SF & Nouvelle Vague - ein Hauch von französischer Avantgarde in Leipzig
Truffauts „Fahrenheit 451“ kennt sicher jeder. Eventuell noch Godards „Alphaville“, zumindest dem Titel nach. Dass es zu diesem Film quasi eine Fortsetzung gibt, fand ich dann schon sehr erstaunlich: „Allemagne 90 Neuf Zero“ (Deutschland Neu(n) Null). Agent Lemmy Caution kommt kurz nach dem Mauerfall nach Ostberlin, wo man sich irgendwie gar nicht, oder doch, über die neu gewonnene Freiheit freuen kann. Auf jeden Fall ändert sich das Gesellschaftsgefüge in dem Maße, wie man es aus Alphaville kennt, inklusive „Bibel“ (also das bewusste Wörterbuch, in dem alle erlaubten Wörter stehen).
Ehe ein paar Filme mit SF-Inhalten aus der Nouvelle Vague-Richtung vorgestellt wurden, ging Werner Stein auf diese Film-Kunst-Richtung allgemein ein. Die PowerPoint-Folien waren da noch sehr textlastig. Vielleicht war das zunächst doch sehr theoretisch. Aber wichtig, um das Phänomen zu verstehen. Für mich als absoluten Laien auf dem Gebiet schon wichtig; ich kannte ja kaum die Namen der Film-Schaffenden†¦
Was einte diese Avantgardisten? Ihren Titel haben sie von Film-Journalisten verpasst bekommen, die erst mal ratlos dieser „neuen Welle“ gegenüberstanden. Wenn ich das richtig verstanden habe, waren es im Grunde sogar Film-Kritiker (der Zeitschrift Cahiers du Cinema), die selbst zur Kamera griffen und sich dann als Regisseure versuchten und diese Neue Welle lostraten.
Sie kamen zum Teil aus dem ethnografischen Film. Jean Rouch hat in Afrika gedreht. Da ihm dort keine Studiotechnik zur Verfügung stand, drehte er mit Handkamera, teilweise wohl mit einer Kamera, die nur per Federwerk betrieben wurde. Das Federwerk sorgte gerade mal für 20 Sekunden ununterbrochenen Filmens. Die Schnipsel wurden dann einfach aneinandergereiht. Das ergab einen rohen, ungeschliffenen Eindruck; es wurde die Not zur Tugend erklärt - so stellt es sich für mich zumindest dar. Aus den Unzulänglichkeiten wurde eine Art Doktrin? Na ja, vielleicht geht das zu weit†¦
Auf jeden Fall eint die Arbeitsweise die Filmer: Sie drehen an Außenschauplätzen, in den Straßen, mit Handkameras, stellten alle Regeln des Filmemachens in Frage oder auf den Kopf.
Interessant, wenn dann z.B. Negativfilme nachträglich eingefärbt wurden (wie das in der Stummfilmzeit schon gemacht wurde), um Stimmungen und Codes zu übermitteln. Es wurde das Bild dem Wort / Text konträr gegenübergestellt. Es wurde auf sämtliche special effects und Trickaufnahmen verzichtet - was für SF Filme natürlich schon mal außergewöhnlich ist. Aber es funktionierte, denke ich: Das was die Moderne so hinstellte, richtig abgelichtet, wirkt dann hypermodern, futuristisch. Kann man machen. Heute gesehen, erzeugt das Ganze noch zusätzlich so einen Retro-Futurismus-Eindruck.
An Beispielen brachte der Referent Godards „Ein Wochenende auf der Erde im Jahre 3000“, eine Episode aus eine Art Film-Episoden-Anthologie zum Thema „Das älteste Gewerbe der Welt“. Aus der Sicht eines SF-Fans war de Film allerdings wegen des Textes, wegen der Dialoge fragwürdig. Spätestens dann, wenn von einem Zeitraum von 200 Lichtjahren die Rede ist, zeigt sich, dass die Filmer nicht so viel Ahnung von SF und dem Drumherum hatten. Oder ist das der Synchronisation zuzuschreiben?
Dieser Mini-Film gilt als Vorbild für Lucas†˜ „THX 1138. Apropos Vorbilder: Der Standfoto-Film „Am Rande des Rollfeldes“ ( La Jetée) von Chris Marker ist ja die direkte Vorlage zu Terry Gillians „12 Monkeys“ (und auch für die TV-Serie). Okay, das wusste ich schon - und den Film habe ich auch schon gesehen, denn der ist auch für einen anderen Künstler ein großes Vorbild - Brian Deatt
- er erstellt ja auch Foto-Stories, die er auf youtube oder auf Veranstaltungen vorstellt. Auf Nachfrage nannte er damals diesen Film, den ich mir daraufhin anschaute.
Chris Marker gehört zu einer Künstlergruppe, die vom „linken Ufer“ der Seine stammt, also aus dem eher nichtbürgerlichen, politisch radikalen, der Avantgarde zugewandten Teil von Paris der 60er Jahre - "Rive Gauche". Ihre Stamm-Film-Zeitschrift hieß „Positif“.
„Das Jahr Null Eins“ fand ich ja interessant: Eine anarchistische Utopie: Der Welt-Kapitalismus bricht zusammen, die Börsianer stürzen sich aus den Fenstern in der Wallstreet. Die Menschen freuen sich über den Stillstand und das Null-Wachstum. Man kann sich auf das Wesentliche besinnen - was die Leute in Nigeria längst wissen. Interessant, denn hier schließt sich ein Kreis: Wo die Nouvelle Vague in Afrika begann, greift sie nun auf dieses „Erbe“ zurück.
Zwei Stunden gingen schnell vorüber. Mir hat es gefallen. Besten Dank an den FKSLF und Werner Stein!
Fotos habe ich gemacht.