Leseliste - der ganze Mai und der halbe Juni
Christopher Priest Daniel Kehlmann James Blish
Na ja, das mit dem monatlichen Rhythmus hat dann mal gerade nicht geklappt. Kann dann in Zukunft nur besser werden. Aber jetzt erst mal: Was bisher geschah...
23 - Manuela Lenzen: „Künstliche Intelligenz. Was sie kann & was uns erwartet“
Eine sicher gut recherchierte und historisch fundierte Zusammenfassung zum Thema. Mir bot das Buch aber schon zu wenig an Neuem, oder an Sichtweisen, die mir neu wären. Mit anderen Worten: Es hat mich gelangweilt.
Deshalb muss es nicht schlecht sein! Im Gegenteil, wer sich umfassend mit dem Phänomen befassen will, dem sei es empfohlen, aber man „darf“ quasi nicht allzu viel Vorwissen haben. Die Autorin fängt teilweise sehr beim Urschleim an - aber die „historischen Grundlagen“ hatte ich in dem Transhumanismus-Kritik-Buch besser zusammengefasst und präsentiert bekommen, vor allem die, auf die es ankommt; eine wiederholte Darstellung der Entwicklung von Computern und Robotern brauchte ich jetzt gerade nicht.
Die Autorin geht sehr nüchtern an die Angelegenheit ran, will sie weder vergöttern, noch verdammen - und hält bewusst den Ball flach, wie man so schön sagt. Vielleicht sollten wir nicht allzu viel erwarten (Singularität und so†¦). Ich vermisste den klaren Standpunkt. Im Grunde bleibt sie in der Konsequenz schwammig - vielleicht ist das aber auch eben realistisch, denn niemand kann in die Zukunft sehen†¦
6 / 10 Punkte
24 - Christopher Priest: „Der Traum von Wessex“
Etwas Geografie vorweg: Wessex ist keine Stadt - in unserer Welt. Hatte ich erst mal so oberflächlicher Weise gedacht. Es ist aber eher eine Landschaft, und historisch: Ein mittelalterliches Königreich auf britischem Boden, südwestlich von London, bis Wales runter.
Da wir den Ort geklärt haben, müssen wir nun über die Zeit reden. Darum geht es auch in dem Roman. Ich behaupte mal, das ist ein Priest-Roman im Rohschliff. Dadurch ist er viel mehr SF, als seine anderen Parallelwelt-Romane.
Das ist unverständlich? Okay, ich bemühe mich um eine Aufklärung des Sachverhalts.
Es gibt in den 80er Jahren des 20. Jh. ein Institut in Südengland, das sich mit einer Simulation der Zukunft befasst. Diese Erkenntnis offenbart der Autor nicht gleich zu Beginn, da lässt uns Leser erst einmal schmoren. Das ist ja auch typisch für Priest und fördert den sense of wonder. Allerding - deshalb „roh“ - klärt er uns ziemlich schnell auf, dass wir es hier mit 2 Ebenen zu tun haben, die in einem direkten und gut unterscheidbaren Maße miteinander zu tun haben: Die Realität und die Simulation. Allerdings ist die Simulation für die handelnden (simulierenden) Personen nicht immer als solche erkennbar. Daher braucht man als Leser zunächst auch etwas, um sich dort zurecht zu finden.
Das ist also schon ungewöhnlich für Priest, der ansonsten gern seine Leser darüber im Unklaren lässt, was „echt“ und was „geträumt“, fantasiert, ausgesponnen, simuliert ist.
Die Simulation ist eine Welt der Zukunft. Die Probanden erleben diese, ja, leben regelrecht in dieser Zukunftswelt. Großbritannien ist zerfallen, die Sowjetunion ist dominierende Macht in Europa, Wessex ist wohl sowas wie eine Sowjet-Republik; allerdings schmückt der Autor diesen gesellschaftlich-politischen Zustand nicht sehr aus. Vieles wird nur angedeutet. Obwohl diese politische Entwicklung den Leser schockieren dürfte, scheint man aber durchaus dadurch in der Lage gewesen zu sein, andere drängende Probleme, wie z.B. die Umweltverschmutzung, in den Griff bekommen zu haben.
Ziel des Instituts, das diese Simulation - übrigens durch Kopplung der Vorstellungswelten der Probanden - erstellt hat, ist es herauszubekommen, wie es zu dieser möglichen Zukunft gekommen ist. Man ist halt in den 80er Jahren des 20. Jh. ziemlich am Ende mit seinem Latein, daher erdenkt man sich eine Welt, in der wichtige Probleme gelöst sind und will nun wissen, wie man zu diesem - leidlich - idealen Zustand gelangen kann.
Das müsste doch nicht so schwer sein. Allerdings wissen die Probanden gar nichts von ihrer Aufgabe, wenn sie in der Simulation „erwachen“, sie denken eben nicht daran, mal „vor Ort“ nachzuforschen, wie die Geschichte in den letzten 100 Jahren verlaufen ist.
Das alles ist der Rahmen; nun kommt - auch typisch für Priest - eine konkrete Beziehungsgeschichte hinzu. Die ist noch nicht mal uninteressant, da die Personen ziemlich starke, vielleicht etwas eindimensionale, aber handfeste Charaktere sind. Julia hat sich von Paul getrennt, Paul ist ein A., na ja†¦ auf jeden Fall macht er seiner Ex das Leben zu Hölle. Julia trifft in Wessex ihren Traummann. Usw. Der Plot ist dann aber doch interessanter, als ich es hier andeute! Lesen lohnt! Wobei ein Trick, den der Autor dann anwendet, nämlich die Möglichkeit, in der Simulation, also in dem zukünftigen Wessex, wiederum eine Simulation anzuregen, nicht wirklich bis zu einem (bitteren?) Ende ausgemalt wird. Da hat der Autor nach meinem Dafürhalten etwas Potential verschenkt, zugunsten seiner Story um Liebe & Kabale.
8 / 10 Punkte
25 - James Blish: „Auch sie sind Menschen …“
Wie (mir selbst) versprochen: Ich lese weiter kurze Texte von Blish, da mir „Irgendwann“ so gut gefallen hat. Dieses Buch hier firmiert - zumindest in der Ausgabe, die mir vorliegt - als Roman. Aber es ist kein Roman, höchstens eine Sammlung von Stories, die ein gemeinsamer Grundgedanke eint. Dennoch sind die einzelnen Stories als „Bücher“ deklariert. Das ist spätestens mit dem „Vierten Buch“ albern, denn das umfasst ganze 8 Seiten†¦
Das Buch ist in einer Reihe „SF für die Jugend“ erschienen, hat ultradickes Papier, fast Pappe (für Kleinkinder?), aber leider keine Illustrationen. Nun, wie jung die Jugend sein darf, die das lesen kann, weiß ich nicht, aber „Jugend“ ist ja mitunter ein weiter Begriff. Superkomplex sind die Stories aber eher nicht, man muss sich nur bei der starken, fast überbordenden Phantasie des Autors, auf Schilderungen und Beschreibungen gefasst machen, die man erst mal erfassen muss. Dadurch haben wir es aber mit phantasievoll-farbenprächtigen Alien-Schilderungen zu tun, die †¦ äh, stimmt ja gar nicht, denn: Auch sie sind Menschen!
Darum geht†™s: Es werden in vier „Kapiteln“ Einblicke in eine Entwicklung der Menschheit gewährt, die zeigen, wie sie sich über die Galaxis ausbreiten kann. Dabei werden nicht die Planeten terraformt, sondern die Menschen passen sich an die fremden Lebensbedingungen an. Das erfolgt zunächst quasi im Widerstand zum gesellschaftlichen Mainstream, später planmäßig. Es gibt da einen richtigen „Aussaatplan“ (Däniken würde sich freuen und das vielleicht als Sachbuch lesen?), das Fachwort dazu hat Blish auch parat: Pantropie
8 / 10 Punkte
26 - Eugene Thacker: „Im Staub dieses Planeten. Horror der Philosophie“
Hach, was fange ich mit diesem Buch an? Gelockt hat mich der Titel und das Thema. Aber nach der Lektüre muss ich gestehen, dass es mich eher nicht so hinter dem Ofen hervorlockt.
Ein Buch mit philosophischen Essays, die Bezug zur dunklen Phantastik, bzw. zur phantastischen Literatur und Filmkunst nehmen. Dass Philosophen sich mitunter um Dinge kümmern, die ein „Normalsterblicher“ kaum nachvollziehen kann, war mir schon bewusst, aber ich hatte schon die Hoffnung, dass mir dieses Gemenge aus (Horror) Phantastik und Philosophie relevant erscheint.
Die Referenzen sind schon so ganz mein Ding: Lovecraft (natürlich), Ballard, Fritz Leiber, James Blish (sic!), Fred Hoyle u.a. Ich lerne etwas über die Dämonen der Hölle, über kosmischen Pessimismus (könnte ruhig intensiver und ausführlicher behandelt werden) und okkulte Philosophie, über die verborgene und sichtbare Welt, über den Zusammenhang von Leben, Tod und Aussterben (das war dann aber mir wirklich zu abstrakt und unfasslich).
Es waren aber auch schöne und inspirierende Wendungen enthalten. So z.B. die Überlegung, dass das Grauen weniger mit der Angst vor dem Tode, denn mit der Angst vor dem Leben zu tun hat.
Punkte? Hach, weiß nicht, will ich mal nicht vergeben, weil ich mich hier einfach nicht für kompetent genug halte, das Buch wirklich wertzuschätzen. Vielleicht kann das ja als Einladung an Euch verstanden werden: Wer will, kann mir gern auf die Sprünge helfen!
27 - Ina Elbracht: „Der Todesengel“
Ein Grusel-Thriller, Blitz-Verlag, 2020
- siehe hier -
9 / 10 Punkte
28 - Anna von Münchhausen: „Der Lügenbaron. Mein phantastischer Vorfahr und ich“
Als ich mitbekam, dass der reale Freiherr v. Münchhausen am 11.05.2020 seinen 300. Geburtstag feierte und ich einen interessanten Artikel in einer Tageszeitung darüber las, die genau dieses Buch zur Lektüre empfahl, erwarb ich es spontan. Tatsächlich las ich in diesem besagten Artikel so viel mir Unbekanntes zur Biografie des real-existierenden Barons und zur Publikationsgeschichte der Bücher, dass ich mich darin etwas vertiefen wollte. Da erschien mir dieses kleine Büchlein einer Verwandten des Herrn eine gute Wahl.
Nun, war sie auch, also eine gute Wahl, wenn auch keine sehr gute. Das Büchlein ist ein Sammelsurium verschiedenster Texte, bzw. Textchen, in denen die Autorin selbst und weitere Familienangehörige über ihre persönlichen Erfahrungen mit ihrem berühmt-berüchtigten Namen erzählen, in denen die wenigen bekannten biografischen Informationen zum Lügenbaron noch mal rekapituliert werden, die interessante und spannende Publikationsgeschichte (Raspe, Bürger), zu den Filmen und den Leuten, die sich heute mit der Person und dem Phänomen Münchhausens beschäftigen, vorgestellt werden.
Ein paar Münchhausiaden erzählt die Autorin auch noch; okay, darauf hätte ich gut und gerne verzichten können.
7 / 10 Punkte
29 - Stephen Hawking & Leonard Mlodinow: „Der große Entwurf“
Hörbuch, gelesen von Ranga Yogeshwar
Ich hoffe, niemand verlangt von mir jetzt eine kurze Inhaltsangabe und vor allem Wertung hinsichtlich der Richtigkeit des Inhaltes. Ich merkte beim Hören, dass ich so unbegabt bin als Physiker; mich interessierte da mehr die philosophische und kosmologische Dimension. Ist ja auch zu einem Großteil eine Geschichte der Erkenntnistheorie, eine Geschichte der Evolution des Wissens und der Erkennbarkeit des Universums. Und tatsächlich fand ich, dass der bekannte Wissenschaftsjournalist und -Popularisator (gibt es das?) aus dem Fernsehen das Buch ganz wunderbar liest. Sehr kurzweilig das Ganze und dafür geschaffen, mehrfach zu hören (teilweise getan), um da richtig mitzukommen.
(Keine Wertung, kann ich hier nicht vergeben)
30 - Daniel Kehlmann: „Die Vermessung der Welt“
Ein Zweitlesen, besser: Lesenlassen - Hörbuch, gelesen von Ulrich Noethen.
Wollte das Buch schon lange mal wieder lesen, wie übrigens alles von D.K. Jedes Mal, wenn ich was von ihm lese, geschieht das mit großem Gewinn, auch beim wiederholten Lesen.
Die Doppelbiografie dieser beiden großen Wissenschaftler, die charakterlich so unterschiedlich waren und sich wohl freundschaftlich zueinander verhielten, ist absolut faszinierend. Es gibt so nebenbei auch ein paar tolle Anknüpfungspunkte für den Phantastik-Fan. Allein die Idee vom Orinoko, die den jungen Humboldt zu seiner abenteuerlichen Forschungs-Reise bewegte, ist im Grunde genau dasselbe, was einen Lovecraft zu seinen abenteuerlichen Geistes-Reisen veranlasste. So erschien es mir jedenfalls.
Vergnüglicher ist natürlich das Verhalten und Ins-Benehmen-Setzen des griesgrämigen Gauß. Und sein Sohn Eugen tut mir jedes Mal immer wieder leid. Dessen Erlebnisse mit der nationalen Studentenbewegung und einem (wohl falschen) Turnvater Jahn sind in ihrer Kehlmann†˜schen kondensierten Schilderung so aufschlussreich - immer wieder.
10 / 10 Punkte (was sonst!)
31 - Michael Moorcock: „Die Zeitmenagerie“
Der erste Teil der Endzeit-Saga von Moorcock und mein x-ter Versuch, das Buch zu lesen. Ja, irgendwie kann ich mich immer noch gut verstehen, dass ich es mehrmals abgebrochen habe. Aber diesmal bis zum Schluss durchgehalten! Und dann war es auch gar nicht mal so übel.
Anfangs hat mich die Schilderung dekadenter Beliebigkeit am Ende der Zeiten gelangweilt. Fand ich auch diesmal wieder nicht so prickelnd. Wenn dann aber der Endzeit- Mensch seine große Liebe aus dem 19. Jahrhundert trifft, verehrt und in deren Zeit verfolgt, nimmt das Buch für meinen Geschmack an Fahrt auf. Spätestens dann, als der unbedarfte Zukunftianer in der Epoche seiner Sehnsucht war und so gar nicht mir den Gefahren dieser Zeit umgehen konnte, hatte mich die Geschichte erfasst. Also, ich werde dann wohl auch die anderen beiden Teile lesen müssen...
8 / 10 Punkte