von ihm Extrovertiertheit, die literarische Arbeit ist eher nach innen gekehrt. Er hat sich entschieden, was er aus materiellen Gründen nicht immer für vorteilhaft ansieht. Aber er hat sich voll ins Zeug geltet und mit seinem Roman den derzeitigen Stand der Forschung in Sachen Bewusstsein und Künstliche Intelligenz zusammengefasst und eine lesbare Form gebracht. Und er hat auch die Probleme benannt, die eben noch keineswegs gelöst sind. Dabei soll ja seiner Fiktion gemäß die Kunst (Literatur z.B.) helfen, denn Bewusstsein ist mehr als die Reaktion eines Systems auf Datenimput.
Ach ja, auf eine Frage aus dem Publikum nach dem philosophischen „Ich“ antwortete er nur lakonisch: Das ist nur eine Arbeitshypothese, die ein paar Dinge vereinfacht darstellt; doch darin ist die Wissenschaft sich einig: Es gibt kein Ich.