Ich hab's verstanden. Manchmal bin ich offensichtlich etwas schwerfällig. Asche auf mein Haupt.So, wie ich es verstanden hatte, wollte Robinson halt gar nicht, dass man zwangsläufig merkt, dass Genette im Text kein Geschlecht zugewiesen wird. Die Leser sollten einfach selbst zu einem Schluss kommen, egal welchen. Allein schon von daher hätte sich irgendeine Lösung verboten, die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass Genette nicht eindeutig geschlechtlich bestimmt ist. Der Witz am Originaltext ist ja nicht, dass aus ihm hervorgeht, dass Genette inter-, trans- oder sonstwie -sexuell ist, sondern dass er laut Originaltext sehr wohl ein Mann (oder eine Frau, oder alles mögliche andere) sein kann. Die Wahl wird ganz den Lesern überlassen.
Auf Deutsch ist das halt praktisch unmöglich. Da Frauen aber auch manchmal männliche Berufsbezeichnungen verwenden (wenn ich mich richtig erinnere, bezeichnet Heidrun Jänchen sich selbst beispielsweise als Physiker), war "der Inspektor" in Verbindung mit dem zusätzlichen Eintrag in den "Auszügen" noch die Lösung, die dem Original am nächsten kam.
Soweit die weitschweifige Erklärung dazu, dass es m.E. überhaupt keine "falsche" Lesart ist, wenn du Genette als Mann interpretierst, sondern einfach nur eine von verschiedenen möglichen Lesarten - und aufgrund der Beschaffenheit der deutschen Sprache wahrscheinlich die, für die die meisten Leser sich unbewusst entscheiden werden.
Kim Stanley Robinson, "2312", offener Lesezirkel
#31
Geschrieben 02 September 2013 - 12:45
#32
Geschrieben 02 September 2013 - 13:25
Ich hab's verstanden. Manchmal bin ich offensichtlich etwas schwerfällig. Asche auf mein Haupt.
Bei mir hat's auch ein paar Mailwechsel mit dem Autor gebraucht, bis ich mir sicher war, dass ich wusste, wie genau er sich die Sache gedacht hat ...
R. Scott Bakker
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#33
Geschrieben 03 September 2013 - 22:20
Ich bin jetzt an der Stelle kurz nachdem Swan den jungen Mann auf der Venus abgeladen hat, der sie vor seinen Kidnapper-Cousins gerettet hatte. Das Vorhergehende fand ich gut geschrieben, wenn auch der angeblich desolate Zustand der Erde - in dessen Beschreibung aus Versehen eine tolle und m.E. inspirierende Vision von einem venedigartigen NYC hinein rutscht - wohl eine Folge von Robinsons Klima-Anwandlungen^, in der vorhergehenden 40*-50*-60*-Trilogie, ist.
Gerade hab ich also den "extract" durch, indem Robinson mal eben Asimovs Roboter-Entwicklung - der Mensch kann nur auf Dauer überleben wenn alles Wirtschaftliche von Rechnerhirnen übernommen wird - in Form der sonnensystemweiten Mondragoner abhakt. Kapitalismus ist also in Essenz mafiös, und muss genau wie der "Mob" einfach rigoros zu einer Marginalie gemacht werden. Die "intelligenten" Computer werden schon irgendwie richten, dass alle Menschen gut versorgt werden. Und natürlich werden ProgrammiererInnen nur sehr edle Wesen sein, die nie irgendwelchen typisch menschlichen Machtgelüsten verfallen. (Vielleicht haben sich ja in Robinsons Vision Computer längst von menschlicher Programmierei emanzipiert?)
(^ Mir kommt zum 1. Mal beim Konsumieren von SF mit dem Thema Terraforming der Gedanke, ob es nicht etwas megaloman ist, so zu tun, als würden wir in Zukunft - genauso wie in punkto Klimawandel schon heuer - ein ganzes planetares System energetisch/geologisch/chemisch verstehen.)
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#34
Geschrieben 04 September 2013 - 12:09
Mir kommt zum 1. Mal beim Konsumieren von SF mit dem Thema Terraforming der Gedanke, ob es nicht etwas megaloman ist, so zu tun, als würden wir in Zukunft - genauso wie in punkto Klimawandel schon heuer - ein ganzes planetares System energetisch/geologisch/chemisch verstehen.
Die Art und Weise wie KSR die technologischen Methoden und ihre Ergebnisse beschreibt finde ich sehr blauäugig. Alles so leicht und problemlos. In unserer Realität wirft der technische Fortschritt oft mehr Probleme auf als er löst. Das wird sich wahrscheinlich auch in Zukunft nicht ändern.
Ich fand die Ideen spannend und die Beschreibung eindrucksvoll und plastisch. Die Problemlosigkeit bei der Umsetzung habe ich unter "dichterische Freiheit" verbucht.
Bearbeitet von Susanne11, 04 September 2013 - 12:56.
#35
Geschrieben 05 September 2013 - 14:07
#36
Geschrieben 15 September 2013 - 20:06
Die Sequenz mit Swan und Wharam in den Tunnels "auf der Flucht vor der Sonne" fand ich sehr gut gemacht; Robinson benutzt das natürlich auch um eines seiner Hintergrundthemen (vermute ich) möglichst sanft einzuführen -
Bei Wahram habe ich interessanterweise keine Probleme mit dem "simpatico"...
Am interessantesten fand ich das Gespräch zw. ihr und dem Inspector, als er ihr seine Theorie für den Terminator-Anschlag eröffnet. (Brillante Idee von Robinson, übrigens. Ich wette die gab es so noch nie in einem SF-Roman.) Da wird nämlich an einer Stelle angezweifelt, ob Menschen überhaupt in der Lage sind so "logisch" und rational und zivilisiert zu sein, dass sie den Weltraum auf Dauer erfolgreich kolonisieren können. Das erinnert mich an eine Frage, die ich mir in den letzten 9 Jahren oft selbst stelle: Wenn Atheismus neuerdings "in" ist, bedienen Weltuntergangsszenarien - natürlich super-duper wissenschaftlich belegt! - evtl. ein inneres Bedürfnis nach strafender göttlicher Urgewalt (der man auf Knie fallend frönen darf), das viele dieser Möchtegern-Atheisten trotzdem haben? Verkennen wir bei all der Verachtung für Religiöses nicht doch ein inneres spirituelles Bedürfnis, dessen Ignorieren uns zu "ewig schlecht-gelaunten*" Kaukasiern/Menschen macht?
Auf der letzten Seite (237, in der engl. Orbit-Ausgabe) musste ich außerdem über diesen Satz (und die darauffolgenden) lachen:
Das ist exakt die Einstellung, die der Turing-Test herausfordert. So wie ich Turings Intention verstehe. (Oder der ganze Test war schon immer eher nur ein Witz von ihm, und Einige von uns nahmen den Witz zu ernst.) Mich würde interessieren, ob Robinson selber das glaubt. (Jakob?)What one had to remember with qubes was that no matter the evidence to the contrary, there was no one home: no consciousness, no Other, just a mechanism programmed to respond to stimuli in a certain fashion by its programmers.
(* grob übersetztes Zitat aus dem Film Missing, von einem Indianer an einen alten Cowboy gerichtet)
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#37
Geschrieben 15 September 2013 - 20:40
Eine ganze Reihe von neuen Lesern wird der Roman anfangs schon alleine deswegen bekommen haben, weil er wg. seinem sehr sparsamen Titel wie eine Fortsetzung vom Katastrophenfilm 2012 klingt. (Eine weitere Quelle: Alte Trekkies, die meinen, das 24. Jahrhundert gut zu kennen.)
P.S.: Spoiler nur, weil mindestens ein Mitleser - d.b. - meines Wissens noch weiter zurück liegt als ich.
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#38
Geschrieben 15 September 2013 - 23:26
Das fände ich eine Haltung, die sehr an unsere momentanen Moralvorstellungen gekoppelt ist. Man sollte nicht vergessen, dass der Roman im 24. Jahrhundert spielt oder sich von Moralvorstellungen beeinflussen lassen, die von Star Trek geprägt wurden. Die sind relativ konservativ und statisch. Während sich in der Realität Moralvorstellung im historischen Verlauf stark gewandelt haben. Die Menschen im Europa des frühen 18. Jahrhunderts, also vor dreihundert Jahren, wären von unserer heutigen Lebensweise wohl ebenso abgestoßen.
Spoiler. Ich nehme an, Hr. Robinson war sich klar, dass er damit sofort die Hälfte der potenziellen Bis-Ende-Leser verliert.
Ich hätte jetzt eher angenommen, dass Religion, oder besser, Spiritualität wieder "in" ist. Und Weltuntergangsszenarien sind eigentlich mehr im Zusammenhang mit Religionen zu sehen. Als Bestrafungen für menschlichen Ungehorsam gegenüber Gott (Sintflut). Aber woher die momentane Vorliebe für Apokalypsen und Dystopien kommt frage ich mich ebenfalls. Ich glaube aber nicht, dass die irgendetwas mit Atheismus zu tun haben. Der Atheismus ersetzt ja gerade Gott durch den Menschen und befreit ihn vor dessen Einmischung und Bevormundung. Im Gegenzug sind die Menschen auch für alles verantwortlich, was auf der Erde irgendwie schief läuft und können das nicht mehr einem wie immer gearteten göttlichen Willen in die Schuhe schieben. Diese Freihheit und Verantwortung behagt vielen nicht, weshalb sie lieber bei der Religion bleiben, oder sich Alternativen ausdenken.Am interessantesten fand ich das Gespräch zw. ihr und dem Inspector, als er ihr seine Theorie für den Terminator-Anschlag eröffnet. (Brillante Idee von Robinson, übrigens. Ich wette die gab es so noch nie in einem SF-Roman.) Da wird nämlich an einer Stelle angezweifelt, ob Menschen überhaupt in der Lage sind so "logisch" und rational und zivilisiert zu sein, dass sie den Weltraum auf Dauer erfolgreich kolonisieren können. Das erinnert mich an eine Frage, die ich mir in den letzten 9 Jahren oft selbst stelle: Wenn Atheismus neuerdings "in" ist, bedienen Weltuntergangsszenarien - natürlich super-duper wissenschaftlich belegt! - evtl. ein inneres Bedürfnis nach strafender göttlicher Urgewalt (der man auf Knie fallend frönen darf), das viele dieser Möchtegern-Atheisten trotzdem haben? Verkennen wir bei all der Verachtung für Religiöses nicht doch ein inneres spirituelles Bedürfnis, dessen Ignorieren uns zu "ewig schlecht-gelaunten*" Kaukasiern/Menschen macht?
Genaugenommen sagt der Turing-Test über das Bewußtsein nichts aus, nur, ob ein Computer genauso intelligente Antworten liefert, wie ein Mensch. Es ist ein Intelligenz-Test. Im übrigen - absolut sicher, ob alle anderen Menschen, außer man selbst, ebenfalls ein Bewußtsein haben, können wir eigentlich auch nicht sein. Intuitiv unterstellen wir das natürlich den anderen, weil alle Menschen biologisch gleich sind, aber genauso gut könnten sie auch seelenlose Roboter oder Zombies sein. Und Filme wie Die Körperfresser thematisieren gerade diese Problematik.Auf der letzten Seite (237, in der engl. Orbit-Ausgabe) musste ich außerdem über diesen Satz (und die darauffolgenden) lachen:
Das ist exakt die Einstellung, die der Turing-Test herausfordert. So wie ich Turings INtention verstehe. (Oder der ganze Test war schon immer eher nur ein Witz von ihm, und Einige von uns nahmen den Witz zu ernst.)
Das finde ich jetzt interessant. Körperliche Modifikationen findest du eklig, aber dass jemand an seinem Hirn herumpfuscht und möglicherweise Persönlichkeitsveränderungen riskiert, dagegen gut? Das finde ich viel beunruhigender.Wieso meinst du, dass er damit Leser verlieren wird?
Wenn du meinst, dass das alles in Spoiler-Tags gehört, dann will ich mal ...
Spoiler
Wobei ich mich frage, ob Jakob überhaupt noch mitliest.P.S.: Spoiler nur, weil mindestens ein Mitleser - d.b. - meines Wissens noch weiter zurück liegt als ich.
Ich bin übrigens ungefähr genauso weit wie du. Hab ein wenig pausiert und mich mit was anderem beschäftigt.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 15 September 2013 - 23:30.
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#39
Geschrieben 15 September 2013 - 23:58
Es geht mir nicht um eine Wertung - ich z.B. finde das Buch immer lesenswerter! - sondern um ein wahrscheinliches Verhalten der (momentanen) Leserschaft, und dass KSR da m.E. ein Risiko eingegangen ist. Anders gesagt: Die SF-Leserschaft, und SF-Fans im allgemeinen, zeichnen sich nicht immer durch nicht-konservative Sichtweisen aus, leider; Offenheit für Neues ist der Mehrheit m.E. fremd. Insbesonders wenn es deutlich an aktuellen Wertvorstellungen/Gewohnheiten rüttelt.Das fände ich eine Haltung, die sehr an unsere momentanen Moralvorstellungen gekoppelt ist.
Natürlich läuft das im 24. Jahrhundert anders. Hoffe ich doch sehr. Frag mich allerdings ob ich mich nach einer Zeitreise dahin auf Dauer wohl fühlen würde...
Letzteres bestreite ich, zumindest im Ursprung des Tests; Turing antwortete mit dem Gedankenexperiment wg. einem "challenge", wie man testen könne, dass ein Computer denkt. Und für mich zumindestens zeigt der Turingtest auf, dass wir nicht genau wissen wie Denken funktioniert; wir können es "symptomatisch" abfragen, und, wenn wir dann ehrlich sind, bei bestandenem Turingtest sagen, ja, beide Testobjekte denken - zu dem Grad, in dem wir das Denken eben (miss)verstehen. Diese Unsicherheit gilt ähnlich für Konzepte wie Bewusstsein, und insbes., aus meiner Sicht, Intelligenz. Daher bin ich persönlich Intelligenztests, so wie sie noch immer als maßgebende Richtlinie eingesetzt werden (z.B. in Deutschland von der Fa. Siemens), wenig gewogen; der Turingtest ist mir sympathischer.Genaugenommen sagt der Turing-Test über das Bewußtsein nichts aus, nur, ob ein Computer genauso intelligente Antworten liefert, wie ein Mensch. Es ist ein Intelligenz-Test.
/KB
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#40
Geschrieben 16 September 2013 - 00:16
Wobei ich mich frage, ob Jakob überhaupt noch mitliest.
Das tut er ...
Nur war er so undiszipliniert, läppische 2 Neal Stephenson Romane zwischendurch zu verschlingen (Cryptonomicon und Reamde). Mit den rund 2300 Seiten ist er aber jetzt durch. Momentan hat er das erste Kapitel von Ghostwritten (Mitchell) durch, er schwenkt aber bald auf 2312 um.
Ich hole in Kürze auf, ich hab den Roman schon mal gelesen. Das geht dann eher schnell. Danke für die nette Rücksichtnahme, aber wegen mir allein braucht Ihr nicht spoilern.
Bis später
Jakob
Austriae Est Imperare Orbi Universo
#41
Geschrieben 16 September 2013 - 11:12
Ist das nicht die verkehrte Reihenfolge?Momentan hat er das erste Kapitel von Ghostwritten (Mitchell) durch, er schwenkt aber bald auf 2312 um.
Jakob
Der Lesezirkel für "Ghostwritten" fängt an, wenn der für "2312" zu Ende ist.
#42
Geschrieben 16 September 2013 - 12:32
Wer in 2 Wochen, oder so, auf die Schnelle zwei Tausend-Seiten-Wälzer vertilgen kann (*Ächz*), darf von mir aus auch ein kleines Kapitelchen aus Chaos vorauslesen.Ist das nicht die verkehrte Reihenfolge?
Der Lesezirkel für "Ghostwritten" fängt an, wenn der für "2312" zu Ende ist.
Ich hoffe nur dass Jakob danach noch Kraft für ein paar Kommentare hat. Auch hier.
LG Trurl
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#43
Geschrieben 16 September 2013 - 12:44
Ich finde diese spezielle körperliche Modifikation, die Swan hat vornehmen lassen, ekelhaft. Ich stelle mir das sehr unästhetisch vor.
Susanne
Puh, ich muss bei solchen Aussagen ein paar mal tief durchatmen. Wäre allzu schlechter Stil, wenn ich mich hier als Übersetzer aufrege.
Aber denk mal dran, dass deine Worte hier durchaus von Leuten mit vergleichbaren körperlichen Modifikationen oder deren Freunden gelesen werden könnten. Und frag dich dann noch mal, ob du deine diesbezüglichen Gefühle hier mit so krassen Worten nach außen tragen musst.
R. Scott Bakker
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#44
Geschrieben 08 Dezember 2013 - 19:23
Robinsons Roman entfaltet ein großartiges mögliches Zukunftspanorama einer zukünftigen Menschheit, die sich inzwischen im ganzen Sonnensystem ausgebreitet hat, den Mars terraformt hat, die Monde des Jupiter und Saturns bewohnt, sowie dabei ist, die Venus zu terraformen. Trotz all der gesellschaftlichen Umwälzungen und technischen Möglichkeiten hat sich die menschliche Gesellschaft (noch) nicht so sehr von unserer Gegenwart entfernt, dass sie für uns unverstehbar geworden wäre. Eine Reihe von Problemen, mit denen wir uns auch heute herumschlagen, sind auch auf der Erde dieser Zukunft weiterhin ungelöst. Die Überbevölkerung, die ungleiche Verteilung der Ressourcen unter den Staaten (die es ebenfalls noch gibt) und der Unterschied von Arm und Reich, bestehen weiterhin. Der Unterschied der Lebensverhältnisse und der Lebensstandards wird am Offensichtlichsten zwischen Weltraum- und den Erdbewohnern. Während im Weltraum die Zukunft der Menschheit geplant und realisiert wird, stagniert die Gesellschaft auf der Erde und kann sich aus dem Griff ihrer Geschichte nicht lösen. Hauptproblem mit dem sich die Erdbevölkerung auseinandersetzen muss, sind immer noch die Folgen der globalen Erwärmung, die die Erdoberfläche, vor allem die Küstenregionen großräumig umgestaltet haben. Trotz der gewaltigen technischen Möglichkeiten u.a. der des Terraformings, mit dem im Weltraum erfolgreich die Monde des Jupiter und die Planeten Mars und Venus bewohnbar gemacht wurden und werden, versagen alle derartige Bemühungen auf der Erde, der Erderwärmung und ihrer Folgen Herr zu werden.
Trotz allem ist Robinson ein Optimist, der der Menschheit eine Zukunft prophezeit, die vielleicht nicht ohne Probleme sein wird, aber lebenswert ist. Diese Zukunft, sieht er vor allem im Weltraum und es sind auch vornehmlich die Weltraumgesellschaften, die die Entwicklung, den Fortschritt vorantreiben, in denen die Veränderungen der Sozialstrukturen stattfinden. Während auf der Erde die Beharrungskräfte der irdischen Geschichte, jahrtausende alte Traditionen und Religionen, sowie das Besitzstandsdenken der Eliten und Wohlhabenden immer noch verhindern die Probleme effektiv zu lösen. Robinson bringt zwar überzeugende Argumente in Stellung, die seinen Pessimismus untermauern, aber vielleicht sieht er die Situation der Erde dennoch etwas zu schwarz.
Auch was den sonstigen technischen Fortschritt betrifft, ist Robinson, wenn man einmal von den Geotechniken absieht, erstaunlich konservativ. Der Computertechnik zum Beispiel, wird nur relativ geringes Entwicklungspotential zugestanden. Keine Spur von der technischen Singularität, die von anderen Techno-Propheten wie Ray Kurzweil und Co. beschworen wird und von SF-Autoren wie Charles Stross beschrieben. Von Computern, die die Menschheit als führende Intelligenz bereits abgelöst haben, ist in seiner Vision kein Platz. Ebenso scheint seine Vision weitgehend auf die zu erwartenden Weiterentwicklungen in Wissenschaft und Technik aufzubauen. Eine neue Physik, ein Paradigmenwechsel, der alles Bekannte revolutioniert und in neuem Licht erscheinen lässt, ist bei Robinson nichts zu sehen. Das alles mag vielleicht realistisch sein, wirkt aber bei einer derart weit gespannten Vision auch etwas zaghaft und ich hätte ich mir da mehr Mut von ihm gewünscht.
Was man dem Roman aber wirklich vorwerfen kann, ist, dass ihm eine überzeugende Dramaturgie fehlt. Streckenweise liest sich der Roman wie eine Aneinanderreihung nur lose miteinander zusammenhängender Episoden - ein Episoden-Roman - aber nicht wie eine auf einen oder mehrere dramatische Höhepunkte hin konstruierte Erzählung. Dadurch fällt es bei der Länge des Romans schwer die ganze Zeit mit voller Konzentration bei der Sache zu sein. Es gibt natürlich schöne Abschnitte mit geradezu malerischen "Landschafts"-Beschreibungen fremder Himmelskörper, und das Buch ist vollgepackt mit spannenden Informationen über die Erfolge und Misserfolge der Menschheit in den nächsten drei Jahrhunderten. Der ganze Roman ist damit auch ein Dokument von Robinsons Belesenheit, die manchmal vielleicht etwas zu belehrend daherkommt, mich persönlich aber nicht stört. Leerlauf, wie der wochenlange Fußmarsch im Rettungstunnel auf dem Merkur, dagegen schon eher.
Eine eigenständige und vielleicht sogar spannende Handlung scheint Robinson nur am Rande zu interessieren. Die Aufdeckung des Komplotts der Qubes wird so beiläufig geschildert, dass ich kaum glauben konnte, dass das je ein Problem gewesen sein soll. Die an der Verschwörung direkt Beteiligten werden in einer Nacht- und Nebel-Aktion sonnensystemweit verhaftet, anschließend kurzerhand in ein interstellares Raumschiff (ein umgebauter Asteroid) verfrachtet und auf eine Reise ohne Wiederkehr verschickt. Problem gelöst. Die Suche nach den Urhebern des Attentats auf Terminator, die Robinson als Geschichte ausgibt, hat damit ihre Alibifunktion als Romanhandlung erfüllt - als befriedigende Erzählung aber versagt. Und warum die Ereignisse des Schlüsseljahres 2312 nun jenen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit bedeuten, wie es die historischen Einschübe immer wieder betonen, wird ebenfalls nicht deutlich herausgearbeitet. Das empfinde ich schon als eine Schwäche des Romans.
Aber Robinson scheint ja auch ein Autor zu sein, der das Leseinteresse lieber aus seinen Ideen ziehen möchte. Was mir durchaus gefällt. Aber vielleicht wäre dann eine andere (und kompaktere) Form als ein Roman geeigneter gewesen diese Visionen zu präsentieren. Diese Geschichte hier, die Robinson sich dafür ausgedacht hat funktioniert dagegen nicht. Sie erfüllt ihren Zweck als loses Handlungsgerüst, aber nicht mehr. Ein bisschen schade für ein so grandioses Zukunftsszenario, das man so glaubwürdig beschrieben nicht häufig in der SF zu lesen bekommt. Was könnte man da alles für Geschichten erzählen ...
LG Trurl
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#45
Geschrieben 08 Dezember 2013 - 22:24
#46
Geschrieben 01 Juli 2014 - 09:13
#47
Geschrieben 01 Juli 2014 - 14:45
Gerade "vor dem Hintergrund" von 2312 könnte Dir "Roter Mars" vermutlich gefallen. Robinson liegt erzählerische Breite. Wenn das ein Leser goutiert, kann er wunderbar in die Geschichte "eintauchen". Am Anfang wird es einen Hauch zäh, da muss man durch. In der Folge wird man man aber belohnt. Vielleicht nicht DAS SF-Meisterwerk des 20. Jhdts. schlechthin, aber eine grundsolide, schön erzählte Geschichte.Im Nachgang zu "2312" habe ich Robinsons "Die eisigen Säulen des Pluto" (Originaltitel: "Icehenge" in Anspielung auf Stonehenge) von 1984 gelesen. Wem "2312" gefallen hat, der wird auch hier seine Freude haben. Ich bemerke das mal in diesem Thread, da es einige Parallelen in beiden Büchern gibt.
Die Handlung ist wieder auf das Sonnensystem, seine Erschliessung und gesellschaftliche Verflechtungen beschränkt. Es kommen keine Aliens vor und auch die dargestellte Technik bewegt sich wieder im Bereich einer denkbaren Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft. Auch eine Person namens "Swann" kommt wieder vor und ein ausgehöhlter Asteroid ebenso. Ein Teil der Handlung spielt auf dem bereits besiedelten Mars, im Saturnorbit und eben auf dem Pluto. Es gibt eine Menge Sense of Wonder und - wie von Robinson gewohnt - wunderbare Landschaftsbeschreibungen. Durch den auf etwa 300 Seiten beschränkten Umfang des Buches gibt es kaum Langatmigkeit. Der Schreibstil ist durchaus auch heute noch gut lesbar, die Handlung wird etwas konsequenter zum Abschluss gebracht.
Gibt es jemanden, der zu Robinsons "Roter Mars" eine Leseempfehlung geben kann? Mich würde das vor dem Hintergrund von "2312" interessieren.
LG
Jakob
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#48
Geschrieben 01 Juli 2014 - 15:13
Ich weiß gar nicht, was alle mit dem Mars haben. Ich mag den Mars nicht. Deshalb bin ich auch gegen jede bemannte Marsexpedition. Wäre ein reines Selbstmordunternehmen. Es gibt keinen Planeten der uninteressanter ist. Heute. Vor 2 Milliarden Jahren mag das anders gewesen sein. Da hatte er noch eine Magnetfeld. Und Wasser. Aber jetzt ist das eine öde Wüste. Unbewohnbar. Auch jedes Terraforming wäre nur von begrenzter Dauer, da sich eine Atmosphäre ohne Magnetfeld einfach nicht halten läßt. Irgendwann würde die vom Sonnenwind weggeblasen. Es gibt eine nette Pirx-Geschichte (Ananke) die auf dem Mars spielt, da wird die angebliche Faszination des Mars, vor allem die des 19. Jahrhunderts (Stichwort: Marsianer und Marskanäle), auf schöne Art dekonstruiert.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 01 Juli 2014 - 15:14.
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#49
Geschrieben 01 Juli 2014 - 16:28
#50
Geschrieben 31 Januar 2017 - 11:48
[ .... ] Ich möchte noch besonders hervorheben, daß der Autor sich neben Kunst insbesondere von den heutigen Erkenntnissen der Astronomie inspirieren lässt. [ .... ] Wer sich die Bilder der Raumsonde "Cassini" von Iapetus ansieht und über etwas Phantasie verfügt ahnt, welche Bilder einem hier vor Ort begegnen könnten. Eben dieses Träumen leistet Robinson in seinem Buch. [ .... ]
Die NASA hat im Januar Bilder der sogenannten "Keeler-Lücke" in den Saturnringen veröffentlich, die u.a. durch die Schwerkraft des Mondes "Daphnis" geschaffen wird. Hier kommt es zu wellenartigen Verformungen der Ringstruktur, hier die Bildveröffentlichung:
https://saturn.jpl.n...resources/7589/
Robinson beschreibt in "2312" eindrücklich eine Szene des Surfens von Raumfahrern im Ring auf Wellenstrukturen. Die Morphologie der Lücke war schon früher bekannt, ist aber hier eindrucksvoll belegt.
#51
Geschrieben 01 März 2019 - 12:01
Im Nachgang zu "2312" habe ich Robinsons "Die eisigen Säulen des Pluto" (Originaltitel: "Icehenge" in Anspielung auf Stonehenge) von 1984 gelesen. Wem "2312" gefallen hat, der wird auch hier seine Freude haben. Ich bemerke das mal in diesem Thread, da es einige Parallelen in beiden Büchern gibt. Die Handlung ist wieder auf das Sonnensystem, seine Erschliessung und gesellschaftliche Verflechtungen beschränkt. Es kommen keine Aliens vor und auch die dargestellte Technik bewegt sich wieder im Bereich einer denkbaren Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft. Auch eine Person namens "Swann" kommt wieder vor und ein ausgehöhlter Asteroid ebenso. Ein Teil der Handlung spielt auf dem bereits besiedelten Mars, im Saturnorbit und eben auf dem Pluto. Es gibt eine Menge Sense of Wonder und - wie von Robinson gewohnt - wunderbare Landschaftsbeschreibungen. Durch den auf etwa 300 Seiten beschränkten Umfang des Buches gibt es kaum Langatmigkeit. Der Schreibstil ist durchaus auch heute noch gut lesbar, die Handlung wird etwas konsequenter zum Abschluss gebracht. [ .... ]
Mittlerweile auch wieder als EBook erhältlich (als Buchausgabe nur mehr antiquarisch):
https://shop.randomh..._des_pluto.html
Auch mit einem oder mehreren dieser Stichwörter versehen: 2312, Lesezirkel, Kim Stanley Robinson
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