Leseliste - September 2012
James Blish
Der Hammer - für mich, in meiner privaten AHA-SF-Erlebnis-Welt: „†™Sie gebrauchen eines von den Büchern aus Newmans Seminar über spekulative Theologie als Vorlage für die Zeremonie†™, sagte Billy. †˜Erinnerst du dich, das ist der Kurs, der vorletztes Jahr eingeführt wurde?†™
†˜Der Gewissensfall†™, sagte Margot“ (S. 145)
Was? Ist das Ernst gemeint? Doch! Gemeint ist das Buch von James Blish! - Wow! DAS ist für mich ein tolles Aha-Erlebnis! Irgend ein Kreis schließt sich - oder öffnet sich da etwas?
Als ich begeistert das Buch „Die Einhorn-Berge“ aus den Händen legte, wollte ich mehr von Bishop lesen. Bei einer ersten Recherche wurde mir klar, dass der Mann kein unbeschriebenes Blatt ist; es gibt bereits eine Menge Bücher auch im Deutschen von ihm.
Schon bald stieß ich auf die sog. „Atlanta-Trilogie“ (auch: Urban Nucleus). Welche Bücher dazu zählen, kann ich so 100%ig nicht erkennen. Phantasitk-Couch und Wiki zählen dazu:
- „Die Cygnus Delegation“ (A Little Knowledge)
- „Die Jahre in den Katakomben“ (Catacomb Years)
- „Under Heaven†™s Bridge“ (zusammen mit Ian Watson)
Der Autor zählt auf seiner Homepage noch „Flammenaugen“ (A Funeral for the Eyes of Fire) zu seiner Urban Nucleus of Atlanta [UrNu] dazu. So will ich es auch halten, dann habe ich tatsächlich eine Trilogie zum Lesen (in Deutsch) zur Verfügung...
Interessant, wie der Autor dem Zyklus aufbaute - von hinten nach vorne...
Nach ihrem Entstehungsdatum sortiert:
„Flammenaugen“ - 1975
„Die Cygnus Delegation“- 1977
„Die Jahre in den Katakomben“- 1979
Er beginnt in der fernen Zukunft (Flammenaugen), zeigt, wie in Atlanta der Kuppal-Stadtaat funktioniert (Cygnus-Delegation, spielt um 2072), und zeigt zuletzt, wie die USA zerfiel (Katakomben).
Und gleich noch ein Aha-Erlebnis: Derzeit (2012) haben Dystopien Konjunktur, auch solche, in denen die USA zurück- oder zerfällt. Habe da Dan Simmons „Flashback“ und vor allem Elliott Halls Felix Strange-Reihe im Auge. Religiöser Fundamentalismus und Zerfall der westlichen Demokratie in den USA werden prognostiziert. Das Thema liegt sozusagen in der weltpolitischen Luft. Doch die Atlanta-Bücher von Bishop bauen genau darauf auf: Die USA ist in Stadtstaaten zerfallen, die sich auch baulich abkapseln. In Atlanta etabliert sich ein strenges, christlich-fundamentalistisches Regime, repressiv gegen Andersdenkende und vor allem Atheisten (Moslems und Hare-Krishna-Leute werden gerade noch so toleriert) - doch die Bücher stammen aus den 70er Jahren...
Gleichzeitig erkenne ich in dem hier zu besprechenden Buch ein Motiv aus den Einhorn-Bergen wieder: Bishop hat eine Affinität zu den amerikanischen Ureinwohnern. Zwei seiner Protags sind Indianer, wobei beide recht unterschiedliche, ambivalente Positionen einnehmen.
Atlanta ist im Jahre 2071 eine Kuppelstadt, beherrscht wird sie von der ortho-urbanistschen Staatskirche. Atheisten haben gefälligst die Fresse zu halten, wenn sie keine rein bekommen wollen. Intellektuelle Auseinandersetzungen sind nur noch vorsichtige, mir albern erscheinende, theologische Debatten (Was haben Bonsai-Planzen und die Dreifaltigkeit gemeinsam?).
Leute, die Atlanta verlassen konnten, kehren zurück und bringen Aliens mit, die in Nordeuropa „landeten“, sich als geistig überlegene Wesen von 61 Cygni, man könnte sie biomechanisch bezeichnen. Ihre Lebensweise ist etwas bizarr. Sie mögen es kühl, essen Katzen und Äpfel (Hey, gibt es da nicht noch einen Außerirdischen, der auf Katzen steht?). Einer der Protags, der sich als Hauptfigur heraus kristallisiert, wird engagiert, sich um die Delegation von Cygnus in Atlanta zu kümmern. Das bedeutet in erster Linie, in einem verwahrlosten Stadtbezirk streuenden Katzen zu fangen...
Bishop ist ein Magier beim Charakterisieren von Personen, auch der Fremden. Sie haben ein Geheimnis, das wenigen Menschen (und dem Leser) am Ende offenbart wird. Da es sehr viel in dem Roman um Religion und religiöse Vorstellungen geht, hat diese Offenbarung auch etwas mit dem Seelenheil zu tun...
Vielleicht ist der Plot hier etwas mau und das Ende - nun ja - zu aufgesetzt, dafür fasziniert Bishop durch seine großartige, plastische, eindrucksvoll Welt-Beschreibung und Personencharkteresierungen. Muss aber sagen, dass ich länger brauchte, um mit dem Roman und auch den Figuren „warm“ zu werden als bei „Die Einhorn-Berge“. Hat sich aber allemal gelohnt!
9 / 10 Punkte
32) Michael Bishop: „Flammenaugen“
Zwei Menschen aus Atlanta, Planet Erde, einem Kuppelstadtstaat, sind diesem Gefängnis entflohen. Auf dem Planeten Glaparca bekommen sie einen Job. Sie sollen von einem Nachbarplaneten, Trope, ca. 300 Leute nach Glaparca umzusiedeln, die Quemartsee. Sie bilden eine Sekte, die sich dem streng logischen und rationalen Regime auf Trope widersetzen.
Die Evolution auf Trope hat einen seltsamen Sprung gemacht; die nunmehr vernunftbegabte Art hat innerhalb einer Generation den Sprung von der Steinzeit zur weltraumfahrenden Intelligenz gemacht. Allerdings ist hier der Begriff „Generation“ anders zu verwenden als auf der Erde, denn eine Person erlebt viele Generationen. Die Tropianer wechseln in Persona von einer Generation zur nächsten, vergessen aber ihr vorheriges Leben, es sei denn, sie machten sich Aufzeichnungen und können nachlesen hinterher. Die Quemartsee sind da traditioneller und sie beugen sich nicht der rationalen Doktrin.
Die Tropianer brauchen nicht viel Nahrung, haben keine Münder, kommunizieren direkt über Anregung des Gehirns, auch mit Fremden, dann aber nur selektiv, oder wie die Quemartsee im Grunde fast gar nicht. Ihre Augen sind leuchtende Edelsteine (also, ich verkürze das mal so), die sie den Toten entnehmen und aufbewahren. Der letzte Blick eines Sterbenden ist außerordentlich bedeutsam. Diese atavistische Tradition haben auch die Anhänger des absolut Rationalen bewahrt.
Einer der beiden Menschen und 2 Glaparcianer sollen also die 300 Quemartsee umsiedeln. Die Umsiedlung ist sowohl im Interesse der Tropianer, als auch der Glaparcianer, die Leute benötigen, die auch am Äquator leben können, was ihnen hitzebedingt selbst schwer fällt.
Nun ja, Bishop macht aus dieser Story einen ganzen Roman. Ich hatte oft den Eindruck, dass er sich erzählerisch im Kreis dreht. Es wird auch schon klar, dass hier der Mensch, der über Vieles im Unklaren gelassen wird, damit er sich intuitiv der Angelegenheit nähern kann, ausgenutzt wird.
Das Unternehmen endet in einem Fiasko, und im Grunde in der Sklaverei für die Quemartsee.
Es geht um den Konflikt zwischen Fortschritt und Tradition, zwischen Ratio und Gefühl/Glaube. Ich denke, in den Quemartsee die Indianer Nordamerikas wieder zu erkennen.
Der Roman hat wirklich sehr schöne Passagen, eine faszinierende Sprache, hätte aber verdichtet werden können.
8 / 10 Punkte
Comic 6) Epidermophytie Ausgabe 17
Menschenskind, warum habe ich die nicht früher entdeckt? Große Klasse, sowohl inhaltlich, als auch gestalterisch. macht hochprofessionellen Eindruck. Sehr abwechslungsreich, urkomisch, und so sinnvoll :-)
Die Ausgabe 17 trägt den Untertitel „Der Sinn des Lebens“. Die Beitragenden halten sich sehr dolle am Thema, aber alle auf andere Art und Weise.
Da gibt es einen Hasen im historischen Detektivkostüm auf der Sinnsuche. Die Sinne entfleuchen den Kreaturen, man kann sie aber auch mieten, oder so...
Wenn ein TV-Moderator eine Talk-Runde zum Thema versammelt, kann man sich fast sicher sein, dass er von Aliens fremd gesteuert ist.
Ein Professor findet in einer Maya-Pyramide den Sinn des Lebens in Form von magnetischen Kugeln und seiner sexy Assistentin. (nicht Fräulein Schmidt... ?)
Was die Beatles im Jenseits als Sinn anbieten,ist dann eher - zu vernachlässigen.
33) Louis-Ferdinand Céline: „Reise ans Ende der Nacht“
Hörspiel des BR, 5 CD
Ist nicht ganz ok, das ich dieses Werk hier als „gelesen“ eintrage. Ich hatte das Buch in der Hand, habe reingelesen, und es wieder weg gelegt. Kam nicht ran. Zu sperrig, zu .. unkonkret? Zu lyrisch. Und dafür zu umfangreich, als ich es durchgehalten hätte. Na, bin wohl doch eher der plot-orientierte Leser...
Also als langes Hörspiel gehört, das aber sicher bei nur 5 CDs komprimiert den Inhalt widerspiegelt. Da war es genießbar für mich!
Céline ist ja so eine Sache, bin aber gerade dabei, mich mit solchen Gestalten auseinander zu setzen; lese gerade auch die Limonow-Biografie. Da gibt es viele Parallelen.
Der Mann ist ein Loser und kultiviert es. Da sind sicher auch die Umstände - 1. Weltkrieg - Schuld dran. Dann schlug er sich durch die afrikanischen Tropen, dann den Dschungel der Großstadt New Yorks, um zurück in Frankreich seinen Abschluss als Arzt zu machen und sich niederzulassen. Da war er auch alles andere als erfolgreich.
Unterm Strich stellt er - profan ausgedrückt - fest, dass das Leben Scheiße ist. Nun, profan ausgedrückt. Das macht C. aber nicht, er ist ein Wortkünstler. Allerdings umschreibt er mehr, fasst seine Stimmung zusammen, bringt es auf den Punkt, erzählt aber nicht oder kaum. Somit berührte mich sein Schicksal und seine Tristesse nicht so sehr.
Bei diesem Buch frage ich mich, was ihn zur Ikon der (Neu) Rechten macht, die er ja wohl ist. - Nee, will ihn da nicht in diese Ecke stellen, aber da gibt es halt diese Affinität, ähnlich wie bei Jünger (den ich übrigens auch nicht mit Genuss lesen konnte...) Später kam sein zu seiner allgemeinen Misanthropie Antisemitismus hinzu, sein Liebäugeln mit den deutschen Faschisten. Dabei war er immer ein Verlierer, eine eher traurige Gestalt, die aber zugegebener Maßen gut schreiben konnte. Unterm Strich hat†™s mich nicht überzeugt.
6 / 10 Punkte
34) Emmanuel Carrère: Limonow“
Limonow ist ein Phänomen, das wusste ich ja schon. Habe die drei Bücher, die es von ihm auf Deutsch gibt, gelesen. Habe die Nachrichten um ihn und seine „Partei“ verfolgt - staune, bin mitunter entsetzt und verwirrt.
Schön, dass es dem französischen Autor auch so geht. Er bekundet an mehreren Stellen seines Buches, dass er sich nicht darüber im Klaren war, ob er denn diesen „Abenteuer-Roman“ so weiter schreiben könne. - Jetzt könnte ich schreiben. Es ist kompliziert. Aber das mache ich lieber nicht, denn das habe ich aus dem Buch gelernt, dass so eine Haltung Feigheit bedeutet. Man muss sich bekennen, so Limonow.
Also, der Typ ist der Sohn eines KGB-Mitarbeiters, ist in seiner ukrainischen Heimat in einem kleinkriminellen Milieu aufgewachsen und sozialisiert worden. Nach seiner Selbstauskunft wollte er im Grunde nur „berühmt“ werden. Er hat seine dichterische Ader entdeckt, Kontakt zum literarischen Underground Charkows, dann Moskaus aufgebaut und den Dandy gemimt.
Schon hier zeigt er, dass er in keine Schublade passt; einerseits macht er offizielle Sachen nicht mit, entzieht sich dem soz. Realismus, findet die Dissidenten aber auch doof: sie sind in seinen Augen träge, Nichtskönner, Maulhelden, im Grunde Lebensunfähige. Ihr „Erfolg“ neidet er ihnen jedoch. Ist aber erfrischend, was er so über die Groß-Dissidenten so denkt (Solschenizyn, Brodsky und so). Und er ist gar nicht antistalinistisch eingestellt; auch wenn er in seinem Vater sozusagen den unfähigen, lahmarschigen, schlappschwänzigen Staatsdiener erlebt, so wird er Zeit seines Lebens immer eine Affinität zum KGB und dem FSB haben. (Nee, ist kein IM)
Seine Jahre in Amerika, in Frankreich, dann das dunkle Kapitel in Serbien, Kroatien... Mit ein paar „Mythen“ darum räumt der Autor aber auf.
Die Nationalbolschewistische Partei. Das Kapitel hat mich besonders interessiert: Ist das nun wirklich eine faschistische Organisation? Oder doch nur eine Art künstlerische Live-Performance mit Shock-Appeal? Welchen Einfluss oder wenigstens Eindruck hat dieser Haufen auf die russische Gesellschaft?
Wirklich schön fand ich die Worte, die der Autor, in Anlehnung eines ihrer Mitglieder, dessen Buch jetzt auch im Deutschen erschienen ist (Zakhar Prilepin: Sankya), die für die Leute gefunden wurden, die diese Partei bilden, zumindest der Lomonow†™sche Flügel. Dugin lockte eher die Antisemiten an.
Die Charakterisierung erinnerte mich - kurioser Weise - an die „verlorenen Seelen“ aus Poppy Z. Brites „Lost Souls“. Nun ja, Russland scheint einige verlorene Generationen zu haben: Die einen flüchten in Geld- und andere Räusche, die hier in den Extremismus.
10 / 10 Punkte
35) Haruki Murakami: „Nach dem Beben. Teil 1“ Hörbuch, gelesen von Joachim Krol
Auf der Doppel-CD sind 3 Erzählungen, die ich nun zum 2. Mal gehört habe. Ein Gradmesser, wie ein Werk auf mich wirkt, ist die Menge dessen, was ich mir gemerkt habe davon. Nun, zwei der Stories hörte ich wie zum ersten Mal...
Nee, dieser Autor ist irgendwie nichts für mich. Ich weiß, das ist ein Sakrileg. Ich habe es redlich versucht, aber...
Also, die Groteske mit dem Frosch, der gegen einen unterirdischen Wurm kämpft, um ein neues Erdbeben in Tokio zu verhindert, hatte ja was. Das ist sicher typisch japanisch; der Frosch so was wie der kleine Bruder von Godzilla. Dazu der harte und gleichzeitig weiche, melancholische Bankangestellte, der bis zum Schluss nicht so richtig weiß, warum gerade er von Frosch (nur Frosch, ohne Herr) auserwählt wurde, ihm im Kampf gegen den Wurm zu unterstützen. Von dem Kampf hat er dann auch gr nichts mitbekommen.
In „Alle Kinder Gottes tanzen“ erfährt ein junger Mann, dass er ein Sohn Gottes ist. Dabei war er auf seine Mutter nicht so gut zu sprechen. Die dritte Story, ähm, habe ich schon wieder so gut wie vergessen. Nee, der Autor ist nichts für mich.
5 / 10 Punkte