Frühlingsleselistenbeginn unter NEUEM STERN
+++ Peter Schünemanns Short(est) Story "Totalvision" +++ etwas über meine persönliche Fantasy-Entdeckung Majipoor +++ ein Bericht über ein seltsames Treffen: Literaturpapst trifft den deutschen Gollum - war ja hier im Blog schon Thema, nun aber ausführlich +++ ebenso ausführlich ein Bericht zur Buchpremiere „Bunte Lichter“ von Rolf Krohn +++ Messeeindrücke +++ zu guter Letzt: Stammtischgeflüster, leider zensiert +++
Der Rundbrief kann aber nicht die Leseliste füllen, daher hier 2 erste April-Werke:
12) David Peace: „Tokio im Jahr Null“
Hörbuch, 6 CDs, gelesen von Manfred Zapatka
Formal ist es ein Krimi und ein Nachkriegsroman, der in Japan spielt. Beim Krimi dreht es sich um eine Serie von Mädchenmorden. Ist hier ein japanischer Jack The Ripper unterwegs?
Das Hauptaugenmerk liegt aber nicht so sehr auf der Detektivarbeit, sondern auf den Befindlichkeiten und dem seelischen Zustand der ermittelnden Beamten.
Japan hat den 2. Weltkrieg verloren und die Menschen in dem Land sind wie paralysiert. An den Fronten haben sich die Soldaten mitunter schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Hier setzt der Roman an, denn der Protagonist, ein Kriminalpolizist, hat auch so einiges im Krieg „erlebt“, erleben müssen und, wie sich herausstellt, auch mitgetan.
Die Handlung spielt größtenteils im heißen Sommer 1946. Neben der Ohnmacht nach der Kapitulation, in der in Japan eine Welt zusammen brach, herrscht auch noch drückende Hitze. Die ist allgegenwärtig.
Ich muss gestehen, dass ich der Krimi-Handlung schon wegen der Namen, die ich mir nicht merken konnte, kaum folgen konnte (vielleicht ist es hier besser, selber zu lesen, statt sich vorlesen zu lassen). Und so erschien mir die Schilderung des sozialen Gefüges, in dem die Ermittlungen stattfanden, viel eindrucksvoller und wesentlicher zu sein. Hinter der lächelnden, ehrerbietenden und immer höflichen Maske verbirgt sich ein strenges hierarchisches System, das wohl in erster Linie Inkompetenz und Korruption decken soll. Wenn der Protagonist sich verbeugt und bedankt, verflucht er seinen Gegenüber. So habe ich das noch in keinem Werk über die sprichwörtliche japanische Höflichkeit gelesen.
Dazu kommen ähnliche rassistische Ressentiments und Herrenmenschen-Allüren dazu, die zu letzt im Krieg „gepflegt“ wurden und nun noch sinnloser und falscher erscheinen, als zuvor.
Das endet dann im Amoklauf.
Der Stil ist sehr knapp, der Autor arbeitet mit kurzen Sätzen; was irgendwie die drückende Stimmung verstärkt. So 100%ig konnte er mich aber nicht überzeugen, war mir alles zu distanziert. Im Grunde verstand man die Motivation des Handelns des Protags erst ganz zum Schluss etwas. Aber was da im Krieg wirklich abgelaufen ist, wird auch nur angedeutet, wie im Fieberwahn.
6 / 10 Punkte
13) Philip José Farmer: „Auf dem Zeitsrom“ Bd. 2 des Flusswelt-Zyklus
Oh, ich mag die Reihe immer mehr! Einfach toll!
Diesmal ist der Hauptheld der Story ein gewissen Sam Clemens. Kennt den jemand? Ohne nachzuschlagen? Also, ich kam erst etwas später drauf, als diese Figur über seine Geschichten vom Großen Fluss Mississippi nachdachte, damals, auf der Erde. Also, es ist Mark Twain, was halt nur ein Pseudonym ist.
Gleich ein kleiner Wermutstropfen: Vielleicht habe ich ja eine falsche Vorstellung vom Satiriker und Wort-Helden Mark Twain, aber so, wie Farmer ihn schildert, hatte ich ihn mir nicht vorgestellt, so passiv, wehleidig. Er hat einen sehr guten Freund, einen Riesen aus der Urzeit: Ein Titanthrop.
Ach ja, ich erinnere mich an die tollen Gemälde-Bücher des tschechischen Meisters Z. Burian. Darin gibt es auch ein Bild eines Gigantopithecus. So einer muss damit gemeint sein, eine ausgestorbene Menschenaffenart, die noch zu Zeiten der ersten „echten“ Menschen lebte.
In Farmers Flusswelt sind ja alle je auf Erden lebenden Menschen seit Anbeginn bis zum 21. Jahrhundert wiedergeboren worden. Daher auch Joe Miller, wie der Titanthrop sich nun nennt. Der ist auch gar nicht dumm. Er kann zwar kein „S“ aussprechen, (was die Lektüre seiner Wortbeiträge etwas erschwert), aber er führt fast die interessantesten Gespräche mit Twain.
Zu der illustren Truppe kommt noch der Bruder des berühmten Fliegers Richthofen, Lothar Freiherr v. Richthofen, auch Fliegerass im Ersten Weltkrieg, wenn auch nicht so berühmt wie sein Bruder. Odysseus und Mozart haben kurze Auftritte. Der große Widerpart ist der berühmte Gegner Robin Hoods, König John ohne Land (so kenne ich ihn). Der ist so ziemlich der mieseste Typ, mit dem Sam Clemens es zu tun hat.
Anfänglich reist Sam mit einer Horde Wikinger den Fluss entlang. Dabei hält er Ausschau nach seiner Frau. Die trifft er übrigens später sogar, aber sie liebt inzwischen Cyrano de Bergerc, ja ja, der Typ mit der großen Nase und dem flotten Florett.
Am Ende kommt noch ein ganz besonders seltsamer Mensch dazu: Johnston, the Liver-Eater & Crow-Killer, ein berüchtigter Trapper, der seine Beinamen „erworben“ hatte. Ist aber ein willkommener Haudrauf für Sam...
Historische Figuren werden hier gerne „umgepolt“; Hermann Göring taucht auch wieder auf, er ist ein 120%iger Anhänger der total pazifistischen und friedlichen (bis zur Selbstaufgabe) Kirche der Zweiten Chance geworden.
Sinn und Ziel bekommt das Buch durch die Begegnung Sams mit einem „Ethiker“, einem der geheimnisvollen Zukunftsmenschen, die das große Experiment Flusswelt ins Leben gerufen haben.
Dieser verursacht auch den Absturz eines metallreichen Meteoriten, der der Entwicklung einen enormen Schub verleiht. Sam soll / will einen Flussdampfer bauen, der ihn an die Quelle und damit an das Geheimnis der Flusswelt führen soll.
Ehe die Reise losgeht, wird viel gekämpft, werden viele Intrigen und Kriege, u.a. gegen einen rassistischen Staat von Schwarzafrikanern und -Amerikanern, ausgefochten. Am Ende geht es nicht so gut aus, und ein gewaltiger Cliffhanger entlässt den Leser. Na ja, hatte ohnehin vor, den Zyklus weiter zu lesen.
10 / 10 Punkte