Leseliste Februar 2015
Sorokin
6) Sergej Minajew: „Neonträume“
Nach „Seelenkalt“ hatte ich mir eine Weiterentwicklung erhofft. Doch irgendwie ist es noch mal das gleiche Buch geworden. Ziemlich nahe an der Alltagssprache erzählt der Autor von der neu- und möchtegern-reichen Yuppie-Klasse in Russland der Gegenwart. Leider kennt man das schon aus diversen Dokumentationen, die es ja aus Russland gibt. Auch wenn diese oft von westlichen Medien hergestellt wurden und man da eventuell ja bestimmte Klischees vermuten darf, bemüht sich der Autor dieses Buches nicht, diesen Klischees entgegen zu wirken. Dadurch wird es aber nicht interessanter.
OK, der „Held“ der Story ist ein wahres Filou und ein Weiberheld. Er prahlt damit, mehrere Frauen gleichzeitig zu haben. Leider ist er zu blöd, rechtzeitig zu merken, dass die Frauen das durchschauen und ihn auflaufen lassen. Parallel dazu wird halt erzählt, wie die Typen Geld machen und verprassen. Na ja...
5 / 10 Punkte
7) Valdimir Sorokin: „Ein Monat in Dachau“
Das Buch enthält nur einen recht kurzen Text. Komischer Weise scheint das Buch schwer erhältlich zu sein und ist mitunter eindeutig zu teuer für den Umfang (ich hatte da ein Schnäppchen erwischt...). Es gehört zu der Reihe von Texten, in denen Sorokin die literarische Lunte durchgebrannt ist - oder so. Teilweise reiner Dada.
DAS ist echt Bizarro Fiction, meine Damen und Herren, nicht so weichgespülte Sachen wie von... na ja.
Es entstand 1990, also zur Wendezeit. Sorokin fabuliert über ein faschistisches Deutschland, das bis 1990 fortbesteht. Die Sowjetunion ist - wohl als Verlierer des Krieges - irgendwie verbandelt mit, wahrscheinlich Untertan von Deutschland. In England wurde atomar zerstört, in New York gab es eine Invasion, aber sonst geht es den Amis ganz gut.
Jedenfalls verbringt ein russischer Schriftsteller seine gesamten Jahresurlaub im nach wie vor bestehenden KZ Dachau, fährt da ganz normal mit dem Zug hin und wird nach Strich und Faden gefoltert.
Dabei packt Sorokin seine aus dieser Phase gern genutzten Fäkalsprache aus, allerdings völlig dadaistisch verpackt. Man muss sich mächtig konzentrieren, um inhaltlich bei der Stange zu bleiben. Mitunter ist das völlig sinnlos.
OK, mehr als die knapp 50 Seiten kann man das nicht durchhalten, da sind mir seine naiv-populistischen Zukunfts-Dystopien von heute, die in Form bäuerlich-russischer Utopien daher kommen, lieber. Im Sommer kommt da was neues, bin gespannt.
Hier gebe ich nur - ach, lieber keine Wertung - ist jenseits von allem ---
8) Hans Dietmar Sievers: „Die neuen Wanderer im Geisterreich“
Ziemlich seltsames Teil, das. Spielt in naher Zukunft, in Ostdeutschland vornehmlich. Das Buch lebt vor allem durch seine Hiebe auf die (ost-) bundesdeutsche Wirklichkeit. Aber kaum so, dass es schmerzt; eher lustig, kurios, dabei wortgewandt. Vielleicht muss man wissen, dass der Autor in Halle/Saale lebt und daher sehr viele Bezüge auf die Gegend bis zum Harz eingeflochten hat. Dürfte für Mittel(ost)deutsche daher von besonderem Interesse sein.
Dazu gibt es einen phantastischen Plot, der sich an eine alte, romantische Märchenerzählerin anlehnt. Statt des Königs oder Kaisers, der auf seine Rückkehr in einer Tropfsteinhöhle wartet, ist es ein Rocker- Präsident. (Ach ja, da war ja was in Halle...), ein Streik der Servicekräfte erschwert die Erforschung einer solchen Höhle.
Die Heldinnen sind drei Damen, die allerdings für sich genommen ziemlich blass bleiben. Ich konnte sie bis zum Schluss nicht auseinanderhalten. Jedenfalls haben die so eine Art Firma gegründet, mit der sie historische Situationen für Gäste nacherlebbar machen wollen (oder so ähnlich; wird für meine Begriffe nicht so richtig anschaulich dargestellt)
Der männliche Held verliebt sich in eine Füchsin, na ja, nicht wirklich eine Füchsin, eher in so einen Art Geist.
Und und und... Man muss schon ganz schön dran bleiben, denn vor lauter Ironie und Wortspielen und eigentlich tollen Witzeleien geht der Plot etwas unter. Ist auf alle Fälle eine kurzweiliger Spaß, dafür
7 / 10 Punkte
9) Sally Gardner: „Zerbrochener Mond“
Hörbuch, gelesen von Andreas Steinhöfel
Dystopien im Jugendbuchformat sind ja gerade das Ding.Vielleicht passt dieses Buch auch da hinein, aber es lässt sich Genre-mäßig noch woanders einordnen: Alternativ-Historie. Und das war für mich der Grund - nach einer Empfehlung in einem FB-Forum, wo Leute über ihr Gelesenes bloggen, mir das auch anzutun. War eine gute Empfehlung, habe nix bereut!
Es spielt in England, 50er Jahre, nach dem Krieg, den Deutschland gewonnen hat. England ist unterworfen. Die Menschen müssen das „Mutterland“ anbeten und leben in Armut und Unterdrückung. Held ist ein Junge, der in der Schule durch schlechte Leistungen auffällt. Das fällt auch einem Beamten der Besatzungsmacht auf.
Der Junge träumt zusammen mit seinem Freund von Amerika, von Coca Cola und Cadillacs, von einer bunten und lustigen Welt, auch von einem fremden Planeten, wo alles toll ist.
Dann gibt es da was komisches: Sie haben im Keller einen Mondmann. Ähm, was? - Lange bleibt es im Unklaren, was oder wer damit gemeint ist.
Um der Welt zu zeigen, was das Mutterland so drauf hat, soll eine Rakete zum Mond fliegen. Die ersten Menschen auf dem Mond sollen Deutsche sein. Ich denke, ich verrate nicht zu viel, wenn ich hier schreibe, dass es da echte Zweifel geben darf, dass die das wirklich schaffe, ja dass die das wirklich vorhaben...
Es ist sicher ein Jugendbuch, hat aber auch ein paar drastische Szenen und verbreitet eine sehr finstere, dystopischen Stimmung, die vielleicht nicht mal für alle Jugendliche so leicht verkraftbar ist. Irgendwie ist es fast nicht verwunderlich, dass der Held zum Held, also zum Widerstandskämpfer wird, auf seine Weise.
8 / 10 Punkte
10) Neil Gaiman: „Der Ozean am Ende der Straße“
Ein tolles Buch, zweifellos! - War letztens in einem Konzert von Yann Tiersen; dazu fiel mir spontan ein, weil ich dieses Buch gerade las: Die Musik ist wie die Stories von Neil Gaiman. OK; das erklärt noch gar nichts...
Was könnte ich meinen? Na ja, erst mal die unkonventionelle Themenfindung: So ein Mix aus Fantasy und Realistik. Auch dieses Buch scheint auf den persönlichen Erinnerungen des Autors zu beruhen. Aber sicher gibt es kein Zauberreich am Ende der Straße, wo uralte Hexenwesen (freundliche) Probleme lösen, die ihnen nihilistische Ungeister aufzwingen und denen ein siebenjähriger Junge natürlich völlig hilflos gegenübersteht. Dabei kann es sogar etwas gruslig werden.
Es ist aber auch kein Jugendbuch, was ja der Autor auch schon konnte. Eher so ein: „Ich bin jetzt alt genug, um mich erinnern zu können und zu dürfen“-Buch. So was gefällt mir derzeit über die Maßen; liegt daran, dass ich genau in diesem Alter jetzt bin, denke ich.
Zudem schreibt Gaiman zauberhaft - so wie Tiersens Truppe zauberhaft musiziert (von schräg, über zart bis prog-rockig).
10 / 10 Punkte
Comic 1) Corinna Bechko & Gabriel Hardman: "Betrayal of the Planet of the Apes"
Die Affen sind nicht tot zu kriegen! - Rezi dazu im NEUEN STERN. -
10 / 10 Punkte
Comic 2) Bechko, Hardman, Laming: "Exile on the Planet of the Apes“
Kurz nach Ende des Vorgängerbandes (und 18 Jahre, bevor das Raumschiff mit Tayler auf dem PdA strandet) gibt es eine menschliche Widerstandsgruppe, die zur Plage der Affenstadt wird. Sowohl der Mensch Tern, als auch der Affengeneral Aleron leben noch und führen den menschlichen Widerstand gegen die Apartheidpolitik des Rates der Affen an. Dabei spielt die verbotene Zone keine unbedeutende Rolle und wir erleben auch, wie sie endgültig verschlossen und unzugänglich gemacht wird. Am Ende können die freien Menschen auf Booten fliehen und sie landen am Fuße eines verschütteten Monuments. Na so was...
Diesmal fand ich es nicht so sehr spannend. Es wird viel gekämpft, aber das fördert nicht wirklich die Spannung. Die Zeichnungen sind routiniert sehr gut, sehr dynamisch, hinreichend detailliert. Doch Wow!-Effekte blieben auch aus.
7/ 10 Punkte
Comic3) China Miéville, Mateus Santolouco: „Dial H - Bei Anruf Held. Neue Verbindung“
DAS ist mal ein verrücktes Zeug! Also, weiß gar nicht, was ich sagen, schreiben soll...
Sicher hätte ich dieses Comic nicht in die Hand genommen, wenn da nicht ein Autoren-Namen drauf stünde: China Miéville! DAS war die erste Überraschung. Habe letztens im Buchladen so nebenbei den neuen Roman von ihm stehen sehen. Irgendwie hatte ich nicht einmal mitbekommen, dass es da was Neues von ihm gibt. Nun ist es auch so, dass mein Miéville-Fieber etwas abgekühlt ist. Den ersten Roman, den ich von ihm nicht zu ende gelesen habe, war „Un Lon Dun“. Da hatte ich mich noch mit dem Gedanken getröstet, dass es sich um einen ausgesprochenen Jugendroman handelt, der mir ob seiner geringen Komplexität einfach mal am Podex vorbei ging. Nur eine Ansammlung fantastischer Ideen reichte mir einfach nicht.
Allerdings hatte ich dann mit „Der Krake“ auch so meine Probleme; „Die Stadt und die Stadt“ war wieder großartig, sein linguistisches Experiment schreckt mich momentan noch ab.
Nun also ein neuer Roman? Will erst mal erste Reaktionen abwarten, die allerdings durchaus postitiv auszufallen drohen. ABER: Gleich mal nachgesehen, ob ich noch was verpasst habe von ihm inzwischen. Und siehe da: Habe ich!
Die beiden Comic-Alben fassen zwei Serien zusammen, die der Autor für die DC-Neustarts (New 52) geschrieben hatte. Nun ist mir die alte Serie „Dial H for hero“ überhaupt kein Begriff gewesen. Ich denke mal, die führte ob ihrer Skurrilität immer ein Schattendasein. Es ging auch damals darum, dass stinknormale Jungs mittels einer mythischen Telefon-Wählscheibe sich absolut schräge Superheldenkräfte herbei zaubern können. Also: absolut schräg. Keine Ahnung, was sie damals so hervor holten. In der Neuausgabe wird unser Nicht-Held zum Rauchenden Schlot, der Rauch verströmt, der zu reißenden Wölfen wird, oder zum Hula-Hoop-Hahn (also ein Bauchreif mit Hahnenkopf), oder zum Tontäuberich.
Nun, wenn man es sich mal auf der Zunge zergehen lässt: in Kerl, der mit 800 Meilen die Stunde durch die Kante rennt, ist auch nicht viel glaubwürdiger als ein Major Pelikan.
Ich weiß auch nicht, was damals so Sinn und Ziel der Abenteuer waren; jetzt geht es schon ein wenig um die Wählscheibe bzw. die Wählscheiben selbst. Das sind nämlich mächtige Dinger, hinter denen ganz andere, uralte nihilistische Mächte hinterher sind. Die Anti-Helden sind dann auch solch abstrakte Begriffe wie der Abgrund und das Nichts. Da wird gar Nietzsche bemüht (aber leider doch nur sehr oberflächlich). Hier ist es tatsächlich einfach toll, wie Autor und Zeichner aus solchen theoretischen Bedrohungen und Wortspielen greifbare Figuren und Geschichten zauberten. Obwohl es absurd klingt, und am Ende auch absurd bleibt, bekommt die Story durchaus Form und Sinn.
Unser Nicht-Held (dicker Loser, dessen Kumpel gerade getötet wurde) ist nicht allein. Eine Dame, die seit Jahrzehnten im Besitzt einer Wählscheibe ist und schon sehr lange mit dieser hantiert, steht ihm bei. Sie entstammt der Hippie-Zeit und hatte sich entsprechend damals mit so Sachen beschäftigt.Das Zitat fasst meiner Meinung nach die Grundstimmung und -Aussage des Comics sehr gut zusammen: „Ich vermischte Mathematik, Philosophie, Geschichte, Spiritualismus, Telefontechnik und einen offenen Geist, und es brachte mich nirgendwohin.“
Comic 4) Bunn, Rosanas: „Night of the living Deadpool“
Ach ja, der Superheld mit der großen Fresse. Immer wieder mal schön. Hier ein Sammelband einer Mini-Serie, in der die Gro0fresse mutterseelenallein in einer Kneipe aufwacht und scheinbar die Apokalypse verpennt hat. Es beginnt allerdings mit der Erkenntnis, dass die Welt nicht untergeht, sondern einfach so weitermacht, nur eben ohne uns.
Ja, also die Zombies sind los. Der große Unterschied zum 08/15-Zombie: Die quatschen in einem fort,was Deadpool sehr auf die Nerven fällt. Ansonsten hält sich das Comic an die Klischees des Sub-Genres (Zomieske), nur zum Schluss, als er doch kein Anti-Serum fand und müde wird, gegen die Übermacht der Z. Zu kämpfen, passiert noch was --- Lustiges? OK; war nicht so der Hit, kaum überraschend, irgendwie zu wenige coole Sprüche, zu viel von dem, was man schon kennt.
7 / 10 Punkte