

Hofmanns Leseliste von Pfingsten bis Mitte Juli 2025
BESTIARIUM Petra Hartmann Aldiss Luci van Org Primo Levi Dan Simmons
Urlaubs-Sommerzeit beginnt. Bei mir nur bedingt Lesezeit. Zwischen Pfingsten und heute – Mitte Juli – habe ich das „Wenigerlesen“ wohl auch schon geübt. So viel kam nicht zusammen, aber dafür für meine Begriffe insgesamt nur gute Sachen. Einmal getrieben durch Ereignisse (Wave-Gotik-Treffen und die Quasi-Lese-Challenge in Verbindung mit einem geplanten Sonderthema unseres SF-Fanzines NEUER STERN) und in Form von Wiederholungen habe ich mich durch meine Bibliothek, speziell den SUB-Teil gelesen. Wenn ich Bücher wiederholt lese, die ich 30 – 40 Jahre nicht angefasst habe, ist das fast wie ein erstes Lesen. Gut, dass ich zum Teil schon damals Notizen machte, die mir heute helfen nachzuvollziehen, was ich damals drüber dachte. Das hilft der Erinnerung wirklich auf die Sprünge und es ist für mich faszinierend nachzuvollziehen, wie sich meine Lektüreeindrücke ändern – oder auch nicht. Aber das nur am Rande. Hier meine Leselistenfortsetzung.
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Thomas Hofmann und Petra Hartmann: „Das intergalaktische Bestiarium“, 2025
Im Grunde ist das auch eine Zweitlesung. Habe die Geschichten alle schon mal gelesen, als sie fertig geschrieben vorlagen, in Manuskriptform. Und nun ist das Buch in der Welt.
Die ersten Texte waren wie die ersten Bilder, die extra für diesen Band entstanden sind, bereits 2021 da. Das ist schon wieder ein bisschen Zeit vergangen. Zuerst las ich sie voller brennender Neugier, was die Autorin wohl aus meinen Bildern gemacht hat! Hier ist es ja mal andersrum gelaufen: Erst waren da die Bilder, dann kam der Text. Petra hat auch schon darüber reflektiert, was ihr so durch den Kopf ging, als sie meine Zeichnungen sah – und vor der Frage stand, was ihr nun dazu einfallen soll.
Ich war jedenfalls immer sehr beglückt, als ich die Stories las. Klasse! Was man so aus Bildern rauslesen kann. Hätte ich mitunter überhaupt gar nicht so gesehen. Wenn man mich fragt, was ich mir dabei gedacht habe, hülle ich mich lieber in Schweigen. Manchmal war es echt einfach nur der Wunsch, eine Struktur aufs Blatt zu bringen. Mitunter sind es Schraffuren, die mich mehr interessieren, als äußere Formen.
Hier ein paar unmaßgebliche Gedanken nach dem Lesen:
„Das Tor zu allen Welten“ – eine meiner Allzeit-Lieblingsgeschichten ist „Die Tür in der Mauer“ von H.G. Wells und diese Story hier erinnerte mich sehr daran. Eine Hommage? Eine Geschichte über eine verpasste Chance, aus der der Protagonist seine Lehre zieht. Aber die Sehnsucht nach dem, was dahinter ist, ist überwältigend.
„Drachenreise“ ist eine Ode an das Leben; was diese Story mit einigen anderen des Bandes gemeinsam hat. Der Kreislauf des Lebens als lange Reise um den Planeten, ein schönes Bild (das mir, wenn ich recht drüber nachdenke, auch in etwa so vorschwebte, als ich die Bilder dazu zeichnete).
„Die Parasiten“ ist fast eine richtige Horrorstory geworden, halt so horrormäßig wie die SF von Lovecraft ist. Dies ist auch die einzige Story, in der unser Arbeitsprinzip mal umgekehrt wurde, d.h. ein paar Zeichnungen entstanden nach dem Text und eine nach einer verbalen Idee (Pels-Kragen-Krake) von Petra. Das schwere Thema wird durch den Ton, den Roderick in der Story anschlägt, erfrischend aufgelockert; die Figur hat die Lizenz zum Fluchen.
Was mich auch verblüffte, hier und bei dem einen oder anderen Text von Petra: wie sie verschiedene Zeichnungen, die im Grunde nichts miteinander zu tun hatten, unter einen Hut brachte.
„Das Tier der Unordnung“ zeigt, wie es unter dem sprichwörtlichen Sofa der Familie Hempel so aussieht – auf jeden Fall geheimnisvoller als man denkt. Ein Hoch auf das Chaos! Find ich gut. Mit den Sprichwörtern, oder Memes, geht es weiter mit „Der Wurzel“ allen Übels. Auch Pflanzen können einem echt das Leben schwer machen. Sollte man kaum glauben. Okay, weiß man seit den Triffids, aber mein kosmischer Riesenbaum erschien mir beim Zeichnen gar nicht so gefährlich. Na, wieder was gelernt.
„Der Leichtplanet“ ist im Grunde auch so ein archetypisches Ding für die phantastische Kunst. Schwebende Gesteinsbrocken sind nicht neu in der phantastischen Motivwelt, gebe ich gerne zu. Aber Petra hat dazu eine physikalisch stichhaltige Begründung gefunden, warum so eine Welt immer leichter wird. Oder etwa nicht?
Hach, mein „Sternendrachen“! Ja, auch so ein Lieblingsmotiv. Hier darf ich verraten, dass ich mich mitunter selbst kopiert habe. Mein eher metaphorisches Drachenwesen hat die Autorin auf einen deutlich rationaleren Boden der Tatsachen zurückgeholt, als ich mir dachte. Ist sehr okay, zumal die Melancholie, die so einem Motiv quasi innewohnt sehr gekonnt umgesetzt wurde. Es ist eine Geschichte vom Aussterben.
„Kammerjäger“ und „Erkunder“ sind – glaube ich – die ersten Texte gewesen, auch natürlich die ersten neuen Bilder. Da hatte ich beim Zeichnen durchaus den Gedanken im Kopf, eine Story erzählen zu wollen. Es gibt sozusagen kleine Bilderserien, die die Autorin gern aufgegriffen hat. So muss das sein. In den Stories wird noch fast am meisten von dem „Geschäft“ des Exobiologen erzählt. „Die Würmer“ fällt auch in die Kategorie, obwohl es nur eine Zeichnung ist. Für mich war hier aber total verblüffend, dass Petra sich auf ein Motiv / Tier konzentriert hatte, dass für mich beim Zeichnen nur Beiwerk war. Ja, so kann man das auch sehen.
„Der Savannenplanet“ war der letzte entstandene Text, oder? Auch ein ziemlich langer, mit einer Katze. Einer besonderen, weltenrettenden Katze. Sie wird als superniedlich usw. beschrieben, und dabei kann ich doch gar nicht „niedlich“ zeichnen. Aber na ja, so wird das halt gesehen. Sehr okay.
Gar nicht niedlich ist die „Die Bordspinne“. Hier wurden übrigens sämtlichst alte Grafiken von mir verwendet, Bilder aus der alten Aarachne-Zeit, So haben sie noch einmal einen schönen Rahmen erhalten und die Story hätte natürlich damals in den Nullerjahren auch gut und gerne in die Jubel-Anthologie des Aarachne-Verlages von Ernst Petz gepasst. Schöne Erinnerung – und eine schöne neue Erinnerung, die hier entsteht.
Ja, bin echt zufrieden mit unserem Werk. Wer sich selbst überzeugen will: NOCH gibt es Exemplare - hier
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Michail Schatrow: „Weiter… weiter… weiter“
Drauf gestoßen bin ich durch ein Interview mit Gunnar Decker, gehört hatte ich davon – sicher – schon früher – aber wieder verdrängt, und leider bisher auch nicht gelesen, oder gesehen. Ist ja ein Theaterstück.
Nach all den Jahren bringt es nicht mehr viel Neues oder Überraschendes, muss ich gestehen. Die Große Oktoberrevolution von 1917 hat ja mittlerweile sehr ihren „Zauber“ verloren, nicht zuletzt durch den Terror der Stalinzeit, aber auch durch das Unvermögen, ihre eigenen Versprechungen zu erfüllen. Und auch vor dem Hintergrund, wo derzeit die Gesellschaft, die sich damals so revolutionär umgestaltet hatte, rausgekommen ist, dann wird mir erst recht schlecht. Nee, ich muss das hier nicht ausführen, oder? Und dass Lenin u.a. Protagonisten dieses historischen Spektakels schon die Saat legten für das, was danach geschah, ist nun auch nicht mehr neu. Aber das Stück dokumentiert – besser: Illustriert – es eindrucksvoll. Habe Lektüre gern nachgeholt und würde es mir auch als Theater-Inszenierung anschauen, glaube aber nicht, dass es heute noch gemacht wird.
8 / 10 Punkte
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Brian W. Aldis: „Der entfesselte Frankenstein“
Lese ich zum zweiten Mal. Der Grund? Aldiss würde dies Jahr 100 werden und wir vom ASFC wollen dem ein wenig gedenken. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass ich beim ersten Lesen 2013 (klick) nicht so den richtigen Zugang bekam. Dieser Eindruck manifestierte sich allerdings auch erst 2020, als ich Material über Frankenstein und vor allem den Dr. Polidori sammelte. Damals schrieb ich einen Text für eine Frankenstein-Ausgabe und sah mir wenigsten den Film von Roger Corman an, der mich aber nicht vom Hocker riss. Das Aldiss-Buch mag auch nicht so viel dem Original hinzuzufügen; in Sachen Polidori war es für mich auch nicht ergiebig.
Na ja, jetzt also neu ans Werk. Und? Ja, war recht gut. Hat mich amüsiert, auch wenn sich Aldiss dolle an die Vorlage hält. Er vermischt die Fiktion von Mary Shelley mit den wahren Begebenheiten am Genfer See in diesem kalten Sommer von 1816. Das macht er geschickt und amüsant, aber im Grunde wenig überraschend. Der Erzähler und Protagonist gerät durch eine sog. „Zeitrutsche“ in die Vergangenheit. Ausgelöst wird die durch den permanenten Atomkrieg, der 2020 herrscht.
Was mir diesmal wirklich gefiel, sind die Überlegungen, die der Protagonist und die Dichter-Gemeinde um Byron so anstellen, zur Thematik Wissenschaft & Ethik, das Wesen der Zeit, oder auch frühe sozialistische Ideen, die Bodenland, der Protagonist aus der Zukunft, sich durchaus skeptisch anhört.
Ich bleibe aber mal bei den 8 / 10 Punkten von 2013
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Brian Aldiss: Das Ende aller Tage
Eine Story-Sammlung, die mit einem Rahmen versehen wurde. Die Stories sind aus den 50ern. Im Grunde ist das eine interessante, wenn auch im Detail schräge Future History, vom Beginn des Raumfahrtzeitalters und Ende des Kalten und Beginn des Heißen Krieges, bis zum Ende der bekannten Menschheit. Wobei die sich auch schon zwischendurch fast eliminiert hat, zurück entwickelt hat, wieder aufgerappelt und ins All vorgestoßen ist. Das alles passierte in Jahrmillionen. Wir haben also noch einiges vor uns.
8 / 10 Punkte
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Luci van Org: „WIR FÜNF und ich und die Toten“
Nachdem ich die Autorin im Rahmen des WGT in Leipzig, 2025 erlebte, zusammen mit Florentine Joop, habe ich dieses Buch doch endlich mal gelesen. Geliebäugelt hatte ich schon lange damit, denn ich mag die sehr persönliche, flotte Schrieb der Künstlerin (die ja eher als Sängerin bekannt ist, aber eben auch für andere Lieder schreibt und Drehbücher und eben auch eigenen Erzählungen).
Das mit dem „persönlich“ kann man hier aber besonders wörtlich nehmen, denn die ansonsten fast phantastische, auf jeden Fall surrealistische Geschichte trägt deutlich autobiografische Züge. Oh Mann, wenn das alles so war und ist, wie sie hier schreibt, tut sie mir richtig leid! Erschütternd, was sie da in ihrem Elternhaus und drumherum erleben musste, verarbeiten muss. Ich denke auch, das erfordert viel Mut sich so in der Öffentlichkeit zu offenbaren. Ich hoffe, ihr hilft dies!
Die Geschichte ist ansonsten packend, spannend erzählt. Es ließ sich in einem Rutsch durchlesen. Und es hat ein gutes Ende, wobei ich nicht ahnen kann, ob sie damit ihr Trauma auch wirklich aufgearbeitet hat. Ich wünsche es ihr.
9 / 10 Punkte
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Luci van Org: „Der Tod wohnt neben an“
Ihr Erstling in Sachen Literatur, zumindest in Buchform. Ein Reigen melancholischer, dunkler. Mitunter auch kurioser Stories aus einer vermeintlich bekannten Stadt. Die Stories spielen alle im Berlin des Hier & Jetzt (Das Buch stammt aus dem Jahre 2006) und eine CD mit Liedern, deren Texte sich auch im Buch befinden und die zum Teil den einzelnen Stories zugeordnet sind, befindet sich auch noch in dem Buch.
Mir hat die Sammlung richtig toll gefallen. Obwohl sehr gegenwärtig und mit „echten“ Menschen als Protagonisten, begegnet man hier dem Tod, Vampiren und anderen (Un-) Toten, Leuten die ihren tödlichen Willen auf Gegenstände übertragen und damit an die Zielperson übertragen können (ich will nicht von Voodoo sprechen, das stimmte sicher so nicht ganz).
Im Zentrum ihres Interesses stehen Personen am Rande der normal-funktionierenden Gesellschaft, Leute mit ihren Schwächen, Ängsten, Psychosen (die vielleicht ja auch kosmische Aufträge sind), denen die Begegnung mit dem Para-Normalen auch nicht wirklich weiterhilft in ihrem Leben.
8 / 10 Punkte
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Dan Simmons: „Ilium“
Es war mal wieder Zeit! Ziemlich spontan bin ich um meinen SUB herumgekurvt und habe – nein, nicht zielsicher – ins Regal gegriffen und mir eines meiner erklärten Lieblingsbücher rausgefischt. Zur Viert-Lesung, jetzt durchaus nach knapp 10 Jahren? – Kann ich selbst kaum glauben, aber es muss wohl so sein. Habe es nach Erscheinen (auf Deutsch) das erste Mal gelesen und das zweite Mal als der Nachfolgeband, „Olympos“, erschien.
Und habe ich den Zauber von damals wiedergefunden? Na ja, nicht ganz. Ich hatte das Buch noch sehr gut in Erinnerung, auch die Details, die mich damals faszinierten. Ich glaube, das spricht für das Buch, dass ich mir so lange sowohl einen Gesamteindruck, als auch gewissen Einzelheiten merken konnte; ist nicht bei jedem Buch so.
Damit sind aber ein paar Überraschungen flöten gegangen. Ich wusste ja, was kommt. Das Buch lebt auch sehr stark von Cliffhangern zwischen den Kapiteln der einzelnen Erzählungen, die hier quasi parallel zueinander erzählt werden. Was mir nicht mehr so geläufig war, ist der Umstand, dass im Grunde nichts aufgelöst wird am Ende – denn hier gibt es ja auch noch gar kein Ende.
- Der Historiker aus dem 20./21. Jh., Thomas Hockenberry, wird reanimiert, von den Toten zurückgeholt, um dem sagenhaften, homerischen „Trojanischen Krieg“ beizuwohnen und dessen Ablauf mit der Überlieferung / den Aufzeichnungen Homers abzugleichen. Wozu? Keine Ahnung.
- Die griechischen Götter leben allesamt und lassen ihren Stellvertreterkrieg ablaufen. Sie wissen nicht, was passieren wird, im Gegensatz zu Hockenberry. „Die Götter“ – wer oder was sind sie? Wohl nicht wirklich die Götter der Sagenwelt, aber schon übermenschlich-übermächtige Wesen, die sich genauso ethische unreif verhalten, wie ihre historisch-sagenhaften Vorbilder. Was sind sie? Keine Ahnung.
- Auf der Erde leben nur noch ein paar dekadente Menschen in Saus und Braus und ohne echtes Lebensziel. Behütet werden sie von Robotern, Servitoren und Voinyxe. Die schützen sie auch vor quasi rückgezüchteten Raubsauriern und Terrorvögeln. Diese Wesen haben ziemlich potente Nachmenschen fabriziert, die sich aber aus dem Staub gemacht haben. Wer hat wozu diese humane Restwelt erschaffen? Woher stammen die Roboterwesen? Keine Ahnung.
- Und dann die Monster-und-Gottwesen in den künstlichen Orbitalringen, vornweg der gefräßige Caliban. Kreaturen, Figuren aus Shakespeares „Sturm“. Wozu das? Keine Ahnung.
Also, zu oft darf ich das Buch wohl nicht lesen, denn es verliert etwas dabei. Aber e sind immer noch satte 9,5 /10 Punkte
PS. 2016 habe ich – also da schon nach 10 Jahren, das Buch ein 3. Mal gelesen und mein Fazit fiel identisch mit meinem jetzigen aus. (Ich überrasche mich auch immer mal wieder selbst…)
https://scifinet.org...chen-leseliste/
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Primo Levi: „Die Verdopplung einer schönen Dame“
Reclam, Leipzig 1977
Auch wenn Levis Hauptwerk nicht in der DDR erscheinen konnte, so gab es zumindest diesen wundervollen SF-Erzählungsband. Den hatte ich schon vor 30 und mehr Jahren gelesen und nun also ein 2. Mal. Wieder mit Hochgenuss und Staunen. Der Autor erweist sich nämlich zum Teil als echter Prophet, gerade in seinen NACTA-Erzählungen um die tollen Erfindungen einer Firma. So gibt es z.B. den „Reimwerker“, ein Gerät zum Reimen von Gedichten – und Werbesprüchen. Nimmt ja viel Arbeit ab – aber eben auch kreative. Kennen wir, oder?
Was haben wir noch? Ach ja: Insekten als willenlose, billige Arbeitssklaven, eine Maschine zum Kopieren von allem, auch von Menschen (?), eine Substanz, die Erinnerungen über Gerüche weckt, eine Story über eine perfekte, aber suchterzeugende virtuelle Realität (die bei Levi natürlich noch nicht so hieß), die Antwort auf die Frage, warum wir doch keine Vogelwesen wurden, über eine Droge, die Schmerz in Lust wandelt usw. Viele tolle Ideen, alles wundervoll erzählt.
10 / 10 Punkte