...was inzwischen geschah, Fortsetzung der Hofmann'schen Leseliste
2016; Merseburg; Eva Strasser; Nils Wiesner; Markus Kastenholz; TES
10) Eva Strasser: „Mary“
Ich sitze in der Bredouille. Also: keine Bange, es ist keine existentielle Sorge, die mich hier umtreibt. Es ist nur so: Dies ist ein SF & F - Zine, Eva Strasser hat mit ihrer SF-Story „Knox“ 2015 den ersten Platz des Deutschen Science Fiction Preises für die beste Story erhalten und sie soll (je nach Erscheinen des Heftes: sollte - am 21. Mai) bei den SF-Freunden von Leipzig lesen. Um mich darauf vorzubereiten, las ich nun endlich das schon lange erworbene Buch vom eBook-Verlag Das Beben, „Mary“. Ich begann die Lektüre ein wenig in der Hoffnung und Annahme, es handle sich um Phantastik, (SF gar?). Diesbezüglich wurde ich enttäuscht. - Doch das war tatsächlich die einzige „Enttäuschung“!
Also: Das Buch ist keineswegs eine Enttäuschung! Es ist eben nur keine SF, nicht mal Phantastik im weitesten Sinne, obwohl sich zum Ende so etwas wie eine Geisterstory andeutet. Ja, das könnte man durch gehen lassen. Doch was sind Geister und Gespenster? Eventuell nur die Produkte eines fiebrigen Geistes, eines überreizten und gestressten Menschen, der seine Ängste nicht unter Kontrolle hat und daher „Gespenster“ sieht? Das kann man auf alle Fälle am Ende der Novelle vermuten.
Was ist dieses Buch? Es ist unterhaltsam und spannend. Es ist realistisch und lässt die Leser hautnah eine kleine Gruppe junger Berliner erleben, die sich in ihrer heilen Welt aus Paar-Beziehungen, Selbstsuche, Karriere-Drang und eher rücksichtsloser, selbstbefriedigender Unterhaltung eingerichtet haben. Drogen sind ein Thema, mehr oder weniger innige Liebesbeziehungen, die durch egoistische Sex-Erlebnisse gefährdet werden.
Was irgendwie harmonisch beginnt, endet dramatisch, in Auflösung; die Beziehungen der beiden Paare gehen den Bach runter, ihre Pläne und Lebensentwürfe werden im Grunde allesamt durchkreuzt.
Auslöser ist eine junge Frau, die in den Kreis der Hippen und Coolen eindringt wie ein Virus. Mary ist nicht cool, eher die Pomeranze vom Dorf, eine Jugendbekanntschaft einer Protagonistin.
Bald beginnt die Autorin ein falsches Spiel mit den Lesern: Da jedes Kapitel jeweils aus der Sicht einer Protagonistin oder reines Protagonisten geschildert wird, muss man als Leser glauben, man weiß wie Mary tickt. Doch irgendwann wird klar, dass da noch was Anderes läuft. Nee, kann hier nicht mehr sagen†¦
Die Novelle beginnt als recht normaler Großstadt-Hippster-Roman, bekommt zur Mitte etwas von „Immer Ärger mit Harry“-Pastiche, um zum Schluss in einem Drama (es gibt Tote) mit - leicht - übernatürlichem Anstrich zu mutieren. So viel hätte ich am Anfang gar nicht erwartet! Zudem gefällt die Schreibe der Autorin - ungemein. Sie bringt es auf den Punkt, schafft mit den Perspektiv- und Kapitelwechseln die Sichtweisen der Figuren sehr viel Abwechslung, bringt auf diese Weise die Figuren den Lesern nahe und macht sie fassbar und einzigartig. Diese Art, die Figuren jeweils selbst erzählen zu lassen, bringt durchaus Peinlichkeiten mit sich, die man aber schnell als normal und selbstverständlich akzeptiert; sie fördern die Bindung an die Figuren.
Satte 9 / 10 Punkte
11) Markus Kastenholz: „Suizid Blues“
Tolle kleine Story- (oder Novellen-) Sammlung, die diesmal weniger humorig, weniger wortwitzig (wie für den Autor typisch) daherkommt. In 2 von den 3 Texten werden Metaphern wortwörtlich genommen: Da kommt der Krieg und es gilt, das Gleichgewicht der Welt zu bewahren; den Abschluss bildet eine etwas rotzige Vampirgeschichte, die wohltuend die Vampire von ihrem Glitzerimage befreien, aber dem Leser keine Identifikationsfigur anbietet.
Ausführlicher im NEUEN STERN, aber auch hier schon mal eine glatte Empfehlung.
9 / 10 Punkte
12) Michael Crichton und Richard Preston: „Micro“
Hörbuch; gelesen von Gordon Piedesack.
Na klar, ich fühlte mich an „Expedition Mikro“ vom kürzlich verstorbenen Alexander Kröger erinnert. Interessanter Weise glaubte ich sogar, ein paar Szenen ähnlich beschrieben vorzufinden - aber da mag meine Erinnerung trügen, das Kröger-Buch habe ich vor Jahrzehnten gelesen†¦
Okay, so richtig toll fand ich „Mikro“ nicht („Expedition Mikro“ damals hervorragend J ); ein paar Szenen waren ganz schön splattrig, gingen unter die Haut, aber insgesamt war das eher so einen 08/15-Story über einen bösen mad scientist, der halt für sein Projekt über Leichen geht, dazu die Effekte, die man bekommt, wenn man Menschen auf 1,5 cm schrumpfen und im Wald aussetzen kann. Klar, da braucht man keine fremde Welt für exotische Abenteuer, aber so richtig überraschen kann das nicht mehr.
Die Idee, dass Magnetfelder (besonders starke = Tensorfelder) Materie enorm schrumpfen lassen kann, war mir neu. Ob das so funktioniert? Den Begriff gibt es ja, zumindest in der Mathematik†¦
Also, weder die Figuren, noch das Setting haben mich überzeugt. Daher†¦
5 / 10 Punkte
13) Abraham Merritt: „Madame Mandilips Puppen“
Hörspiel aus der Reihe Gruselkabinett
Nachdem nun schon 2-mal im NEUEN STERN je ein Roman von A. Merritt vorgestellt wurde, bin ich auf den Autor neugierig geworden. Allerdings hatte ich es ja schon mal mit ihm probiert, aber damals wohl auf dem falschen Fuß erwischt, denn ich legte das Buch gelangweilt wieder weg. Okay, dann also gern mal als Hörbuch - oder Hörspiel.
So richtig viel gibt es leider nicht, aber dieses famose Teil - als Doppel-CD, wurde ja sogar mit dem 1. Platz des Vincent Preis 2015 für das beste Hörspiel prämiert. Und nach dem Hören kann ich sagen: Ja., ist wirklich okay. Nun, die Story ist nicht so überraschend, ist aber kurzweilig. Ob das wirklich 2 CDs sein mussten, wage ich zu bezweifeln†¦
Interessant ist, dass die mysteriöse Kraft der Madame nicht wirklich aufgeklärt wird, noch nicht mal, worum es ihr eigentlich geht; die Motivlage bleibt offen. Ob das in der Story auch offen bleibt, man es hier also einfach nur mit „dem Bösen“ in Form dieser Hexe, zu tun hat, vermag ich nicht zu sagen. Interessant ist auf alle Fälle der Kontrast zwischen dem uralten Bösen, das aus Europa nach Amerika importiert wurde und der modernen Superstadt New York, mit den entsprechenden dunklen Kehrseiten, wie dem organisiertem Verbrechen; das aber nur am Rande eine Rolle spielt.
Hmm, so richtig überzeugt bin ich von dem Teil am Ende nicht, ist halt eine nette Psycho-alte-Mythen-Manipulationsstory ohne Tiefgang.
7 / 10 Punkte
14) Katharine Burdekin: „Nacht der braunen Schatten“
Komisches Buch. Es wurde 1937 von der Engländerin geschrieben und schildert eine faschistische Zukunftswelt, 700 Jahre in der Zukunft. Hitler wird von den Nazis als Gott angebetet und die Gesellschaft ist streng hierarchisch, und rückständig. Im Grunde werden viele Gedanken und Überlegungen, wie ein „1000jähriges Reich“ gestaltet worden wäre, die man im Grunde nach der Vernichtung Nazi-Deutschlands publizierte, vorweggenommen. Sogar erstaunlich Details, die die Autorin im Grunde nicht wirklich vorherahnen konnte - oder eben doch, wenn man nur aufmerksam den Nazi-Führern zuhörte und einfach in die Zukunft projiziert? - Ein interessanter Gedanke vor dem heutigen Wiederaufleben völkisches u.a. rückwärts gewandten und reaktionärem Gedankenguts†¦ -
Zum Buch noch kurz: Es ist nicht wirklich ein Reißer, nicht annähernd so interessant und spannend wie z.B.!“1984“, dem man nachsagt, dass es sich viel von „Nach der braunen Schatten“ inspirieren ließ, auch nicht vergleichbar mit „Vaterland“ (das ja auch ein guter Krimi ist) oder „Orakel vom Berge“ (das ohnehin ein besonderes Buch ist). Die Autorin verwendet viel Kraft und Zeit und Raum der Schilderung der absolut absurden gesellschaftlichen Verhältnisse dieser zukünftigen faschistischen neuen Weltordnung. Insbesondere der Rolle der Frau; Frauen werden gar nicht mehr als richtige Menschen angesehen. Das ist wirklich schlimm; so schlimm, dass es im Grunde schon überzogen unrealistisch klingt, wie Menschen sich sowas so lange gefallen lassen könnten. - Wie auch immer, ein interessantes Buch, sollte man kennen.
7 / 10 Punkte
15) Stanley G. Weinbaum: „Die rote Peri“
Buntes Abenteuer, Hefte 35 & 36
Gerd-Michael Rose und Peter Alsdorf setzen ihre Kooperation mit der Herausgabe dieser feinen Planetenstory des SF-Altmeisters fort. Übersetzer ist kein Geringerer als Erik Simon, der auch das Nachwort beisteuerte. Insgesamt ist das Doppelheft wieder ein Kleinod; die Cover mögen sicher dem Inhalt angemessen sein, finde ich aber nicht so gelungen; gibt es übrigens auch als eBook.
Diesmal geht es auf den Pluto, der einer berüchtigten Piratin als Unterschlupf dient. Einfach herrlich, wie wissenschaftliche, astronomische Kenntnisse vermittelt, dabei eine hinreichend spannende Abenteuergeschichte erzählt wird, in der auch eine kleine Liebesgeschichte sehr charmant untergebracht wird. Okay die personelle Ausstattung ist nicht so sehr gelungen, auch die erwähnte Liebesstory kommt etwas ungelenk daher, aber das tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch. Es kommen auch wieder die für Weinbaum berühmten exotischen exterrestrischen Lebensformen (oder Beinahe-Lebensformen) vor = herrlich; wenn sie auch diesmal nicht so im Mittelpunkt des Interesses stehen. Hat mir ´großen Spaß gemacht!
10 /10 Punkte
16) Dan Simmons: „Ilium“
Wieder gelesen, jetzt also zum dritten Mal. Okay, so ganz ist der Zauber nicht mehr da; da ich mich mittlerweile an vieles erinnere, erst recht beim Lesen. D.h., der Überraschungseffekt ist flöten. Aber dennoch ist dieses eigentlich eklektische Werk ein Hochgenuss. Zum Inhalt muss ich sicher nix mehr schreiben, oder?
9 / 10 Punkte
17) Nils Wiesner (Hg.): „Merseburger Neumarktgeschichten“
Ein interessantes Buch, aus einer interessanten Buchreihe. Es gibt im Halleschen Nachbarstädtchen so ein Bürgerfest (siehe https://buergercampus.org/). Zu dem erscheint immer mal anlässlich ein Buch mit Storys von Merseburgern. Dieses sammelt der Autor Nils Wiesner (den wir seit diesem Jahr immer mal wieder zum SF-Stammtisch des ASFC begrüßen dürfen).
Dieses Büchlein geht der Frage nach: Was wäre aus Merseburg geworden, wenn die Stadt nicht mehrmals abgebrannt wäre. Ist sie nämlich und hat somit ihre Attraktivität als Handelsplatz an das nahe Leipzig verloren.
Beim Lesen hatte ich immer mal den Eindruck, als würde es da einen Zwist zwischen Merseburg und Leipzig geben. Aber der Eindruck trügt, wir mir der Herausgeber versicherte. Es wird halt in den Storys betont, dass es vielleicht doch eher Merseburg, nicht Leipzig, zur Messestadt gebracht hätten, wenn†¦
Das Buch ist also eine Anthologie aus der Sparte Alternative Historie. So ganz nebenbei, für nicht mal 6 € zu kriegen (ähm, also so richtig „zu kriegen“ ist das Büchlein nur schwer, eigentlich nur in Merseburg vor Ort; aber wer will, kann mich ja mal fragen und ich frage dann†¦)
8 / 10 Punkte
18) Axel Honneth: „Die Idee des Sozialismus“
Ein völlig unaktuelles, überholtes, überflüssiges Buch. Oder doch nicht? Es hätte für mich DAS Ding sein können, da Honneth die Idee einer solidarischen, gerechten, gleichberechtigten Gesellschaft aus meiner Sicht endlich von Zwängen befreit, die zur Unattraktivität dieser Idee führten. Das Buch selber ist dabei noch nicht mal so dolle, viel zu sehr um einen wissenschaftlichen Ton bemüht, der ggf. abschrecken kann, weil sich konkrete Aussagen hinter wiss. Terminologie verbergen. Kennen gelernt hatte ich den Autor im Radio, da sprach er klar und überzeugend. Aber gut, mir erscheint das Buch zumindest wichtig.
7 / 10
H.G. Wells†˜ 150. Geburtstag steht bevor; dafür sammle ich Beiträge zu einer Sonderausgabe unseres NEUEN STERNS, dazu lese ich endlich mal wieder Wells. Die Rezis dazu gibt es im Heft dann, am 21. September 2016. Ich hatte mich dem „anderen Wells“ zugewandt, also nicht die bekannten SF-Titel, eher so die Gesellschaftsromane, (Komet hat auch starke sozial-Utopische Züge, ist aber am Ende doch mehr ein „normaler“ Roman)
19) H.G. Wells: „„Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole“
20) H.G. Wells: „Tono-Bungay“
21) H.G. Wells: „Im Jahre des Kometen“
@ Stanley G. Weinbaum: Das klingt gut und macht neugierig. (Für mich war kürzlich die Lektüre von Weinbaums "Auf dem Titan" ebenfalls ein Gewinn und eine kleine "Entdeckung" - da ich in den Autor bis dato gar nicht auf dem Schirm hatte, dies gilt auch für den TES Verlag).