Fantasy aus der DDR?
Waldtraut Lewin Heinz Zander Uwe Grüning Hans Bach
...und hier - bei uns - wird die Frage auch aufgeworfen: https://www.scifinet...itären-staaten/
Fantasy-Literatur der DDR
Ein Überblick von Thomas Hofmann
aus SOLAR-X 40 vom 18.6.1993
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Das gab's doch gar nicht! hört man allenthalben, sobald die Frage nach der Fantasy der DDR gestellt wird. Ist die negative Antwort schnell heraus, kommt eine kurze Pause, nach der den meisten dann Hans Bachs unsägliche "Glastropfenmaschine" einfällt - so hausbacken der Titel, so schlimm der Inhalt... - ein übles Konglomerat meiner Meinung nach, scheinbar entstanden nach einem Griff in die Ideen-Kartei und einfach so zusammengefügt, wie die losen Zettel in ihr übereinander lagen. Ich beginne diesen Artikel über Die DDR-Fantasy mit so harten Worten zu einem Autor, den ich zu meinen Lieblingsautoren zähle, doch habe ich mich seinerzeit dermaßen über dieses Buch von ihm geärgert, daß ich einfach so schreiben muß. Man möge es mir nachsehen. Hans Bach hat für meine Begriffe mit "Sternendroge Tyrsoleen" und "Germelshausen 0.00 Uhr" und seinen mitunter sehr martialischen aber guten Stories echte Höhepunkte in der DDR-Phantastik-Szene geliefert - doch soll die jetzt nicht mein Thema sein.
Nach der "Glastropfenmaschine" wird dann noch oft das Buch von Uwe Grüning, "Das Vierstromland hinter Eden" genannt, das ob seiner überladenen Komplexität und schier undurchdringlichen philosophischen Dichte nicht gerade ein Renner in der Gunst der Fans ist. Auch hier gilt: nomen est omen; der Roman strömt eine gewisse Aura der Vollkommenheit, der Allumfassentheit aus und überfordert den Leser - mir ging es jedenfalls so...
Mir scheinen beide Werke an der gleichen Krankheit zu leiden, obwohl beide Autoren mit völlig verschiedenen Intentionen an ihr Schreiben herangingen. Sie scheinen sich zu unterscheiden wie ein Roman aus der Conan-Serie zu Tolkiens RING-Trilogie. Hans Bach ist ein brillanter Fabulierer und Unterhaltungskünstler, Uwe Grünig ein religiös motivierter Autor äsopscher Gleichnisse, die sich dem Hier und Heute auf phantastische Weise verpflichtet sehen. Beiden fällt aber die Tatsache auf die Füße, daß es in der DDR keine Tradition der Fantasy gab; insofern gebe ich jedem Recht, der von einer Nichtexistenz einer DDR-Fantasy-Literaturszene spricht.
Und dennoch gibt es sie, die Fantasy der DDR!
Zwei Beispiele habe ich bereits genannt, doch können dies ja einsame Ausnahmen sein, die weder Vorgänger noch Nachfolger hatten.
(†¦) Für die DDR trat in jedem Falle erschwerend hinzu, daß das Label "Fantasy" ein Tabu war; Fantasy ist eine Form imperialistischer Massenunkultur und ein Instrument, die Werktätigen von ihren Klassenkampfaufgaben abzulenken ... das muß doch noch mal gesagt werden!
Wie auch immer, auch ohne diese Bezeichnung (selbst die "Science Fiction" gab's ja lange Zeit nicht, nur "Utopische Romane" - wenn das Sir Thomas Morus gewußt hätte...) gab es Werke, die in diese Schublade gepaßt haben. Andererseits hätten es vielleicht aber mehr gegeben, wäre diese Form der Literatur zugelassen und gefördert worden.
Doch warum hat man sie unterdrückt? Müßte sie nicht eigentlich gefördert worden sein ob ihres ablenkenden Charakters? Warum gab es keine pro-sozialistische Fantasy, wie bei der SF? Oder überwog bei den hauptamtlichen Kulturfunktionären die Angst vor der subversiven Potenz der Phantasie, der Fabel, der phantastischen Verklärung?
Gerade in der SF fanden sich neben den eindeutig propagandistischen Zügen auch Kritik und Fragen, die vielleicht in einem belletristischen oder Sachbuch nur von Leuten geäußert werden konnten, die schon einen anderen Namen hatten, wenn überhaupt.
Hier bietet sich die Sicht auf ein paar weitere Beispiele an, die vielleicht die aufgeworfenen Fragen etwas beantworten.
Uwe Grüning wurde bereits genannt. Neben seinem schwer verdaulichen Mega-Werk, das mir übrigens entgegen der Meinung vieler anderer Fans durchaus gut gefiel - obwohl mir sicherlich genauso viel verborgen blieb in diesem schweren Text - schrieb er noch weitere Erzählungen, die man der Fantasy zurechnen kann.
Gesammelt erschienen sie 1981 in dem Band "Hinter Gomorrha".
"Die Hecke" erzählt von der Bedrohung eines Dorfes durch eine Hecke, die die Menschen vereinzelt und vereinsamt, so daß sie nichts mehr vom Leben erwarten. Na, was ist wohl damit gemeint?
In "Der Schatten" sitzen nach einem fiktiven Krieg der Polizeichef des einen ehemals kriegführenden Landes mit einem Mann aus dem anderen Land, dem Protagonisten, zusammen an einem Tisch und stoßen auf die gute alte Zeit an - eine Vorahnung der Nach-Wende-Zeit?
"Die Vollendung des Menschen" führt zum absoluten Stillstand. Die Übermenschen garantieren Unsterblichkeit und die Mitte des Lebens, doch gibt es keinerlei Entwicklung mehr - ein Absage an jede Form von Utopie?
"Der Wartesaal" ist ein Ort, wo man auf die Einbürgerung ins Reich Sun wartet; so lange, daß sich dort bereits eigene Regeln des Zusammenlebens herausbildeten - eine Fabel auf das Leben in der "Übergangsgesellschaft"?
Der Band enthält noch weitere Stories, einige sind in dem fiktivem Land Sun angesiedelt. Sie sind allesamt ähnlich zeit- und raumlos konzipiert wie der Plot des Romans "Vierstromland...".
Uwe Grünig schrieb weiterhin Gedichte, Essays und Miniaturen, die sich aber beim besten Willen nicht ins Genre einordnen lassen. Also wenden wir uns einem weiteren Vertreter zu, der vielleicht weniger bekannt sein dürfte.
Ähnlich wie Grünig schreibt auch Heinz Zander, seines Zeichens eigentlich Maler und Graphiker, der mir als Hobbyzeichner schon frühzeitig auffiel, weil er so zeichnete, wie ich es mir für mich wünschte. Er widmete sich literarischen, historischen u.a. fantastisch-surrealistischen Themen, ähnelt im Stil dem berühmten Tübke.
Einst lieferte er sogar - als DDR-Mensch - Zeichnungen für westdeutsche SF-Fanzines; damals in den 60ern...
Der Graphiker schrieb auch Bücher, die er selbstverständlich selbst illustrierte. Darunter das Buch "Stille Landfahrten", welches aus zwei Teilen Besteht: Zum einen der romantische Märchenroman "Johann Wagners Reise nach Venedig" und eine Reihe von Fantasystories.
Die Texte sind in einer barocken Sprache verfaßt und auch sehr überladen an philosophischen Deutungsmöglichkeiten und Metaphern. Der Roman erzählt die Geschichte des Dieners von Faust, angesiedelt im 16. Jahrhundert. Die Reiseerlebnisse des Wagner sind wahrlich nicht so sehr von realen Wahrscheinlichkeiten geprägt...
Auch in seinem zweiten Roman, "Das sanfte Labyrinth", 660 Seiten stark, überschreitet der Autor die Grenzen zwischen Wachen und Träumen, doch bleibt dieses Buch weitestgehend realistisch.
Eine große ostdeutsche Autorin, eine meiner Lieblingsautorinnen überhaupt, ist auf jeden Fall noch zu erwähnen: Waltraut Lewin. Ja, werden manche jetzt sagen, klar sie hat selbstverständlich auch Fantasy geschrieben: "Märchen von den Hügeln" und die Fortsetzung "Die Zaubermenagerie", beide in Zusammenarbeit mit ihrer Tochter Miriam Margraf. Doch sind sie irgendwie in Vergessenheit geraten, obwohl sie es wahrlich nicht verdient hätten.
In beiden Bänden treten gar Elben und Halbelben auf, im ersten Band wird sich namentlich auf Tolkien bezogen, doch bleiben beide Romane im Hier und Heute verwurzelt, verfremden diese aber auf wunderbare Weise - ein Lesevergnügen, insbesondere der poetischere erste Band, herrlich illustriert von Carl Hoffmann...
Historische und gegenwärtige Ereignisse aus der Umgebung Dresdens und um einen DDR-Opernsänger der Semperoper werden elbisch verfremdet, was zu manchem "Aha-Erlebnis" führt.
Der zweite Band ist "erwachsener", d.h., die Protagonistin, die im ersten Band ein Mädchen war, ist nun eine junge Frau. Der Stil ist weniger märchenhaft, dafür aber zunehmend surrealistisch, ähnelt dem von Grünig und Zander. Kann man hier vielleicht eine typische Ausprägung der DDR-Fantasy erkennen?
Von W. Lewin stammt auch eines meiner absoluten Lieblingsbücher, "FEDERICO", eigentlich keine Fantasy sondern ein historischer Roman, was ja das Metier der Lewin ist (neben der Musik: Biographie über Händel, Rockoper "Rosa" usw.). Es handelt von einer der faszinierendsten Herrschergestalten des Mittelalters, die viele Eigenschaften des Renaissancefürsten vorweg nahm.
Der Roman besitzt aber sehr ausgeprägte Fantasy-Elemente, so begegnet der junge Friedrich beim Alpenübertritt einer rothaarigen, bewaffneten Hexe. Sie ist wohl die Verkörperung der Autorin selbst und die Inkarnation des ewig Weiblichen, der Urmutter Ewwa.
Auch im Stil erinnert der Roman an moderne Fantasy.
Vielleicht fällt ja dem einen oder anderen noch ein weiteres Beispiel ein, so z.B. die Romane der Irmtraut Morgner, die ich leider noch nicht gelesen habe, oder auch das Spitzen-Buch "Germelshausen, 0.00 Uhr" von Hans Bach, in dem eigentlich eine absolut typische Fantasy-Story erzählt wird von einem Menschen unserer Welt und Zeit, der in eine fantastische Parallelwelt gerät und dort Abenteuer bestehen muß.
Gut, Schluß damit! Es muß reichen, obwohl man sicher noch einige Erzählungen von Rolf Krohn und von A. u. K. Steinmüller heranziehen könnte und andere "Grenzfälle" zwischen SF & Fantasy.
Als kurzer Ein- und Überblick soll dies jedoch genügen. Ich wünsche jedem der Lust dazu hat viel Spaß am Entdecken der fantastischen Fluchtwelten aus einem Land, das es nicht mehr gibt.
Irmtraud Morgner solltest Du unbedingt nachholen.