Story 10
Nina Casement: Bugs
Ich könnte ja mal erwähnen, dass es dem Herausgeber gelungen ist, ziemlich viele weiblich gelesene Namen in seiner Anthologie zu vereinen. Das war auch bei Mensch 3.0 schon so. Ich bin gespannt, was in diesem Jahr bei meiner Analyse herauskommt. Könnte ich ja eigentlich bald mal machen.
Okay, das hätte DIE Story sein können. Die, die ich für die beste im Band halte und die ich sofort für den KLP nominiere. Leute, wollt ihr denn, dass ich nur Storys aus der Exodus nominiere? (Plus, den letzten Werbespot aus Ferne Horizonte) Das kann doch nicht sein, ich sehe es schon vor mir, die diesjährige Nominierungsliste beim KLP: Von oben bis unten nur die Exodus.
Nichts gegen die Exodus (im Gegenteil, ist der beste Ort, hierzulande SF Kurzprosa zu veröffentlichen), aber die braucht doch langsam mal ein wenig mehr Konkurrenz.
Bei der Gelegenheit: Ich habe ein paar richtig gute Storys fern der Exodus gefunden, die vollständig in meinem Podcast gelesen werden, hier zu finden. Überall, wo "Lesung" mit im Titel ist.
However - ich finde die Idee hinter dieser Story richtig richtig gut.
Aber muss das denn so dermaßen infodumpig erzählt werden? Klar, dass man in dieser Welt sehr auf Implantate setzt, ist wichtig, aber ich erfahre noch deutlich mehr nebensächliches, über Atomkriege, über Pandemien, über Rattenfleisch. Und teilweise bin ich unsicher, ob der gewollte Effekt eintritt oder eher etwas anderes, keineswegs intendiertes. Hier ein Beispiel:
Zwar wurde wieder mehr verhungert, aber zumeist in unwichtigen Ländern.
Soll das Benne charakterisieren und unsympathisch machen?
However, der Anfang ist sehr gut, dann folgt in jedem dritten Satz Weltenbau. Klar, sowas wie "Das Retinaimplantat spendierte ihm Nachtsicht" ist für die Handlung nicht ganz unwichtig, aber hätte man das nicht geschickter einbauen können?
Und sowas hier ist ganz sicher ungeschickt:
Erneut beglückwünschte er sich innerlich für die Eye-to-Tec-Verbindung, die ihm die Bedienung aller Implantate ermöglichte, ohne auf dem Device herumfingern zu müssen.
Wenn ich am Anfang meiner SF-Lese-Karriere nur solche Prosa gefunden hätte, ihr hättet mich alle nie kennengelernt.
Und das hier ist definitiv komplett wurscht für die Handlung:
Aus dem Kampf gegen den Klimawandel war nun, 25 Jahre später, Akzeptanz geworden.
Es mag leise wichtig sein, dass viele durch Pandemien Hör- und Sehschäden haben, die sie ggf. mit Implantaten ausgleichen müssten, aber trotzdem, bitte erzähl mir das doch etwas interessanter! Und die ganzen Toten - das ist so distanziert, so unemotional, da wäre ich fast weg gewesen, lange bevor der interessante Twist im letzten Drittel kommt.
Sowas fand ich wiederum nett:
Er wird veroprügelt und danach ...
Ein graues Würmchen saß als Zaungast auf dem schmutzigen Saum seines Muscle-Shirts, stellte Benne benommen fest, bevor er in gnädige Bewusstlosigkeit versank.
Beim Abtippen fällt mir aber auch auf, dass die Autorin verdammt viel distanzierende Formulierungen verwendet, von wegen "stellte Benne fest" usw., das nimmt dann seinen traurigen Höhepunkt hier:
Benne wusste, dass er nicht schlau war, er wusste, dass die wenigen Jahre ohnehin schlechten, staatlichen Fernunterrichts an ihn noch verschwendet gewesen waren.
Das will ich nicht lesen.
Die Stelle davor, die den Twist enthüllt, war aber cool. Warum muss das gleich wieder durch so eine ungeschickte Stelle kaputt gemacht werden?
However, als Benne dann die Konsequenzen aus seinen Informationen gezogen hat, kommt mir zu wenig. Klar, er wird ein wenig in Action gezeigt, aber was bedeutet das genau für ihn als Menschen? Wie fühlt er sich? Wie stellt er sich nun seine Zukunft vor? Wieso spricht er nicht mit jemandem, der sich ggf. genauso entschieden hat oder gerade zaudert? Ohne Ende Möglichkeiten, Spannung zu erzeugen, die Idee interessant zu präsentieren.
Alles nicht ausgeschöpft.
Tolle Idee schlecht verpackt. So. Jetzt wieder McBride und Kehlmann, seufz. Noch fünf Geschichten. Allmählich will ich es auch hinter mich bringen. Kommt noch was Gutes?