Ja. Das ist auch das, was mir fehlt, Uwe.
Ansonsten bin ich mit dem Buch durch.
Uwe Post: Zero el Anarcho
Diesen Text finde ich verwirrend. Er beginnt mit einer Regieanweisung für eine Kamerafahrt und steigt dann komödienhaft in eine mir zunächst unverständliche Szene ein. Was ich verstanden zu haben glaube: Jemand kann nicht aushalten, dass seine Frau einen Sexbot engagiert hat und trinkt einen Trank des Vergessens. Leider vergisst er so auch, wer sein Sohn ist, was zu einigen Verwirrungen führt.
Post hat es super hinbekommen, diese Verwirrung aus Protasicht zu schildern. Auch die Sprache ist stilistisch sicher und durchgehalten, wobei Post so intensiv mit Sprache spielt, Buchstaben austauscht und neue Begriffe erfindet, dass es mir etwas viel ist, weil das Lesen anstrengend ist. Die Handlung an sich kann ich weder ernstnehmen, noch kann ich darüber lachen. Letztlich verstehe ich nicht, was das für eine Welt ist, mir erscheint sie vor allem magisch, daher lese ich den Text nicht als Steampunk, sondern als Fantasy. Es gibt einen leichten Anklang Gesellschaftskritik, allerdings ist die Handlung für mich so verworren, dass ich sie nur ahnen kann. Ich fürchte, das ist einfach nicht meine Tasse Tee.
Frederic Brake: Lautes Sterben
Das ist ein Fantasy-Krimi. Es gibt Magie und Vampire und auch Dampf, aber für mich ist das trotzdem kein Steampunk. Zwei Ermittler, von denen einer ein Vampir ist, wollen eine Mordserie aufklären, von der ich nicht so ganz verstehe, was sie vereint. Insgesamt fiel es mir schwer, diesem Text zu folgen, den zahlreichen Szenensprüngen und Wendungen. Manche Szenen konnte ich gar nicht in die Handlung einordnen. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass es im Text Brüche gibt, die sich mir nicht erschließen. Auch sprachlich ging es mir so: Stellenweise liest sich der Text sehr schön atmosphärisch und flüssig, es gibt Perlen wie „eine Stimme, die die Reinheit von fallendem Schnee hatte.“ Dann gibt es wieder Abschnitte, die ich als holprig empfinde, wie leicht daneben formuliert: „Peter, ich vertraue Ihnen ganz und gar. Mit meinem Leben.“
Das Ende kommt für mich recht unvermittelt und ich habe es nicht verstanden.
Jol Rosenberg: Sehnsucht
Ähm ja. Da fehlt eine Leerzeile auf der letzten Seite.
Yvonne Tunnat: Morsche Haut
Schon der Titel löst in mir ein Kopfkino aus, das Ekel hervorruft: sinnlich, aber auf eine widerwärtige Art und Weise. Tunnat erzählt in diesem Text von einer Begegnung der Hauptperson mit einer Mutter mit Kind im Speisewagen eines Zuges und sie tut dies atmosphärisch und alle Sinne ansprechend: „Seine Stirnhaut wirkt zerfurcht und seltsam marmoriert.“
Die eigentliche Handlung des kurzen Textes ist sehr überschaubar, viel findet im Innen der Hauptperson statt, der wir nah folgen dürfen: sie hat vor 30 Jahren einen Sohn verloren und sich dagegen entschieden, ihn maschinell am Leben zu erhalten und sie sieht nun, was hätte passieren können, wenn sie sich dafür entschieden hätte.
Mich hat dieser Text sehr angesprochen, der gut beschriebene Ekel, die Trauer, aber auch das Mitgefühl, das über den Ekel hinwegreicht.
Oliver Bayer: Die Nacht des toten Gärtners
Den Einstieg in diesen Text habe ich geliebt! Mit Sprachwitz und Humor wird aus der Sicht von Rosina erzählt, wie sie glaubt, versehentlich jemanden umgebracht zu haben. Rosinas Hintergrund als Prostituierte wird gefühlvoll aufgeblättert, ihre Hilflosigkeit im Umgang mit der Situation einfühlsam geschildert. Leider kommt dann ein Perspektivwechsel und eine ganze Seite lang Infodump, die uns erklärt, was die Hintergründe sind. Dann wandelt sich die Sache in eine Kriminalgeschichte, der ich nicht mehr folgen kann: Rosina hat den Gärtner offenbar nicht ermordet und insgesamt passt hier einiges nicht zusammen. Aber warum glaubt sie, die Leiche entsorgen zu müssen, wo sie doch auf einem Grundstück liegt, das niemand betritt?
Sie bittet den Doktor um Hilfe, der, so wird immer klarer, dort einen Trank braut, der Lebensenergie von einer Person auf andere übertragen kann. Aber was es nun mit der Stadtpolitik und dem Trank auf sich hat und warum die Personen handeln, wie sie handeln, bleibt mir leider völlig schleierhaft. Auch geht der Humor des Textes völlig verloren, die Erzählstimme wandelt sich und die Perspektiven bleiben unklar. Schade. Meines Erachtens hätte Bayer seiner Rosina treu bleiben sollen (perspektivisch, meine ich!).
Uwe Hermann: Wir von der kaiserlichen Reinigungskolonne
Das ist der längste Text in der Anthologie und leider für mich auch der mit den deutlichsten Längen. Hier hätte Straffung sicher gut getan. Aus der Ich-Perspektive wird von einem Reinigungstrupp erzählt, der über Nacht die Rückstände eines fiktiven Dampfantriebs beseitigen soll. Die Parallele zu Klimawandelthemen ist zu deutlich: Der Antrieb vergiftet die Leute schleichend und alle sehen weg.
Als der Ich-Erzähler eine Leiche findet, beschließt der Trupp, diese zu entsorgen. Für mich beginnen hier eine Menge Logik- und Plotlöcher, denn es scheint niemanden zu interessieren, warum da dieser Mensch tot liegt. Der Ich-Erzähler hetzt in Folge von einer Szene zu nächsten, wobei die Szenen jeweils umständlich geschildert werden und die Hauptfigur dabei relativ blass blieb, so dass für mich nie wirklich Spannung aufkam. Die Hauptfigur klärt den Mord schließlich auf – und gleich noch eine riesige Verschwörung mit: es sollten nur die Reichen evakuiert werden und die auch noch an einen Ort, an dem sie nicht überleben können. Hier kommt für mich auf Plotebene die größte Enttäuschung: Der Drahtzieher hinter dem Ganzen (ja, leider gibt es quasi eine Verschwörung im Hintergrund) wird nicht nur nicht gefasst – er taucht auch nie wieder auf. Daher wirkt es gleich doppelt zynisch, dass die Rettung für die in der Stadt Verbliebenen ausgerechnet in der Erfindung der Elektrizität liegen soll.
Sprachlich ist der Text neben seiner Umständlichkeit sehr phrasenreich: „Als wir das Ende der Dampfgasse erreichten, schlug uns eine unbarmherzige Hitze entgegen.“ Für mich entstehen keine Bilder, was eine Dampfgasse sein soll, bleibt für mich unklar. Beschreibungen bestehen oft aus langen Aufzählungen, die mich schnell ermüdeten.
Der Text ist außerdem einer, bei dem das Fehlen von Frauen sehr auffällt. Die Reinigungskolonne besteht nur aus Männern, die Wachmänner sind ausschließlich Männer und dann gibt es noch die Wissenschaftler. Eine Frau taucht im Hintergrund auf, wie sie ein Kind schimpft – und dann, irgendwann im Gefängnis, gibt es plötzlich Wissenschaftlerinnen, allerdings sämtlich namenlos. Eine von ihnen hat eine leichte Statistinnenrolle. Auf mich wirkt das so, als sei Hermann plötzlich aufgefallen, dass er noch keine Frau habe, er habe aber die ersten 33 Seiten seiner Erzählung nicht ändern wollen. Und so bleibt die Wissenschaftlerin eine reine Quotenfrau.
Bin gespannt, was ihr meint. Für mich ist das insgesamt die bislang beste Antho aus diesem Jahrgang. Allerdings ist für mich nicht alles daraus Science-Fiction.