Das Ende naht... der diesjährigen Hofmann'schen Leseliste.
57) Vladimir Colin: „Planet Babel“
Nachdem Peter Schünemann recht ausführlich im NEUEN STERN über sein Wieder-Lesen mit diesem Roman, den er zusammen mit Ph.K.Dicks „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ las, erzählte, fühlte ich mich animiert, ebenfalls die gute alte Jugendbekanntschaft wieder aufzufrischen. Ebenfalls ohne Bedauern, auch wenn ich den überragenden Ruf des Besonderen, den der Roman in mir knapp 30 Jahre aufrecht erhielt, ich nicht mehr ganz so nachempfinden konnte. Die Story ist im Grunde recht simpel. Das Besondere ist die seltsame, ästhetisierende Erzählweise, die SF, Fantasy und quasi philosophische Motive miteinander verbindet, sehr verdichtet erzählt. Damals waren die Bilder, die der Roman im Leser erzeugt, einfach neu und überwältigend. Da spielt eine psychedelische Nuance mit, die einfach ungewohnt war in der real-soz. Wissenschaftlichen Phantastik. Nun gut, diesen „Wow!“-Effekt hat die erneute Lektüre nicht mehr bei mir ausgelöst; war trotzdem schön dieses Wiedertreffen nach so langer Zeit.
8 / 10 Punkte
58) R.D. Precht: „Die Kunst, kein Egoist zu sein“
Hörbuch, gelesen vom Autor und Caroline Mart
Klasse! Ach, ich mag seine Philosophie und die Art (im Sinne von Kunst?), diese an den Mann - oder die Frau - zu bringen. Schlüssig belegt er, dass der Mensch kein geborener Egoist ist. Irgendwie beruhigend - aber auch befremdlich, wenn man sich die Konsequenzen überlegt: Die Gesellschaft, in der wir leben, ist wider unsere Natur. So einfach, so dramatisch.
10 / 10 Punkte
59) Gore Vidal: „Ewiger Krieg für ewigen Frieden“
Habe das kleine Büchlein endlich gelesen. Ist ja nicht aktuell - oder eben doch. Der Anlass der Veröffentlichung ist 9/11, aber er schildert anhand eines Terroranschlages in den 90ern in Oklahoma, wie sich die Gesellschaft in den USA verwandelt, eben schon länger als erst ab 2001, ab da aber besonders.
8 / 10 Punkte
60) Frank Böhmert: „Ein Abend beim Chinesen“
So, jetzt dürfte ich das „Kapitel Böhmert“ erst mal für mich abgeschlossen haben, es sei denn, mir kommen noch ein paar Sachen unter die Brille, die leider aber ziemlich vergriffen sind.
Tolle Stories dabei, wobei mir die Non-SF-Geschichten am besten gefallen haben. Ein paar sind wohl wieder autobiograf. angehaucht, wie die in „Bloß weg hier“. Andere sind fast experimentell in ihrer Erzählweise; ich gebe zu, zur Zeit steht mir der Sinn nach geradlinigem Garn. Die kamen bei mir eben nicht ganz so gut an, daher...
8 / 10 Punkte
61) Lyon Sprague deCamp: „A Gun For Dinosaur“
Nein, keine Bange, lese jetzt nicht in Englisch (würde ich ja gerne, kann ich aber nicht gut, zu mühsam...). Doch dieses Buch gibt es im Deutschen nicht - so, in Gänze, sondern zweigeteilt. Da die beiden Bücher aber eines sind, sollen sie hier auch zusammen aufgeführt werden:
1. „Ein Yankee bei Aristoteles“
2. „Neu-Arkadien“
Ja, bin deCamp verfallen. Der Mann hats einfach drauf, auch wenn seine Bücher schon einige Jahre auf dem Buckel haben. - Nun, hat er es drauf? Er ist kein Super-Literat, eher ein Unterhaltungsautor, aber durchaus mit dem Willen, sein Ding durchzuführen, dabei sein wissenschaftliches, atheistisches Weltbild zu präsentieren und seinen coolen Humor an die Leute zu bringen. Mir gefällt es!
Jetzt also eine Story-Sammlung. Mal der Reihe nach:
„Ein Yankee...“ Der Titel erinnert natürlich an Twain. Das wirkte auf mich auch, fühlte mich sofort angesprochen. Dazu kam, dass ich ja seinen historischen Abenteuerroman, "Ein Elefant für Aristoteles" mit großem Vergnügen las. In dem Roman schnitt der große Philosoph gar nicht so gut ab; deCamp zeigt ihn als fremdenfeindlichen Hetzer und Unsympath. Da war ich also doppelt neugierig.
In dieser Story lispelt Aristoteles, ist pedantisch, muss alles totdiskutieren. So lernt ihn der Leser zusammen mit dem Zeitreisenden kennen. Alexander und die späteren Diadochen sind als Jugendliche übrigens wahrliche Rüpel. Auch ausländerfeindlich, selbstgerecht, ungerecht.
Der Zeitreisende will den Philosophen in eine Richtung drängen, die den Lauf der Welt ändern würde, schafft dies aber nicht, dennoch ändernt er durch Kleinigkeiten den Lauf der Geschichte...
„Saurierjagd im Mesozoikum“ - liest sich wie der Prototyp einer Zeitreise-Jagd-Geschichte. Um kein Zeitparadoxon zu erzeugen, darf man nur mehr als 100.000 Jahre in die Vergangenheit reisen und auch nur zu immer zeitlich weit auseinander liegen Punkten, weil dann eventuelle Beeinflussungen des Laufs der Geschichte nicht so ins Gewicht fallen. Natürlich macht da nicht jeder so mit, wie er soll. Wenn ein eitler Typ, der sich an keine Regeln gebunden fühlt, sich erniedrigt fühlt, will er was in der Vergangenheit „in Ordnung bringen“. Ein Disaster kann aber verhindert werden.
Ansonsten ist das eine farbige, schön erzählte Abenteuerstory, sozusagen eine sehr realistische Bonzen-jagen-Saurier-Story.
„Kontrolle ist besser“. Ist das psychologische SF? Könnte sein, also SF, die Psychologie zum Thema hat. Darin wird eine besondere Dienstleistung angeboten: Menschen mit besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten, können andere Menschen übernehmen (was ja meist in der SF als was Mieses dargestellt wird), um ihnen so in bestimmten Situationen (z.B. Vorstellungsgespräch) zu helfen. Das erinnert natürlich auch an Stories, in denen Menschen sich durch Roboter oder so vertreten lassen („Surrogates“ etwa). Aber es entstehen dadurch natürlich neue Probleme... Eine raffinierte phantastische Beziehungs-Komödie.
„Energiekrise“ - In der stecken die Menschen, aber auch die Roboter. Ausgemusterte Robots, denen die nukleare Strahlung ihrer Batterien schon die Sperre wegbrannte, die sie daran hindert, Menschen Böses anzutun, suchen einen Heiland, ein Kind, das sie in eine lichte Zukunft führt. So lange sie warten, suchen sie Benzinkanister, um mal einen drauf zu machen. Bizarr und lustig, irgendwie...
„Cornzan der Mächte“ - eine Parodie auf seine eigenen (Conan) Fantasy-Stories und eine Parodie auf moderne, skrupellose Fernsehunterhaltung. In Zukunft agieren Schauspieler unter Drogeneinfluss, da spielen sie besser. Wobei die neueste Entwicklung dahin tendiert, den Zuschauern die Drogen zu verabreichen, denn dann malen sie sich alles in ihrer Phantasie aus und man braucht nicht mehr so viel für die TV Prod. auszugeben.
„Rückfall“ Durch Rückzüchtung wurden Urmenschen erzeugt, besondere zudem: gigantisch große. Die sind aber nicht wild, oder dumm. Einer will Kunst studieren, soll aber Football spielen. Leider ist er dafür zu kräftig.
„Tag des Gerichts“ Ein immer gedisster Junge wird ein superkluger Physiker, der leider nur ein Ziel hat: Sich für das ihm zugefügte Unrecht zu rächen, und zwar an der ganzen Menschheit, indem der eine planetenzerstörende Waffe erfindet. Harter Tobak. Der Autor erzählt gekonnt von der Entwicklung, die der Junge, dann Mann, nimmt und lässt das Ende offen...
(2. Teil - der beinhaltet fast nur Stories über außerirdische Besucher auf der Erde, wobei nicht der first contact im Mittelpunkt steht, sondern kulturelle, wirtschaftliche und andere Beziehungen zwischen den Aliens und den Erdenbürgern. De Camp erzählt sehr ironisch von unseren Grenzen und davon, dass Aliens auch nur Leute sind.)
„Dankbarkeit“ Pflanzen von der Venus sind schon besonders. Eine Art ist nicht nur etwas gefährlich, weil fleischfressend, sondern bringt ihr Züchter auch in psychische Abhängigkeit. Für den Autor auch Gelegenheit, ein wenig die amerikanische Spießbürgerlichkeit aufs Korn zu nehmen, und deren Unbekümmertheit (aus einer Überheblichkeit anderen anderen gegenüber heraus) vorzuführen.
„Eine Frage der Gewohnheit“ Recht „anspruchsvolle“ außerirdische Besucher wollen von ihren Gastgebern unterhalten werden. Da macht nicht jeder mit. Dabei geht es um wichtige wirtschaftliche Beziehungen, die man auf keinen Fall gefährden will. Aber alles hat so seine Grenzen. Am Ende hilft der Suff.
„Machen wir ein Faß auf“ zeigt das Ergebnis verfehlter (lasch liberaler) Kindererziehung: Die Kinder werden xenophobe Rowdies. Sie greifen Alien-Kinder mit Baseball-Schlägern an. Kennen wir das nicht irgendwo her? (Die Story stammt mindestens vom Anfang der 60er)
Als die Rowdies einen Alien töten, wird es vertuscht, um des lieben Friedens Willen...
„Ein unmöglicher Streich“ Ähnlich wie die Saurier-Jagd-Story gehen hier Menschen auf einem fremden Planeten auf die Jagd, zum Spaß. Flora, Fauna, den Planeten als solche, beschreibt de Camp wieder hervorragend. Muss schon sagen: Selten einen Autoren gefunden, der so eindringlich fremde Welten und Wesen beschreiben kann.
Wieder gibt es einen reichen Blödmann, dessen Exzentrik die Expedition gefährdet.
„In-Group“ Ob jemand „dazu“ gezählt wird, oder „draußen“ steht, ist hier keine Frage der Ethnie (Mensch oder Alien), sondern der sozialen Auswahl.
„Neu-Akadien“ Die lange titelgebende (für den 2. Teil der dt. Ausgabe) Story entführt uns auf einen fremden Planeten. Dort haben sich Utopisten nieder gelassen, aber nicht nur von der Erde, auch von einer anderen Welt. Deren Auffassungen (der Menschen untereinander, aber auch der Aliens) von einer lebbaren Utopie differieren... Es endet alles noch mal gut, aber die Frage, ob man z.B. Pazifismus leben kann, wird zumindest gestellt und partiell verneint. Interessantes, schön uns spannend erzähltes utopisches Experiment, wo de Camp mal wieder zeigt, wie unkompliziert er sich so einem komplexen Thema widmen konnte.
10 / 10 Punkte
62) Sibylle Berg: „Habe ich dir eigentlich schon erzählt...“
Hörbuch, gelesen von Fritzi Haberlandt und Alexander Khuon
Ist ja eher was für Jugendliche. Hat mir trotzdem gefallen. Zwei 13jährige Außenseiter in der DDR finden sich und reißen aus. Sie kommen aus miesen Halb-Familien, ihnen stinkt das Grau-in-Grau der DDR an und haben Sehnsucht nach Wärme, Farbe, Leben.
Na ja, 13jährige haben so ihre Sicht auf ihre Umwelt. Da gibt es Übertreibungen. Mitunter (ich war ja auch 13, irgendwann, und in der DDR) fand ich mich in deren Schilderungen nicht wieder. Aber gut, das sind dann halt andere Erfahrungen. Außerdem sind die Protags ausgesprochen Außenseiter, nicht gemocht von ihren Klassenkameraden etc. Daher gehen sie auf ihre Reise - über Polen, CSSR, Ungarn nach Rumänien und dann auf ein Schiff in die Türkei. Ihr Flucht aus ihrer Kindheit, aus der DDR, aus ihren miesen Familien gelingt. Und Abenteuer gibts dazu. Packend erzählt.
8 / 10 Punkte