Wie wird man Virganer?
Subjektive Eindrücke zur Lektüre
Na, ich weiß, das ist keine große Literatur. Aber ich hatte mordsmäßige Laune auf eine richtig schöne Sciencefiction-Abenteuergeschichte. Und das war ja wohl eine!
Das Buch ist flüssig, toll, mitreißend geschrieben. Wie lange nicht (bei mir) sprach es den SF-berühmten sense of wonder an. Dafür kann ich mich nur dolle beim Autor bedanken!
Und am Ende sollte ich noch sauer sein: Die Fortsetzung kommt erst im September! Ist das Euer Ernst liebe Leute bei Heyne? Was soll ich denn so lange machen???
Virga
Also, man wird in eine Art Hohlwelt entführt. Keine Angst, das endet hier nicht in irgendwelchen obskuren Theorien der 20/30er Jahre. Die Welt hat einen Durchmesser von 9000 km und ist gefüllt mit Luft, Wasserblasen, Asteroiden und künstlichen Habitaten, von Menschen erbaut, umgeben von einer harten Schale. Für Licht und Wärme sorgen künstliche Sonnen. Woran echt Mangel herrscht, ist Schwerkraft. Diese kann durch Rotation erzeugt werden, aber meistens fehlt sie. Das hat Auswirkung auf die Leute, die da wohnen, auch auf ihre Physis.
Diese Hohlwelt kann mit Schiffen durchfahren werden. Bevölkert wird diese Welt durch zahlreiche Völker, die sich in wohl eher totalitären Reichen und Piraten-Exklaven organisiert haben. Da die „Länder“ mitunter nicht fest stehen, sondern sich frei durch diese Welt bewegen, sind schon mal Konflikte vorprogrammiert, wenn nämlich - wie hier auch - ein Staat in das Territorium eines anderes Staates einbricht und diesen sozusagen im Vorübergehen erobert.
Gesellschaftlich bewegt man sich so zwischen 18. und 21. Jahrhundert. Immerhin kann man Aggregate erzeugen, die sozusagen als künstliche Sonnen Energie erzeugen, fährt mit Schiffen durch den Luftraum, die bis zu 300 km/h schaffen, schlägt sich aber im Zweifelsfall die Köppe mit dem Schwert ein. Die "Umgangsformen" sind deutlich hierarchisch - wohl so was wie feudal-abolutistisch.
Welt außerhalb von Virga
Davon wird nur wenig angedeutet. Aber dies Wenige erscheint mir außerordentlich faszinierend. Transportiert werden die Nachrichten von Außen durch eine Protagonistin, die freiwillig ihr „Paradies“ verlassen hat und in Virga lebt; nein, ganz freiwillig tut sie das nicht: Sie hat eine Mission, die sie nicht erfüllen wird; aber ich will mal nicht zu viel verraten...
Die menschliche Zivilisation hat seit Jahrtausenden einen Zustand erreicht, der Künstliche Natur genannt wird. Da scheint so gut wie alles möglich zu sein. Interessant ist, dass alles, was ein Mensch haben möchte, von der K.N. erstellt wird. Dabei ist kein Produkt wie das andere, denn die K.N. erfindet sozusagen das Teil immer wieder neu. Dieser Überfluss hat aber zur Folge, dass niemand mehr schöpferisch tätig sein muss.
Es gibt einen Seitenkonflikt, der nur andeutungsweise eine Rolle spielt: Die K.N. möchte Virga in ihren Machtbereich zurück holen, aber da gibt es eine Sperre, die auch am Ende dieses Romans nicht durchbrochen wird. Ich könnte mir vorstellen, dass da noch was passiert...
Der politische Hauptkonflikt besteht zwischen der Supermacht Slipstream und dem besiegten Area, personifiziert wird dieser Konflikt durch die ehrgeizige und egoistische Venera Flanning und den in seiner Art edlen Admiral Chaison Flanning, der irgendwo auch eine tragische Figur darstellt auf der einen Seite und dem Helden der Geschichte, den Areaner Hayden Griffin, den zunächst nur Rache für den Tod seiner Mutter umtreibt. Am Ende sammelt er die „Rohmaterialien“ für eine neue Sonne für seine Heimatwelt ein.
Es ist zwar ein Reißer und Schmöker, der auf abenteuerliche, als äußerliche Elemente setzt, aber die Figuren sind nicht eindimensional gezeichnet, auch nicht die Nebenfiguren; wie sie reagieren ist also nicht immer von vornherein klar.
Genial sind die phantastischen Einfälle des Autors; ich darf mal ein paar aufzählen (wer sich den Roman noch reinziehen will, kann ja auf meine Aufzählung verzichten, vielleicht verrate ich hier zu viel...):
- „Touristenstation“ - die größte Stadt, an der Innenseite der Hülle, das Tor zur Welt da draußen, bewohnt auch von Leuten aus der Künstlichen Natur.
- Der Kurator eines Museums für Virganische Kultur in der Touristenstation ist ein Gespenst, eine Person nach dem Prinzip des Chinesischen Zimmers - was das eigentlich ist, musste ich auch erst nachschlagen...
- Spielkirchen: deren Mitglieder bilden wie Teile eines Nervensystems eine theoretische Person; ihr Zusammenwirken ergibt eine 1:1-Kopie eines kompletten Nervensystems; das scheint von großer Bedeutung für die Künstliche Natur sein
- Warea - eine große Wasserkugel mit einer riesigen Vertiefung, in der die Ausgestoßenen der zivilisierten Länder Virgs sich zurück gezogen haben.
- Leat's Choir - 80-km im Durchmesser - ehemals vollständig von Wald erfüllt, der soviel Sauerstoff produzierte, dass eine Selbstentzündung drohte. Der Sauerstoff wurde abgepumpt; in einem Krieg wurden die Pumpen zerstört, und zurück blieb eine finstere Kugel Holzkohle, ein Sargassum (vielleicht muss man sich ihr Aussehen wie das der gleichnamigen Alge vorstellen...)
Aber Fortsetzung ... o je ...
Inwieweit lässt sich denn das Buch auch allein lesen, oder gibt's ein offenes Ende?