Ich habe dann mal die ersten sechs Storys gelesen (und erwarte quasi, dass Lapismont mich deswegen wieder foppt )
Story 1
Ivan Ertlov: Die Membran
Hat Sam eigentlich schon passend zusammengefasst, sogar detaillierter als ich es getan hätte.
Sprache: Sehr gut lesbar, ich bemerke die hohe Professionalität.
Stil: Zu viel Infodump und zu wenig szenisch, viel zu beschreibend, Weltenbau nimmt für mich zu viel Raum ein, hätte runtergedampft werden können.
Klischees: Nicht direkt, aber es war mir zu viel vom Altbekannten, zu wenig Neues, der Plot hat mir wenig geboten, das ich nicht schon sehr oft gelesen habe.
Physik (oder Naturwissenschaft/Sozialwissenschaft im Allgemeinen), Weltenbau: Das war alles okay.
fügt dem SF Kanon etwas hinzu? Eben nicht, nein, und das bemängele ich in der Hauptsache. Es bedient nur bekannte Tropen.
A Story: Protagonistin sorgt für Gerechtigkeit / gerechte Aufteilung der Ressourcen
B Story: Kann man als Kritik an unserer jetzigen Welt sehen, wenige Reiche, viele Arme. Nur dass ein Gleichverteilen in unserer jetzigen Realität weniger simpel wäre.
Prämisse: Alle Menschen sind gleich viel wert und sollten daher auch gleich viel haben
Fazit:
Ist zwar alles gut und richtig und gut geschrieben, hat mir aber als Vielleserin zu wenig Neues geboten, hätte ich nicht an den Anfang gesetzt.
Damit sage ich so ziemlich dasselbe wie meine Vorredner.
Story 2
Julia Freyer: Sweeper
Inhalt: Ich bin begeistert von dem Job des Erzählers Caleb und seinem Vater. Leichen nach Implantaten zu durchsuchen, wie geil! Mega cooler Cyberpunk. Was hätte man daraus machen können?
Klar, ist nicht die erste Story dieser Art, aber gibt es definitiv nicht zu viel.
Die Vorgeschichte mit der Mutter, na ja, die war doch arg mies. Das, was mir gefallen hat (da bin ich ganz bei Dieter), ist die Aufnahme, die sie von der Todesnachricht gemacht hat. Das ist Gänsehaut. Sehr gut!
Ansonsten sehe ich nicht ein (und hier wären wir bei “Stil”), wieso man die Geschichte so erzählen muss, mit lauter Infodumps. Kann man die beiden nicht einfach bei der Arbeit zeigen? Der Rückblick mit der Mutter war ja gut. Und auch, dass Caleb ohne Implantate nicht lebensfähig gewesen wäre.
However, die Dialoge sind oft grausig. “Du verdienst den Tod” - das sagt der Vater zur Mutter? Mensch, hätte er nicht etwas sagen können, das sich anhört wie etwas, das jemand in gesprochener Sprache auch wirklich sagen würde?
Aber nach ihrem Tod kommt ja auch nur die Sache mit dem “besseren Ort” (wer kann das eigentlich noch hören?), also ist er vielleicht einfach einfallslos als Figur.
Es gibt mir ein bisschen zu viel Autoren-Kommentare (“die harte Realität”), ich muss und will hier nicht so doll an die Hand genommen werden.
Dann hätte man doch die Leichenfledderei plastischer beschreiben können, oder? Ich meine, wann gibt ein Plot einem schon mal die Möglichkeit! (Händereib) Da hätte ich Bock drauf gehabt.
Stattdessen essen sie einfach nur ständig zu Abend.
Als Caleb vor dem Vater verheimlicht, dass er die Implantate gefunden hat, kam kurz Spannung auf. Aber dann der Schluss - nee, das war unbefriedigend.
Fügt es dem SF Kanon etwas hinzu? Das fand ich rein thematisch schon, war interessant.
Erzählung und Inszenierung: Anderer Aufbau und anderer Schluss und es hätte eine Hammer-Story sein können.
Mein Worst-Of Dialogstück ist übrigens dieses hier: “Nach so viel Zeit alleine mit deinem alten Herrn, musst du mal wieder unter Gleichaltrige”
Ach ja, und wieder Kuppelstädte (auch wenn das hier nicht so sehr im Vordergrund stand), die beiden Storys hätte ich nicht direkt hintereinander gebracht.
Story 3
Thomas Heidemann: Miokalypse
Inhalt: Ich kann schon mal sagen, auch wenn ich hier einiges einzuwenden habe, die Story hätte ich zumindest auch gebracht und auch ohne große Eingriffe. Das ist zwar keine Spitzenstory, aber machen wir uns nichts vor, so viele Spitzenstorys hat unsere Szene auch nicht zu bieten.
Klar, wieder Pilze und auch ich habe Ferne Horizonte gelesen.
Mich hat es aber eher an Kingfishers What moves the dead erinnert, was ein deutlich besseres Vorbild für coole Pilzgeschichten ist.
Die Hauptfigur, Gert, ist krass unsympathisch. Keine Empathie für Katzen (dabei hat sich der Autor, ein mehrfacher Katzenhalter, sicher etwas gedacht), lässt ein Zwergkaninchen fast verhungern und sein einziger Einfall dazu ist auch noch, dass das Kaninchen schließlich auch nicht viel dafür getan hätte, von ihm geliebt zu werden.
Erwachsen, aber noch recht abhängig von der Mutter, uninteressiert an der laufenden Husten-Epedimie, das volle Programm der Gehässigkeit.
Es fängt ganz lebensecht an mit einer zu hohen Hecke (das kenne ich nur zu gut aus meinem eigenen Leben) und geht dann deutlich phantastischer weiter, fast ein wenig Horror-mäßig.
Das fand ich an sich alles recht cool. Etwas langatmig vielleicht.
Der Schluss hingegen … der hatte nichts. Er macht die Mutter auch noch unsympathisch und mit den letzten Sätzen konnte ich nichts anfangen. Eine Entwicklung aus dem Nichts, total unerklärt? Da hätte ich mir was anderes gewünscht. Ich hätte ja fast erwartet, dass der Lindenblütentee noch mal eine stärkere Rolle bekommt, so prominent, wie der zweimal vorher erwähnt war.
So, und jetzt hoffe ich, Dieter hat mit dem Flüsterwald nicht zu viel versprochen …
Story 4
Astrid J. Wittenberg: Der Flüsterwald
Waterworld meets uralte Morla. Sorry, der musste jetzt sein. (Edit, ich sehe gerade, Roland hatte genau dieselben Assoziationen, ich fühle mich verstanden.)
Okay, gegen Ende hin wird’s besser, atmosphärischer und der Weltenbau passt für mich eigentlich die ganze Zeit, ist sogar gut.
Aber die Figuren bleiben mir fremd, meilenweit. Der Plot ist … na ja, dünn für mich als Leserin, es geht ständig um riesengroße Dinge, die mir aber nicht weiter nahe gebracht werden. Da wäre etwas weniger “Gewaltiges” und dafür aber emotional näher gebracht besser gewesen.
Ich stimme aber Dieter zu, die Story wäre als Einstieg besser gewesen, da sie thematisch sehr gut zur Anthologie passt.
Nachtrag, nachdem ich Dieters Rezension gelesen habe:
Ja, das mit den Nägeln war ganz nice. Aber echt nicht neu. Postapokalypse ist eines meiner Lieblings-SF-Genres und ich habe immens viel dazu gelesen, auch Dinge, die extrem alt sind. Und da habe ich das alles schon mal viel besser gelesen, eindrucksvoller. Sogar in der Serie The Walking Dead ist dieses “Was weg ist, ist weg” Thema, oder bei The Stand kommt das sehr eindrucksvoll, dass es keine neuen Platten, keine neuen Bücher geben wird.
Ich bin hier vielleicht schwer zu kriegen, sorry. Aber ja, lesenswert war die Story definitiv!
Als nächstes kommt Dieters Story. Ich hoffe, es wird besser, denn bisher habe ich das Gefühl, dass ich eigentlich gar keine SF Kurzprosa mag. :-)
Story 5:
Dieter Korger: Der Exodus der Welwitschias
Hier gibt es immerhin Spannung und auch quasi keinen Infodump. Ich könnte den Figuren etwas früher näher kommen, später im Text klappt das aber noch ganz gut, vor allem mit der weiblichen Figur, Augustine (Stichwort Vater in Deutschland).
Die Sichtweise ist sehr westlich (dank der Figuren) und ihre Art, mit und über die Einheimischen zu sprechen, hat mir nicht immer gut gefallen. Allerdings wird das am Ende gut aufgelöst.
Erzählt ist es gut - der Plot war mir nur ein bisschen zu bekannt am Ende. Klar, das mit den Pflanzen war schon irgendwie cool. Plus, dass es sie wirklich gibt, hat mir gefallen. Coole Idee. Gebracht hätte ich die Story definitiv auch! Ich finde die Story aus Ferne Horizonte dieses Autors aber besser und wenn’s an den KLP geht, ist das dann eher der heiße Kandidat für mich.
Aber dieses Thema “Aliens retten uns oder hätten uns fast gerettet, aber wir Menschen waren mal wieder zu blöde” gab es irgendwie für mich schon zu oft und selbst mich nerven allmählich die vielen Klima-Dystopien (OMG, ich klinge mehr und mehr wie Uwe Post!).
Trotzdem bisher vom Aufbau und von der Struktur, der Umsetzung der Ideen bisher die interessanteste Story.
Story 6:
Asmodina Tear & Markus Heitkamp: Maria
Vorschusslorbeeren hatte die Story für mich, da ich Heitkamps Kaiju-Roman sehr cool fand. Aber … nein. Ich habe irgendwo mittendrin abgebrochen. Sowas lese ich nicht mehr. Der religiöse Kram ging mir extrem auf die Nerven (und ja, auch wenn es sicher nicht Pro-Religion war, hat mich trotzdem gestört) und es war mir viel zu unzusammenhängend und einfach (sorry, Offenheit:) Langweilig.
Hat mich nicht interessiert.
Ich will nur noch Kurzgeschichten lesen, die mindestens lesenswert sind und leider habe ich auch ein wenig das Vertrauen in diese Anthologie verloren, auch wenn die Storys drei bis fünf mindestens lesenswert waren.