Da fällt mir ein, dass ich zu dem Buch ja auch noch ein paar Zeilen schreiben wollte ...
Robinsons Roman entfaltet ein großartiges mögliches Zukunftspanorama einer zukünftigen Menschheit, die sich inzwischen im ganzen Sonnensystem ausgebreitet hat, den Mars terraformt hat, die Monde des Jupiter und Saturns bewohnt, sowie dabei ist, die Venus zu terraformen. Trotz all der gesellschaftlichen Umwälzungen und technischen Möglichkeiten hat sich die menschliche Gesellschaft (noch) nicht so sehr von unserer Gegenwart entfernt, dass sie für uns unverstehbar geworden wäre. Eine Reihe von Problemen, mit denen wir uns auch heute herumschlagen, sind auch auf der Erde dieser Zukunft weiterhin ungelöst. Die Überbevölkerung, die ungleiche Verteilung der Ressourcen unter den Staaten (die es ebenfalls noch gibt) und der Unterschied von Arm und Reich, bestehen weiterhin. Der Unterschied der Lebensverhältnisse und der Lebensstandards wird am Offensichtlichsten zwischen Weltraum- und den Erdbewohnern. Während im Weltraum die Zukunft der Menschheit geplant und realisiert wird, stagniert die Gesellschaft auf der Erde und kann sich aus dem Griff ihrer Geschichte nicht lösen. Hauptproblem mit dem sich die Erdbevölkerung auseinandersetzen muss, sind immer noch die Folgen der globalen Erwärmung, die die Erdoberfläche, vor allem die Küstenregionen großräumig umgestaltet haben. Trotz der gewaltigen technischen Möglichkeiten u.a. der des Terraformings, mit dem im Weltraum erfolgreich die Monde des Jupiter und die Planeten Mars und Venus bewohnbar gemacht wurden und werden, versagen alle derartige Bemühungen auf der Erde, der Erderwärmung und ihrer Folgen Herr zu werden.
Trotz allem ist Robinson ein Optimist, der der Menschheit eine Zukunft prophezeit, die vielleicht nicht ohne Probleme sein wird, aber lebenswert ist. Diese Zukunft, sieht er vor allem im Weltraum und es sind auch vornehmlich die Weltraumgesellschaften, die die Entwicklung, den Fortschritt vorantreiben, in denen die Veränderungen der Sozialstrukturen stattfinden. Während auf der Erde die Beharrungskräfte der irdischen Geschichte, jahrtausende alte Traditionen und Religionen, sowie das Besitzstandsdenken der Eliten und Wohlhabenden immer noch verhindern die Probleme effektiv zu lösen. Robinson bringt zwar überzeugende Argumente in Stellung, die seinen Pessimismus untermauern, aber vielleicht sieht er die Situation der Erde dennoch etwas zu schwarz.
Auch was den sonstigen technischen Fortschritt betrifft, ist Robinson, wenn man einmal von den Geotechniken absieht, erstaunlich konservativ. Der Computertechnik zum Beispiel, wird nur relativ geringes Entwicklungspotential zugestanden. Keine Spur von der technischen Singularität, die von anderen Techno-Propheten wie Ray Kurzweil und Co. beschworen wird und von SF-Autoren wie Charles Stross beschrieben. Von Computern, die die Menschheit als führende Intelligenz bereits abgelöst haben, ist in seiner Vision kein Platz. Ebenso scheint seine Vision weitgehend auf die zu erwartenden Weiterentwicklungen in Wissenschaft und Technik aufzubauen. Eine neue Physik, ein Paradigmenwechsel, der alles Bekannte revolutioniert und in neuem Licht erscheinen lässt, ist bei Robinson nichts zu sehen. Das alles mag vielleicht realistisch sein, wirkt aber bei einer derart weit gespannten Vision auch etwas zaghaft und ich hätte ich mir da mehr Mut von ihm gewünscht.
Was man dem Roman aber wirklich vorwerfen kann, ist, dass ihm eine überzeugende Dramaturgie fehlt. Streckenweise liest sich der Roman wie eine Aneinanderreihung nur lose miteinander zusammenhängender Episoden - ein Episoden-Roman - aber nicht wie eine auf einen oder mehrere dramatische Höhepunkte hin konstruierte Erzählung. Dadurch fällt es bei der Länge des Romans schwer die ganze Zeit mit voller Konzentration bei der Sache zu sein. Es gibt natürlich schöne Abschnitte mit geradezu malerischen "Landschafts"-Beschreibungen fremder Himmelskörper, und das Buch ist vollgepackt mit spannenden Informationen über die Erfolge und Misserfolge der Menschheit in den nächsten drei Jahrhunderten. Der ganze Roman ist damit auch ein Dokument von Robinsons Belesenheit, die manchmal vielleicht etwas zu belehrend daherkommt, mich persönlich aber nicht stört. Leerlauf, wie der wochenlange Fußmarsch im Rettungstunnel auf dem Merkur, dagegen schon eher.
Eine eigenständige und vielleicht sogar spannende Handlung scheint Robinson nur am Rande zu interessieren. Die Aufdeckung des Komplotts der Qubes wird so beiläufig geschildert, dass ich kaum glauben konnte, dass das je ein Problem gewesen sein soll. Die an der Verschwörung direkt Beteiligten werden in einer Nacht- und Nebel-Aktion sonnensystemweit verhaftet, anschließend kurzerhand in ein interstellares Raumschiff (ein umgebauter Asteroid) verfrachtet und auf eine Reise ohne Wiederkehr verschickt. Problem gelöst. Die Suche nach den Urhebern des Attentats auf Terminator, die Robinson als Geschichte ausgibt, hat damit ihre Alibifunktion als Romanhandlung erfüllt - als befriedigende Erzählung aber versagt. Und warum die Ereignisse des Schlüsseljahres 2312 nun jenen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit bedeuten, wie es die historischen Einschübe immer wieder betonen, wird ebenfalls nicht deutlich herausgearbeitet. Das empfinde ich schon als eine Schwäche des Romans.
Aber Robinson scheint ja auch ein Autor zu sein, der das Leseinteresse lieber aus seinen Ideen ziehen möchte. Was mir durchaus gefällt. Aber vielleicht wäre dann eine andere (und kompaktere) Form als ein Roman geeigneter gewesen diese Visionen zu präsentieren. Diese Geschichte hier, die Robinson sich dafür ausgedacht hat funktioniert dagegen nicht. Sie erfüllt ihren Zweck als loses Handlungsgerüst, aber nicht mehr. Ein bisschen schade für ein so grandioses Zukunftsszenario, das man so glaubwürdig beschrieben nicht häufig in der SF zu lesen bekommt. Was könnte man da alles für Geschichten erzählen ...
LG Trurl