Gelesen bis kurz vor Ostern 2022
Samjatin Lupoff Glukhovsky Peter Schünemann Strugazki Sorokin
Zur Zeit lese ich viele Russen, irgendwie gegen den Zeitgeist? Nein, eigentlich nicht - mitunter erscheinen mir die Werke, die ich hier lesen durfte, als wohltuende Gegenstimme gegen das Unheil, das gerade so läuft. Es hat aber noch einen konkreten, triftigen Grund; dazu demnächst mehr. (Wobei: Wird ja in den einzelnen Texten zu den Büchern schon genannt; aber die "Ausbeute" für den speziellen Zweck ist interessanter Weise recht gering.)
Jewgeni Lukin: „Unter dem Räubermond“
Das Buch flog lange unter meinem Radar hinweg. Es erschien auf Deutsch 2013, stammt aber aus dem Jahre 1997. Der Autor ist kein ganz Unbekannter im Deutschen, es gibt vereinzelt Stories von ihm, bzw. ihnen (bis 1996 zusammen mit Ehefrau).
Der Roman scheint auf einem fremden Planeten zu spielen, einem Wüstenplaneten. Allerdings ist das nicht ganz korrekt, zum einen besteht der Planet nicht zur Gänze aus Wüste, obwohl die Handlung fast zu 100 % in der Wüste spielt, und dann ist das auch gar kein fremder Planet. Das weiß man aber nur, wenn man die beiden anderen Teile der Trilogie kennt, aus der der Roman stammt.
Da ich auch kein Russisch kann (so richtig) habe ich die Info auch nur aus 2., aber berufenem, Munde.
Wie auch immer. Es ist ein tolles Fantasy-Abenteuer, mit Kämpfen, Intrigen, einem angedeutetem SF-Hintergrund, tollen Figuren und einige hübschen Ideen. So wird die wüste z.B. von Schiffen durchfahren, die halt nicht im Wasser, sondern über Sand fahren. Usw. Wer mehr erfahren möchte den verweise ich gern auf einen kommenden NEUEN STERN, der anlässlich des 100. Geburtstages von Aelita erscheinen wird.
7 / 10 Punkte
Jewgeni Samjatin: Kleine Prosa 1 & 2
Die Höhle / Der Norden
„Wir“ kennt man ja, aber sonst? Doch, eine Geschichte hatte ich so 1990 rum gelesen: „Die Höhle“. Darin driftet eine Moskauer Wohnung im Nachkriegs- und Nachrevolutionswinter in die Eiszeit zurück, inklusive Mammuts, die da auftauchen. Das ist sicher keine „richtige“ Phantastik, aber voller wundervoller, eindringlicher phantastische Wortbilder und surrealistischer Ideen.
Da muss es doch mehr von geben? Ja - jetzt endlich mal die Lücke geschlossen.
Nicht alle Stories haben die Wucht, die mir von „Die Höhle“ in Erinnerung bleiben, aber einige schon. So diese seltsame Geschichte eines Mönchs, der in einem Kloster auf ein Zeichen wartet. Da sind dann auch einmal recht drastische, aber auch schwärmerische Sätze, die mich unabhängig von der Geschichte in ihren Bann zogen.
Oder „Die Augen“: Wir sehen die Welt durch die Augen eines Hundes, die aber irgendwie menschlich sind. Ja, so wie „Wir“ als Vorbild für „1984“ und „Schöne neue Welt“ gilt, erinnerte mich die Story an ein mögliches Vorbild für „Animal Farm“ - und vor allem auch für Bulgakows „Hundeherz“. Eindringlich, wundervoll geschrieben. - Dabei nutzt der Autor oftmals, meist zu Beginn, um die Ausgangsituation zu umreißen, ganz kurze Sätze, fast wie Regieanweisungen im Theater. Aber das reicht für das Kopfkino und dann kommt ja auch mehr†¦
Das Wiederlesen mit „Die Höhle“ gelang. Ja, sowas kann ja schnell daneben gehen, und man beraubt sich einer großartigen Erinnerung, indem man etwas nach langer Zeit noch einmal liest. Aber nein, war stark - mit Mammut und Über-Mammut.
Ähnlich stark ist auch „Mamai“. Ähnlich wie in „Die Höhle“ geht es um den Verlust der Zivilisation im nachrevolutionären Russland (Petersburg). Interessanter Weise spielt der Besitzt von Büchern in beiden Texten eine gewisse Rolle, in „Mamai“ mehr natürlich.
Und ich lernte die „Große und Freie Kammer der Affen“ kennen und weiß, dass Samjatin wohl etwas für großen Busen übrighatte. Aber nein, frauenfeindlich oder so war er nicht, eher im Gegenteil, in seinen frühen Erzählungen ergreift er Partei für von patriarchalischen Verhältnissen unterdrückte Frauen, vor allem in der Dorfbevölkerung. Richtig starke Erzählung, hart, kompromisslos: „Der Bauch“ (einer Schwangeren†¦)
Usw. Insgesamt ein sehr kurzweiliges, überraschendes, kurioses, teilweise absurdes Leseerlebnis, anrührend und für mich fesselnd.
9 / 10 Punkte
Addison E. Steele: „Buck Rogers“
Was lese ich denn da? Ein Romänchen, nach einem Filmskript? Ja, ich muss quasi: Denn das Buch stammt aus der Feder von Richard A. Lupoff, und ich hatte mir ja eine Weltenreise durch die Zeiten mit den Romanen von Lupoff vorgenommen. Das ist kein Mega-Projekt, denn es gibt da nur 5 Romane, die für mich in Frage kommen, die es auf Deutsch gibt von dem Autor und keine Serienbeiträge sind.
Na ja, klar, der Roman gehört in eine Serie. Von Lupoff selbst gibt es sogar weitere Buck-Rogers-Bücher, aber nicht auf Deutsch.
Also, für mich ist das Roman Nr. 4 und ich bin jetzt im 25 Jh.
Und gefallen hat mir der Roman durchaus, fand ihn ansprechender als den Film, den ich mir auch gleich noch mal angesehen habe, seit den 80ern das erste Mal wieder.
Die Handlung ist fast mit der im Film identisch, was es an Unterschieden und aus meiner Sicht Bemerkenswertes zu berichten gibt, kann man dann gern im NEUEN STERN nachlesen.
7 / 10 Punkte
Dimitry Glukhovsky: „Text“
Keine Phantastik, der Roman spielt 2016 in Moskau und zeigt exemplarisch am Protagonisten, wie schnell man dort ins gesellschaftliche Abseits gerät. Am Rande interessant: Ist ja mein 2. Glukhovsky-Roman dies Jahr und in beiden spielt das Smartphone eine entscheidende Rolle; hier sogar mehr als in „Outpost“.
Über einen jungen Mann, der 7 Jahre zu Unrecht im Lager verbrachte, sich rächt und dann ein Weilchen ein „falsches Leben“ führt. Endet tragisch.
9 / 10 Punkte
Peter Schünemann: „Nachtmahr“
Manuskript. Erscheint in der Edition Dunkelgestirn von Eric Hantsch 2022.
Das Buch las ich aus gegebenem Anlass vorab. Es handelt sich um eine Sammlung Dunkler Phantastik, die eindeutig im Fahrwasser der Großen Alten von HPL & Co. schwimmt. Der Autor kleidet den Kosmischen Schrecken aber in das Hier und Heute, in die deutsche Gegenwart. Der fiktive Ort des Geschehens ist die Stadt Hallberg. Nun, Peter Schünemann wohnt in Halle an der Saale. Wer also aufgrund von Ortskenntnissen über die reale Stadt Halle sich bei den Schilderungen aus Hallberg an das Eine oder Anderer erinnert fühlt, ist das nocrmal. Mir, als Hallenser, ging es jedenfalls so.
Aber auch jenseits dieses Lokalkolorits bekommt der oder die Leser/in die volle Palette kosmischen, psychologischen und anderen Horrors geboten, stimmungsvolle Apokalypsen, Psychosen, blutige Rituale und, bei aller Finsternis, dennoch irgendwie erhabene, unfassbare Dimensionen, die sich da andeuten. Und das alles sozusagen aus der mitteldeutschen Nachbarschaft.
Ich nehme an, das Buch erscheint im vierten Quartal des Jahres, seit gespannt!
(ohne Wertung, aber im Grund gebe ich hier gerne 10 Punkte, bin aber nicht unvoreingenommen)
Vladimir Sorokin: „Die rote Pyramide“
Erzählungen
Wollte das Buch eigentlich in unserem Aelita-Spezial des Neuen Sterns besprechen. Doch wie soll ich das? Kann das überhaupt jemand?
Ist ja nicht wirklich Phantastik, obwohl verrückt und abgedreht und phantastisch genug, als dass es zu den „Grenzgängern“ passen würde, die wir im Neuen Stern ja gerne vorstellen. Aber was mein Problem ist: Ich verstehe - mal wieder - nicht wirklich, was der Autor hier erzählt.
Ein paar Geschichten sind durchaus eindringlich: Die bäuerliche Idylle, die nur durch die Nennung eines Datums am Ende das Ende dieser Idylle andeutet. Oder die Titelstory, über eine verfehlte Liebe, eine 08/15-Karriere in der Sowjetunion, die durch einen Herzschlag (nehme ich mal an) beendet wird, bei dem der Protagonist und Sterbende die „rote Pyramide“ endlich sieht, die den gesamten Roten Platz in Moskau bedeckt und das „rote Rauschen“ verbreitet. Aber wozu? Schon hier lässt mich der Autor im Regen stehen.
Es gibt viel Sex, meist in seltsamen Zusammenhängen geschildert. So z.B. parallel zur Schilderung der Wirkung von Superbomben, die im Meer gezündet enorme Sturmwellen erzeugen. Oder als frühes und wohl prägendes Pionierlagererlebnis in der Sowjetunion, das ein Junge beobachtet, der dann zum skrupellosen KGB-Agenten wird.
Es gibt wieder die für Sorokin typischen dadaistischen Ausführungen, denen zu folgen höchste Konzentration abfordert, die aber - so mein Eindruck - dann doch eher zu nix führen (oder?).
Es gibt Erzählungen, die fangen irgendwie an und enden völlig anders. Da einen Zusammenhang innerhalb der Geschichte zu finden, fiel mir auch schwer.
Also? empfehlen? Na ja, mal so richtig den Kopf frei kriegen und einfach nur Staunen über Unmögliches, dafür ist es gut. Zuviel brauche ich aber nicht davon.
7 / 10 Punkte
Arkadi & Boris Strugazkij: „Die Last des Bösen“
Eigentlich wollte ich das Buch ausführlich rezensieren, für den Aelita-Spezial-NEUEN-STERN. Aber nach der Lektüre mute ich mir das nicht zu, d.h., ich traue es mir nicht zu, das Werk adäquat besprechen zu können. Warum? Ich glaube, ich verstehe es nicht.
Es ist das letzte Gemeinschaftswerk und nach der „Wende“ erschienen. Was haben uns die großen SF-Heroen der UdSSR für die „neue Zeit“ mitzugeben? Ich finde ja, sie haben schon lange vorher sehr viel zu der Zeit, die wir jetzt erleben, geschrieben. Zuerst (Mittag, 22. Jh.) viel zu optimistisch, dann aber doch mit so starker Skepsis, was den „neuen Menschen“, den der Kommunismus hervorbringen sollte, anbelangt, gegenüber Bürokratie und unmenschlichen Auswüchsen der Staatsordnung etc. Hatte letztens in „Das lahme Schicksal“ diesbezüglich nicht schlecht gestaunt, insbesondere in den Teilen, die bereits in den 60er Jahren geschrieben wurden.
Und hier? Ach, ich weiß nicht. Ich komme nicht mit klar.
Ein interessanter Aspekt ist der der „Flora“-Kinder, also der Kommune der Jugendlichen Aussteiger vor den Toren der Stadt Taschlinsk (Strugazki-Fans kennen die sicher). Den „alten weißen Menschen“ der Stadt missfällt deren moralischer Verfall, der Drogenkonsum, die Arbeitsfaulheit etc. Sind halt Hippies, würde ich mal sagen. Und ein Dorn im Auge der Bürgerschaft. Die sollen weg.
Sie haben unter den Alten nur einen Führsprecher: G.A. Nossow. Über ihn wird auch viel erzählt, auch wenn am Ende man eigentlich zugeben muss, dass man nicht viel über ihn weiß. Aber wie der Konflikt dann endet (Pogrom oder nicht?), kann ich jetzt nicht mal sagen.
In den Überlegungen zu diesen Arbeitsverweigerern mischt sich ein Element, das ich auch schon im „Lahmen Schicksal“ wahrnehmen konnte. Die Autoren machen sich Gedanken über die Welt der Arbeit der Zukunft und meinen, dass durch zunehmende Automatisierung menschliche Arbeit obsolet wird. Insofern sind die „Flora“-Kinder nur Vorreiter einer ohnehin eintretenden gesellschaftlichen Entwicklung.
Parallel erscheint eine mythologische Gestalt: Ahasver. Seine Geschichte wird in Extrakapiteln erzählt - wohl anders, als sie in den christlichen Geschichten des Mittelalters zu finden ist. Hier ist es ein eher ungehobelter Kerl aus Galiläa, der dann die Identität eines Mannes namens Ahasver annimmt - und wohl auch dessen unheilige Rolle, durch die Zeiten zu wandern. Er hat es erst mal nicht leicht, aber die Erlebnisse läutern ihn wohl. Am Ende ist er ein geheimnisvoller, aber durchaus höflicher Mensch. Aber echt: Ich weiß nicht genau, was er in dem Plot für ein Funktion hat. Ist er der mythische Kosmokrat, der dann fast zum Schluss genannt wird, der „mythische Antichrist“?
Ja, vielleicht bin ich zu doof dafür, oder die Autoren haben sich hier verrannt?
Typisch für die komplizierteren Werke der SF-Brüder ist, dass sie aus 2 Bestandteilen zusammengesetzt wurden. Das ist beim „Lahmen Schicksal“ so, auch bei „Die Schnecke am Hang“, auch „Der Montag fängt am Samstag an“. Vielleicht ist das Teil des Problems; deshalb erscheinen sie so kompliziert, weil dem Leser die Herstellung des inneren Zusammenhangs der Teile misslingt (also mir).
Ein paar Sachen werden angesprochen, aber überhaupt nicht ausgeführt. So hätten mich die mehrmals erwähnten astronomischen Phänomen der „Sternenfriedhöfe“ näher interessiert. Oder was die Erwähnung eines Malers namens Adolf Schickelhuber zu bedeuten hat (und warum der dann nicht gleich Schickelgruber heißt).
Der Lehrer G.A. ist Leiter eine Schulform namens Lyzeen, die überall entstehen sollen. Aber leider scheitert das Projekt, eine „Elite-Förderung“ ist nicht gewünscht (im Sozialismus). Auch hier eine Parallele zum „Lahmen†¦“: Die im Volk verwurzelte Intellektuellen- und Bildungsfeindschaft.
Aber insgesamt: Viele Fragezeichen, daher auch keine Wertung; die maße ich mir nicht an.