Robert Koller: Mückenstich im Hirn
Die Ich-Erzählerin ist nicht handelnde Figur, sondern Chronistin des Geschehens. Damit kann ich leben. Pluspunkte gibt es von mir für die teils schnoddrige Sprache. Minuspunkte verteile ich für die hauptwortlastigen Sätze, die immer wieder auftauchen und mich an Behördendeutsch erinnern.
Das Thema „Mensch greift in ein komplexes System ein und wird von den negativen Folgen überrascht“ ist nicht neu. Menschenversuche an Strafgefangenen auch nicht. Ebensowenig, dass die Reichen und Mächtigen Arbeitssklaven erschaffen wollen. Oben gegen unten. Ein Klassiker. Nachdem die Armut während der Corona-Pandemie zugenommen hat und die Mittelschicht seit Jahren schrumpft, bleibt die Thematik aber aktuell.
Das ist alles ist übersteigert wie in einem Comic, und deswegen funktioniert es auch für mich.
Am Ende geht mir jedoch das verloren, was man als „willentliche Aussetzung des Unglaubens“ bezeichnet: Aus einem Labor dieser Sicherheitsstufe entweicht kein Gas. Selbst wenn, so hat das keine weltweiten Auswirkungen. Auch glaube ich nicht, dass dadurch so viele Mutationen entstehen würden. In den Augenblick kippt die Geschichte für mich in Richtung Fantasy. Allerdings spielt auch Jack Vances Dying Earth in ferner Zukunft und weist starke Fantasy-Elemente auf.
Als Vorgeschichte taugt Mückenstich im Hirn, aber als eigenständige Erzählung ist mir die Geschichte zu dünn. Trotzdem zähle ich sie zu den besseren Erzählungen der Anthologie.
Oliver Gross: Die Auflehnung
Die Hauptfigur ist Kriegsveteran, hat künstliche Glieder und wird von Vertretern der Geld-Elite verspottet, weil die Prothesen nicht richtig funktionieren. Das schafft Sympathie, denn ich mag Charaktere, die vom Leben eins draufgekriegt haben: Underdogs. Denen drücke ich immer die Daumen.
Leider bleibt Francis Murphy passiv. Ihn ereilt der Ruf zum Abenteuer in Gestalt von Kay Cooper. Francis weigert sich zunächst, gibt aber dann nach. Der Beginn der Heldenreise. Leider endet die Geschichte genau dort, wo sie interessant wird. Für mich ist sie damit ein Fragment.
Emily Poschner: LYE
Der Partner von Nui stirbt an schlechtem Stoff. Guter Einstieg. Nui erfährt, dass die Familie die Unterschicht durch eine tödliche Variante der Droge Lye ausmerzen will. An genau dem Zeug ist Nuis Partner krepiert. Das gibt der Hauptfigur die Motivation, sich an einer Revolte zu beteiligen. Leider scheitert das Vorhaben daran, dass ein Charakter überreagiert. Die weiteren Ereignisse bleiben offen.
Auch der Familie sollte es klar sein, dass der Gesellschaft haufenweise Arbeitskräfte fehlen werden, falls die Familie die Unterschicht mit tödlichem Lye ausrottet. Das gesamte Wirtschaftssystem würde an den Rand eines Kollapses getrieben. So blöd kann die Familie nicht sein.
Die Geschichte überzeugt mich nicht.
Nina Casement: Bugs
Das ist für mich Cyberpunk. Implantate, ein krimineller Hauptcharakter und eine Gesellschaft, in der es zwischen Arm und Reich eine gewaltig Kluft gibt.
Im Krieg der Welten scheitern die Invasoren vom Mars an den irdischen Mikroben. In Bugs hat die Menschheit Kleingetier unterschätzt und erhält jetzt die Quittung, die vermutlich die Gesellschaft zusammenbrechen lässt.
Bugs hebt sich vom Rest ab und ist für mich die beste Geschichte der Antho, auch wenn ich sie an einigen Stellen als sprachlich sperrig empfunden habe.
Nachtrag zu Symbiose:
Parasiten und Symbionten sind nicht das Gleiche, daher sollten die Begriffe nicht synonym verwendet werden. Ein Parasit lebt auf Kosten des Wirtskörpers, ein Symbiont jedoch nicht.
Zombie-Jockey
Ein Dialog, bei dem man sich die Antworten des Gesprächspartners dazudenken muss. Funktioniert. Nette Idee. Solide.
Für mich sind die besten drei Erzählungen Bugs, Letzte Hoffnung und Myokalypse. Absoluter Tiefpunkt: Maria. Die Idee dahinter hätte eine deutlich bessere Umsetzung verdient.
Gesamtbewertung: unterdurchschnittlich.
Bearbeitet von J. A. Hagen, 18 November 2023 - 10:44.