Hofmanns Leseliste Spätsommer / Herbst 2023
Das mit der monatlichen Berichterstattung in Sachen Lektüre scheint derzeit nicht so recht zu klappen bei mir. Vielleicht, weil es sich nicht lohnt? Oder habe ich was anderes zu tun? (Auf jeden Fall: NEUER STERN basteln, auch mal wieder was gezeichnet – wobei das mehr sein könnte! )
Ich lass mich treiben. Was zur Folge hat, dass ein paar Bücher angelesen einen eigenen Stapel bilden. Aber ich hab ja noch so viel Zeit – habe ich die?
Jedenfalls treibt mich derzeit ein neues Projekt an. Im April hat unser SF-Club in Halle seinen 35. Geburtstag. Irgendwie muss sich das auch im NEUEN STERN widerspiegeln. Da kam mein Mitstreiter beim NEUEN STERN und ASFC-Mitglied Peter Schünemann auf die Idee, ein Schwerpunktthema zu machen. Es soll um uns, um den ASFC und um das „letzte Jahr der DDR-SF“ gehen. In der Zeit haben wir uns gegründet und sind dann ja gleich in den Wende-Tumult hineingestrauchelt – was für uns als SF-Fans ja nicht mal so übel war – neue Welten und so…
Jedenfalls lese ich jetzt verstärkt auch SF, die so 1989/90 in DDR-Verlagen erschien. Die „richtigen“ Rezis dazu gibt’s dann in der 100. Ausgabe des NEUEN STERNS, im April (oder Mai) 2024.
Die Übersicht der Titel:
Ursula K. Le Guin: „Keine Zeit verlieren“ - 7 / 10 Punkte
Paddy Chayefsky: „Die Verwandlung des Edward J.“ - 9 / 10 Punkte
Ned Beauman: „Der Gemeine Lumpfisch“ - 10 / 10 Punkte
Stefan Grabinski: „Dunst“ - 8 / 10 Punkte
Jeremej Parnow: „Das Tal der sieben Glückseligkeiten“ - 10 / 10 Punkte
Franz Fühmann: „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ - 8 / 10 Punkte
Frank Geissler: „Tausend Jahre bis zur Morgendämmerung“ - 7 / 10 Punkte
Jörg Weigand: „Isabella oder Eine ganz besondere Liebe“ - 9 / 10 Punkte
Roland Topor: „Der Mieter“ - 9 / 10 Punkte
Jean-Pierre Andrevon und Philippe Cousin, „Das Haus gegenüber“ - 10 / 10 Punkte
Alphonse Brutsche: „Tödliche Kälte“
Alphonse Brutsche: „Der Totentanz“
Jean-Pierre Andrevon: „Neutron“ - 10 / 10 Punkte
Roland Topor: „Memoiren eines alten Arschlochs“
C. U. Wiesner: „Die Geister von Thorland“ - 7 / 10 Punkte
Im Detail:
Ursula K. Le Guin: „Keine Zeit verlieren“
Essay-Sammlung. Besser: Sammlung ihrer späten Blog-Einträge.
Also, ich weiß nicht, so dolle war das nicht, fand ich. Ganz nett, Plaudereien der schon älteren Autorin. Vielleicht habe ich zu viel erwartet? Ja, ein paar Bemerkungen zum Literaturbetrieb fand ich erhellend, aber wenn sie dann über ihre Katzen schreibt, bin ich raus. (Ich mag die Überrepräsentanz von Katzen im Internet einfach nicht).
7 / 10 Punkte
Paddy Chayefsky: „Die Verwandlung des Edward J.“
Das ist das Buch zu „Der Höllentrip“ von Ken Russell – ach nee, stimmt so nicht. Denn das ist die Verfilmung des Romans. Aber da Roman und Drehbuch vom gleichen Autor stammen, dürfte das kein Grund zur Verwirrung sein. Konnte auch feststellen, dass selten Buch und Film so gleich sind wie hier. Obwohl der Autor mit Russells Arbeit wohl nicht so zufrieden war, sich deshalb im Abspann auch nur unter Pseudonym nennen ließ, stimmen Handlung, Figuren und Aussage ziemlich überein. Im Buch ist der Protagonist vielleicht noch eine Note unsoziale, mieser, daher rücksichtsloser, fanatischer. Kann das aber gut begründen und quasi entschuldigen.
Es geht hier um ein psychisches Experiment – um das Erwecken uralter „vererbter“, seelischer und vor allem Bewusstseinszustände. Der Protagonist schafft es, sich in eine vergangene Epoche zu versetzen, wird regelrecht zum Vormenschen und „erlebt“, was die Welt, das Universum zusammenhält. Ja, nicht weniger. Das kriegt er mit Isolationstank-Besuchen und einer mexikanischen Drogenmischung hin. Und mit Selbstaufgabe; aber am Ende siegt die Liebe – was dann wieder irgendwie nicht passte.
Unterm Strich ist der Film für meinen Geschmack sogar besser als das Buch; ist auch der einzige Roman des Drehbuch- und Theaterautors.
9 / 10 Punkte (aber vor allem für den Film!)
Ned Beauman: „Der Gemeine Lumpfisch“
Der Roman stand schnell auf meiner Wunschliste, da ich den Autor meisten großartig finde, also, was er schreibt, und ich zweitens das Thema irgendwie dolle interessant fand. Nun habe ich ihn wieder von der Liste gestrichen. Huch, was ist passiert? Nichts Schlimmes, im Gegenteil. Inzwischen hat BR 2 das Buch komplett als Hörbuch für den Rundfunk und die ARD-Audiothek umgesetzt. Gelesen von Stefan Kaminski. Man kann also das Buch für umme genießen. [Link]
Und das sollte man! Ich fand den Roman Spitze (der auch den Arthur C. Clarke Award 2023 erhielt)! Eine Nah-Zukunfts-Geschichte, in der es um die Folgen von 2-Grad-Erwärmung und Artensterben geht. Das alles wird satirisch angeboten, aber nicht ins Lächerliche gezogen. Der Roman ist voller interessantem Wissen, voller Ideen und zeigt eindrucksvoll und überzeugend, welche Folgen der Klimawandel so haben könnte. Teilweise skurril anmutende Folgen, aber alles durchdacht und – für mich – sehr überzeugend dargestellt.
Inhaltlich? Ach, hört doch selbst. (Außerdem verweise ich auch hier mal wieder gern auf den NEUEN STERN… Ausgabe weiß ich noch nicht, demnächst halt).
10 / 10 Punkte
Stefan Grabinski: „Dunst“
Hab ich mir vorgenommen: Alles (teilweise noch mal) von Grabinski zu lesen. Hier der Aufschlag, ein Suhrkamp-Band. Mal sehen, wie weit ich komme und was da alles so auf mich wartet. Es sind ja auch vor allem die Romane nicht auf Deutsch verfügbar, aber… na mal sehen…
„Dunst“ Reisender findet auf seinem verschneitem Weg Unterkunft. Dort leben 2 Personen, die nie zugleich in einem Raum sind. Eine verführerische Frau und eine hässliche Alte. Es geht viel um Sex und am Ende um Mord.
„In der Villa am Meer“ über einen Dichter und seinen reichen Freund und die telepathische Verbindung zu einem verehrten, toten Dichter.
„Der Dämon des Verkehrs“ irgendwie unentschiedene Story. En Mann wird getrieben zum Bahnfahren, weiß nie, wozu und wohin und trifft dann auf einen Geister-Schaffner.
„Feurige Hochzeit“ Feuer scheint neben Eisenbahnen eine andere Vorliebe des Autors zu sein. Und Sex auch. Hier geht’s um Sex und Brandstiftung. Der Mann kann mit diesen beiden Dingen gut umgehen, seine Partnerin eher nicht, sie treibts in den Wahnsinn.
„Im Abteil“ Zugfahren erweckt Kräfte, Lebensenergie, die Geschwindigkeit des Einbahnfahrens überträgt sich wohl auf die Physis des Protagonisten. Die Lebensenergie schlägt um in Sexualtreib und Mordlust. Der Protagonist ermordet Ehemann der Frau, die er besitzen möchte. Aber ohne Zugfahren auch kein große „Liebe“…
„Das wahnsinnige Gehöft“ Es geht um Psychische Mimikry – und den unheimlichen Einfluss eines Ortes auf die menschliche Seele. Ein rational denkender Vater bringt seine Kinder um, weil der Ort es so will.
„Der Schatten“ Über Schatten, die ein altes Verbrechen quasi gegenwärtig und erkennbar halten.
„Lokführer Grot“ Auch so eine Story über die unheimliche Wirkung der schnellen Bahnzüge. Die machen den Lokführer ganz wuschig, der wird eigenmächtig und macht mit „seinem“ Zug alles Mögliche, aber nix Gutes.
„Die Siedlung der Rauchschwaden“ Eine handfeste Abenteuerstory, die in die amerikanische Wildnis führt. Dort finden 2 europäische Forscher ein scheinbar verlassenes Dorf der Einheimischen. Es lebt dort nur noch der Häuptling, der aber nicht möchte, dass die Forscher dort bleiben. Nächtens spuken nämlich die Seelen der ehemaligen Dorfbewohner dort noch, in Form von Rauch ihrer Lagerfeuer. Endet pessimistisch mit Selbstmord des Häuptlings und der gierigste Europäer wird vom Rauch massakriert.
„Das Gebiet“ poetischste, philosophischste Story bisher. Über Dichter am Ende seiner Inspiration, seiner Phantasie, dem die allgemeine Anerkennung fehlt. (ein Selbstbild des Autors?) Zieht sich in Einöde zurück, in die innere Immigration, ins neue Gebiet der eigenen Gedankenwelt. Am Ende schwört er blutgierige Gespenster herauf, die ihn zu Tode bringen.
„Der irrsinnige Zug“ Ein Eisenbahnzug als Fliegender Holländer, quasi klassischer Gespensterstoff auf Schienen.
„Die Feuerstätte“ Über brandgefährlichen Ort, wo die Häuser immer wieder abbrennen. Eine Familie aus Warschau lässt sich nicht abschrecken, zieht dort hin, baut ein Haus. Geht auch lange Zeit gut, aber der Geist des Ortes wirkt auch auf diese scheinbar rationalen Seelen. Die Menschen verlieren sich im Wahnsinn und werden brutale Brandstifter.
„Projektionen“ Ein Architekt setzt sich zur Ruhe, in einem alten Kloster. Dort findet er Hinweise und geheime Gänge und den Schlüssel dazu – und am Ende den Tod.
„Zufall“ Ort eines geheime Liebestreffens ist die Eisenbahn. Enes Tages steigt aber zufällig der gehörnte Ehemann in das Abteil, wo sich gerade noch seine Frau und ihr Liebhaber trafen. Der Liebhaber ist noch dort und erkennt seinen Kontrahenten. Es kommt – zufällig – zum Tod des Ehebrechers…
„Der Rabe“ erinnert nicht nur dem Titel nach an Poe. Eine Mann ist verliebt in eine Tote, die mit 25 gestorben ist. Sie war die Nachkommin byzantinischer Kaiser und Frau eines Kaufmanns, der sehr eifersüchtig war. Der in sie Verliebte besucht immer ihr Grab. Dort ist auch ein Rabe, der ihn anschreit und dann auch attackiert. Der Mann erschießt den Raben – und zufällig stirbt auch der eifersüchtige Kaufmann, dem man unterschwellig die Schuld am Tod seiner jungen Frau nachsagt. Aber unser Grabgänger stirbt auch an den Folgen der Attacke.
„Der Blick“ Ein Mann spürt irgendwas nichts Gutes, das ständig hinter ihm lauert. Er dreht sich nie spontan danach um. Aber irgendwann doch, und dieser Eine Blick…
Diese Sammlung ist echt durchwachsen. Ein paar Stories sind handfeste Horror-Stories, andere eher Seelenstudien. Ein paar Geschichten kommen ungelenk daher, fangen mit einer Sache an, die aber nicht wirklich bis zum Ende verfolgt wird. Es gibt wundervolle Beschreibungen vor allem von Stimmungsbildern, dann aber auch ziemliche 08/15-Geister.
8 / 10 Punkte
Jeremej Parnow: „Das Tal der sieben Glückseligkeiten“
Das Buch liegt jetzt geschlagene 34 Jahre auf meinem SUB. Im nächsten Jahr wären es also 35 und da wird unser SF-Club (ASFC) auch 35 Jahre alt. Das soll uns Andromedianer Grund genug sein, an die Gründung des Clubs und an das letzte Jahr der DDR-SF zurück zu denken. Das Thema wurde für unseren „Rundbrief an die Freunde des ASFC“, den NEUEN STERN; vorgeschlagen.
Das hat mich elektrisiert. Was gab es denn in diesem letzten Jahr der DDR-SF überhaupt? Na ja, doch noch so einiges, und vieles davon ist im Tumult der „Wende“ nicht beachtet und gleich wieder vergessen worden. Bei den Büchern, die ich mir hierfür herausgesucht habe, konnte ich das schnell feststellen, dass die gar nicht mehr so auf dem Schirm der Leute sind, bzw. unbekannt.
Dieses Kompass-Büchlein liegt jedenfalls bei mir diese ca. 35 Jahre ungelesen. Ich hatte es mir noch gekauft, aber dann hat mich die „West-SF“ sozusagen davon abgelenkt.
Was soll ich sagen? Ich hatte mich nun anlassbezogen sehr auf die Lektüre gefreut. War dolle gespannt! Und? Bin auf keinen Fall enttäuscht worden! Das ist ja ein richtiges Kleinod, eine Perle der phantastischen Abenteuerliteratur!
Europäer suchen einen geheimnisvollen Ort im Tibet. Sie haben alle ihre Gründe und Motive, nicht immer lautere. Aber – das fiel schon mal auf – der Autor aus dem sozialistischen Lager bricht nicht gleich und vollständig den Stab über die „bösen Westler“, wobei sich durchaus schnell auch ein wirklich Böser unter ihnen herauskristallisiert.
Auf der Queste ereignen sich seltsame Dinge; alles erinnert durchaus an „Picknick am Wegesrand“; und richtig erklärt oder aufgeklärt wird nichts. Jede mitreisende Person erlebt am Ende ihr eigenes Wunscherfüllungs-Szenario.
Der Autor hatte sich wohl intensiv mit buddhistischer Weltanschauung / Religion beschäftigt. Und auch mit anderen aus dem tibetanischen Raum. Jedenfalls lässt er es wortgewaltig und einfühlsam einfließen. Einige Passagen haben etwas Esoterisches, was es damals in der DDR so kaum zu lesen gab. Aber auch heute liest es sich noch faszinierend. Ich bin echt begeistert!
10 / 10 Punkte
Franz Fühmann: „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“
Hörbuch, gelesen von Rudolf Jürgen Bartsch (was er sehr gut macht!)
Es selbst zu lesen, habe ich mich nicht getraut. Beim Anlesen kam es mir zu sperrig vor, kam nicht rein. Aber so, durch die morgendliche Stadt zur Arbeit wandernd, dem „assoziativen Gedränge“ zu lauschen (um mal Ernst Petz zu zitieren), machte großen Spaß.
Formal ist es eine Reisebeschreibung, über eine Reise als Schriftsteller nach Ungarn, eingeladen vom dortigen Schriftstellerverband. Dabei hat F.F. viel Muße und Zeit, über alles Mögliche nachzudenken, über Sprache, über Land & Leute, Geschichte, seine eigene Geschichte und Entwicklung vom Faschisten zu dem Menschen, der er in den 70er Jahren wurde.
Es ist viel Geplauder dabei, das zugegebener Maßen etwas über mich hinweg, an mir vorbei gerauscht ist. So hat es mir aber gefallen.
8 / 10 Punkte
Frank Geissler: „Tausend Jahre bis zur Morgendämmerung“
Hg. 1989 Verlag das Neue Leben Berlin. Erstlesung 2023 – für das Projekt 35 Jahre ASFC & das letzte Jahr der DDR-SF.
Der Band fällt ob seiner expressiven Gestaltung auf, die eher untypisch für SF ist. Aber was wussten wir in der DDR schon von SF?
Das Buch hat mich jetzt nach so vielen Jahren dann doch eher im Regen stehen lassen. Da ist garantiert sehr viel klausuliert und chiffriert formuliert. In meine Rezi für den NEUEN STERN habe ich versucht, es zu verstehen.
Aber sein Hauptanliegen ist die Psychologie - Beziehungskonflikte etc. Dabei sind die Geschichten für meinen Geschmack zu konstruiert, der SF-Part wirkt dann oft aufgesetzt.
Die längste und Titelstory hat mir noch am besten gefallen. In ferner Zukunft kommt man dem Rätsel des Verschwindens des fast schon mythischen ersten Gründers der ersten Konklave, eines außer-irdischen Besiedlungsprojektes, endlich auf den Grund. Der hat nämlich auf den Trümmern seiner Konklave ein System ritualisierten Dauerkrieges initialisiert, um nach 1000 Jahren ein unbegreifliches, ominöses Ziel zu erreichen. Ja, Nachtigall, ick hör dir trapsen… Wenn das mal keine Metapher auf sozialistische Heilsversprechen und Kritik am Dauer-Klassenkampf ist – oder war.
Ähnlich ist „Demontage“. Innere Emigration als Reaktion auf den pathologischen Dauerzustand der real-soz. Gesellschaft, mit suizidaler Perspektive?
„Zehn Prozent Risiko“ – oder, um es mit Oppenheimer zu sagen: Das Risiko ist fast Null. (aus dem Nolan-Film) Es geht um Kinderwunsch und um deren Erfüllung, für den man aber einen hohen Preis zahlen müsste. Oder: Was macht es mit einem, wenn man dank Hochtechnologie alles vorausschauen kann? Wird man dann gelassener mit der Zukunft umgehen?
In „Schwarze Kreuzungen“ verzweifelt ein Alien, der uns blöden Menschen eigentlich helfen möchte, mit unseren Psychosen und Beziehungskonflikten ins Reine zu kommen. Das schafft kein Außerirdischer! Nicht mal mit Harmonisator.
Insgesamt ein durchmischtes Lektüreerlebnis. Damals hätte ich es bestimmt abgebrochen, heute wollte ich wenigsten wissen, wie es ausgeht. Mir zu viel neben dem SF-Plot, leider auch für mich zu Irrelevantes.
7 / 10 Punkte
Jörg Weigand: „Isabella oder Eine ganz besondere Liebe“
„Eine Novelle aus heutiger und vergangener Zeit“, Verlag Hubert Katzmarz, 1993
Gelesen aus Gründen… Ach, ich mag diesen Ausdruck so gar nicht, will aber noch nicht erzählen, welche Gründe hier vorliegen.
Es ist eine helle Vampirstory, sozusagen. Sie spielt an einem realen Ort (ich war dort, extra!), sie spielt mit realen Begebenheiten (Bauernkrieg) und ist doch konsequent phantastisch. Und so nebenbei auch ein sehr schönes Leseerlebnis für mich!
9 / 10 Punkte
Roland Topor: „Der Mieter“
Im NEUEN STERN (Ausgabe weiß ich gerade noch nicht) wird es einen Artikel mit dem Titel „Französische Häuser“ geben, weil es sich so ergeben hat. Durch einen Tipp bei einem Facebook-Kontakt bin ich auf das Buch von Jean-Pierre Andrevon und Philippe Cousin, „Das Haus gegenüber“, gebracht worden. Durch das Sehen des Filmes „Die Hamburger Krankheit“ kam ich auf Roland Topor, auch Franzose, der auch etwas über ein Haus schrieb. Ja, so kann es kommen.
Aber was habe ich da für mich losgetreten? Eine neue, ganz neue Welt, wenn auch alte Werke, die teilweise durchaus Klassiker-Status haben (sollten!). Das Buch von Topor hat ihn sicherlich, allein durch seine Verfilmung von und mit Roman Polanskis. Also habe ich mir Film und Buch reingezogen.
Danach: Buch ist etwas besser als der Film, der halt schon etwas angestaubt wirkt. Die Horror-Effekte sind gelesen sogar eindrucksvoller als gesehen, finde ich.
Inhalt? Ach, wen es interessiert (und es auch noch gar nicht kennt) möge mich doch nach einem Exemplar des NEUEN STERNs fragen. Darin lasse ich mich drüber aus.
9 / 10 Punkte
Und jetzt: aufbauend auf dem anderen „französischen Haus“ kommt der Jean-Pierre Andrevon-Komplex.
Jean-Pierre Andrevon und Philippe Cousin, „Das Haus gegenüber“
Ist gar eher kein Roman, sondern eine Sammlung von Erzählungen. Jede Story ist einer Partei des Mietshauses gewidmet, auf das der Titel hinweist. Alle haben so ihre Sorgen und vor allem Ängste und Psychosen. Ja, anders kann man das kaum beschreiben: Hier ist keiner „normal“. Die Stories sind nicht mal einfach „nur“ SF, sondern eher surrealistisch, Horror, bizarr und grotesk. Ich bin begeistert! Und damit spontan Andrevon-Fan. Von Cousin kann ich kein Fan werden, denn von dem ist weiter nichts auf Deutsch erschienen, von Andrevon auch nicht so viel. Mit seinem Gesamtwerk – auf Deutsch – ist man schnell durch.
Inhalt? Auch hier muss ich leider auf den NEUEN STERN verweisen.
10 / 10 Punkte
Alphonse Brutsche: „Tödliche Kälte“
Ein DÄMONEN-LAND-Heftroman!? Echt jetzt? Ja, denn Alphonse Brutsche ist Jean-Pierre Andrevon! Sein Pseudonym wählte er extra für die schnelle Mark (oder den schnellen Franc). Von seinen Horror-Abenteuern gab es immerhin 2 auf Deutsch. Das ist der eine hier.
Es geht um die Erlebnisse eines Toten, was man als Leser durchaus ahnt, aber erst zum Schluss erfährt – also, dass es ein Toter ist, der da erzählt. Hat was von „Pincher Martin“.
Alphonse Brutsche: „Der Totentanz“
Noch ein DÄMONEN-LAND. Diesmal geht’s um den Wunsch, den Tod zu überwinden, darum, verstorbene geliebte Menschen zurückzuholen. Quasi ein positiver Zombie-Roman, der aber natürlich auch im Ekel und Grusel endet.
Beide Romane haben nicht die Raffinesse der Erzählungen, die ich nun von dem Autor kenne. Aber sie lesen sich flott, sind hinreichend spannend – wenn man davon absieht, dass hier natürlich tonnenweise Klischees gewälzt werden. Amüsant, aber dem Autor nicht angemessen. - Keine Wertung
Jean-Pierre Andrevon: „Neutron“
Ja, das ist er wieder! Großartig! Ein Band mit Erzählungen, die keine Rahmenhandlung (wie bei dem Haus-Roman) zusammenhält, die aber dennoch ein Thema verfolgen: Das Leben mit und vor allem nach „der Bombe“. Eindrückliche, mitunter herzzerreißende Geschichten von Menschen, die den Atom-Tod überlebten, oder auch nicht. Auch darüber muss ich länger und breiter erzählen, denn es ist eigentlich irgendwie eine Schande, dass der Autor so vergessen wurde (dabei lebt er sogar noch). Für mich ist das der französische Bradbury – in der Übersetzung erscheint er mir vom Ton ihm sehr ähnlich, die feine oder auch überwältigende Melancholie.
10 / 10 Punkte
Roland Topor: „Memoiren eines alten Arschlochs“
Sorry, nicht mein Titel! Aber auch ansonsten nicht mein Ding. Der Roman ist eine Replik auf die Erinnerungsliteratur seiner Zeit, über die sich Topor hier lustig macht. Ihn hat wahrscheinlich angekotzt, dass alle möglichen unwichtigen Menschen meinen, ihr Leben vor allen ausbreiten zu müssen. In solchen Fällen hilft es halt, wenn man viele bekannte Bekannte hat und damit glänzen kann. Topor macht „seine“ Autobiografie zum Spielfeld, mit ALLEN Berühmtheiten seiner und anderer Zeiten zu glänzen. Das ist reines Namedropping – aber echt, so gelesen, ist das stinkelangweilig. Das soll es wohl auch sein. Aber ich fands dann doch einfach nur öde – und ich verspreche hiermit, hoch und heilig, lieber Herr Topor, ich werde diese Biografien nie lesen, die du mir hiermit ein für alle Mal verdorben hast.
Keine Wertung (denn das Buch hat sicher sein Ziel erreicht, aber ich fand es eben auch nicht gut)
C. U. Wiesner: „Die Geister von Thorland“
Ein Fantasy-Buch des „Spuk unterm Riesenrad“-Autors. Das habe ich für mich jetzt „entdeckt“, als ich auf der Suche nach SF-Büchern war, die im letzten Jahr der DDR erscheinen sind. Wir wollen da aus gegebenem Anlass 2024 ein Schwerpunktheft des NEUEN STERNS machen.
Thorland ist eine Variation von Vineta. 1885 versank diese Insel in der Ostsee. Sie beherbergte ein Herzogtum, dass sehr gute Beziehungen zum Kaiserlichen Deutschland, aber miese zu Dänemark hatte. Diese Insel des Gottes Thor, resp. seine Bewohner, haben den Unwillen des Gottes heraufbeschworen, so dass der sich veranlasst sah, die Insel für 100 Jahr untergehen zu lassen.
Als Thorland 1985 wieder auftauchte, hatte der leidlich erfolgreiche, sich selbst aber eher erfolglos wähnende Unterhaltungs-Schriftsteller und gelernte DDR-Bürger Klingsporn einen Badeunfall in der Ostsee. Er wachte aus dem Koma am Strand dieser unbekannten Insel auf und wurde als „der Auserwählte“ begrüßt. Er darf den Laden – also das Herzogtum Thorland – wieder auf Vordermann bringen. Ha, kein Problem für so einen DDR-Bürger, oder?
Also, na ja, ich fand die Geschichte gar nicht mal so übel. Auch die vielen Spitzen auf die DDR-Wirklichkeit, die hier verarbeitet wurden. Aber insgesamt hat mir der Roman nicht gefallen. Das war eher so eine Art lustige Nummern-Revue. Vielleicht gut geeignet für Lesungen, oder auch als Mini-Serie fürs Fernsehen, so in 45-Minuten-Häppchen.
7 / 10 Punkte